TRANS AM

Seit TRANS AM irgendwann 1993 von John McEntire (BASTRO, TORTOISE) in einem kleinen Schuppen namens The Cave in Chappel Hill, NC entdeckt wurden und 1996 ihre erste Platte aufnahmen, haben sie sich zu einer erstaunlichen Konstante im Indie-Bereich entwickelt. Vor allem was den überstrapazierten Begriff "Postrock" angeht, denn im Gegensatz zu den gerade abgetauchten, immer langweiliger gewordenen TORTOISE vermitteln TRANS AM einen wirklich vitalen Eindruck und funktionieren trotz ihres streckenweise sehr seltsamen Sounds als richtige Band - seit ihrem Debüt mit unveränderter Besetzung: Phillip Manley, Sebastian Thomson und Nathan Means -, nicht nur als reines Studioprojekt. Davon kann man sich bei ihren kraftvollen Live-Auftritten überzeugen. Fast muss man schon von einer richtigen Konsensband sprechen, die grobe Rock-Strukturen, KRAFTWERK-Elektronik, Punk-Energie und modernere technoide Sounds zu einer mitreissenden, wenn auch irgendwie anachronistisch anmutenden Mischung verbinden - dabei fallen einem auch sofort die grossartigen DEVO ein -, auf die sich spätestens seit ihrer 99er-Platte "Futureworld" plötzlich sehr viele Leute einigen können. Dummerweise ist genau das ihre erste Platte, die nicht mehr von City Slang für Deutschland lizensiert wurde, ebenso wie die beiden 2000er Releases: die Compilation "You can always get what you want" mit bisher nur auf japanischen Veröffentlichungen ihrer Platten erschienen Bonus-Tracks, und das neue, episch angelegte Album "Red Line", die in den Staaten bei Thrill Jockey erschienen und nunmehr nur noch als Import erhältlich sind. "Red Line" ist jedenfalls das monumentale Doppelalbum geworden, dass sie mir bereits bei unserem ersten Zusammentreffen ´97 in Bochum angekündigt hatten, auf dem wesentlich stärker als bei "Futureworld" mit dem Einsatz eines Vocoders experimentiert wurde. Wahrscheinlich ihre bisher beste und ausgereifteste Platte, bei der die bekannten TRANS AM-Bauteile neu arrangiert und neu definiert wurden, das Gesamtergebnis wirkt dadurch wesentlich vielschichtiger, aber auch abstrakter und weniger songorientiert. Diesmal traf ich im Münchner Club 2 auf TRANS AM in Gestalt von Sebastian Thomson und Nathan Means. Eigentlich ist der Club 2, eine ehemalige Eck-Kneipe, ein ganz sympathischer Laden, nach einigen negativen Erfahrungen würde ich aber jeder Band, die mehr als 50 Leute zieht, davon abraten, dort aufzutreten, da man als Zuschauer bei entsprechender Besucherdichte und einer Bühne auf Bodenniveau ganz schnell um den visuellen Reiz eines Konzerts beraubt werden kann und nur noch einem Hörspiel beiwohnt.

Wir haben uns bereits mal 1997 in Bochum getroffen, aber wahrscheinlich erinnert ihr euch nicht mehr daran.


Sebastian: "Nein, das ist ziemlich lange her, ausserdem befanden wir uns damals in einer ziemlich deprimierenden Phase."

Deprimierend?

Sebastian: "Ja, aber jetzt ist alles okay."

Nathan Means: "Nein, eigentlich ist alles ähnlich deprimierend. Wir sind bei dieser Tour wieder in Bochum gewesen -- vielleicht hast du sogar schon davon gehört. Kennst du den Club Blackout?"

Ist mir bekannt!


Nathan Means: "Er wurde an dem Tag geschlossen, an dem wir spielen sollten. Das Gebäude war wohl verkauft worden und musste kurzfristig geräumt werden. Wir konnten es selbst kaum glauben, da wir an diesem Tag extra aus Dresden gekommen waren. Also sind wir in ein Restaurant in der Nähe, Bermuda-Dreieck nennt man das wohl, gegangen und waren richtig früh ins Bett. Ansonsten haben wir während dieser Tour eigentlich keine freien Tage. Nach Europa geht es dann noch nach Australien, es ist eine ziemlich lange Tour."

