MUTTIS BOOKING

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Mutti ist der Beste!

Wie kommen eigentlich die ganzen Bands in das coole Etablissement, das du vorzugsweise für Konzerte ansteuerst? Manche buchen ihre Auftritte selbst, die meisten arbeiten jedoch mit einer Booking-Agentur, und von denen gibt es ganz kleine, ganz große – und einen wichtigen Mittelstand. Destiny, Rock This Town, Weird World, M.A.D, Avocado, Trümmer oder auch Muttis Tourbooking heißen die wichtigsten Agenturen im Punkrock- und Hardcore-Bereich, und ich unterhielt mich mit Kai „Mutti“ Keller, der seit einer halben Ewigkeit in Berlin Muttis Booking betreibt und früher mal TURBONEGRO auf Tour schickte, später die NEW BOMB TURKS, THE TURBO A.C.’s und die BRIEFS, und der mit seinen Mitarbeitern heute für die CUTE LEPERS, BAMBIX, ADICTS, SHAM 69, BELLRAYS, THE REAL McKENZIES und viele andere die Konzertreisen organisiert. Und wer seit über 15 Jahren in diesem Metier arbeitet, der hat auch was zu erzählen.

Das klassische Musikgeschäft ist in der Krise, es werden immer weniger Tonträger gekauft, doch die Geschäfte mit Merchandise und Touren und Festivals laufen offenbar gut, denn T-Shirts und das Live-Erlebnis kann man sich nicht downloaden. Wie hat sich für dich das Geschäft mit den Konzertreisen in den letzten Jahren entwickelt?

Diese Frage bekomme ich immer wieder zu hören, wenn ich unterwegs bin, denn die Zeichen stehen ja auf Sturm, von wegen Krise hier, Krise da. Das betrifft unser Geschäft ganz direkt, schon allein wegen des Wechselkurses zwischen Dollar und Euro. Da ist es für viele Bands aus den USA und Kanada richtig interessant, in Europa zu touren, denn die bringen, wenn es richtig läuft, gutes Geld mit nach Hause. Das Problem ist: Wenn das ein paar Bands merken, dann spricht sich das rum, und so ist die Nachfrage seitens der Bands nach Touren in Europa derzeit größer denn je, man bekommt sehr viele Bands angeboten, und es gibt auch immer mehr Agenturen, die Bands auf Tour bringen. Das reicht von alteingesessenen Profis wie mir – ich habe das ja von der Pike auf gelernt bei Destiny Tourbooking – bis zu völligen Newcomern. Wir sind Punks, wir machen Punkrock-Touren, das haben wir immer gemacht und das werden wir immer machen. Aber wie du schon sagtest, das Geschäft hat sich verändert. Ganz früher, so Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger, musstest du eine Band nur als „aus den USA“ ankündigen und die Hütte war voll. Das hat sich heute geändert, da bekommt eine Band oft eine gute erste Tour hin und spielt vor vollen Häusern, doch bei der zweiten Tour ist alles schon eine Nummer kleiner. Die Masse von Bands und Touren ist einfach das Problem, und dass eine Band aus den USA kommt, das ist ja schon lange nichts Besonderes mehr. Und auch die Kommunikation hat sich geändert, durch das Internet, durch ein Angebot wie MySpace, das für Bands ein wichtiges Werkzeug ist. Ich stehe immer wieder vor der Situation, dass Bands sich erst mal selbst daran versuchen, eine Tour zu buchen. Ein paar Shows bekommen sie auch, doch drei oder vier Wochen bekommen sie nicht voll und sie suchen sich erst dann einen Agenten, der die Lücken füllen soll.

Klingt gar nicht so doof, oder? Man zeigt einer Agentur doch so, dass Interesse an der Band besteht.

Schon, aber ich arbeite nicht so. Ich versuche immer noch Bands selbst zu finden, ich muss das selbst musikalisch mögen, ich will da sehen, dass das eine gewisse Zukunft hat, und eine gewisse Professionalität erwarte ich auch. Was nützt mir eine Band, die noch nie in den USA auf Tour war? Es gibt so viele Bands, die das erste Mal in Europa auf Tour gehen und dann nach zwei, drei Wochen im Van merken, dass sie sich nicht riechen können – und dann ist Feierabend und ich darf das ausbaden.

