BRIDGE 9 RECORDS

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The ultimate hardcore punk label

Das Label aus der Nähe von Boston hat sich in den letzten Jahren zu einem der besten und wichtigsten Hardcore-Label entwickelt: Fast jedes Album, fast jede Band sind erstklassig, Lückenfüller-Releases sucht man vergebens, und stattdessen macht man sich mit Bands wie STRIKE ANYWHERE, POLAR BEAR CLUB, DEFEATER oder PAINT IT BLACK zum Marktführer in Sachen guten Geschmacks. Releases von HAVE HEART, VERSE, PANIC, DEATH BEFORE DISHONOR, CRIME IN STEREO, CHAMPION oder DEAD SWANS trugen maßgeblich zum Ruf des Labels als Institution in Sachen Eastcoast-Hardcore bei, und so sprach ich mit Firmengründer Chris Wrenn über sein Label, das nach dem Dauerschlaf von Jade Tree und der Konzentration von Revelation aufs Mailordergeschäft derzeit wohl die Nummer 1 in den USA darstellt.

Chris, zuerst musst du mir verraten, wie man eine Telefonnummer mit 666 am Ende bekommt.

Das war reiner Zufall: Als ich damals bei der Telefongesellschaft anrief, meinte die Dame dort „Ich glaube, die Nummer, die der Computer für euch ausgesucht habt, werdet ihr nicht wollen: Die endet auf 666.“. Meine Antwort war klar: „Natürlich nehmen wir die!“.

Vielleicht hält das ja die Christen-Hardcore-Fans davon ab, euch anzurufen.

Hm, mag sein, aber da draußen sind viele von denen und es würde sicher nichts schaden, wenn die sich unsere Platten kaufen.

Ein gutes Thema: Heutzutage scheint ja kaum ein Label darauf verzichten zu wollen, seinen Anteil am wachsenden Markt christlicher Hardcore- und Metalbands zu sichern, auch Epitaph, Trustkill oder Victory. Wie stehst du dazu?

Ich habe kein Problem mit christlichen Bands. Es ist nur so, dass mich bislang keine dieser Bands interessiert hätte, oder dass so eine Band auf Bridge 9 zugekommen wäre. Ich weiß, dass sich christliche Bands gut verkaufen, aber Verkaufszahlen standen noch nie im Mittelpunkt meiner Arbeit. Sollte es eine christliche Band geben, die richtig toll finde, würde mich das nicht davon abhalten, sie zu signen.

Nun gibt es solche und solche Christen: Die einen haben eben ihren Glauben und lassen andere damit in Ruhe, die anderen halten die Evolution für Quatsch und wollen Frauen und Homossexuellen vorschreiben, wie sie ihr Leben zu leben haben. Wie wichtig ist es dir, dass Bands auf deinem Label bestimmte Positionen teilen?

Manche Labels definieren sich durch bestimmte Meinungen, veröffentlichen beispielsweise nur Straight Edge-Bands, Christenbands oder – im Falle von Equal Vision früher– nur Krishna-Bands. Was Bridge 9 anbelangt, so sind wir ein Hardcore-Punk-Label und veröffentlichen Bands, die einen bestimmten Sound spielen, ohne uns im Detail zu sehr festzulegen. Es macht für manche Labels sicher Sinn, ziemlich exakte Kriterien zu haben, was ihre Bandauswahl anbelangt, aber für uns ist das nicht so. Als ich Bridge 9 1995 gründete, machte ich mir eine Visitenkarte, und auf der stand „Bridge 9 – dedicated to the vegan straight edge“, denn genau durch diese Begriffe definierte ich mich damals. Ich bin auch heute noch Veganer und Straight Edger, aber damals stand ich schon bei der dritten Band vor dem Problem, dass die zwar straight edge, aber nicht vegan war. Nun hatte ich „dedicated to the vegan straight edge“ auf meine Karte geschrieben, weil das meine Überzeugung ist, aber ich wollte das nicht als Ausschlusskriterium verstanden wissen. Und so kam es dazu, dass ich diesen Satz bald fallen ließ, denn mein Ziel war es eben nicht, nur mit veganen Straight Edge-Bands zusammenzuarbeiten.

