EMPOWERMENT

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Authentisch, politisch, asozial!

Deutschpunk aus Stuttgart!? Das klingt jetzt irgendwie nicht wirklich lesenswert. Auch ich hätte wahrscheinlich auch schon längst weitergeblättert, wäre mir nicht die nächste Textzeile ins Auge gestochen, welche mir verriet, daß es sich hierbei um Ex-Members von RAWSIDE, SIDEKICK, TRUE BLUE oder GOLGATHA handelt. Also Grund genug, dieses Interview weiterzulesen. Das Demotape ist bereits komplett vergriffen, die ersten Shows wurden gespielt und jeder, der sie live gesehen hat, würde mir sicherlich zustimmen, dass es an der Zeit ist, die Band zum Gespräch zu bitten. In einer heruntergekommenen, leicht müffelnden Lagerhalle eines Stuttgarter Industriegebiets habe ich mir die fünf charismatischen Vögel vorgeknöpft und herausgekommen sind die folgenden Zeilen ...

Vor kurzem kam euer Demotape auf Our World Records raus, das Label eines langjährigen Freundes. Wie war die Resonanz und wieso macht man überhaupt noch ein Demotape, obwohl die meisten Kids sich den Scheiß ja auch bei MySpace oder Facebook anhören können?

Chris: Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, so genau verfolge ich so was nicht, war das Tape innerhalb von zwei Wochen ausverkauft. Es muss also doch irgendwie irgendwo bei irgendwem angekommen sein. Wir haben bei all unseren Bands als Erstes ein Demotape veröffentlicht. Mir widerstrebt, das Wort „Tradition“ zu benutzen, das ist mir irgendwie zu spießig, jedoch gehört das, jetzt doch mal ehrlich, zum guten Ton. Wie sonst soll man jemals sagen können: „Nach dem Demo ging’s bergab“? „Nach der MySpace-Seite ging’s bergab“ klingt doch dumm. Die ganzen Social Networks sind ja schön und gut, sie machen vieles – alles?! – transparent. Wir als Kollektiv brauchen so was nicht. Wir haben kein Interesse an zigtausend Online-Freunden und der Möglichkeit, diese über jeden Furz, den wir lassen, zu informieren. Wir haben einen Blog, denn so ganz möchte man sich diesem Internet ja auch nicht entsagen. Wen das interessiert, der soll da drauf gehen, da steht alles Nennenswerte.

Jogges: Eben, es gibt diesen Blog, wir sind ja nicht Ewiggestrige die da irgendwie nachhinken und über die gute alte Zeit sinnieren. In diesem Kontext findet sich auch die Antwort, warum wir ein Demotape gemacht haben – Matze und Our World Records, das ist Familie und es war klar, dass wir das hier so machen. Menschen folgen viel zu sehr irgendwelchen Dogmen, lassen sich mitreißen vom breiten Strom. Mut zum Anderssein, Entschleunigen, Loslassen, neue Wege gehen – das ist unser Spirit. Zwei Sprichwörter kommen mir da in den Kopf, die mich schon lange Zeit begleiten. Das eine kommt aus Afrika: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, das andere ist vom Dalai Lama: „Öffne deine Arme für Veränderung, aber lass niemals deine Werte gehen.“

Heutzutage äußern sich leider nur noch wenige Hardcore-Bands zu den Naziproblemen in unserer Gesellschaft, oft wird einfach nur weggeschaut und ignoriert sie. Wenn man sich allerdings den Song „Brauner Rand“ auf eurem Demo anhört, dann wird einem schnell klar, dass ihr euch als Band sehr wohl mit der Problematik beschäftigt und deutliche Aussagen macht. Wie seht ihr die momentane Situation und warum ist es jetzt wichtiger denn je, das Maul aufzumachen?

Jogges: Es ist mir persönlich und auch uns als Band extrem wichtig, eine klare Position und Haltung dem Scheiß-Faschopack gegenüber einzunehmen. Seit ich denken kann, mache ich meine Fresse auf gegen Naziwichser auf oder flatsch den Typen eine. Es ist erschreckend, wie gleichgültig viele Hardcore-Kids heutzutage geworden sind. Fuck. Noch erschreckender ist, dass diese Nazispacken wie die Kälte in unsere Szene drücken. Wir zeigen Gesicht und machen unser Maul auf gegen das Dreckspack.