Zurück zu meiner Frage: Wie ist heute die Situation für eine Agentur wie Muttis?

Für uns war die Situation nie gut. Meine Standardantwort auf die Frage „Wie läuft’s?“ ist schon immer: „Wir waren immer schon arm, wir haben noch nie was zu verlieren gehabt, haben es trotzdem gemacht, und deswegen machen wir trotzdem weiter.“ Und die Bands, mit denen wir arbeiten, sind aus einem ähnlichen Holz geschnitzt, nimm als Beispiel nur mal die CUTE LEPERS, die BRIEFS-Nachfolgeband. Das sind total nette Menschen, aber auch echt arme Typen, die in den USA nichts anderes haben als ihren Tourbus und ihre Backline, die teilweise im Proberaum schlafen, wenn sie nicht auf Tour sind. Die sind froh, wenn sie auf Tour sind, die beißen sich irgendwie durch, und die liefern immer eine Top-Show, ob vor 150 oder vor 20 Leuten. Denn ja, das kommt mittlerweile vor, dass Bands vor null bis fünf Zuschauern stattfinden. Das hat in letzter Zeit in unserem Bereich wirklich zugenommen. Typisch ist auch, dass heute Bands, die früher mal die Hütte vollgemacht haben, das nicht mehr schaffen. Warum? Weil die „Underground-Promotion“ nicht mehr funktioniert, weil die Leute so mit Bands zugeballert werden, dass für manche Arten von Musik einfach der Nachwuchs fehlt. Ein Konzert wie das der NEW BOMB TURKS im Sommer 2009 in Solingen, wo so viele begeisterte und auch junge Leute kommen, das kannst du nicht mehr in vielen Städten in dieser Größenordnung machen. Garage-Punk war für Muttis Booking in der Anfangszeit eine sichere Sache, das hat immer funktioniert, aber heute gibt es kaum noch Bands, die sich auf die alte Crypt Records-Tradition berufen können.

Nun sind immer mehr tourende Bands die eine Sache, aber nicht unwichtig sind auch die gesetzlichen und steuerlichen Bedingungen, sowie die Kostensituation ganz allgemein.

Ein Tourbus ist heute nicht billiger zu bekommen als vor ein paar Jahren, klar. Ein guter Sprinter kostet heute so 80, 90 Euro am Tag, wenn man ein gutes Angebot bekommt, aber teilweise muss man auch auf einfachere und billigere Alternativen ausweichen, etwa ein kleinerer Transit, um Touren trotz der Kosten weiterhin zu ermöglichen. Ähnliches gilt auch für die Backline, die eine Band aus den USA nicht selbst mitbringen kann. So was muss man dann für die Dauer der Tour leihen, und auch da gibt es preislich unterschiedliche Angebote. Dieser Service wird oft von Leuten geboten, die auch schon sehr lange im Geschäft sind, etwa Steffen von Navigator, bei dem früher jeder seine Sachen geliehen hat. Viele Bands haben ja auch eine eigene europäische Backline, die dann viele Jahre im Lager steht, wenn eine Band wie D.O.A. so lange nicht auf Tour kommt. Solche Dienstleistungen gab es früher auch schon, heute bieten das aber viel mehr Leute an, die Infrastruktur ist da viel besser geworden.

Nun hört man immer von Protesten gegen die Berechnungsmethoden der GEMA, die vielen örtlichen Veranstaltern das Leben schwer machen, und auch sonst hat man den Eindruck, dass das Veranstalten von Konzerten heute nicht mehr so einfach ist wie noch vor Jahren.