In jeder Szene gibt es aber Menschen, die Labels und Bands sehr schnell verurteilen, wenn sie bestimmte Positionen verlassen und Prinzipien nicht einhalten. Wie hast du das erlebt?

Ich kenne da beide Seiten: Als Hardcore-Kid bekam ich mit, wie sich so manches Label veränderte, wie zu Beginn nur Hardcore veröffentlich wurde und man sich dann immer mehr veränderte, bis es den Eindruck erweckte, man versuche sich an allem, was irgendwie Erfolg verspricht. Aus eigener Erfahrung weiß ich heute, dass es wichtig ist, einen gewissen Plan zu haben, einen Fokus. Doch wenn man etwas über einen Zeitraum von zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren betreibt, wächst man als Mensch und verändert sich, und da bietet man eben auch mal Angriffsfläche für die Kids, die einem dann vorwerfen, man mache ja jetzt viel kommerziellere Platten. Aber wenn man 33 und nicht mehr 19 ist, dann ist der Geschmack ja mit dir gereift, und die Releases deines Labels spiegeln das und ein verändertes Interesse an Musik wieder. Für Bridge 9 hatte ich immer die Vision, dass es das ultimative Hardcore-Punk-Label sein sollte, doch ich bin älter geworden, heute 33 und nicht mehr 19, und das hat zur Folge, dass ich eine Band wie POLAR BEAR CLUB damals auf keinen Fall veröffentlicht hätte, heute aber solche Musik sehr genieße. Und da so ein Label eine organische Struktur ist, wie eine Band auch, verändert sich über die Jahre eben so manches. Auch eine Band nimmt ja nach zehn Jahren nicht mehr die gleichen Platten auf wie zu Beginn. Fakt ist aber, dass es ein Gleichgewicht geben muss zwischen Veränderung, Wachstum und Beibehaltung dessen, was die Menschen ursprünglich an deinem Tun begeistert hat. Und so wählen wir unsere Bands unter dem Aspekt aus, ob sie zu uns passen, zu unserem ursprünglichen Fokus. Der ist immer noch, dass wir die besten Hardcore-Bands veröffentlichen wollen, aber meinem eigenen Geschmack entspricht auch, hier und da Neues auszuprobieren. Denn um ehrlich zu sein: Immer nur das Gleiche zu machen, kann auf Dauer etwas langweilig werden. Meine musikalischen Präferenzen haben sich in den letzten 15 Jahren nicht sehr verändert, doch gewisse Veränderungen sollten sich auch im Labelprogramm widerspiegeln.

Verständlich. Gleichzeitig besteht das Problem, dass Bands sich natürlich auch gerne weiterentwickeln, aber die blöden Fans es bevorzugen würden, wenn ihre Lieblinge immer wieder das erste Album aufnehmen.

Ich weiß genau, was du meinst, aber ich sehe einen Unterschied zwischen Leuten, für die Musik zwar sehr wichtig ist im Leben, für die sie aber ein Zeitvertreib oder eine willkommene Ablenkung ist – etwas, das man auf dem Weg zur Arbeit hört oder zuhause. Wenn man aber wie ich 24 Stunden am Tag von Musik umgeben ist, und das über Jahre, dann entsteht daraus der Wunsch, auch mal etwas Neues zu hören. Aber ich kann Leute ja verstehen, die da anders sind, und ich weiß, dass es Leute gibt, die von jeder Band nur das erste Demo mögen, oder maximal die erste Platte. So was ist oft eine Reflex-Reaktion. POLAR BEAR CLUB sind für mich da ein sehr gutes Beispiel – die sind ihrem Publikum immer ein Stück voraus und es dauert etwas, bis die Leute folgen. Abgesehen davon finde ich es ja okay, wenn Leute nur einen Musikstil mögen, weshalb wir schon darauf achten, unsere alten Fans zufriedenzustellen. Ich bin mir sicher, dass jemand, der Bridge 9 von Anfang an kennt, auch heute noch jedes Jahr Releases findet, die ihm gefallen. Bei zehn, zwölf Releases im Jahr ist aber auch sicher was dabei, was nicht jedem gefällt, doch das ist egal, denn letztlich gibt es ja sowieso nur eine Person, die alles mag, was Bridge 9 jemals rausgebracht hat, und das bin ich. Abgesehen davon besitze auch ich von meinen Lieblingslabels nicht alle Releases.

