MARIO IRREK

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Im memoriam Joe Strummer

Mario Irrek ist THE CLASH-Fan. Er spielte 1986 im legendären Ruhrgebiets-Punkfilm „Verlierer“ mit Campino und Ralf Richter und schaffte es, die Schauspielerei zum Beruf zu machen. Seit ein paar Jahren huldigt er dem 2002 verstorbenen CLASH-Sänger mit einem Gedächtnisabend – so auch dieses Jahr. Ich befragte ihn zu seiner CLASH-Leidenschaft.

Mario, du veranstaltest am 22. Dezember zum sechsten Mal deinen Joe Strummer-Gedächtnisabend in Berlin im Clash und am 20.12. auch in München im „Die Bank“. Wer ist diesmal mit dabei, wie sieht das Programm aus?

Bezüglich des Joe Strummer Tribute-Abends sieht es so aus: Klassisch wie in den letzten drei Jahren findet das Ganze im Clash im Kreuzberg statt. Ich werde den ganzen Abend aus meiner Vinylsammlung auflegen, natürlich viel CLASH, 101ERS und alles, was dazu gehört. Gleichzeitig werden auf zwei Großbildleinwänden Videos, unbekanntes Filmmaterial und Interviews gezeigt. Nach den Bands werde ich dann in bewährter Manier Oldschool-Punkrock auflegen. Live on Stage spielen werden SKUYELA aus Düsseldorf mit Monique Maasen, ehemals ASMODI BIZARRE, und Thomas Schneider, BEATLESONS und SPITTIN’ VICARS. Die beiden haben schon letztes Jahr auf dem Strummer-Tribute gespielt und waren unglaublich klasse. Die haben extra vier CLASH-und vier MESCALEROS-Songs eingespielt, die gut ausgewählt und sehr gut interpretiert sind. Da kommen jetzt auch drei Songs mit auf die neue Platte, die dann im Dezember/Januar rauskommt. Monique ist, wenn man das so sagen kann, die deutsche Siouxsie. Sie hat echt eine außergewöhnliche Stimme und Thomas ist ein grandioser Gitarrist. Dann wird Smail von den SHOCKS einige Solonummern spielen. Den finde ich grandios, weil der noch von der alten Garde ist, und er spielt eines meiner Lieblingslieder, „Frantic romantic“. Pascal Briggs wird auch einige Nummern spielen. Ich hätte gerne die SPITTIN’ VICARS auf der Bühne gesehen, aber Vom hat die Weihnachtsgigs mit den TOTEN HOSEN. Es wird auf jeden Fall einen Überraschungsmusiker geben. Ich schätze, dass die Party so wie in den letzten drei Jahren bis morgens um acht Uhr dauert.

Wie hast du damals von Strummers Tod erfahren?

Am 23. Dezember 2002 um etwa drei Uhr morgens bekam ich einen unerwarteten Anruf. Am anderen Ende war ein Japaner, den Namen weiß ich nicht mehr, der mich fragte, ob ich schon mitbekommen habe, dass Joe Strummer tot sei. Für einen kurzen Moment lag Stille in der Luft. Ich sagte ihm, dass ich das nicht glauben würde, und dachte mir, dass irgendjemand einen Scherz mit mir machen wollte, und ich legte auf. Ich muss dazu sagen, dass ich kurz zuvor die letzten drei Stunden in meiner Berliner Wohnung verbracht habe bei Kerzenlicht, Rotwein, Ennio Morricone, MESCALEROS und draußen schneite es sehr friedlich dicke Schneeflocken. Erst später habe ich realisiert, wie strange das Ganze war. Am 23. nachmittags um 15 Uhr habe ich einen Anruf von meinem Freund Harvey Friedmann bekommen, der mir sagte, dass er im Internet bei den News gelesen hat, dass Joe Strummer einem Herzanfall erlitten habe. In dem Moment verspürte ich absolute Hilflosigkeit. In den folgenden 48 Stunden lief in meiner Wohnung Strummer und CLASH rauf und runter.

Was fasziniert dich bis heute an THE CLASH und speziell an der Person Joe Strummer?