Man wäre ein schlechter Profi, wenn man es nicht schaffen würde, eine Band so auf Tour zu schicken, dass die Band nicht mit etwas Geld nach Hause fahren kann. Ausnahmen gibt es immer wieder, aber das wirkliche Problem ist die schiere Menge von Bands, die da draußen existieren. Ein Laden wie der Sonic Ballroom in Köln ist dafür ein gutes Beispiel: Die haben so viele Anfragen und machen ja schon vier Konzerte in der Woche, und dennoch ist es so gut wie unmöglich, da innerhalb der nächsten zwei, drei Monate einen Termin bekommen. Wenn man dann kurzfristig was klarmachen soll, ist das unmöglich. Es gibt einfach zu wenig passende Clubs, und deshalb muss man eigentlich dazu aufrufen, mehr Freiräume für Konzerte zu schaffen, Clubs zu gründen und jüngere Geschwister mit unserer Musik zu infizieren, damit die weniger auf der Straße und vor dem Computer rumlungern, sondern auf Konzerte gehen. Fakt ist, dass der durchschnittliche Punkrock-Club in Deutschland in den starken Monaten April, Mai und Juni und dann wieder ab Mitte September und bis Weihnachten jeden Tag ein Konzert hat. Als Tourbooker musst du dann einfach das Glück haben, den richtigen Club zur richtigen Zeit anzurufen, um noch einen Gig zu bekommen. Ein ganz anderes Problem ist der Geldbeutel der Besucher: Wer hat denn das Geld, sich quasi eine Dauerkarte für seinen Lieblingsclub zu kaufen, plus noch das eine oder andere Extra-Konzert? Also gilt auch hier: Das Überangebot ist das Problem für die Stagnation. Ich merke das ja auch an mir selbst, ich hatte schon immer einen großen Antrieb, Konzerte zu besuchen, aus dem der Wunsch erwuchs, auch selbst welche zu veranstalten. Ich habe einen Hintergrund als Hausbesetzer, und da war ja auch ein Teil der Motivation, sich Freiräume zu schaffen, um was veranstalten zu können, ohne dass dir einer reinquatscht. Doch heute fällt mir auf, dass es in meiner Generation – ich bin Mitte/Ende vierzig – auch einfach viele Leute gab. Wir waren viele! Als D.O.A. 1983 in Berlin in den Pankehallen gespielt haben, waren da 1.200 Leute, das war Hardcore! Wir gehörten zu den geburtenstarken Jahrgängen, und das ist auch ein Grund, weshalb es heute an Nachwuchs mangelt. Deshalb bin ich beinahe dafür, den Leuten ihre Fernbedienung, ihren Game-Controller, ihren Computer aus der Hand zu schlagen, ihnen klarzumachen, dass das Leben nicht innerhalb ihrer Wohnung vor diesem viereckigen Kasten stattfindet. Das ist kein Leben, das ist nur Second-Hand-Leben!

Wie sieht es aus mit der „Nachwuchsförderung“ aus? Bei altbekannten Bands weiß man, was man bekommt, dagegen sind junge, neue Bands noch hungrig und willens, alles zu geben.

Meine Standardabsage an junge, neue Bands lautet: „Sorry, aber wir können uns nur eine bestimmte Zahl von Aufbauthemen im Jahr leisten.“ Klar, fördern wir neue Bands, aber wir haben unsere Infrastruktur, ein Büro, ein paar Leute, die bezahlt werden müssen, und das stellt man vor allem sicher mit Klassikern wie den ADICTS oder den REAL McKENZIES. Die Kanadier sind einfach eine hammergeile Live-Band, die touren sich in ganz Europa den Arsch ab, die spielen nicht nur in deiner Stadt, sondern auch in Lissabon, Kopenhagen und Moskau. So was machen und können andere Bands gar nicht, und ihr Geheimnis sind ihre Intensität und ein gewisser Wiederholungsfaktor. Und so sind die nach vielen Jahren immer noch eine unserer stärksten Bands.

Wie bist du zum Konzertveranstalter geworden?

