JELLO BIAFRA & THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE

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Obama, Hype und Hoffnung

Wer beim Meister zu Hause anruft, bekommt erst mal eine Ansage – vom Anrufbeantworter: Minutenlang ist da im Stile einer Spoken Word-Session zu hören, was aktuell zum Thema Michael Jackson und Sarah Palin zu sagen ist. Ist die Ansage zu Ende, darf man seinen Namen nennen und es wird abgehoben. Der Grund meines Anrufs: Biafra hat ein neues Album namens „The Audacity Of Hype“, das im Oktober 2009 erscheint, eingespielt, mit Ralph Spight (Gitarre, VICTIMS FAMILY), Billy Gould (Bass, FAITH NO MORE), Kimo Ball (Gitarre) und Jon Weiss (Drums). Auf der Europatour im September war Gould wegen seiner Aktivitäten mit FAITH NO MORE nicht dabei, stattdessen kam Andrew Weiss (WEEN, GONE, ROLLINS BAND).

Jello, neulich musste ich mich in einer Shopping Mall herumtreiben und in einem Levi’s-Laden herumsitzen. Und was für Musik lief da? „Too drunk to fuck“ in der NOUVELLE VAGUE-Version ... Das passt bestens dazu, dass es einst wohl Bestreben deiner einstigen DEAD KENNEDYS-Mitstreiter gab, „Holiday in Cambodia“ für Levi’s-Werbung freizugeben. Und mit der Nutzung des NOUVELLE VAGUE-Covers von „Too drunk to fuck“ in Tarantinos Film „Grindhouse“ warst du auch nicht glücklich.

Das macht mich immer noch sehr sauer. Ich bin der Einzige, der noch was auf die Band gibt und dem die Musik und die Message wichtig ist. Meine Ex-Bandkollegen haben einen neuen Manager aus Hollywood, der sich noch mehr um die Vermarktung der DEAD KENNEDYS in Games und Commercials kümmern soll. Angeblich ist der Typ sogar ein rechter, wiedergeborener Christ und der vermarktet auch einen christlichen Folk-Sänger. Keine Ahnung, wieso die den angeheuert haben, aber ich habe gehört, dass der jetzt auch mit der Idee hausieren geht, eine in METALLICA-Manier gemachte Doku über die DEAD KENNEDYS zu drehen. Der glaubt auch wirklich, ich würde mich dafür interviewen lassen, und man hat mir gesteckt, der erzähle herum, er sei ein Freund von mir. Und stelle ich ihm mal eine Frage im Zusammenhang mit der Band, bekomme ich keine Antwort. Es ist einfach immer noch sehr unangenehm, und es trudeln bis heute regelmäßig Anwaltsbriefe hier ein. Dennoch werde ich nicht nachgeben, egal, wie sehr man mir droht.

Da war die Welt doch noch ein ganzes Stück einfacher zu Beginn deiner musikalischen Laufbahn. Kürzlich bekam ich die „Rocky Mountain Low“-Compilation in die Finger, auf der die Underground-Szene von Colorado Ende der Siebziger dokumentiert wird, und da bist du als Sänger der HEALERS zu hören – die ersten Aufnahmen mit dir als Sänger einer Band.

Ja, so was wie eine Band waren wir wohl. Die HEALERS waren in erster Linie ich und John Greenway, oder auch Sam Turner und Chris Burnett. Wir hofften darauf, dass unsere Eltern mal abends nicht zu Hause waren, und dann spielten wir auf Instrumenten herum, von denen wir nicht wussten, wie man sie spielt. Wir fingen damit an, als wir so dreizehn, vierzehn waren.

Und jetzt sind Aufnahmen von damals das erste Mal auf einer Compilation zu hören – oder gab es davon schon irgendwelche „Killed By Death“-mäßigen Veröffentlichungen?

Nein, und es ist ja nicht mal Punk. Die Aufnahmen wurden auch schon als „unhörbar“ bezeichnet, und das trifft unseren damaligen Ansatz ziemlich gut. Wir probten nie, wir spielten nie Konzerte, und es existieren nur zwei Cassetten-Kopien unseres so genannten Albums – aufgenommen mit zwei Tape-Rekordern, die in zwei Ecken des Zimmers standen. Und irgendwo habe ich diese Cassette auch noch.

In was für einer Umgebung bist du aufgewachsen?