Ich höre jetzt CLASH seit über 30 Jahren und bin dessen kein Stück müde. Im Gegenteil, ich würde sagen, dass die Musik mein Fundament ist. CLASH und Strummer waren in der ganzen Zeit immer loyale Wegbegleiter, in guten und in schlechten Zeiten. Sie waren eigenständig und unique, das war das, was Punk für mich immer ausgemacht hat. Ich habe eine Menge bekannter Musiker kennen gelernt, aber keiner war so wie Strummer. Er war für mich der Robin Hood der Punk-Bewegung, nicht so wie Johnny Rotten, viel intellektueller. Ich meine, nichts gegen Rotten, ich denke, das war mehr gespielt, eventuell auch Hochmut. Frontmann einer legendären Punkband zu sein, da hast du nicht gerade einen Hauptgewinn gezogen. Der Preis, den man da zahlt, ist ganz schön hoch, siehe „The Future Is Unwritten“. Strummer hat sich immer und ewig für die Leute interessiert, für die Fans, und war immer und für die allermeisten Leute zugänglich. Ich habe einige Momente mit Joe erlebt, in denen mir echt warm ums Herz wurde, ich meine menschlich. Er hatte nicht diese beschissenen Rockstar-Allüren, er war immer easy und nahm sich für jeden etwas Zeit. Er war meiner Meinung nach ein Gentleman mit Stil. Wer weiß, was passiert wäre, hätte es THE CLASH länger gegeben. Aber ich für mich denke, es war gut so. Die Power war nicht mehr da und man sollte aufhören, wenn es zu viele Probleme gibt . Ich mochte die Energie von Joe, wenn der auf die Bühne kam, war das wie Krieg und er hat immer alles gegeben.

Wie kamst du damals mit THE CLASH in Kontakt, was hat sie zu deiner Lieblingsband gemacht?

Am 17. Juni 1999 bin ich mit meinem Freund Smarty – Martin Saeed, der Veranstalter vom Stay Wild-Festival im Berliner Wild at Heart – nach Hamburg in die Markthalle gefahren, um mir dort die MESCALEROS anzusehen. An diesem Tag lag was in der Luft und ich habe mich sehr auf dieses Konzert gefreut. Als wir ankamen, war eine Menge alter Gesichter zu sehen, selbst die TOTEN HOSEN waren vollzählig vertreten. Man könnte sagen, ein außergewöhnliches Familientreffen. Leute aus der ganzen Republik, die ich seit meinen Anfängen 1978/79 in Düsseldorf, Wuppertal, Bochum und Frankfurt nicht mehr gesehen hatte. Das Konzert war unglaublich. Ich hatte keine Erwartung, da es meistens anders kommt, als man denkt. Und als Strummer „Straight to hell“ spielte, blickte ich in die Gesichter, viele mit einer versteckten Träne. Das war ein sehr erhabener Augenblick, der mich in diesem Moment sehr an mein CLASH-Konzert in Düsseldorf erinnert hat. Ich mit 14 in der ersten Reihe, eigentlich Schuhgröße 38, da trug ich Springerstiefel Größe 42, haha. Nach dem Konzert in Hamburg 1999 waren viele Leute schnell weg, so dass ich dachte, dass die meisten noch auf die Reeperbahn gezogen wären, um den Abend noch gebührend ausklingen zu lassen. Da Martin nicht erreichbar war, fuhr ich zur Herbertstraße, um zu schauen, ob die alle im Seemannsgarn sind; Fehlanzeige, nur zwei Gäste und der Typ hinter der Bar. Also beschloss ich, erst einmal da zu bleiben und mir einen Gin Tonic zu bestellen. Mit den Gedanken noch beim Konzert, fragte ich den Barmann, ob er eine Nummer von CLASH spielen könne, der mir dann signalisierte, dass er darauf jetzt keine Lust hätte. Als ich dann da so eine halbe Stunde saß und den Abend Revue passieren ließ, kam von hinten eine Hand auf meine Schulter und ich hörte eine Stimme, die sagte: ,„Hey, Sir, can I invite you for a beer?“ – und als ich mich umdrehte, saß Strummer vor mir. Dann sagte er: „My name is Joe and this is Andy“, Joes Freund und Gitarrenroadie. Bums, Krach, Bang, wie auch immer, ich sagte ihm, dass ich das auch wüsste, und in dem Augenblick ist ein sehr großer Traum in Erfüllung gegangen. Es gab in meinem Leben drei Leute, die ich immer hatte kennen lernen wollen: Joe Strummer, Elvis Presley und Karlheinz Böhm. Karlheinz Böhm hatte ich mal an einem Drehort in München getroffen, als er seine Tochter, die da drehte, besuchte. Beim King wird es etwas schwieriger ... Strummer, Andy und ich unterhielten uns über Musik, Länder, Kulturen, Punkrock und unsere Lieblingslieder die ganze Nacht bis halb sieben am Morgen. Wir tauschten die Telefonnummern aus und ich gab ihm meine Adresse und er schrieb mir noch einen Gutschein für sechs Leute auf einer Gästeliste für eine Show in San Francisco, da ich zu der Zeit neben Berlin auch in North Beach, einem Stadtteil von San Francisco, halb gewohnt habe, halb Urlaub machte. Ich habe Joe Strummer noch kurz vor seinem Tod in London getroffen, als er mit den MESCALEROS im Shepherds Bush Empire gespielt hat. Er hatte mir zwei Backstagepässe an der Abendkasse hinterlegt. Joe war ziemlich erkältet, aber er hat mächtig Gas gegeben und es war ein richtig großartiges Konzert. Später hat dann seine Frau Lucinda mich und meinen Freund Masato backstage geholt, was sehr aufregend war, weil wir Topper Headon und Mick Jones vorgestellt wurden. Joe hat mir dann von seinen letzten Konzerten erzählt und wir haben uns ziemlich lange unterhalten und zum Schluss hat er mir noch zwanzig Plattencover unterschrieben. Was für ein Abend. Pure Gänsehaut bekomme ich da.

