PROJECT:KOMAKINO

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Dystopische Gesellschaftstheorie in konstruktivistischem Design

Ursprünglich war PROJECT:KOMAKINO ein Projekt allein von Kris Kane, einem jungen ambitionierten Grafiker aus London, das aber mittlerweile zu einer echten Band aus vier Musikern angewachsen ist. Bei diesem Bandnamen („Komakino“ ist ein Song von JOY DIVISION) ist offensichtlich, woher die wesentlichen Einflüsse stammen, die neben JOY DIVISION bei den frühen RED LORRY YELLOW LORRY, JOSEF K und A CERTAIN RATIO (deren Klassiker „Flight“ Kris Kane vermutlich stark verinnerlich hat) zu finden sind. So wie bei Factory Records das Artwork stilprägend und wegweisend bestimmt wurde durch den Grafiker Peter Saville, der heute Art Director der Stadt Manchester ist, spielen für Kris Kane, dessen dunkler Bariton (exzeptionell im Song „Penumbra 1“) das Potenzial hat, den von Ian Curtis und Andrew Eldritch in den Schatten zu stellen, neben dystopischer Literatur auch „Constructive Design“, welches stark an das geometrisches Formenvokabular des russischen Konstruktivismus erinnert, eine zentrale Rolle im Entstehungsprozess seiner Musik. Lange war das Debütalbum „The Struggle For Utopia“ lediglich bei einem kleinen japanischen Label als schwer zugänglicher Import zu erhalten. Seit Januar ist es nun auf dem ebenso kleinen Label Desire erschienen und europaweit erhältlich. Neben Post-Punk-Reminiszenzen arbeitet Kane mit zahlreichen elektronischen Elementen, in einer Art und Weise, wie sie von Brian Eno und David Bowie auf Bowies Album „Low“ (1977) verwendet wurden, und letztlich zu einer Synthese von E- und U-Musik verschmolzen und für zahlreiche spätere Kompositionen von David Bowie Grundstein legend gewesen sind. Erholt vom Winterurlaub in Madrid beantwortete Kris Kane einige Fragen.

Kris, du musst mir die Hintergründe erklären, weshalb PROJECT:KOMAKINO als gegenwärtig ziemlich herausragender Act aus den Legionen von JOY DIVISION-Plagiaten zunächst exklusiv auf einem kleinen japanischen Label veröffentlichte und dann auf einem ebenso kleinen britischen Label. Hast du kein Interesse an großen Labels oder haben sie schlicht euer Potenzial nicht erkannt?

Es gibt viele Gründe, weshalb wir gegenwärtig nur mit kleineren Labels zusammenarbeiten. Ich empfinde viel Respekt für die Macher hinter Labels wie Parlour Records, 51 Records und Desire. Sie haben alle das gleiche Ziel, nämlich kleinere Independent-Bands wie PROJECT:KOMAKINO einem größeren Publikum nahe zu bringen und sie reif für einen größeren Markt zu machen. Im Gegensatz zu Majorlabels machen sie das nicht um des Geldes Willens, sondern aufgrund ihrer Verbundenheit zur Band und der Begeisterung, die sie für deren Musik empfinden. Und ich vertraue diesen Menschen, weil sie den gleichen D.I.Y.-Ethos haben wie wir. Es hat fast einen sozialistischen Charakter, weil die Ergebnisse gleichberechtigt unter allen Beteiligten aufgeteilt werden. Wir sind auch nie auf ein Label zugegangen, bisher war es immer umgekehrt. Im Übrigen haben wir derzeit nicht das Gefühl, schon für das „Big Album“ bereit zu sein. Wenn es denn kommen sollte, werden wir dabei sowohl mit Independent- als auch Majorlabels zusammenarbeiten. Wir würden es dann über ein kleines Label an größere Companies lizensieren.

Euer Song „Penumbra 1“ ist einer der besten Songs, die ich letztes Jahr gehört habe. Ihr Engländer habt ja für diese Art Musik das Attribut „Angst Driven Vision“. Aber woher beziehst du deine wesentlichen musikalischen und literarischen Einflüsse, da oft in deinem Kontext dystopische Literatur und „Constructive Design“ erwähnt werden? Ich vermute, als Grafiker hast du ähnliche Einflüsse wie Peter Saville.

Deine Referenzen stimmen, meine Einflüsse bewegen sich in der Tat in einer Art Triangel aus Literatur, Design und Musik. All dies findet sich in PROJECT:KOMAKINO wieder. Ich bin sehr interessiert an dystopischer und existentieller Literatur. Die Art und Weise dieser sehr düsteren Geschichten und Theorien fasziniert mich. Erstaunlich, wie exakt und detailreich hier Zukunftsvisionen beschrieben sind. Ich schätze Autoren wie Albert Camus, Iain Banks, J.G. Ballard, George Orwell, F. Scott Fitzgerald und Paul Auster sehr. In Bezug auf Design beeinflussen mich vor allem die Konstruktivisten. Klare und scharfe Konturen in Verbindung mit einer prägnanten Farbgebung, das war ziemlich revolutionär für die damalige Zeit. Vor allem die Arbeiten von Alexander Rodtschenko [Anmerkung: das Cover des zweiten FRANZ FERDINAND-Albums „You Could Have It So Much Better“ ist eine klare Adaption von Rodtschenkos Porträt der Russin Lilya Brik, die auch von Matisse und Chagall gemalt wurde] und Peter Saville haben großen Einfluss auf mich. Im Hinblick auf Musik kann ich mich so ziemlich für alles begeistern, was auf Factory Records erschienen ist. Definitiv hat auch INTERPOL einen sehr großen Einfluss auf unsere Musik. Sie sind einfach brillant und ich habe gehört, dass das vierte Album von ihnen bald veröffentlicht wird, ich kann es kaum erwarten. Und natürlich sind es auch die „klassischen“ Post-Punk-Bands wie GANG OF FOUR, CABARET VOLTAIRE, BAUHAUS oder ECHO & THE BUNNYMEN, die mich inspirieren. Und, das mag dich erstaunen, elektronische Musik, wie sie zum Beispiel auf Ersatz Audio, einem kleinen Label aus Detroit, veröffentlicht wird, finde ich auch sehr spannend.