Das war in Boulder, Colorado, das damals vor allem eine Universitätsstadt nahe Denver war und sich in den letzten Jahren zu einem bevorzugten Domizil von Reichen entwickelt, nachdem es dort verboten wurde, neues Bauland auszuweisen. Also werden die existierenden Häuser zu immer höheren Preisen verkauft. Es ist auch wirklich schön da, es sieht da aus wie am Rande der Alpen, nur leben da jetzt mehr und mehr Yuppies und New Age-Idioten. Letzteres hängt damit zusammen, dass Boulder Ende der Sechziger zu einem Hippie-Mekka wurde: Zu den 30.000 ursprünglichen Einwohnern kamen da plötzlich 20.000 Hippies! Damals waren Hippies noch langhaarige Freaks, die man für gefährlich hielt, das war also viel spaßiger als heute. Dummerweise war die ganze Hippie-Bewegung schon wieder vorbei, als ich und meine Freunde endlich alt genug waren, um Acid und all so was auszuprobieren. Da hatten die Hippies, die reiche Eltern hatten oder durchs Drogenverkaufen zu Geld gekommen waren, bereits begonnen, zu erfolgreichen Geschäftsleuten zu werden, und entsprechend wenig begeistert waren wir von Boulder.

In dieser Situation habt ihr dann eure Band gegründet. Wer hat euch inspiriert?

Unsere frühen Aufnahmen mit den HEALERS haben noch einen ziemlichen Frank Zappa- und CAPTAIN BEEFHEART-Einschlag mit einem sehr abstrakten, blödsinnigen Humor. In unseren späteren Teenager-Jahren waren wir dann so wütend auf die Welt, dass sich die Texte um Mörder und Serienkiller drehten. Und die Songs an sich waren fast alle improvisiert. Als ich dann nach San Francisco zog, dachte ich noch, dass John Greenway und die anderen bald nachkommen würden, aber die ließen sich drei Jahre Zeit, und so fing ich alleine an, richtige Songs zu schreiben, also Texte und Musik, denn gute Riffs hatte ich schon immer im Kopf. Ich war im Gegensatz zu den anderen eher ein Rock’n’Roller, wobei ich mit dem Texteschreiben wirklich erst in San Francisco begann. Ich musste mich da echt zwingen, ich wollte, dass sie gut sind.

Hattest du denn trotz der Serienkiller-Fantasien eine glückliche Kindheit und Jugend in Boulder?

Das würde ich nicht sagen. Im Vergleich zu anderen Leuten vielleicht schon, aber ich verstand mich nicht mit meiner Familie und hatte auch nicht viele Freunde – wobei die Freunde, die ich damals hatte, heute noch meine Freunde sind. Durch die Uni in Boulder und verschiedenen Forschungsinstitute mit den ganzen Wissenschaftlern und ihren Familien gab es da nicht nur viele intelligente, sondern auch seltsame Kids. Ich war also nicht der einzige Seltsame und Verrückte da, es gab viele davon. Dessen war ich mir aber gar nicht bewusst, die Erkenntnis kam erst, als die erste DEAD KENNEDYS-Platte erschienen war und Kids anfingen, mir Briefe zu schreiben – Leute, die das Gefühl hatten, der einzige denkende, intelligente Mensch in ihrer Stadt zu sein. Solche manchmal auch traurigen Briefe bekomme ich übrigens bis heute. Und es scheint, als seien solche Menschen durch das Internet in der Lage, mit anderen Freaks und Weirdos leichter kommunizieren zu können. Bei Menschen, die eigene sexuelle Vorstellungen in Bezug auf Fetischismus haben, ist das ja genauso.

Deine Texte scheinen also auch heute noch Menschen anzusprechen, die gerade mal 15 oder 18 sind.

Ich habe mal ein Interview mit Paul Weller gelesen, und der sagte, er wolle keine Songs schreiben über andere Erfahrungen oder Gedanken als solche von jemandem im gleichen Alter wie er selbst. Er hatte also das Gefühl, er sollte in späteren Jahren keine Texte über die Jugend mehr schreiben. Ich bin da ganz anders, ich schreibe Songs über alles und für jedes Alter. Vielleicht hat das ja was damit zu tun, dass ich früher Theater gespielt habe. „Turn of the respirator“ vom TUMOR CIRCUS-Album etwa ist aus der Sicht eines alten, sterbenden Menschen geschrieben, der nicht mehr von einer Maschine künstlich am Leben erhalten werden will.

Du spielst da also eine Rolle – man könnte also sagen, dein Auftreten habe auch etwas Theatralisches an sich?