Dennoch ist es bei Bridge 9 im Vergleich zu so manch anderen großen Labels im Punk- und Hardcore-Bereich so, dass auf Bridge 9 im Gegensatz zu beispielsweise Victory oder Epitaph immer noch Verlass ist. Wie stellt ihr sicher, dass das so bleibt?

Das ist nicht alleine mein Verdienst, sondern jeder bei Bridge 9 trägt dazu bei. Ich gehe heute nicht mehr zu jeder Hardcore-Show in der Gegend – mit 19 war ich jedes Wochenende auf drei Shows. Auf neue Bands stoße ich also nicht mehr, indem ich sie selbst auf Konzerten entdecke, sondern andere Bands auf Bridge 9 geben uns Tips, oder Mitarbeiter des Labels oder auch Praktikanten machen uns auf sie aufmerksam. Der Typ, der sich früher um unseren Mailorder kümmerte, legte mir damals nahe, doch unbedingt HAVE HEART zu signen. Ich hatte die damals zwar wahrgenommen, aber nahm sie nicht so ernst, und erst auf die Empfehlung meines Mitarbeiters hin beschäftigte ich mich mit ihnen.

Ein geschmackssicherer Mailorder-Mitarbeiter ist also wichtiger als ein hochbezahlter A&R-Mitarbeiter eines großen Labels?

Na ja, mein Mailorder-Mann trieb sich eben jedes Wochenende auf den kleinen Konzerten hier in der Gegend herum und bekam mit, was abgeht. Und darauf kommt es an.

Wie aber funktioniert eure „Qualitätskontrolle“? Ich denke, ihr könntet problemlos doppelt so viele Platten rausbringen.

Das hat viel mit Instinkt zu tun. Wir müssen das Gefühl haben, dass eine Band ins Gesamtgefüge von Bridge 9 passt, und wir haben im Blick,wie man uns wegen dieser Band in zehn Jahren wahrnehmen wird. Eine Band zu signen, nur weil wir wissen, dass die jetzt für hohe Verkaufszahlen gut ist, das passt nicht zu uns. Da wissen wir, dass wir in paar Jahren über uns lachen würden, und außerdem kann so eine Politik auch das Ansehen der Bands beschädigen, die nach ihnen gesignt werden. Da draußen existiert einfach viel Müll, und ein gutes Beispiel dafür ist die Warped-Tour. Einer von uns war mit einem Verkaufsstand mit der Warped-Tour unterwegs, und es muss furchtbar gewesen sein. Die Warped-Tour ist voll von Bands, die schrecklich sind, aber eben viele Platten verkaufen. Und die Kids kaufen das auch noch. Du fragst jetzt sicher gleich, was wir dann auf der Warped-Tour wollten. Nun, die Kids, die dort hingehen, sind noch jung und offen für Neues, also wollten wir ihnen zeigen, dass es auch noch Alternativen zu den Bands da auf der Bühne gibt. Mit so einer Einstellung generiert man natürlich nicht die größten Verkaufszahlen für sein Label, aber es hilft uns dabei, uns darauf zu konzentrieren, woran wir Spaß haben. Wir haben ja auch nur begrenzte Ressourcen, können mit den Leuten, die jetzt bei Bridge 9 arbeiten, nur eine bestimmte Anzahl von Platten im Jahr stemmen. Und so müssen wir eben wählerisch sein.

Gib mir mal ein paar Zahlen. Wie viele Leute arbeiten für Bridge 9, in was für Räumen arbeitet ihr, wie muss man sich das alles vorstellen?

