LIFE IS PUNK

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Ox-Schreiber im Porträt. Teil 8: Ollie Fröhlich

Warum immer nur fremde Leute interviewen, wenn man auch selbst genug interessante Typen im Kreise der Schreiber hat? Also stellen wir regelmäßig altgediente Mitarbeiter vor, und diesmal ist Ollie Fröhlich dran. Den kenne ich so lange es das Ox gibt, denn lange bevor er Schreiber wurde, war er Anzeigenkunde, betrieb er doch von Kiel aus bis in die Neunziger hinein Katou Records.

Bitte stell dich vor.

Ollie Fröhlich aus Kiel, also vom Meer, jetzt in Niedersachsen in einem Ort mit 20 Häusern wohnend, 180 Kilometer bis zu jedem Meer, welches man sich als Nicht-Küstenbewohner so vorstellen kann. Familie? Irgendwie „Ja“: das coolste Kind der Welt, das bald vier Jahre wird, dann noch 13 Ziegen, sechs Katzen, fünf Pferde, zwei Alpakas, drei Kaninchen. Andere nennen das Zoo.

Wie bist du einst zu Punk/Hardcore gekommen?

Ganz klar über Metal. So 1982 gab es auf unserer Schule eine Handvoll Langhaariger, die nicht genug von harter Musik kriegen konnten, was damals Heavy Metal war, der heute als laues Lüftchen durchgehen würde. Es gab KISS- und AC/DC-Fans, zu denen ich mich zähle, später dann METALLICA- oder SLAYER-Fans, wobei ich METALLICA geiler fand, was aber nach der Napster-Geschichte vorbei war. Mittlerweile gefällt mir SLAYER auch musikalisch besser, und dass beide Bands Vereinigungen ziemlicher Hohlbratzen sind, sei hier mal dahingestellt. Dann drückte mir irgendjemand eine Kassette mit DEAD KENNEDYS und ANTI-NOWHERE LEAGUE in die Hand und das war noch viel cooler als das ganze Metal-Zeugs. Außerdem nahmen wir in Englisch verschiedene Jugendbewegungen durch, was eine meiner ersten Berührungen mit Punk und Skinheads war. „Ich werde Punk“, sagte ich zu meiner damaligen Jugendfreundin, die mir nur einen Vogel zeigte. Dass Punk eine Lebenseinstellung ist und man es nicht einfach so wird, habe ich erst im Laufe der Jahre begriffen. Das wäre aber immerhin der Beweis, dass Schulunterricht nicht komplett nutzlos ist. Dann kam eins zum anderen, mit ein paar Kumpels gründete ich meine erste Band namens LOS COMAS, die sich dann später in ... AND THE EIGHTH SIN IS CALLED POP! verwandelte und eine großartige Pop-Punk-Split-LP mit den Engländern FEED YOUR HEAD rausbrachte, auf der ich auch gleich als Covermodell glänzte. Das war dann 1988. Irgendwie bin ich damals in Kiel auf eine sehr aktive und inspirierende Szene um die Alte Meierei gestoßen, damit war es klar, die Scheibe auf einem eigenem Label rauszubringen, so dass von der Zivi-Kohle kurzerhand mit meinem Freund Pommes Katou Records gegründet wurde, wobei wir zehn LPs und 7“s rausgebracht haben, teilweise mit den sehr netten Typen von Loony Tunes aus Scarborough/UK, die nebenbei noch bandmäßig als ACTIVE MINDS unterwegs waren und die ich witzigerweise vor ein paar Tagen nach 21 Jahren hier in meinem Heimatkaff wieder getroffen habe. Die bekannteste LP auf dem Label war damals sicher „Window On The World“ von POLITICAL ASYLUM, die Zap- und Martin-Büsser-nahen DISTRESS haben es für eine deutsche Band auch relativ weit gebracht und sind mit den Holländern CRY OF TERROR getourt – Bands, die heute wohl kaum noch jemand kennt, mit denen ich aber das Tourleben kennen und schätzen gelernt habe, wobei ich die Touren zum Teil selbst gebookt habe. Das war damals noch nicht allzu schwierig, das viel beschworene „Network Of Friends“ hat wirklich funktioniert.

Was machst du, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen?