Nun, du hast es ja schon das eine oder andere Mal gesehen, da musst du selbst entscheiden, ob das gutes oder schlechtes Theater war. Allerdings finde ich es schade, dass ich bei den Sängern vieler heutiger Bands einen gewissen schauspielerischen Einsatz vermisse. Die stehen da und singen und manchmal hüpfen sie von der Kickdrum, um zu zeigen, wie Hardcore sie sind. Ich dagegen stehe auf Sänger, die auf der Bühne „arbeiten“, die irgendwie mehr sind als nur ein Sänger. Ein gutes Beispiel ist J.D. Wilkes von TH’ LEGENDARY SHACK SHAKERS. Deren Musik ist kein reiner Psychobilly, sondern hat auch einen starken Blues-Einschlag, aber er bringt auf jeden Fall wieder etwas Psycho in den Psychobilly. Und ganz großartig ist John von TRICLOPS und den FLESHIES: Ich beschreibe dessen Bühnenverhalten immer so, dass es mich an Mark Mothersbaugh von DEVO erinnert, dessen Penis man in eine unter Strom stehende Lampenfassung gesteckt hat. Wir hatten sogar überlegt, TRICLOPS mit nach Europa zu nehmen, aber da wurde nichts draus.

Bei TRICLOPS spielt auch Larry von VICTIMS FAMILY, und das bringt mich zu deiner neuen Band: Da spielt Ralph von VICTIMS FAMILY. Was lernen angehende Ärzte in der GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE?

Hm ... eine seltsame Frage, auf die ich erst mal eine ausreichend seltsame Antwort finden muss. Vielleicht lernt man an dieser Schule ja Techniken kultureller Sabotage, lernt, wie man mit Kultur die Neue Weltordnung der Großkonzerne sabotiert. Und das ist es ja, was ich in meinem ganzen bisherigen Künstlerleben getan habe. Ich denke, ich schreibe auch heute noch ganz gute Songs.

Auf jeden Fall: Das neue Album klingt mehr nach DEAD KENNEDYS als alles andere, was du seit 1986 gemacht hast.

Und ist das jetzt gut oder schlecht?

Gut! Auch die Platte und die Konzerte mit den MELVINS waren großartig, aber die neue Platte hat irgendwie diesen speziellen DK-Sound.

Ich weiß, was du meinst. Auf dem neuen Album ist dieser Surf- und Psychedelic-Space-Rock-Einfluss recht gut zu hören. Wenn ich mit anderen Bands gearbeitet habe, habe ich in dieser Hinsicht immer die Füße stillgehalten, und erst jetzt, mit meiner eigenen Band, habe ich da wieder freie Hand gehabt. Es hat mich ja auch nur knapp über 20 Jahre gekostet, wieder eine Band zusammenzubekommen, haha. Aber besser spät als nie, und besser, als wenn diese Songs für den Rest meines Lebens in meinem dicken Schädel festgesteckt wären. Ein paar Stücke sind nämlich wirklich schon Ende der Achtziger oder Anfang der Neunziger entstanden, andere sind brandneu.

Welche sind alt, welche sind neu?

Zwei Songs kann man wieder erkennen, von denen waren frühere Versionen auf dem NO WTO COMBO-Live-Album – „Electronic plantation“ und „New feudalism“. Ich musste da nicht mal die Texte ändern. „I won’t give up“ ist ganz neu, und „The terror of tiny town“ ist mehr oder weniger neu, denn den Song hatte ich vor einer Weile mal mit den HEADS in England ausprobiert für ein Album, aus dem dann leider doch nichts wurde. Da musste ich nur noch den Text schreiben. Es geht um Bush, und es mag so scheinen, als sei der Text veraltet – wenn man die letzte Zeile liest, merkt man aber, dass er das nicht ist. Bush ist zwar nicht mehr im Amt, aber die Probleme sind nicht gelöst ...

... und Obama ist Präsident.

Von Obama habe ich zwar nicht viel erwartet, finde es aber dennoch enttäuschend, dass er in Sachen Folter-Stop so halbherzig vorgegangen ist und bei der Gesundheitsversicherungsreform auch nicht wirklich vorankommt. Und das Thema Folter ist für mich wirklich ein ganz zentrales Thema – und wenn wir die dafür verantwortlichen Kriegsverbrecher nicht jetzt in den Knast stecken, werden sie dreimal so stark wiederkommen, wenn die Republikaner das nächste Mal die Wahl gewinnen. Dabei machen mir gar nicht Bush oder Cheney Angst, sondern die Leute, die ein, zwei, drei Ebenen unter ihnen arbeiteten. So Typen wie Cheney, Rumsfeld oder Rowe waren ja einst schon unter Nixon aktiv und selbst im Vergleich zu dem noch mal ein ganzes Stück rechter und verrückter. Deren moralische Standards sind sogar noch geringer als die von Nixon, der es schaffte, in Vietnam, Chile und anderen Konflikten alles noch schlimmer zu machen. Und wenn also das nächste Mal die Republikaner an die Macht kommen, haben Leute das Sagen, die unter Cheney arbeiteten und der Meinung sind, dass der eigentlich viel zu zahm war. Namen wie David Addington, John Yoo, Douglas J. Feith – die muss man sich merken, die gehören wegen Kriegsverbrechen vor Gericht! Denn wir müssen uns erinnern, dass Typen wie G. Gordon Liddy womöglich CIA-Boss geworden wäre, wenn man ihn nicht ins Gefängnis gesteckt hätte. Leider macht sich nicht jeder von diesen Typen so zum Affen wie Oliver North – sonst wäre der noch Verteidigungsminister geworden.