Wir sind vor zwei Jahren umgezogen und haben jetzt richtig coole Räumlichkeiten, die wir mit zwei anderen Firmen teilen, an denen ich beteiligt bin. Das eine ist eine Siebdruckerei, und die belegt inklusive Lager ungefähr 400 der 800 Quadratmeter des Gebäudes. Den Rest teilen sich Bridge 9 und eine Firma, die ich vor einer Weile gegründet habe, die mit Sport-T-Shirts handelt. Bei allen Firmen arbeiten Leute aus der Hardcore-Szene – der Boss der Siebdruckerei etwa ist Kevin Baker, der Sänger von THE HOPE CONSPIRACY. Es ist also eine sehr angenehme, junge Belegschaft von Kids, die sich alle für Musik interessieren. Bei Bridge 9 selbst arbeiten and die zehn Leute: einer macht den Mailorder Vollzeit, dazu kommen zwei Aushilfen. Die Buchhaltung macht Seth, Jamie kümmert sich um die Promo, und Stephanie kümmert sich zusammen mit mir um den ganzen Rest. Und dann ist da noch Matteo, unser Webmaster, der allerdings in Irland wohnt und von dort aus für uns arbeitet. Den habe ich übrigens erst persönlich kennengelernt, als er schon drei Jahre für uns arbeitete. Anfangs layoutete der Banner für unsere Website, und dann wurde das immer mehr, so dass er sich jetzt in einem Vollzeit-Job um unsere Website kümmert, und auch die der beiden anderen Firmen.

Viele Angestellte bedeuten auch Verantwortung und dass man beständig gute Arbeit leisten muss. Nun wissen wir aber auch, dass Labels kommen und gehen und selbst einst verehrte Labels wie Jade Tree oder Revelation sind heute auf Eis gelegt oder haben ihre Geschäftsausrichtung verändert.

Bands wie auch Labels haben einen bestimmten Lebenszyklus, und manchmal endet dieser natürlich, wenn die Menschen dahinter denken, dass sie genug davon haben. In anderen Fällen passiert es, dass der Großhändler in Konkurs geht und einem Label so viel Geld verloren geht, dass ein Weitermachen schwer wird. In den USA war das dieses Jahr mit Mordam/Lumberjack der Fall, und viele Labels haben sehr viel Geld verloren. Einem kleinen Label wie Deathwish gingen durch so was 30.000 Dollar verloren, und das reicht aus, um dir das Genick zu brechen. Der Cashflow ist nicht mehr da, da ist es egal, was deine anstehenden Releases sind oder dein generelles Potential, da fehlt dir das Geld, um die anstehenden Rechnungen zu bezahlen. Aber es ist nicht immer eine Sache des Geldes, sondern oft auch eine der Emotionen. Es kommt vor, dass man feststellt, dass man eine Sache nicht mehr aus Leidenschaft macht, sondern sie nur noch als Job ansieht, oder dass die Verantwortung im realen Leben wichtiger wird, als neue Platten rauszubringen. Ich wünsche mir, dass wir mit Bridge 9 noch lange weitermachen und weiter wachsen können, doch das wird sich zeigen. Ich habe schon Labels gehen sehen, weil sich zwei oder drei wichtige Bands zur gleichen Zeit auflösten und es an Energie fehlte, neue Bands aufzubauen. Oder ein wichtiger Angestellter verlässt nach vielen Jahren die Firma und der Besitzer hat nicht mehr die Kraft, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Das sind mehr oder weniger interne Faktoren, aber es gibt auch externe. Das Geschäft mit dem Verkauf von Musik hat sich in den letzten Jahren massiv verändert, legale und illegale Downloads werden immer wichtiger, die CD-Verkäufe gehen zurück, Vinyl ist stabil, immer mehr Geld wird mit Merchandise verdient. Wie stellt sich das für Bridge 9 dar?