Ich bin Oberarzt für Anästhesie an einer recht großen Klinik in Norddeutschland. Das ist eher stressig und zeitfressend, aber schon das, was ich auch machen will. Wer feste Konstanten in seinem Leben braucht, sollte einen anderen Job wählen, denn ich weiß morgens nie, was abends passiert, und verbringe viel Zeit damit, das Chaos um mich herum in Bahnen zu lenken. Aber man gewöhnt sich daran, und Chaos macht mir offensichtlich Spaß.

„Eine andere Welt ist möglich“, sagt attac. Was sagst du, was tust du dafür?

Wenn attac den Weg kennen, ist das schön für sie. Ich glaube eher daran, dass ich mein Umfeld beeinflussen und prägen kann, sowohl mein Kind als auch auf der Arbeit. Verweigerungshaltung oder „No Future“ halte ich für Zeitverschwendung, viel mehr ist es für mich sinnvoll, mich in Positionen zu manövrieren, in denen ich etwas verändern kann. In so einer bin ich glücklicherweise, und wenn es mir nur gelingt, den Umgangston im OP zu verbessern und flachere Hierarchien zu schaffen, ist das in so einem eingefahrenem System wie einem Krankenhaus schon eine Menge. Mal davon abgesehen, macht es Spaß, anderen Menschen was beizubringen und das eigene Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Parteipolitische Organisationen halte ich immer noch für die Pest und werde niemals irgendjemanden bei einer Wahl unterstützen. Dann bin ich noch mit meiner Band NEURON unterwegs, die macht eine Mischung aus Crust und Death Metal mit deutschen Texten über die Abgefucktheit der Welt und menschenverachtende Politik. Klar werden wir damit nicht die Welt verändern, da wir ja meist vor Gleichgesinnten spielen, aber ein lustiger Abend unter fremden Freunden ist auch nicht zu verachten.

Wie reagiert dein Umfeld auf deine Punkrock-Vorliebe? Verständnis, Erstaunen, Unkenntnis?

Menschen, die mich länger kennen, wissen alle um meine Vorliebe für seltsame laute Musik. Ich bin aber gar nicht auf Hardcore festgelegt und höre viel Death Metal und Grindcore. Wenn mein Sohn ins Zimmer kommt und DRILLER KILLER läuft und er sagt: „Mach das mal lauter“, ist das schon sehr lustig. Meine Eltern haben es nie verstanden und meine Mutter fragt gelegentlich, ob ich immer noch diese komische Musik mit meiner Band mache. Dass Hardcore eine Lebenseinstellung ist und keine Mode, scheint schwer nachzuvollziehen zu sein. Im Krankenhaus haben sich am Anfang sicher viele über den tätowierten Irren gewundert, der nach wie vor in Schwarz mit Band-Shirts nach Feierabend durchs Krankenhaus geht, aber es wurde eigentlich immer akzeptiert. Mein Chef hat mir sogar mal sechs Wochen freigegeben, als ich mit NEURON und den Brasilianern AÇÃO DIRETA auf Tour war. Und das, obwohl er selbst nur Cello spielt.

Wie wichtig waren dir früher Äußerlichkeiten, wie sieht das heute aus?

Für Punks waren Äußerlichkeiten doch schon immer das Wichtigste, deshalb war ich ja nie einer. Erster Akt der Rebellion waren lange Haare, dann eine rote Strähne, wegen der mein Vater drei Wochen kein Wort mit mir gesprochen hat. Zu meinen arschlangen Dreads und meinen Tätowierungen später hat er dann aber nie etwas gesagt. Früher trug ich schwarze Hosen und Band-T-Shirts. Heute trage ich Band-T-Shirts und schwarze Hosen, alles beim Alten, nur die Haare sind kurz. Damit kann ich aber leben und halte es in meinem Job auf dem Lande auch für sinnvoll, schließlich liefert sich ein Patient mir aus und da ist schon ein gewisses vertrauenswürdiges Äußeres angebracht. Das hat rein gar nichts mit Spießigkeit zu tun, sondern mit Respekt.

Punk war mal eine Jugendbewegung. Wie lässt sich das mit deinem Alter vereinbaren? Für immer jung, für immer Punk? Oder manchmal doch das schleichende Gefühl, für irgendwas zu alt zu sein?

