BACKYARD BABIES

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Die neuen Stones

Im Herbst 1998 erschien Ox #32, und auf dem Cover glänzte Backyard-Baby Dregen mit einer akrobatischen Rock’n’Roll-Pose. Es lief damals gut für die jungen Schweden, zwischen SOCIAL DISTORTION und HELLACOPTERS, zwischen GLUECIFER und TURBONEGRO wussten sie zu glänzen mit den richtigen Riffs und Moves, waren sie im sleazigen Glam- wie im schmutzigen Punkrock zuhause und machten gewaltig was los. Skandinavischer Rock stand hoch im Kurs, andere Bands sprangen auf den Zug auf, doch irgendwann, weit im nächsten Jahrzehnt, hatten nur noch jene überlebt, die von Anfang an dabei waren, HELLACOPTERS und GLUECIFER. Und als die dann auch abgetreten waren, standen sie plötzlich alleine da, Dregen und die BACKYARD BABIES – und nehmen 2010 erstmal selbst eine Auszeit, lassen ihren Fans reichlich Zeit, sich mit einer CD-DVD-Buchbox zu beschäftigen, die über 20 Jahre Bandgeschichte dokumentiert. Ich unterhielt mich mit Dregen über das, was war, und über seine Pläne für dieses Jahr.

Im Vorfeld eurer Februar-Tour hieß es, das werde für die nächste Zukunft die letzte sein. Was soll uns das sagen?

Wir feiern gerade unseren 20. Geburtstag und wir wissen, dass unser nächstes Album unser wichtigstes sein wird, mit dem wir es schaffen müssen, ein anderes Level zu erreichen. Deshalb haben wir uns entschlossen, alle erstmals einen größeren Urlaub von der Band zu nehmen.

Ein Jahr Urlaub, um die Welt zu bereisen?

Ob es ein ganzes Jahr sein wird, das weiß ich nicht, aber es wird eine lange Zeit ohne Auftritte geben, ja. Das gibt uns Zeit, darüber nachzudenken, was wir bislang gemacht haben, was unsere nächsten Pläne sind, und dann allmählich das nächste Album vorzubereiten. Seit 1997 waren war wir nonstop entweder auf Tour oder mit dem Schreiben und Aufnehmen eines Albums beschäftigt – da ist jetzt ein erster Urlaub angemessen, oder? Andererseits bin ich ein Workaholic, gut möglich also, dass mir schon bald einfällt, was ich in der Bandpause mache.

Irgendwie klingt das aber beinahe nach einer Burnout-bedingten Pause.

Nein, das ist eher eine Pause, um den Burnout zu vermeiden. Wir sind ein gutes Team, von Anfang an, und ich persönlich kann ständig auf Tour sein, das macht mir gar nichts aus. Nicke allerdings hat das Touren in letzter Zeit zunehmend genervt und er ist etwas ausgebrannt. Um unser nächstes Album aber zu einem echten Klassiker zu machen, müssen wir härter daran arbeiten als je zuvor, deshalb nehmen wir uns einige Monate frei.

Beweisen müsst ihr niemandem mehr was, ihr habt es bereits geschafft, GLUECIFER und HELLACOPTERS zu überleben.

Stimmt, aber es würde mich auch nicht wundern, wenn wir eines Tages unseren 40. Bandgeburtstag feiern – die BACKYARD BABIES, die neuen ROLLING STONES, hahaha. Mit den HELLACOPTERS bin ich gut befreundet, und die haben für sich die Konsequenzen aus der Einschätzung gezogen, dass ihr nächstes Album ihrer Meinung nach nicht so gut werden würde, wie es sein müsste. Und so haben sie sich entschieden abzutreten, während sie noch ganz oben sind – ich finde das mutig. Wir aber sind anders, wir sind die Typen, die irgendwann mal auf der Bühne tot umfallen, die sich zur Not auch noch im Rollstuhl auf die Bühne fahren lassen.

Was treibt euch an?

Eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich will nicht wie ein Scheiß-Hippie klingen, aber seit ich ein Kind war, wusste ich, dass mein Platz im Leben der des Entertainers ist. Ich fühle mich in dieser Rolle einfach wohl. Freunde fragen mich immer wieder, wie ich so ein Leben durchhalte, sie könnten das gar nicht. Ich kenne die Antwort nicht, aber wir denken, unser Leben ist gut so, wie es ist, aber wir kennen auch nichts anderes.