Chris: Unglücklicherweise wird Hardcore/Punk immer mehr von Menschen unterwandert, die schlichtweg falsche Ansichten haben. Das fängt beim Faschismus an und hört beim plumpen Sexismus auf. An und für sich nichts Neues, wenn ich so darüber nachdenke. Ich möchte mit dieser Band jedenfalls ein klares Statement abgeben.

Kam es deshalb auch zu der Entscheidung, auf Deutsch zu singen?

Chris: Ja, wir singen auf Deutsch, damit es wirklich jede und jeder versteht, worum es uns geht und niemand sagen kann, davon hab ich nichts gewusst oder das ist völlig neu für mich.

Jogges: Chris Power kam mit dem Impuls eines Tages in der Probe an. Zuerst dachte ich mir: No way, ich kann doch nicht auf Deutsch singen. Dies war jedoch so ein wertvoller Impuls, der meiner Meinung nach den Unterschied macht. Nun also der Beleg dafür, dass der Weg richtig ist und ins Schwarze trifft. Ich kann mich mit deutschen Texten viel besser ausdrücken und es gibt ein klareres Bild, obgleich ich denke, dass Texte ebenso eine Momentaufnahme sind, ein Dokument des Augenblicks.

Chris: Jogges wollte zu Beginn weiterhin Texte auf Englisch schreiben. Darauf hatte ich schlichtweg keinen Bock. Bei deutschen Bands mit englischen Texten sehe ich sehr häufig die Problematik, dass man sich hinter den fremdsprachigen Texten versteckt, typische Phrasen benutzt und generell nicht die Möglichkeit hat, sich und seine Gedanken so auszudrücken, wie man das in der „Muttersprache“ gerne tun würde. Es sind immer Kompromisse. Ich unterbreitete Jogges also meine Bedenken englische Texte betreffend und nach ein paar Mal Stirnrunzeln und zwei bis drei Nächte später sagte er schließlich zu. Jogges schreibt Kurzgeschichten und ist auch so ein kreativer Schreiber, warum also das Ganze mit ’ner Fremdsprache versauen?!

Wenn man euch kennt, weiß man aber auch, dass der Humor nicht auf der Strecke bleibt. Die Bilder der Demoaufnahmen, die Sticker, die Ansagen auf der Bühne – jeder von euch ist ein Individuum, die Musikgeschmäcker sind unterschiedlich, mit jedem von euch kann man sich totlachen und alle haben auf eine Art und Weise einen irreparablen Dachschaden. Ist das alles zusammen das Grundrezept für EMPOWERMENT?

Jogges: Es gibt kein Gesamtkonzept, es gibt keinen Businessplan oder irgendeinen scheiß Imageberater. Wir folgen einfach Impulsen und klären die Dinge in unserem Kollektiv. Es gibt keinen „Bestimmer“ in unserer Crew oder so was. Wir folgen unserem Instinkt, sprechen das aus, was wir denken, auch wenn es manchmal nicht so passt. Das ist alles echt und ehrlich. Ich liebe diese Vatos von ganzem Herzen, bin stolz, sie meine Brüder zu nennen, bin stolz, mit ihnen Musik zu machen.

Chris: Jogges hat das gut beschrieben. Ich denke, was diese Band, dieses Kollektiv ausmacht, das ist, dass wir einfach genau das tun, wonach uns der Sinn steht. Aufkleber mit Adriano Celentano? Ja bitte! Shirts insideout bedrucken? Aber hallo! Dieses aalglatte Image, von A bis Z durchstrukturierte Banddenken, dieses Planen, dieses 50.000-mal Überlegen von Interviewantworten, das spiegelt doch in keinster Weise uns oder unser Denken wider. EMPOWERMENT ist genau mein Ding und mich würde es sehr freuen, wenn das auch das Ding von anderen wäre, weil EPM in den kleinen Details doch eben ’nen Dachschaden hat und es EPM vollkommen egal ist, ob da jemand klar drauf kommt.

Das Demo ist ja mittlerweile restlos ausverkauft und wird wohl auch als Tape nicht mehr neu aufgelegt. Mit was können wir also in näherer Zukunft rechnen? Gibt es die Songs vielleicht bald auf Vinyl, oder wird L&F die Aufnahmen als streng limitierte USB-Wasserpeife mit Totenkopf-Muster rausbringen?

Jogges: Boah, da bringst mich auf ’ne Idee – EPM-Shishas. Yeah, das wäre genau mein Ding. Was denkt ihr?

Chris: Hau ab. Natürlich ist da was in der Mache. Jedoch haben wir von L&F strenge Auflagen, keinen Ton darüber zu verlieren. Surprise, surprise!