Ich werde demnächst 44. Ist das alt? Es hört sich so abgedroschen an, aber man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Wenn man auf Konzerten gesiezt oder für einen Zivi-Bullen gehalten wird, ist das eher lustig, weil es doch nur die Engstirnigkeit und Obrigkeitshörigkeit der Punks zeigt. Nur weil ich keine Dreads mehr habe, bin ich kein anderer Mensch geworden. Vielleicht nicht für immer jung, aber für immer Punk, wobei ich im eigentlichen Sinne Hardcore meine. Zu alt? Ja, für Intoleranz und Verbohrtheit.

Wie und wo hast du das Ox erstmals wahrgenommen?

Irgendwann in den Achtzigern habe ich mit ... AND THE EIGHTH SIN IS CALLED POP! in Husum gegen EROSION gespielt, da hatte Kent Nielsen von L.U.L.L. das Ox in seinem Bauchladen. Damals stand noch „Faces The Facts“ drunter, bei Betrachtung der Online-Bildergalerie muss das #6 gewesen sein. 101 Jahre später haben sich NOISE FOREST bei einem Gig von SLUP kurzfristig eingezeckt, da ist mir das Ox wieder unter die Finger gekommen. Nach ein paar Briefen mit Joachim war ich dann unvermittelt an Bord, das ist jetzt auch schon bestimmt 13 Jahre her. In den ersten Jahren hab ich hauptsächlich Kolumnen gemacht, Reviews und Interviews kamen viel später dazu, dass ich hier jetzt so was wie der Crust- und Grind-Onkel geworden bin, liegt an der Ignoranz der anderen Schreiber gegenüber Musik, die Metal sein könnte. Ich bin aber schon immer Grenzgänger zwischen beiden Szenen gewesen, meine Vorlieben haben sich sicher auch mehrfach geändert. Aber schau mal in die „Best Of 2009“-Listen, wie oft da der Name WOLVES IN THE THRONE ROOM vorkommt. Alles Black Metaller hier inzwischen ...

Wie schätzt du die Entwicklung des Heftes ein, wie sollte es weitergehen?

Außenstehende bezweifeln es ja, aber das Ox ist immer noch mehr Fanzine als Magazin, trotz absolut professioneller Aufmachung. Wenn ich von mir aus mit einer Band was fürs Ox machen will und es auch begründen kann, geht das. Das funktioniert eben nur, weil hier Fans für Bands arbeiten, die allermeisten ohne irgendetwas dafür zu bekommen. Das schafft natürlich auch eine gewisse Unabhängigkeit vom Musikbusiness. Mir selbst gefallen ausführliche Interviews mit Musikern, die etwas zu sagen haben, besser als die üblichen Promo-Plattitüden, die auch in Mailorderkatalogen zu finden sind. Dabei habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch, der Gitarre spielen kann, nicht unbedingt etwas zu sagen haben muss. Aus der langen Ox-Geschichte sind mir aber besonders Interviews mit Vic Bondi, Ian McKaye, Billy Childish und natürlich Lemmy in Erinnerung, dessen Ox-Interviews immer deutlich unterhaltsamer sind, als die in anderen Gazetten.

Welche Bands/Platten und Genres haben dich früher beeindruckt und beeinflusst, welche sind es heute?