Die Verkaufszahlen von Tonträgern gehen zurück, das stimmt, und unglaublich viel Musik wird heute per Download gezogen. Das Problem für uns als Label ist: Wir haben eigentlich keine Option, wir können nur weiterhin etwas machen, von dem wir hoffen, dass jemand bereit ist dafür zu bezahlen. Aber wir machen auch Geschäfte jenseits der Musik mit der Siebdruckerei, mit der Herstellung und dem Vertrieb von Merchandise unserer Bands – T-Shirts kann man nicht downloaden, und so machen wir coole Shirts in richtig guter Qualität und mit ökologischen Farben. Und wir verkaufen große Banner von vielen Bands, also so was wie Stoffposter im Format 1,5 mal 1,5 Meter. Da sind wir derzeit führend – klar, von IRON MAIDEN kannst du so was überall bekommen, aber eben nicht von HAVE HEART. Was Vinyl anbelangt, so haben wir das von Anfang an gemacht. Für mich ist Vinyl ein essentielles Format für ein Hardcore-Label, und ich habe mich schon immer über Labels gewundert, die selbst nur CDs machten und das Vinyl an andere lizenzierten. Das mag ja Sinn machen, um die Ausgaben gering zu halten, aber die Arbeit als Label nur daran zu orientieren, was unter dem Strich übrig bleibt, kann es ja auch nicht sein. Für mich war es also trotz der hohen Kosten für beide Formate schon immer wichtig, Vinyl selbst anzubieten.

Und wie stehst du zu Leuten, die im Internet die Musik deiner Bands stehlen?

Musik kann heute überall und von jedem downgeloadet werden, ohne dass Label oder Bands dafür entschädigt werden. Ich hege die naive Vorstellung, dass es da draußen Menschen gibt, die verstehen, dass Bands und Labels aber Geld mit dem Verkauf ihrer Aufnahmen verdienen müssen. Manche Downloader entschuldigen ihr Verhalten damit, dass sie ja auf Tour ein T-Shirt der Band kaufen würden, aber dabei vergessen sie, dass damit nicht die Studioaufnahmen der Band bezahlt werden können. Bands haben selten das Geld, ihre Aufnahmen selbst zu bezahlen, also brauchen sie ein Label, das ihnen dafür Geld gibt und im Gegenzug ihre Aufnahmen verkauft, um das ausgegebene Geld wieder zu erwirtschaften. Auf Tour verkaufte Shirts helfen dem Label gar nichts, und in letzter Konsequenz bedeutet das, dass es womöglich kein neues Album geben wird, wenn keiner mehr Geld hat, dafür zu bezahlen. Oder das Album entsteht unter viel einfacheren Bedingungen, nicht mehr in einem Studio, mit weniger Geld fürs Artwork und die Verpackung. Wir versuchen da gegenzusteuern, indem wir unser Vinyl sehr aufwendig ausstatten, mit Prägecovern, buntem Vinyl, Klappcover und so. Wer Musik illegal downloadet, der versteht nicht, wie sehr jede für 10 Dollar verkaufte Platte dem Label und der Band helfen.

In Europa profitiert derzeit die „Piratenpartei“ von dieser Diskussion. Die tritt, vereinfacht gesagt, dafür ein, dass das beliebige Downloaden von Musik legalisiert wird und argumentiert damit, dass jede Kontrolle von Downloads und das derzeitige Urheberrecht die freie Meinungsäußerung einschränken würde. Außerdem seien Labels ein gestriges Konzept, jede Band könne sich ja Dank Internet selbst um die Vermarktung kümmern.

Das klingt wie die Idee eines Zehnjährigen! Musik ist nicht umsonst! Klar, du kannst Musik downloaden oder dir eine CD leihen und sie kopieren, aber der Kreativprozess kostet Geld. Die Menschen im Studio müssen von irgendwas leben, ihre Arbeit kostet Geld. Das Artwork, das zu einem Album gehört kostet Geld, der Künstler muss von etwas leben, und so weiter. Klar, es gibt auch Abzocker-Labels, die ihre Bands beschissen haben, aber ein Label wie Bridge 9 behandelt seine Bands fair, wir haben simple 50:50-Deals, und wenn wir eine Platte verkaufen, sieht die Band auch das Geld. Wer für das utopische Modell eintritt, dass keiner mehr Labels braucht und Bands und ihre Musik dann völlig frei seien, der beantwortet nicht die Frage, woher Bands das Geld nehmen sollen, um überhaupt noch ins Studio gehen zu können. Für eine gute Aufnahme musst du eben 10.000 Dollar anlegen, für 1.000 Dollar geht das zwar auch, aber es klingt furchtbar.