Nach den Photos auf "You can always get..." zu schliessen, wart ihr auch bereits in Japan. Wie war das, ihr könnte mir vorstellen, dass gerade die Japaner auf so einen Sound, wie ihr ihn macht, abfahren?

Sebastian: "Das war bereits vor zwei Jahren. Irgendwie meint jeder, dass wir in Europa oder Japan populärer wären, aber das stimmt nicht, wir sind in den Staaten nach wie vor wesentlich bekannter. Wir waren in Japan auch nur für zwei Konzerte, beide mit der JOHN SPENCER BLUES EXPLOSION, richtig grosse Auftritte also. Dementsprechend aufgeregt waren wir und hatten keine Ahnung, wie unsere Songs ankommen würden. Die Japaner mögen natürlich extreme und verrückte Sachen. Hast du mal MELT BANANA gesehen? Die sind vielleicht durchgeknallt."

Nein, ich kenne sie zwar, aber mir klingt das zu sehr nach einem kaputten Computerspiel. Wie kommt es eigentlich, dass ihr seit "Futureworld" kein deutsches Label mehr habt?

Nathan Means: "Ganz einfach, City Slang wollte unsere Platten nicht mehr herausbringen. Wahrscheinlich konnten sie mit uns nicht genug Geld verdienen, oder sie mochten uns einfach nicht mehr. Erstaunlicherweise haben wir mit "Futureworld" wesentlich mehr Platten verkaufen können, insofern ist es für uns kein grosser Verlust. Trotzdem hätten wir wieder gerne ein deutsches Label, denn Importe zu kriegen, ist manchmal nicht ganz so einfach. Denn wir wollen natürlich, dass die Leute, die unsere Musik mögen, auch unsere Platten kaufen können."

Wie sieht die Situation im Rest von Europa aus?

Sebastian:
"Da sieht es leider nicht anders aus, mit Ausnahme von Spanien, wo Caroline unsere Platten herausbringt."

Wieviel Promotion macht Thrill Jockey denn für euch in den Staaten?

Sebastian: "Keine Ahnung, jedenfalls bekommen wir jede Menge positives Feedback. Jedesmal, wenn wir in einer Stadt ein Konzert geben, taucht auch ein Artikel über uns in der örtlichen Zeitung auf - ich weiss nicht, ob so etwas auch in Europa passiert. Wir waren sogar schon mal in der New York Times!"

Bei unserem ersten Zusammentreffen haben wir uns viel über TORTOISE und Postrock unterhalten. Im Moment ist es diesbezüglich recht ruhig geworden, dafür seid ihr ziemlich gut im Geschäft.

Nathan Means: "Tja, wir sind sozusagen die letzten Überlebenden, haha. TORTOISE sind aber gerade dabei, ein neues Album zu machen und bereiten auch eine Tour vor. Ich habe zwar noch nichts aus dem Album gehört, aber ich bin mir sicher, dass auch das europäische Publikum sehr davon angetan sein wird. Es soll etwas weniger studioorientiert ein und stärker betonen, dass hier eine richtige Band zusammenspielt."

Was hat sich denn bei euch in den letzten drei Jahren verändert?

Nathan Means: "Wir haben inzwischen ein voll ausgebautes Studio, was wirklich sehr praktisch ist. Ich denke aber auch, dass sich unsere Musik verändert hat, denn wir sind handwerklich wesentlich besser geworden. Wenn ich mir jetzt unsere erste Platte anhöre, bin ich richtig schockiert, weil sie so primitiv und zusammengestückelt klingt. Für die Leute, die uns mögen, sieht die Sache natürlich anders aus. Für sie war die erste Platte der Moment, wo sie das erste Mal von uns gehört haben. Also ein ziemlich wichtiger Moment, denn das erste Album einer Band hat immer etwas magisches an sich. Was für die Leute, die die Musik gemacht haben, sehr seltsam ist. Es ist als ob, du einen Aufsatz liest, den du mit 15 geschrieben hast. Eigentlich solltest du im Lauf deines Lebens immer besser werden. Sicherlich ist es bei Rock-Musik auch so, dass du irgendwann deine frühere Energie verlierst. Und dann wirst du richtig schlecht, was wir hoffentlich bemerken werden."