Meine erste Berührung mit Hardcore waren sicher die DEAD KENNEDYS, aber alles, was anders war, war irgendwie cool. Durch mein Label und wie schon erwähnt die Kieler Alte Meierei habe ich dann unendlich viele Bands gesehen, völlig weggeblasen haben mich immer wieder die norwegischen Bands aus dem Blitz-Umfeld, SO MUCH HATE sind und waren Gott – Børre R.I.P. –, STENGTE DÖRER nicht minder, LIFE BUT HOW TO LIVE IT ebenso. Die Holländer GOD waren unfassbar gut, der ganze Ami-Kram war mir eher egal, Ausnahme MDC, OFFENDERS, EMBRACE und VICTIMS FAMILY. Die frühen Scheiben dieser Bands verehre und höre ich noch heute, selbst unterwegs war ich öfter als Merchandiser mit DROWNING ROSES und SUCKSPEED, für mich immer noch die besten deutschen Bands der damaligen Zeit. Anfang der Neunziger war dann aber irgendwie die Luft aus der Szene raus, die zunehmende Öffnung und Kommerzialisierung waren nicht mein Ding und ich bin auf andere verrückte Bands gestoßen, die heute unter dem Death-Metal-Banner zusammengefasst werden. CARCASS, ENTOMBED oder BOLT THROWER haben mich damals entscheidend geprägt und auch zu einer größeren Offenheit meinerseits geführt, da die politische Verbohrtheit der Hardcore-Szene wegfiel. Aber rückblickend bin ich den Grundgedanken der Hardcore-Szene noch immer fest verbunden, rechte Scheiße bei Black-Metal-Bands geht genauso wenig wie Sexismus in der Metal-Szene. Da beziehe ich immer noch klar Stellung und vertrete die auch. Heute höre ich immer noch viel alte Musik, lerne aber durchs Ox auch ständig Bands kennen, die ich sonst wohl niemals gehört hätte. Die großartigsten Bands der letzten Jahre sind für mich NAPALM DEATH und NASUM, also recht derber Krach, aber die Injektion purer Energie. Früher war mir auch eher eine inhaltliche Aussage wichtig, Platten ohne Textblatt gingen gar nicht, heute geht es mir mehr darum, ob eine Platte gut gemacht ist und mein Gefühl trifft, hör dir „Vorunah“ von SARKE oder „The Gathering Wildernis“ von PRIMORDIAL an, da steckt so unglaublich viel Gefühl und Bösartigkeit drin. Die spannendsten Entwicklungen finden im Moment aber im Black Metal statt, der sich in den letzten Jahren ja sehr geöffnet hat, nimm Avantgarde-Bands wie <CODE>, SIGH oder WOLVES IN THE THRONE ROOM und wundere dich, wie abgefahren Musik sein kann.

Was ist heute das größte Ärgernis im Zusammenhang mit Musik?

Ich weiß nicht, ob ich es Ärgernis nennen sollte, aber die Digitalisierung von Musik im weitesten Sinne hat einen enormen Seelenverlust mit sich gebracht. Angefangen bei Dreck wie mp3s, die für mich keinen Gegenwert zur Musik als Kunst haben – anders als Vinyl oder von mir aus auch noch CDs – über die damit verbundene Schnelllebigkeit der Musik – alles einmal, zweimal anhören, dann was anderes aus dem unerschöpflichen Pool runtergeladen – bis hin zu den vereinfachten Produktionswegen. Klar hat es auch Vorteile für junge Bands, aber die unübersehbare Anzahl überflüssiger und mittelmäßiger Veröffentlichungen spricht doch auch Bände. Früher musste eine Band ein gewisses Niveau haben, um ins Studio zu gehen, heute bastelt jeder mäßig talentierte Musiker irgendwas auf seinem Rechner zurecht und belästigt seine Mitmenschen damit. Andererseits sind mp3s natürlich auch ein Ansporn, mehr als einen guten Song pro Album zu haben, weil der Rest einfach nicht mit runtergeladen wird.

Wie groß ist deine Plattensammlung, wie wichtig ist sie dir, welche Formate bevorzugst du?

Sehr groß, ich kann mich halt nicht von den alten Scheiben trennen, es werden in den Jahrzehnten wohl so um die 2.000 Longplayer zusammengekommen sein, und mein ganz klarer Favorit sind immer noch Schallplatten, CDs zur Not. Für mp3s würde ich nie auch nur einen Cent ausgeben. Ich kaufe aber nicht einfach wahllos, sondern schon sehr konkret, wenn mir eine Band gefällt auch den Backkatalog. Nur geklaute Dateien zu besitzen, halte ich den Bands gegenüber für falsch, und das nicht nur, weil ich selbst in einer spiele, sondern weil eine Band laufende Kosten bedeutet, Proberaummiete, Sprit, Studiokosten nur als die großen Posten, da ist es völlig legitim, dass jemand für den Tonträger auch bezahlt und eine Band nicht nur zum Zusatzgeschäft wird. Kaum eine Band im Punk- oder Metal-Untergrund kann von ihrer Musik leben, das sind immer noch Ausnahmen und welchen Sinn macht es, diejenigen zu bescheißen, die sowieso nichts haben?