Du weißt das, ich weiß das, aber nicht wenige Menschen sehen die Welt viel simpler. Die sagen, heute könne jede Band mittels Computertechnik im Proberaum aufnehmen, das kostet gar nichts, und solche Musik kann man dann ohne Copyright und kostenlos zum Download anbieten. Und es gibt kleine Labels, die nur als Hobby betrieben werden, die 500 LPs pressen, damit ihre Kosten wieder reinholen und darüber hinaus das Album als kostenlosen Download anbieten. Anzeigen schalten die kaum, und da stellt sich dann auch die Frage, wie mit solchen Umsonst-Modellen und ohne Geld für Anzeigen Fanzines und Musikmagazine überleben sollen.

Ich habe wirklich schon alle Argumente in Sachen „Get rid of the record labels!“ gehört, alle Forderungen, die Bands sich doch selbst um ihre Angelegenheiten kümmern zu lassen. Tja, wenn die das dann auch tun würden, wäre das gut, doch nur wenige Bands tun das auch. In jüngerer Vergangenheit haben immer mehr Bands ihre Internet-Domains und Websites verfallen lassen und sich nur noch auf MySpace verlassen. Doch was ist passiert? MySpace ist heute nicht mehr cool, doch die Bands haben ihre Website nicht mehr. Aber klar, Bands können sich ja um alles selbst kümmern ... Oder nimm unseren Online-Store, den wir komplett selbst programmiert haben. Der ist jetzt richtig gut, der ist individuell und er ist perfekt für uns. Natürlich kann eine Band einen eigenen Webshop eröffnen, und es gibt da auch Lösungen für umsonst. Der sieht dann aus wie alle anderen auch, und man liefert sich wiederum irgendeinem Großkonzern aus. Dem steht unser Webshop gegenüber, der unseren Bands gute Verkaufszahlen beschert, aber auch so was kostet erstmal Geld. Und dann sind da ja noch ganz andere Aspekte, die Labels wichtig machen: Ein Label schafft ja oft auch eine Art von Community: Wenn etwa Bridge 9 eine Band signt, eröffnet das für die Möglichkeiten, die sie ohne den Deal nicht hätte. So ein Label-Logo ist im Idealfall ja auch ein Qualitätssiegel, und so was bringt eine Band oft entschieden weiter. Meist hat eine Band, die wir signen, bereits eine Website und ein MySpace-Profil, sie haben ihre lokale Fanbasis, aber alles in allem spielt sich das in einem begrenzten Rahmen ab. Und dann kommen wir ins Spiel, und plötzlich öffnen sich Türen in die ganze Welt für die Band, gibt es Kontakte zu Booking-Agenturen in Europa und Australien, interessieren sich Magazine in Deutschland für sie. Die Chancen, dass eine Band das im Alleingang hinbekommt, sind eher gering. Aber warum ist das so? Weil ein Plattenlabel ein Investor ist, der an eine Band glaubt. Damit verdient man keine Unsummen und die Höhe meines Gehalts ist erschreckend niedrig, aber das Geld, das in der Firma steckt, macht es möglich, immer wieder neue Bands zu finanzieren, sie ins Studio zu schicken, Videos zu drehen, Promotion für sie zu machen. Theoretisch kann eine Band das natürlich alles selbst machen, aber mal ehrlich, welche Bank gibt einer Band dafür einen Kredit? Wenn man das mal ganz nüchtern und betriebswirtschaftlich betrachtet, ist der Gewinn aus so einer Investition so gering, dass das eigentlich keinen interessiert. Eine Band also, die auf eigenen Kosten und auf sich alleine gestellt etwas auf die Beine stellen will, braucht also viel Glück, wenn sie kein Geld hat. Und was bleibt dann noch? Bands von Kindern reicher Eltern! Die können sich weiterhin teure Aufnahmen leisten, die können sich auch von ihren Eltern einen Tourvan bezahlen lassen und teure Verstärker und Gitarren. In der Hardcore- und Punk-Szene haben aber wohl die wenigsten Kids reiche Eltern.

Eine Menge guter Argumente also, die deutlich machen, warum es weiterhin Labels geben muss. Aber sprechen wir über angenehmere Dinge, etwa das neue STRIKE ANYWHERE-Album, die wohl die bislang „größte“ Band auf Bridge 9 sein dürften.