Wie schon erwähnt, ergab sich das übers Hausbesetzen und dadurch, dass ich selbst Musik gemacht habe – ich bin anerkannt als Kreuzbergs schlechtester Gitarrist. Angefangen mit dem Gitarrespielen habe ich aber schon zur Schulzeit in einer Kleinstadt bei Hannover, gründete mit 15, 16 eine Band und machte mit der Schulanlage meine ersten Erfahrungen. Die Band hieß ÖFFENTLICHES ÄRGERNIS, wobei mein erster Vorschlag PUBLIC ENEMY war – aber wir sangen auf Deutsch, also ... Die Schulzeit verbrachte ich allerdings nicht in Berlin, ich habe da eine ganz typische Kreuzberger Biografie. Ich bin einer der „Rucksack-Berliner“, kam mit 19 nach West-Berlin, denn damals konnte man sich dem Wehrdienst entziehen, wenn man in Berlin wohnte. Ich landete in Berlin in einem besetzten Haus und irgendwie war ich schon seit der ersten Banderfahrung keiner, der viel labert, sondern bin der Typ, der macht und organisiert, und das fing schon in meiner Kleinstadt an, wo ich anderen Bands beim Plakatieren und Konzertveranstalten half. In Berlin habe ich dann zu Beginn der Achtziger mit irgendwelchen Leuten furchtbaren Krach gemacht, nach dem Motto „Geniale Dilletanten“ durfte das ja jeder, und das war auch unser Versuch, die angesagten EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN zu ärgern. Danach war dann eher Deutschpunk angesagt, OLAF UND DIE UNTERMIETER, das war so eine Kreuzberger Partykapelle. Darüber lernte ich viele Leute kennen, etwa Archi Alert, früher INFERNO und später TERRORGRUPPE, oder Dave Pollack, der Destiny Tourbooking gründete. Die haben mich irgendwann rekrutiert, ich war viel mit TERRORGRUPPE auf Tour in den Neunzigern, fing an, bei Destiny zu arbeiten und Touren zu buchen, und ich wuchs so in den Job rein, lernte viele Leute kennen, auch international. Und das hilft mir bis heute: Die Leute kennen einen, sie wissen, was man will und wofür man steht.

Du hast noch zu einer Zeit angefangen, als man per Telefon und später mit Fax kommunizierte.

Früher war das halt so, da hat man gesagt „Schreib ‚Okay‘ auf das Fax, dann steht die Show“, doch die Zeiten sind lange vorbei, der Computer und das Internet haben das Geschäft massiv verändert, seitdem dreht sich das Hamsterrad immer schneller. Wir bei Muttis Booking müssen schon ganz schön viel Zeit und Energie in unseren Job stecken, um damit durchzukommen.

Der Kapitalismus hat einen ganz gut am Arsch, man ist verdammt beschäftigt damit zu überleben und denkt wenig darüber nach, das System zu stürzen.

Ich habe da meine Erfahrungen auch schon gemacht, habe diesen Lebensstil sicher auch verinnerlicht. Und heute? Na ja, wie gesagt, wir waren damals viele, und wir haben ordentlich Wirbel gemacht. Da gingen nach einem Konzert der DEAD KENNEDYS im SO36 alle raus auf die Straße und haben Randale gemacht. Das fand in der Presse damals aber kaum Widerhall, das änderte sich erst mit dem Aufstieg des Privatfernsehens Mitte der Achtziger, denn plötzlich war Sat1 und RTL ein umgekippter Bauwagen einen Bericht wert – mit der Folge, dass heute jeder am 1. Mai brennende Papiercontainer ein Revolutionsversuch ist. Was für ein Quatsch! Mein Umsturzversuch ist deshalb ein anderer, nämlich geile, schnelle, radikale Musik an die Leute zu bringen – oder auch Musik zum Abschalten, zum Tanzen, damit man das Hamsterrad vergessen kann. Deshalb buchen wir bei Muttis Booking Punk und Reggae/Ska. Ich bin eben mit beiden Arten von Musik groß geworden, lege auch als DJ solche Platten auf. Dabei halten mich die Leute wegen meiner Elvis-Tolle immer für einen Psychobilly, haha. Und ich weiß eben aus eigener Erfahrung: Punkrock, und das sehe ich bei vielen unserer Bands, ist ein Leben „on the edge“, ein extremer Lebensstil ohne doppelten Boden, und ohne Musik hätten Leute wie die CUTE LEPERS keine Chance – die müssen Musik machen! Also muss ich mich um die kümmern, denn das sind Talente, die sind gut!

Mir scheint, du bist durch und durch Überzeugungstäter.

Das muss man wohl so sagen. Wenn man das so lange macht wie ich, kommt man natürlich an Punkte, wo man sich fragt, ob man das noch kann oder bringt, aber ich bin keiner, der leicht aufgibt – ich beiße mich durch. Meine Leute im Büro sind genauso drauf, wir machen einfach aus Überzeugung, und mit solchen Leuten kann man unsere Szene auch am Leben erhalten.