Die Schreibtischtäter sind eben immer die Schlimmsten.

Ja, aber es ist ja noch schlimmer: Diese Typen verstecken sich nicht mal hinter Befehlen, die sind auch noch stolz auf das, was sie tun. Mit der Folge, dass in den US-Medien schon wieder Berichte auftauchen, in denen überlegt wird, ob Folter nicht vielleicht doch okay ist. Und unterlegt wird so was immer mit angeblich repräsentativen Meinungsumfragen, wobei ich mich fragen, wessen Meinung da überhaupt abgefragt wird. Ich frage bei meinen Lesungen immer, wer im Publikum schon mal so einen Anruf von einer Umfrage bekommen hat, und über all die Jahre war das gerade mal eine Handvoll. Und dennoch heißt es dann in den Nachrichtensendungen, vierzig bis fünfzig Prozent der Amerikaner hielten Folter für keine so schlechte Idee.

Folter ist für dich also das zentrale Thema in der Betrachtung der Bush-Jahre.

Ja, denn näher waren wir in den USA nie dran an einem richtigen Nazi-Regime. Besonders beängstigend finde ich, dass das in eine Reihe passt: Nixon hatte Diktatur-Fantasien, mit Reagan und Bush Senior wurde es noch schlimmer, und das wurde dann von Bush Junior noch getoppt. Da fragt man sich doch, was beim nächsten republikanischen Präsidenten 2012 passieren wird. Immerhin wird Schwarzenegger durch das Haushaltsdefizit in Kalifornien gerade so demontiert, dass er eine Präsidentschaftskandidatur vergessen kann.

Ich dachte, der scheidet sowieso aus, weil er nicht als Amerikaner geboren wurde.

Ach, es gibt schon Republikaner, die deshalb die Verfassung ändern würden ...

Nun ist aber erst mal Obama dran ...

Ich habe ihn nicht gewählt. Ich musste mich zwischen Ralph Nader als unabhängigem Kandidaten und Cynthia McKinney entscheiden, der afroamerikanischen Kandidatin der Green Party. Ich finde es jedenfalls schon jetzt traurig, wie Obama sich von den Zielen abwendet, für die er als Kandidat eintrat – gerade deshalb, weil Obama sich als Mann der Hoffnung, des Wechsels vermarktete. Er ist ja auch ein charismatischer Typ, irgendwie will ich ihn mögen, er macht den Eindruck von jemandem, mit dem ich mich privat gerne treffen würde. Einer seiner Wahlhelfer, der mittels des innovativen Internet-Wahlkampfs zu seiner Wahl beitrug, war Scott Goodstein, 2004 Mitbegründer von punkvoter.com und der „Rock Against Bush“-Kampagne, den ich wiederum gut kenne. Im Scherz sagte ich mal zu Scott, wenn Obama wirklich einen Wechsel wolle, müsse er schon mich ins Weiße Haus holen, hahaha. Er antwortete, ich solle doch einfach über die Obama-Website meine Wünsche an Obama schicken, es bestünde durchaus die Chance, dass Obama die Nachricht sieht. Das tat ich, und das war der Brief, den man auch noch irgendwo auf der Alternative Tentacles-Website findet. Ja, ich habe mich auch von der Obamania mitreißen lassen, und so hatte ich mich in meinem Brief sogar dazu hinreißen lassen, etwas weniger Gift und Feuer zu speien als sonst, war also recht diplomatisch. Al Jourgensen war im Vergleich zu mir wirklich von der Obamania mitgerissen, er sagte mir schon sehr früh, dass er für ihn stimmen würde. Er sagte, ich solle Obama zumindest sechs Monate geben, bevor ich mich auf ihn einschieße. Nun, die sechs Monate sind um, und ehrlich gesagt, hätte ich wirklich mehr erhofft von Obama.

