ZEPP OBERPICHLER

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Gitarrenblut und Loser-Romantik

Der Mann ist ein Allrounder. Seit ewigen Jahren kennen wir Zepp Oberpichler als Gitarrenheld in Bands wie JIMMY KEITH & HIS SHOCKY HORRORS, den KINSKIS und nicht zuletzt der legendären JEFF DAHL GROUP. Nebenher beschreitet Herr Oberpichler auch musikalische Solopfade und hat eben erst sein Debütalbum „Januar“ veröffentlicht. Da das aber immer noch nicht ausreicht, schreibt er auch noch Bücher. Bereits erschienen ist sein Erstlingswerk – zusammen mit Co-Autor Tom Tonk verfasst – „Die Stones sind wir selber“, nun brandneu gibt es den Roman „Gitarrenblut“, eine Geschichte über Rock’n’Roll und Leidenschaft im Ruhrgebiet. Wer soviel Kreativität freien Lauf lässt, hat viel zu erzählen. Davon habe ich mich im folgenden Interview überzeugen können.

Du hast ja vor kurzer Zeit dein erstes Soloalbum veröffentlicht. Das ist ja nun für dich – als Texter, Sänger und Gitarrist – viel persönlicher als deine bisherigen Veröffentlichungen, wo du „nur“ als Gitarrist fungiert hast. Kam der Wunsch danach erst jetzt? Oder bedarf es eines gewissen Alters und somit einer gewissen Reife, in der Form seine Seele preiszugeben?

Na ja, nur Gitarrist war ich ja eigentlich nie. Bei JIMMY KEITH & HIS SHOCKY HORRORS habe ich 98 Prozent aller Songs geschrieben, Musik und Text. Bei SCHLAFFKE & ZEPP beziehungsweise den KINSKIS immerhin auch fünfzig Prozent. Nur Gitarrist war ich lediglich in der JEFF DAHL GROUP und bei SUBSTITUTE, wo ich den Pete Townshend machte. Was du „deine Seele preisgeben“ nennst, würde ich eher „Befähigung zur Ehrlichkeit“ nennen. Das klingt zwar hochtrabend, soll aber nur ausdrücken, dass man mit den Jahren entweder komplett abstumpft – und dann wohl auch nix mehr schreibt –, oder einfach die Dinge beim Namen nennen kann, wie sie sind, ohne irgendwem gefallen zu müssen. Die Form, die ich dazu gerade beim Album „Januar“ gewählt habe, ist ja eher eine lyrische, dazu habe ich als alter Germanist einfach einen Bezug. Sprache macht mir Spaß und zwar anders als Rappern oder HipHoppern.

Und doch haben sich ja gerade deine musikalischen Pfade stark gewandelt. Weg vom lauten Rock’n’Roller, hin zum einfühlsamen Liedermacher. Eine logische Weiterentwicklung oder eine späte Einsicht?

Ich verstehe nicht, warum immer alle denken, dass man das eine nur ohne das andere kann. Oder, wer laut ist, darf nicht leise. Ich kann und darf beides! Die Songs, auf die du anspielst, sind ja sicher die vom „Januar“-Album. Diese Songs hätte ich nie mit den Horrors spielen können. Deshalb habe ich sie ja mit anderen Leuten gemacht. Für mich ist nur wichtig gewesen, dass sie überhaupt aufgenommen werden. Und da ich jegliche finanzielle Ambition in puncto Musik verloren habe, kann ich jetzt auch befreit aufspielen. Ich mache das, was mir Spaß macht. Das habe ich früher auch schon so gemacht, aber jetzt geht das weiter. Wenn ich jetzt der Meinung bin, da gehört noch ein Buch zur Platte oder ein Comic oder sonst was, dann mache ich das. Vorausgesetzt, ich kann das bezahlen. Und einfühlsam war ich auch schon immer ...

Das heißt, mit „Januar“ ist das Kapitel Punkrock nicht abgeschlossen, sondern nur ergänzt worden? Wo tobst du dich dann heutzutage als Rock’n’Roller noch richtig aus? Sind die Horrors noch aktiv?

Richtig, das Kapitel Punkrock ist noch lange nicht geschlossen. In letzter Zeit höre ich sogar wieder vermehrt meine alten Platten. Richtig abrocken kann ich zur Zeit nur bei meiner akustischen Country-Combo FREEWAY CASH, wo ja auch der Fisch von LOKALMATADORE sein Stimmchen erschallen lässt. Da „rocke“ ich zumindest ein bisschen Hank und Elvis und Cash. Die Horrors lagen ja ein bisschen auf Pause ... Wir wollen aber im nächsten Jahr wieder die Stromgitarre auspacken, den alten Marshall anschließen und mal kucken, was noch geht. Heimlich planen wir natürlich wieder die Weltherrschaft.