Ja, das stimmt wohl, von NEW FOUND GLORY mal abgesehen, was aber ja so eine Art einmaliges Nebenrelease für die war. Es freut mich sehr, dass STRIKE ANYWHERE jetzt bei uns sind, aber auch das hat eine lange Vorgeschichte. Ich kenne die Jungs schon lange: Es muss 2000 gewesen sein, als COUNT ME OUT und AMERICAN NIGHTMARE mal mit STRIKE ANYWHERE spielten. Garth von COUNT ME OUT stieg bei STRIKE ANYWHERE ein und ich versuchte mit ihnen zu arbeiten, aber irgendwie klappte das damals nicht. Ich arbeitete damals noch parallel zu Bridge 9 bei Big Wheel Recreation Records und hatte da noch mit ihnen Kontakt, doch erst neun Jahre später hat es dann mit einer Zusammenarbeit geklappt und das freut mich sehr.

STRIKE ANYWHERE sind eine Band, die das Zeug dazu hat, so groß zu werden wie ANTI-FLAG oder RISE AGAINST.

Klar. Dieser melodiösere Punkrock hat einfach das Zeug dazu, ein paar mehr Leuten zu gefallen, das Album ist unglaublich gut, und jetzt wird sich zeigen, was passiert. Hoffentlich macht es an allen wichtigen Stellen „Klick!“.

Mit POLAR BEAR CLUB hast du noch eine richtig gute Band mit neuem Album am Start.

Das ist so eine phantastische Band, ich liebe ihre Musik! Ich denke, sie sind eine Band, die noch richtig wachsen kann, und es macht großen Spaß, mit denen zu arbeiten.

Und was steht in nächster Zeit an?

Eine neue EP von DEFEATER, die ich auch großartig finde. Die haben schon ein Konzept für ihre nächsten vier Platten, unglaublich. Die arbeiten sehr konzeptionell, was ungewöhnlich ist für eine Hardcore-Band. Außerdem werden wir, was mich sehr freut, die ersten beiden AGNOSTIC FRONT-Platten neu auflegen, nämlich die „United Blood“-7“ von 1983 und die „Victim In Pain“-12“ von 1984. Wir werden da zum 25-jährigen Jubiläum Vinyl und CD machen. Der Kontakt zu AGNOSTIC FRONT hat sich über die Jahre ergeben, weil sie immer wieder mal eine unserer Bands als Vorband mit auf Tour genommen haben. 2007 sprach ich dann Roger an, ob er nicht vor dem Album auf Nuclear Blast bei uns eine 7“ machen will, und er wollte. Letztes Jahr sprach ich Roger dann auf die Rereleases an, und er hatte Bock darauf, dass wir das machen. Für 2010 haben wir das neue Album von CRIME IN STEREO geplant, und noch zig andere – du darfst gespannt sein.



 

Chris Wrenn gründete Bridge 9 im Jahre 1995. Er wollte alle prägenden Elemente der damaligen Hardcore-Szene mit seinem Label zusammenfassen, woraus sich letztlich auch der Name der Firma ergab: Die Brücke als Metapher für das Verbindungsstück zwischen sämtlichen Bereichen des Hardcores, ergänzt um Wrenns persönliche Glückszahl, die 9. Erste Einnahmen wurden durch den Verkauf eines Straight Edge-Aufklebers erzielt, bevor im August 1996 die erste 7“, eine Split mit TENFOLD und SUM OF ALL FEARS erschien. Bis das Label sich nicht nur national, sondern auch international etablieren konnte, dauerte es noch bis zum Jahr 2000, als die erste 7“ von AMERICAN NIGHTMARE erschien, welche weltweite Beachtung fand und den Namen der Firma in der Hardcoreszene entscheidend prägte. Bridge 9 wurde mit Bands wie BETRAYED, CHAMPION, GIVE UP THE GHOST, SHARK ATTACK, PANIC und TERROR zum Synonym für modernen brachialen Hardcore, der den etablierten Posicore zunächst ablöste. Mittlerweile definiert sich das Label ganz in Wrenns Sinn durch unterschiedliche musikalische Schwerpunkte innerhalb des Hardcores und ist eines der wichtigsten aktuellen US-Labels.