War "Futureworld" eigentlich eine Art Einschnitt für euch? Ihr habt ja zu dieser Zeit, angefangen, mit dem Vocoder zu experimentieren. Das hat mich ziemlich stark an Neil Youngs Platte "Trans" erinnert.

Sebastian: "Hoffentlich bist du der einzige, haha. Natürlich kennen wir die Platte, und Phillip Manley, unser Gitarrist, ist ein grosser Neil Young-Fan. Es war eine seltsame Richtung, die Young da einschlug. Die Folk- und Country-Hippies konnten mit dieser Mischung aus Rock und Elektronik damals natürlich nicht viel anfangen. Wir haben aber schon vorher mit dem Vocoder gearbeitet. Auf "You can always get what you want" sind ein paar Songs drauf, die bereits vor "Futureworld" entstanden sind. Wir wollten mit "Futureworld" eigentlich ein Pop-Album mit weicheren Kanten machen, aber ich weiss nicht recht, ob uns das tatsächlich gelungen ist. Aber ich habe grundsätzlich das Gefühl, dass jedes neue Album eine neue Phase für die Band bedeutet. Mal abgesehen von unserem zweiten Album, das tatsächlich eine Art Durchbruch darstellte, da es plötzlich tonnenweise gute Besprechungen und Artikel gab. Seitdem versuchen wir, mit jedem neuen Album auf das vorherige zu reagieren."

Das merkt man besonders bei "Red Line", das fast wie ein Konzept-Album wirkt.

Sebastian: "Für uns ist es kein wirkliches Konzeptalbum, denn ein Doppelalbum ist nicht automatisch ein Konzeptalbum. Aber es ist schon eine ziemlich epische Reise in unsere Musik. Das Konzept dahinter ist, unterschiedliche Dinge zu akzeptieren, nicht alles muss dabei in klassisches Song-Konzept passen. Es erinnert vielleicht mehr an das erste Album, da wir diesmal kürzere experimentellere Sachen mit eingebaut haben. Für uns spielt dabei vor allem "Sound" eine grosse Rolle, Elemente und Richtungen von "Sound". Hast du "Red Line" eigentlich auf CD oder Vinyl?"

Auf CD.

Sebastian: "Da eine Doppel-LP aufgrund ihrer Länge nicht so leicht durchzuhören ist, haben wir jeder Seite ein bestimmtes Thema gegeben. So ist z.B. Seite 2 ziemlich schräg, während Seite 3 sehr soft ist. Auf der CD geht dieser Effekt natürlich etwas verloren."

Wie kommt es eigentlich, dass die Lyrics bei "Ragged Agenda" von Ian Svenonius stammen?

Nathan Means:
"Eher zufällig! Phil hat im Studio einfach begonnen, irgendwelche Texte zu singen und es stellte sich später dann heraus, dass es sich dabei um THE MAKE-UP-Lyrics handelt. Phil ist einer Band namens GOLDEN und die waren zusammen mit THE MAKE-UP auf Tour, insofern kennt er sie sehr gut. Musikalisch besteht da aber keine Verbindung."

Dafür klingt ein Song wie "Play in the summer" schwer nach SHELLAC.

Sebastian: "Ehrlich gesagt, mögen wir SHELLAC nicht besonders, sie wirken so mittelalterlich und teilweise sogar richtig blöd. Es klingt, als ob sie ausser sich selber niemanden mit ihrer Musik unterhalten wollen. Viele Leute respektieren das, ich finde das aber ziemlich langweilig. Sie haben einen Status erreicht, wo sie nicht zu touren brauchen und trotzdem 100.000 Platten verkaufen, das reicht ihnen scheinbar. Aber ich will sie nicht völlig schlechtmachen, trotzdem waren z.B. RAPEMAN viel besser und aufregender. SHELLAC dagegen ist wie eine Formel, die sie perfektioniert haben und jeder Song klingt jetzt identisch. Ausserdem hasse ich diese idiotische Form von Aggression in ihrer Musik, als ob jemand wie Steve Albini wirklich jemanden ängstigen könnte. Auch wenn darin sogar ein gewisser Sinn für Humor zu erkennen ist. Albini war in der Vergangenheit für einige wichtige Projekte verantwortlich, wäre er nur ein Nobody, würde sich niemand für eine Band wie SHELLAC interessieren."