Kommen wir beim Thema JIMMY KEITH & HIS SHOCKY HORRORS mal auf deinen neuen Roman „Gitarrenblut“ zu sprechen. Inwieweit ist er auch die Bandbiografie der Horrors?

Biografie ist vielleicht zu viel gesagt. ich möchte allerdings nicht abstreiten, dass es die eine oder andere – sagen wir mal Inspiration – durchaus gegeben hat. Waren ja immer sehr inspiriert, die Horrors. Und inspirierend auch. Aber auch transpirierend. Nicht hingegen uniformiert! Dafür aber interessiert und durchtrainiert. Das trifft es vielleicht am besten.

Äh, ach so. Und bleiben wir beim Inhalt deines Romans. Die obligatorische Frage: Wie viel Zepp Oberpichler steckt im Protagonisten Will?

Sind wir nicht alle ein bisschen Will?

Na gut, andersherum gefragt. Glaubst du die Geschichte von Will ist sehr Ruhrpott-typisch? Ich denke da an Rocko Schamonis „Dorfpunks“, welches ja in der norddeutschen Provinz angesiedelt ist, aber eine sehr ähnliche Melancholie versprüht.

Ich weiß nicht, ob das wirklich Ruhrpott-typisch ist. Das, was du hingegen Melancholie nennst, ja, da kann ich etwas mit anfangen. Melancholie, die versteckte Trauer, die Freude am Herbst, das Hingezogensein zum Grau, die Lust am Untergang ... das ist mir natürlich nicht fremd. Die Sympathie für den Loser, das Knappsen mit der letzten Mark, und wenn eh schon nichts mehr zu retten ist, dann noch einmal ordentlich auf den Putz hauen. Damit bin ich groß geworden. Ich habe mal eine kleine Tour mit Nikki Sudden gespielt und wir hatten uns nach drei Flaschen Rotwein genau über diese Loser-Romantik unterhalten, das hat alle verbunden: Townes van Zandt, Johnny Thunders, Nikki, Stiv Bators und so weiter. Auch ein bisschen Will, nicht genau wissen, was man wirklich sucht, gepaart mit reichlich Enttäuschungen. Don’t know what I want but I know how to get it.

Jetzt hast du dich mit den beiden Romanen „Die Stones sind wir selber“ und „Gitarrenblut“ ja für eben dieses Genre der Loser-Romatik entschieden. Soll es in Zukunft auch mal schriftstellerisch in eine ganz andere Richtung gehen?

Puh, was meinst du? Winnetou? Ich hatte tatsächlich mal einen Country-Roman angefangen, echter White Trash. Habe ich aber irgendwann nicht mehr weiter verfolgt. Vielleicht später. Krimi ist auch nicht meins. Ich habe auch schon mal den Text zu einem Kinderbuch mitgeschrieben: „Bonobär sucht den Honig“. Dann habe ich einige Kladden voll mit Lyrik, vielleicht kommt dazu mal etwas raus. Oder ein Sachbuch, „Sehr geehrte Damen und Herren, heute hören wir Professor Doktor Oberpichler zu seinem Referenzwerk: ‚Über die Nützlichkeit eines harten männlichen Geschlechtsteils bei der Paarung‘.“ Applaus, Applaus.

Du möchtest dich also nicht unbedingt für eine Kunstform festlegen. Ist daher dein Album „Januar“ auch in einem – nennen wir es mal – gewissen Kunstkontext erschienen?

Ja, ganz genau. Ich beschäftige mich mit vielen unterschiedlichen Sachen und das haben auch schon Legionen vor mir getan. Nimm nur Bowie, der sich auch für Film und Darstellende Kunst engagierte oder THE CLASH, die ihre Klamotten vor den Auftritten selbst designten. Kunst kommt ja häufig in Gemeinschaft oder: Misery loves company. Musik wird gekoppelt mit Tanz, also Bühnenshow, oder Film/Video oder Verpackungsdesign, siehe CD/LP. Ich habe mich bei der Präsentation von „Januar“ tatsächlich von der Vortragskunst der alten Bänkelsänger inspirieren lassen, die ja Lieder zur Laute auf Marktplätzen vortrugen, und dazu wurden Holztafeln mit Bildern gezeigt, die den Text untermauern sollten. Und ich glaube nicht, dass das zu komplex für das normale Punk-Publikum ist, das sich sonst auf Konzerte mit meiner Beteiligung verirrt. Ich wollte einfach einen Spamfilter mehr durchdringen, wenn du so willst, und ein bisschen mehr bieten als „Ficken, Bumsen, Blasen“.