Hast du jemals das Buch „Utopia“ von Thomas Morus, der eng mit Erasmus von Rotterdam befreundet war, gelesen? Es ist eine Art Archetypus sozialutopischer Literatur und bereits im Mittelalter geschrieben worden. Morus’ Thesen gingen ja bis hin zur Abschaffung des Privateigentums.

Ja, ich habe das Buch gelesen. Es muss mit seinen Gedanken, Visionen und Ideen so unbeschreiblich seiner damaligen Zeit voraus gewesen sein. Es musste in jeder Hinsicht komplett außerhalb der Realität und den Lebenszusammenhängen derjenigen gewesen sein, die es damals gelesen haben. Seine Schilderung einer fernen „idealen“ Gesellschaft gab ja den Anstoß zum Genre der Sozialutopie. Ich meine, diese Art revolutionärer Gedanken im 15. Jahrhundert! Das ist schon sehr abgehoben und es ist faszinierend, wie ähnlich die Gedanken und Ideen von Thomas Morus denen von Karl Marx gewesen sind.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Musik von „The Struggle For Utopia“ auch ein Soundtrack für einen Film wie „Metropolis“ von Fritz Lang sein könnte. Unlängst ist ja der verschollene und unveröffentlichte Teil des Films in einem argentinischen Filmmuseum entdeckt und anschließend restauriert worden. Ist Filmmusik generell eine Option für dich?

Der Film „Metropolis“ ist einfach großartig! Natürlich würde mich das Thema Filmmusik sehr reizen, es ist wie eine kreative Kombination oder Synthese aus meinen klassischen visuellen und musikalischen Einflüssen. Ich würde wirklich zu gerne an einem Filmprojekt arbeiten und bei der Technik, die es heute in den Kinos gibt, muss es ein großartiges Gefühl sein, den eigenen Soundtrack dort zu hören.

Es gibt einige Bands in London, die gegenwärtig mit euch in Verbindung gebracht werden, wie IPSO FACTO, ELECRTICITY IN OUR HOMES oder die fulminanten ULTERIOR. Ist da eine echte Verbindung oder einfach nur ein loser Kontakt, der über gemeinsame Konzerte zustande kommt?

Natürlich gibt es diese „Szene“ in London, aber letztlich ist es ja so, dass immer die gleichen Bands an den gleichen Orten vor einem sehr ähnlichen Publikum spielen. Es entstehen Freundschaften, aber man gewöhnt sich auch schnell aneinander und das kann auch langweilig werden. Ich gehe eigentlich nicht mehr oft aus und die klassischen Szene-Locations sind mir auch zu inselartig und abgeschottet. Irgendwann verkommt es dann zu einem Schaulaufen und wird schnell lächerlich.

In einer Besprechung zu eurem Album fand ich ein schönes Zitat: „Music for a krautrock funeral“. Gibt es deiner Auffassung nach ein breites Interesse in Großbritannien an Krautrock und ist es ein Einfluss für dich?

In Großbritannien ist Krautrock nicht die große Sache, erfreut sich jedoch einer sehr exzentrischen und kleinen, aber sehr interessierten Fangemeinde. Krautrock war vor allem in den 70er Jahren sehr populär, da insbesondere John Peel ein großer Fan war und die Sachen über seine Radiosendungen gepusht hat. In den Musikerkreisen, in denen wir uns mit PROJECT:KOMAKINO bewegen, sind Bands wie FAUST, CAN, NEU! und natürlich KRAFTWERK immer noch sehr wichtig und haben einen enormen Einfluss. Auch für uns ist Krautrock eine wichtige Inspirationsquelle. Das war schon revolutionär, wie diese Bands damals diese Form experimenteller elektronischer Musik mit „konventioneller“ Rockmusik vernetzten.

Sowohl von THE HORRORS als auch von den russischen Cold-Wave-Protagonisten MOTORAMA finden sich Remixe eurer Songs auf dem neuen Album. Wie sind die Kontakte zustande gekommen?

Ich bin mit beiden Bands sehr gut befreundet und so war der Kontakt sehr einfach herzustellen. Wir arbeiten gerade an einer EP, die ausschließlich Remixe, ich denke mal, so bis zu sechs Songs, von PROJEKT:KOMAKINO enthalten wird. Wir werden sie vermutlich im März oder April veröffentlichen.

Was hast du für Zukunftspläne? Gibt es Chancen, euch in Deutschland live zusehen? Apropos, mit welchen Wunschkandidaten würdest du gerne mal die Bühne teilen?

Wir schreiben gerade die Songs für ein neues Album und wir wollen wirklich, dass es „das“ Album wird, also wirklich ein großer Wurf. Erste Demos haben wir bereits aufgenommen, die natürlich bearbeitet werden müssen. Wir werden kurzfristig in Großbritannien spielen, planen aber eine Europatour für den Spätsommer. Es wird eine große Tour werden, bei der wir hoffentlich auch in Deutschland und speziell in Berlin spielen werden. Ich bin ein großer Fan der Stadt Berlin. Und natürlich wäre INTERPOL die Band, die mich am meisten für eine gemeinsame Tour begeistern könnte.