Du hast also keine Zweifel, keine Momente, in denen du dir vorstellst, wie es gewesen wäre, wenn du studiert hättest, heute ein ganz normales Leben führen würdest?

Nein. Meine Mutter erzählte mir mal, dass ich mit fünf Jahren ein Foto von KISS gesehen und gesagt hätte, so wolle ich auch mal sein, wenn ich groß bin. Rockstar, NHL-Hockeyspieler oder Astronaut – das waren meine drei Traumberufe als Kind, und einen davon habe ich heute. Nicht schlecht, oder?

In der Tat. Und was sagt deine Mutter dazu?

Die findet das gut, was ich mache. Meine Mutter ist echt cool, die hat sich mit 64 ihr erstes Tattoo stechen lassen.

Was für eins denn? Den BACKYARD BABIES-Schriftzug?

Nein, eine Blume. Als ich 14 war, wollte ich mich tätowieren lassen, aber meine Mutter sagte, dafür müsste ich erst 18 werden. Bei ihr dauerte es etwas länger, aber immerhin! Aber so ganz hat sie sich noch nicht daran gewöhnt, denn neulich war ich mit ihr im Urlaub und da tauchte sie am Strand mit einem Pflaster über ihrer Tätowierung auf. Ich fragte, was das soll, und sie sagte, sie wolle nicht, dass die Leute denken, sie sei im Gefängnis gewesen. Aber in Europa ist das heute ja kein Thema mehr, wohingegen uns auf Tour in Japan der Zugang zum Hotel-Swimmingpool verwehrt wurde wegen unserer Tattoos. Da werden Tattoos mit der Yakuza-Mafia gleichgesetzt.

Anlässlich eures 20. Geburtstags feiert ihr euch selbst mit einem wirklich beeindruckenden Paket, bestehend aus DVD, CDs und Fotobuch.

Die ursprüngliche Idee war eigentlich nur, eine schöne Compilation für unsere Fans zu machen. Letztlich wurde daraus eine 120-seitiges Coffeetable-Buch in der Größe eines LP-Covers. Innen im Buch gibt es eine DVD und drei CDs, auf denen sich unter anderem all die raren B-Seiten-Tracks finden. Auf der DVD gibt’s alle Videos, die wir gedreht haben, sowie eine anderthalbstündige Doku über die Band. Das ganze Ding gibt es zu einem echt guten Preis, es geht uns da nicht ums große Geldverdienen. Ich selbst liebe Fotobücher, am liebsten welche ganz ohne Worte, so dass man sich selbst seine Gedanken zu den Bildern machen kann, und deshalb gibt es in dem Buch auch keine langweiligen Promofotos, sondern persönliche Aufnahmen. Peder, unser Drummer, ist seit zehn Jahren auch begeisterter Fotograf, und so stammen viele der Fotos von ihm. Gedruckt wurde das Buch in einer richtig guten Druckerei in Italien, die auf Kunstbücher spezialisiert ist.

Euer Ding ist also was Besonderes und keine dieser oftmals nach teurem Fan-Rip-Off riechenden Boxen.

Absolut nicht. Und ich weiß, wovon ich rede, bin ich doch als KISS-Fan schon selbst oft genug zum Opfer geworden. Aber kaum bringen die ein neues Boxset raus, stehe ich wieder im Laden und kaufe es.

Musik und Sammeln sind eine Sucht, ich weiß ... Apropos Sucht: Wie überlebt man 20 Jahre in einer Rock’n’Roll-Band, ohne sich körperlich zu Grunde zu richten?

Ich habe wohl einfach Glück gehabt. Klar, wir haben auch schon Drogen genommen, aber wenn, dann immer mit einer positiven Attitüde. Das halte ich für sehr wichtig. Wenn du Drogen nimmst, weil du dich mies fühlst, dann fängst du an, dich zu verletzen. In unseren Anfangsjahren war es für uns das Größte, nach dem Konzert erstmal richtig Party zu machen. Glücklicherweise hat sich bei uns über die Jahre der Fokus weg von der Party, hin zur Musik verschoben. Und Nicke beispielsweise lässt seit einer Weile schon völlig die Finger von Drogen und Alkohol, ist allerdings süchtig nach Kaffee. Und ich hätte vor ein paar Jahren sicher nicht gedacht, dass ich so was mal in einem Interview sagen würde, aber ... wenn du 35 bist, ist es nicht mehr so einfach, nach einer heftigen Party morgens aus dem Bett zu kommen. Mit 25 fiel mir das viel leichter, da habe ich manchmal auf Tour fünf Tage lang nicht geschlafen. Heute bin ich auf Promotour, habe in der Nacht zuvor nur eine Stunde geschlafen und fühle mich ein totales Wrack. Und wenn man dann noch auf Interviewer trifft, die noch nicht mal geboren waren, als wir unsere Band gründeten, dann fühlt man sich schon ganz schön alt.