Gibt es heute Bands, die du als legitime CLASH-Erben ansehen würdest?

Da gibt es TOT ROCKET AND THE TWINS mit „One more eviction“, 1980, die sich wie die „American“ CLASH, wie „All the young punks“ anhören. Grandiose Band und ein Sänger mit einer begnadeten Stimme. Einfach unglaublich, nur zu empfehlen. Oder THE RATCHETS aus New York mit ihrer Platte „Glory Bound“ von 2007. Das ist ein Muss in jeder Vinylsammlung. Pure Gänsehaut. Es gibt so viele Bands, die sich gerne so anhören würden, aber was soll ich dazu sagen.

Du bist Schauspieler und Punkrocker. Wie vertragen sich die beiden Welten, wie ergänzen sie sich?

Ich komme gut damit zurecht. Ohne Punkrock wäre das ja nie so gekommen, wie es dann letztendlich gekommen ist. Nachdem ich „Verlierer“ gedreht habe, habe ich „Es war einmal in Amerika“ gesehen, und der hat mich so beeindruckt, dass ich mir gesagt habe, da die anderen Freunde alle Musik machen wollen, dass ich für mich entschieden habe, diesen Filmweg einzuschlagen. Als ich dann Filme wie „Blade Runner“, „Mean Streets“, „Apocalypse Now“ und „Clockwork Orange“ gesehen habe, war für mich klar, dass ich diesen Weg gehen werde. Dieser Grad von Realität und Fiktion ist ein Spiel, in dem ich meiner Fantasie, und die ist sehr groß, freien Lauf lassen kann. Jeder Tag, an dem ich ans Set komme, ist eine große Herausforderung für mich, da ich den Anspruch habe, sehr gute Arbeit abzuliefern, und die Leute, die meine Filme sehen, deren Zeit möchte ich nicht verschwenden, sondern ich möchte sie positiv unterhalten. Mal abgesehen davon, dass ich Geld dafür bekomme und mein Leben damit finanziere. Es ist die Leidenschaft zum Film und zur Disziplin, die mich an meine Grenzen bringt. So geht das jetzt seit 25 Jahren.

Und was machst du aktuell?

Zur Zeit bin ich in München und bereite mich auf drei Projekte vor. Zuerst werde ich eventuell nochmals meine Skateboard-Tour von New York nach Los Angeles machen: Mit dem Skateboard quer durch USA, 3.650 Meilen, also 6.570 Kilometer, und nur mit eigener Power, ohne Hilfsmittel. Ich werde Bands treffen wie AGENT ORANGE, YOUTH BRIGADE und den Knoxville Skatepark besuchen, Leute treffen und meinen Lebenstraum erfüllen. Das Ganze wird gefilmt, als Dokumentation fürs Fernsehen und später als DVD erscheinen. Zweitens entwerfe ich gerade mit meiner Frau verschiedene Designs für T-Shirts und Hemden und werde alte CLASH-Designs von 1976/77, die kaum einer kennt, neu auflegen. Es ist an Zeit, dass die Leute mal wieder gute T-Shirts tragen. Ich will jetzt auch nicht die Masse bedienen. Und drittens drehe ich gerade eine Gastrolle in einer Krimiserie.