Was kritisierst du?

Er sollte versuchen, die Menschen im Lande für seine Ziele zu mobilisieren, damit die ihm im politischen Machtkampf Rückenwind verleihen. Ich muss da immer an Franklin Roosevelt denken, der Präsident wurde in einer Situation, da das Land noch mehr im Arsch war als jetzt. Er nahm im Gegensatz zu seinen Gegnern die Arbeiterführer und ihre Ideen ernst, sie durften ihm eine Liste ihrer Wünsche überreichen, und nachdem er sie gelesen hatte, sagte er: „Okay, das sind alles gute Ideen, und jetzt zwingt mich, euch diese Wünsche zu erfüllen.“ Und das sollte man auch bei Obama beherzigen: Die Menschen müssen ihn zwingen, ihre Wünsche zu erfüllen, sie müssen ihn unterstützen, sonst hat er keine Chance. Als Clinton damals Bush Senior geschlagen hatte, dachte auch jeder, jetzt werde alles gut, jetzt könne man sich wieder hinlegen. Und so kam es auch, und nichts passierte, und Clinton setzte ein paar der schlimmsten Projekte von Reagan und Bush Senior um, wie etwa WTO und die massive Einschränkung der Sozialhilfe.

Das System ist also so stark, dass es mehr bedarf als eines wohlmeinenden Präsidenten, um wirklich einen Wandel zu erreichen.

Genau! Es ist jetzt nicht die Zeit, ruhig abzuwarten, was passiert, sondern so viel Wirbel zu machen wie möglich. Vor allem weil die Chance besteht, dass sich dadurch tatsächlich was ändert.

Was uns zu deinem neuen Album zurückbringt, dessen Texte genau zu solcher Aktivität motivieren. Was hat es mit deinen Mitmusikern auf sich: Hast du das erste Mal seit den DEAD KENNEDYS wieder eine richtige Band, statt „nur“ der Gastmusiker einer anderen Band zu sein wie bei D.O.A., NOMEANSNO oder MELVINS?

Es ist wirklich eine Band, und mit dabei ist Ralph Spight, den man ja von VICTIMS FAMILY kennt und dessen eigene Band FREAK ACCIDENT ja auch bei AT veröffentlicht. Zuerst sollte der FREAK ACCIDENT-Drummer auch dabei sein, aber der verliebte sich in eine Frau aus Deutschland und lebt jetzt da. Dafür ist Kimo Ball dabei, der FREAK ACCIDENT-Bassist, der bei mir aber Gitarre spielt und wirklich ein Händchen hat für Punk, Surf und Psychedelic.

Mit „I won’t give up“ findet sich ein Song auf dem Album, der aus der Ich-Perspektive geschrieben wurde und erstaunlich persönlich und positiv wirkt.

Es ist wohl das erste Mal, dass ich einen FUGAZI-Song geschrieben habe, hahaha. Und es ist mein erstes Statement zum Zeitalter von Obama. Er hat mir und anderen zwar schon beinahe das Herz gebrochen, aber wir werden nicht aufgeben, sondern nur noch stärker für unsere Sache eintreten. Das wird wohl auch ein wichtiges Thema auf meinem nächsten Album sein.

Das bedeutet, es wird ein zweites Album geben.

Ich gehe davon aus und hoffe, dass die anderen nach der Tour nicht so die Schnauze voll haben von mir, dass sie alle aussteigen.

Apropos: Billy Gould von FAITH NO MORE spielt auf dem Album Bass, und Jon Weiss Schlagzeug. Soweit ich weiß, kommen die alle aus der Bay Area, was sicher hilft, regelmäßig zu proben.

So ist es. Dummerweise haben wir unsere Bassisten wieder an eine etwas größere Band verloren ... Ralph schlug vor, wir sollten für die Tour jemand haben, der schnell kapiert, was Sache ist, und so entschieden wir uns für Jons Bruder Andrew, der auch schon bei ROLLINS BAND, WEEN und BUTTHOLE SURFERS gespielt hat. Allerdings lebt der in New Jersey, weshalb er wohl kein dauerhafter Ersatz sein kann. Denn der Vorteil einer richtigen Band ist ja, dass wir ganz spontan in einem kleinen Club in San Francisco ein Konzert spielen können.

Hast du bei deinen anderen Projekten also eine gewisse Langlebigkeit und Spontaneität vermisst?