Hat einer von euch Kinder?

Nein, oder zumindest nicht, dass wir wüssten. Allerdings haben wir in Japan schon mehrfach eine Frau getroffen, die mit einem Kind auf unser Konzert kam, das unserem Bassisten Johan wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Und immer wenn die beiden auftauchen, läuft Johan ganz rot an und läuft weg. Irgendwas stimmt da nicht, glaube ich, hahaha.

Was ist dein Rat an eine junge Band, die sich heute anschickt, die Rock’n’Roll-Welt zu erobern?

Nehmt alles mit! Wenn ihr die ganze Bandbreite des Rock’n’Roll erleben wollt, müsst ihr es machen wie wir. Aber wirklich empfehlen kann ich das keinem. Wir hätten hier und da Abkürzungen nehmen, es uns etwas einfacher machen können, aber wir waren schon immer einer Band der Extreme, sowohl musikalisch wie von unserem Lifestyle her. Unterm Strich kann ich mir aber immer noch im Spiegel ins Gesicht schauen, weiß ich, dass wir keine Kompromisse eingegangen sind. Ganz nüchtern betrachtet würde ich jeder jungen Band empfehlen, sich einen Anwalt zu nehmen und jeden Vertrag prüfen zu lassen, aber realistisch gesehen ist dir so was in dem Alter egal. So ist eben das Geschäft. Und es gibt ja auch keinen Boxer, der nie einen Treffer einstecken muss. Mit uns ist es genauso: Irgendwann wirst du eben auch mal abgezockt, und ohne solche Situationen wäre das auch nicht Rock’n’Roll.

Musstet ihr denn auch mal körperliche Gewalt einsetzen, um euren Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Oft. Ich habe mir dreimal die Nase gebrochen in solch einer Situation, und auch meine beiden Schneidezähne fielen so einer Aktion zum Opfer.

Das sagst du ... Bist du sicher, dass es nicht die gläserne Drehtür des Hotels und der Alkohol waren?

Zugegeben, meine Nase brach ich mir auch mal bei so einer Aktion. Das war in Göteborg nach einem Konzert. Ich wollte nicht der Letzte in der Bar sein, denn der muss die Rechnung zahlen, und da habe ich in der Eile die hervorragend geputzte Glastür in der Lobby übersehen. Und meine Zähne habe ich mir auch schon unzählige Male am Mikrofon ausgeschlagen, weil mal wieder irgendwelche stürmischen Fans an den Mikroständer geprallt sind. Kein schönes Gefühl, wenn das beim ersten Stück passiert und du da eine Stunde ohne Zahn rumstehst.

Sonst noch Verletzungen?

Auf der US-Tour 2005 habe ich mir mal einen Finger gebrochen. Da musste ich richtig fiese Drogen nehmen, um den Schmerz auszuhalten. Wir waren drei Bands mit 21 Leuten in einem Tourbus, und das acht Wochen lang. Überall waren nur Betten und Menschen, ich war total genervt, und als ich mir dann mal wieder irgendwo den Kopf stieß, habe ich aus Wut mit der Faust auf das Bett eingeschlagen und mir in der dritten von acht Wochen Tour den Finger gebrochen. Also fuhren wir zu einem Krankenhaus, und die wollten den Finger eingipsen. Das ging natürlich nicht, wie hätte ich denn da spielen sollen? Nun war das in New Orleans, und wir fanden einen echt coolen Arzt, der in seinem Behandlungszimmer die Fotos berühmter Patienten hängen hatte, etwa Miles Davis. Der verstand mein Problem und baute mir eine abnehmbare Schiene, so dass ich die für die eine Stunde Auftritt abnehmen konnte. Und er gab mir ein Schmerzmittel, das so heftig war, dass mir der Sabber aus dem Mund lief und ich mich kaum wach halten konnte. Um für den Auftritt aufzuwachen, musste ich da erstmal acht Lines Koks ziehen, hahaha. Das war aber auch wirklich das einzige Mal, dass ich „Medizin“ nehmen musste, um auftreten zu können.