Ja, ich wollte ja immer eine richtige Band haben, aber es klappte nie – vielleicht auch, weil ich so viele andere Ideen hatte, gute wie schlechte. Vielleicht wäre es mit so einer Band ja auch schon Ende der Neunziger etwas geworden, wenn mich nicht gewisse Arschlöcher vor Gericht gezerrt hätten. Die Arbeit an den Alben mit anderen Bands hat einfach immer lange gedauert, oft zwei, drei Jahre, denn ich bin immer viel unterwegs mit meiner Spoken Word-Tour, um Geld zu verdienen. Irgendwann beschloss ich dann, dass ich mich erst wieder aus meiner Höhle wage, wenn ich wirklich genau das habe, was ich will. Und was passiert? Ich komme aus meiner Höhle, und die Musiker, mit denen ich arbeiten wollte, waren alle weg: Der eine hatte eine Band, die plötzlich groß war, der andere hatte keine Zeit, andere waren auf Drogen oder hatten mit Majorlabels so miese Erfahrungen gemacht, dass sie nie wieder Musik machen wollten. Dann wieder lief es mit meiner Spoken Word-Show „In The Grip Of Official Treason“ so gut, dass ich das nicht unterbrechen mochte, doch irgendwann wollte ich einfach wieder rocken. Ein wichtiger Grund, weshalb ich diese Bandprojekt dann ernsthaft vorantrieb, hängt aber mit den STOOGES zusammen: Die sah ich in San Francisco an Iggys sechzigstem Geburtstag, und da sagte ich mir, wenn der so eine Show mit 60 hinbekommt, dann sollte ich das mit beinahe 50 wohl auch schaffen. Wenn ich nur zehn Prozent der Intensität von Iggy erreiche, sollte ich mich mal wieder so richtig lebendig fühlen. Und so spielten wir dann 2008 auf meinem 50. Geburtstag unser erstes Konzert.

Nun erscheint dieses Interview nach der Tour und nachdem ich das Konzert in Köln gesehen habe. Was werde ich gesehen und gehört haben? Nur die Album-Songs oder auch DEAD KENNEDYS-Lieder wie 2005 mit den MELVINS?

Wir haben außer den neun Songs auf dem Album noch fünf, sechs andere aufgenommen, und das summiert sich auf eineinviertel Stunden Musik. Wir werden also nicht alle spielen und das Set jeden Abend variieren. So machten wir das auch damals bei den DEAD KENNEDYS: Ich hatte für jeden Song einen Zettel, und für jedes Konzert brachte ich die Zettel in eine andere Reihenfolge. Das war wie die Cut-up-Methode von William Burroughs, hahaha. Ich schaute mir immer die Vorband an, und je nachdem, wie das Publikum drauf war, arrangierte ich unser Set. Das war bei den DEAD KENNEDYS immer sehr stressig und verrückt vor dem Auftritt, die Crew musste die Setlist dann noch schnell abschreiben für alle anderen, doch da sich bei meiner jetzigen Band die Begeisterung für so ein Vorgehen in Grenzen hält, muss ich mal sehen, wie wir das machen. Mit den MELVINS wäre das sowieso nicht gegangen, Buzz und Dale waren überzeugt, dass wir besser sind, wenn wir ein festes Set proben und spielen und den Ablauf instinktiv draufhaben. Nur bei den Zugaben gab es Abweichungen. Bei den DEAD KENNEDYS gab es allerdings auch eine erprobte Reihenfolge, die dann nur geringfügig verändert wurde. Und was nun die DK-Songs bei dieser Tour anbelangt: Ja, wir spielen ein paar, aber welche weiß ich nicht. Ich hatte mal eine Liste aller Songs gemacht, die ich mit dieser Band spielen will, und die Liste wurde so lang, dass wir mindestens so lange spielen müssten wie THE GRATEFUL DEAD, hahaha.

Nach der MELVINS-Show in Köln bei tropischen Temperaturen warst du komplett erledigt. Wie sieht’s diesmal aus, hast du an deiner Fitness gearbeitet?

Ich bin weder Henry Rollins noch Iggy, aber ich bemühe mich und gebe mein Bestes, haha. Und was ich an körperlicher Fitness nicht draufhabe, mache ich durch Witz wett. Außerdem war ich schon in Schule in Sport der Schlechteste in meinem Jahrgang. Nur beim Fußball war ich halbwegs gut, weil die anderen mich schonten, da sie Angst hatten, ich könnte sonst das Spiel sabotieren, um absichtlich zu verlieren. So konnte ich meine mangelnden athletischen Fähigkeiten in eine Waffe verwandeln. Der Höhepunkt war dann auch meine Meditation als Torwart, als ich während des Spiels vor dem Tor auf dem Boden saß ...