Wie sieht es eigentlich mit euren Platten aus? Sind die alle noch zu haben?

Also die sechs Alben sind alle noch erhältlich, aber beispielsweise meine Lieblings-EP „Knockouts“, die kurz vor „Total 13“ erschien, ist nicht mehr zu kaufen. Aber zumindest die Songs sind jetzt auf den CDs der Buchbox wieder zu haben.

Anlässlich eures 20. Geburtstages hat jemand geschrieben, außer euch gebe es nur noch zwei andere Bands, die in Originalbesetzung so lange zusammen sind: U2 und ZZ TOP. Nun kann man sich über einen Vergleich mit ZZ TOP noch freuen, aber U2 ...?

Das Zitat stammt aus dem NME, und es gibt wohl wirklich nur wenige Bands, die noch in der Originalbesetzung aktiv sind. AC/DC oder KISS etwa hatten ja über die Jahre viele Besetzungswechsel. Dass das mit uns schon so lange gehalten hat, liegt daran, dass wir als beste Freunde zusammen aufgewachsen sind. Wir hingen auch schon vor der Band ständig zusammen rum. Ich bin ein Einzelkind, und die anderen drei aus der Band sind so was wie Geschwister für mich, meine Brüder, meine Familie. Egal wie sehr ich mich auch mal über Johan oder Peder ärgern kann, es sind doch meine Brüder. Wenn wir jetzt eine kleine Pause einlegen, dann hat das auch was damit zu tun, dass wir denken, es kann unserer „Beziehung“ wieder etwas mehr Spannung verleihen. Wenn Nicke etwa einen Song schreibt, weiß ich genau, wie der aussehen wird – ich kenne seine Handschrift einfach in- und auswendig. Oder wenn wir live spielen: Ich muss Peder nicht anschauen, um zu wissen, wann ein Song zu Ende ist – ich weiß es einfach. Eine Band zu einer solchen Einheit zu machen, das ist echt harte Arbeit. Ich glaube, solche Aspekte sind das wahre Geheimnis guter Bands: Ohne AC/DC oder den ROLLING STONES zu nahe treten zu wollen, denke ich doch, dass die als Einzelpersonen nicht unbedingt die besten Musiker sind, doch zusammen, als Band, sind sie einzigartig.

Nun gibt es aber auch Bands, die um eine starke Person herum gruppiert sind und bei denen man auch vor allem diese Person öffentlich wahrnimmt.

Ich sehe mich als Teamplayer und nicht als Bandleader, aber ich bin wohl so was wie der Coach. Ich habe vielleicht ein paar mehr Ideen als die anderen, aber wenn die meine Ideen nicht gut finden, wird das auch nicht so gemacht. Von daher sind wir eine ganz demokratische Band, und ich bin kein Diktator.

Was hat es mit der Dokumentation auf sich, die auf der DVD in der Buchbox enthalten ist?

Das ist die lange Version eines Films, den wir 1996 schon mal veröffentlicht haben. Der hatte aber keine englischen Untertitel und war nur in Schweden zu bekommen, und so haben wir uns entschlossen, den mit Untertiteln und 30 Minuten länger neu aufzulegen. Der Film ist jetzt, basierend auf Interviews mit uns und anderen, die Geschichte der BACKYARD BABIES von 1989 an.

Gibt es bei euch jemanden, der alles über die Band sammelt, also so eine Art offiziellen Band-Dokumentaristen?

Eigentlich bin ich das, aber ich habe irgendwann den Überblick verloren. Doch als wir dann so ab 1998 richtig erfolgreich wurden, verschwamm das alles immer mehr und ich hatte nicht mehr die Zeit, mich darum zu kümmern.

Mit was wirst du dir die Zeit vertreiben, während die Band Pause macht?

Ich habe noch drei andere Leidenschaften außer Musik: Angeln, Pokern und Malen. Ich verspreche dir, in ein paar Jahren werde ich auch in Deutschland eine Ausstellung haben. Aber ich will da nichts überstürzen. Und vielleicht werde ich auch eine Soloplatte aufnehmen. Ich kann ja schließlich nicht ein Jahr lang keine Musik machen. Also, irgendwas wird passieren.