Ein wichtiges Thema für viele Musiker und Labels ist dieser Tage das illegale Downloaden von Songs und ganzer Alben. Die Einnahmeausfälle aus einem solchen Verhalten schädigen nicht nur die großen, sondern auch zunehmend die kleinen Labels wie Alternative Tentacles, Musiker verdienen immer weniger Geld mit ihren Aufnahmen, und in letzter Konsequenz fehlt auch das Geld, um noch in Fanzines Anzeigen zu schalten. Andererseits wirft das Vorgehen der Musikindustrie gegen das Filesharing Fragen auf und dürfte jemandem wie dir in seiner rigiden Art kaum gefallen.

Das Downloading hat Alternative Tentacles schon sehr geschadet. Und es hat dazu geführt, dass sich Bands, die durchaus noch Pläne hatten, auflösen mussten, weil sie sich das Bandleben einfach nicht mehr leisten konnten. Eine Band wie die PHANTOM LIMBS etwa schaffte es irgendwann einfach nicht mehr, mit den ständig steigenden Mieten in San Francisco klarzukommen, Studentenkredite zurückzuzahlen und als Musiker und Künstler von irgendwas zu leben. Wenn dann noch die paar Einnahmen aus dem Plattenverkauf wegfallen, ist das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Für uns als Label ist es sehr schwer geworden, überhaupt noch eine relevante Stückzahl zu verkaufen – da fühlen sich 1.000 Stück schon an wie eine Goldene Schallplatte. So schwer war es noch nie, wobei natürlich auch dazukommt, dass es nie so viele coole Labels und Bands gab wie heute – das Kuchenstück für jede einzelne wird da immer kleiner. Wenn aber Leute mich ansprechen, um mir zu sagen, dass sie SLIM CESSNA’S AUTO CLUB so großartig finden, dass sie die CD gleich für all ihre Freunde kopiert haben, dann werde ich einfach sauer. Ich weiß natürlich, dass nicht alle 15 Freunde oder so die CD selbst gekauft hätten, aber selbst wenn es nur fünf gewesen wären, und wenn man das mal hochrechnet, dann bedeutet das in der Folge, dass der Band die Einnahmen aus dem Albumverkauf fehlen und sie nicht mehr so viel auf Tour gehen kann wie früher. Das sind eben alles schon ältere Herrschaften, die Jobs haben und das Geld brauchen, um ihrer Familie über die Runden zu bringen. Und deshalb versuche ich, nicht zu sehr auf die ganzen Filesharer einzuschlagen, sondern appelliere an sie, im Blick zu haben, was sie da tun, und bei Musikern und Bands aus dem Underground zweimal nachzudenken. Ich weiß, das ist ein hartes Statement in Zeiten, da die Wirtschaft am Boden liegt und kaum noch jemand Geld hat und es mittels Filesharing so einfach ist, an neue Musik ranzukommen. Mit Majorlabels ist das sicher etwas anders als mit Indielabels, denn die Majors verarschen die Bands ja sowieso: Filesharing ist für eine Band auf Sony sicher nicht mal eine halb so üble Abzocke wie der Sony-Deal selbst.

Infolge dieser Diskussion erfreut sich in Europa derzeit die „Piratenpartei“ in dem digitalen Lifestyle zugewandten Kreisen recht großer Beliebtheit. Leider widersprechen deren Vorstellungen vom Copyright extrem den Interessen von Musikern, die ihre Musik nicht zum Nulltarif mit aller Welt teilen wollen.

Leute wie die Piratenpartei müssten, wenn sie denn gewählt werden und politische Verantwortung übernehmen, beweisen, dass sie wirklich anders sind, und Geld, das sonst für noch mehr Straßen oder das Militär ausgegeben wird, so umverteilen, dass auch Künstler von irgendwas leben können. Wenn jemand als Musiker über Jahre Geld zusammenspart, um sich dann endlich richtig gute Aufnahmen leisten zu können und um Geld zu haben, ein paar CDs zu pressen, der erleidet durch das Filesharing einen herben Verlust und wird kaum jemals wieder ein Album aufnehmen können. Und an dieser Stelle wird es hart, finde ich. In New York findet alle zwei Jahre eine Hacker-Convention namens Hope Conference statt, die vom 2600 Magazine veranstaltet wird. Die laden mich immer wieder als Referent ein, obwohl ich ja nicht mal einen Computer im Haus habe, und bitten mich, dort meine Meinung zu sagen, einfach um mal eine andere Sichtweise kennen zu lernen. Und da habe ich festgestellt, dass die Leute, die am fanatischsten gegen Urheberrechte eintreten, jene sind, die bereits viel Geld haben, so Dot-Com-Yuppies. Für die ist es ein Leichtes zu fordern, dass alle Kunst umsonst sein müsse, dass man doch dankbar sein könne, wenn jemand ein T-Shirt kauft und man damit Geld verdient. Das macht mich wütend, denn wir wollen doch nicht zurück ins Mittelalter, wo Musiker von Stadt zu Stadt zogen, ihre Lieder spielten und um Essen bettelten. Courtney Love hat sich auch schon zu dem Thema geäußert, nach dem Motto, dann solle eben jeder Musiker für das Geld spielen, das man ihm in den Hut wirft, aber die hat gut reden, die wurde ja schon reich geboren. Mir geht es nun darum, dass die Möglichkeit erhalten bleibt, dass Menschen Kunst schaffen können. Ich selbst bin Vinyl-Junkie, und oft genug hat Filesharing mittlerweile zur Folge, dass Platten nicht mehr gepresst werden können, weil kaum noch jemand welche kauft. Ich habe auch einfach keine Lust, dass Alternative Tentacles ein reines Digital-Label wird. Wir haben das jüngst bei dem TURN ME ON DEAD MAN-Album gemacht, denn die beiden ersten Alben verkauften sich nicht wirklich gut und unsere miese finanzielle Situation erlaubt es nicht, da ein Risiko einzugehen, LPs zu pressen. Von den LP-Covern muss man mindestens tausend Stück drucken lassen, was in den letzten Jahren immer teurer wurde, und wenn man dann mindestens 500 LPs pressen muss und die verbliebenen Sammler da draußen nur 200 oder 300 kaufen, dann verliert man Geld. Wenn es nach mir ginge und ich das Geld hätte, würden wir also weiterhin von jedem Release Vinyl pressen, aber leider geht das nicht mehr. Und so könnte es bald noch mehr reine Digital-Releases geben, was mir überhaupt nichts bedeutet, denn real ist für mich nur, was ich auch in den Händen halte. Eine gebrannte CD stellt mich da nicht wirklich zufrieden. Ich weiß, ich gehöre da mittlerweile einer Minderheit an in einer Welt, in der Leute ihre Plattensammlung im iPod haben statt im Regal.

Also steht auch die klassische Rolle der Labels auf dem Prüfstand.

Vielleicht werden Labels ja immer weniger gebraucht, gerade wenn die nur noch Promo-Firmen sind für etwas, das in den Weiten der digitalen Welt gehandelt wird. Aber ich habe keine Lust, dass AT nur noch eine PR-Firma ist. Gleichzeitig brauche ich ja auch für mich selbst so jemanden, haha.

 

Jello Biafra war einst der Sänger der in San Francisco ansässigen DEAD KENNEDYS, die in ihrer Urform nur von 1978 bis 1986 existierten und Punk in die Hardcore-Umlaufbahn schossen. Sie sind unbestritten eine der wichtigsten Punk/Hardcore-Bands aller Zeiten, musikalisch eigenwillig und einzigartig und mit provokanten, intelligenten Texten. Nach dem Ende der Band begann Jello Biafra, auch Inhaber von Alternative Tentacles Records, eine Solo-Laufbahn mit Spoken Word-Auftritten, die eine erweiterte Form seiner Songtexte darstellen: hochpolitisch und engagiert redet er oft stundenlang, und auch auf CD sind diese Auftritte dokumentiert. Musikalisch ist Biafra seit dem Ende der DEAD KENNEDYS (auf deren „Reunion“ von 2001 bis 2008 und die rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Biafra und seinen Ex-Bandmates gehe ich an dieser Stelle mal nicht weiter ein) bislang nie mehr mit einer eigenen Band aktiv geworden, er nahm aber alle paar Jahre sowohl einzelne Songs wie ganze Alben mit verschiedenen Bands auf, etwa mit MINISTRY-Jourgensen unter dem Namen LARD, mit D.O.A., mit NOMEANSNO, Mojo Nixon, Krist Novoselic (NO WTO COMBO), STEEL POLE BATH TUB (unter dem Namen TUMOR CIRCUS) und zuletzt den MELVINS, mit denen er auch 2005 nach Europa kam und neben neuen auch diverse DK-Songs performte. Und nun also JELLO BIAFRA & THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE – tatsächlich eine eigene, neue Band, deren Ursprung auf eine Geburtstagsband anlässlich der Feier von Jellos 50. Geburtstag 2008 zurückgeht.