STRONGBOW

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Fuck you! war gestern

Nein, es braucht keine einzige weitere Band, die in längst abgefischten musikalischen Gewässern darauf wartet, den großen Fang zu machen. Es braucht aber auch keine Miesepeter, die jeden ernst gemeinten Versuch, dem alltäglichen Hamsterrad per eigener Musik zu entfliehen, im Keim ersticken, nur weil drei bekannte Akkordfolgen schneller zum Ziel führen, als sich in den wenigen „freien Stunden“ den Kopf über musikalische Evolutionen zu zerbrechen. Für die Dresdner STRONGBOW alias Hans (Bass/Gesang), Eule (Gitarre), Matti (Gitarre) und Jojo (Schlagzeug) stehen Kurzweil und Eingängigkeit vor Fortschrittsdenken. Von Stagnation oder Verweigerung jeglicher Entwicklung – musikalisch wie persönlich – kann aber keine Rede sein! Das dritte Album heißt „Corner Bar Poetry“ (CD: Contra Records, LP: Longshot Music) und beweist mit überraschender Leichtigkeit, dass so-called Streetpunk mehr ist als stumpfe Festzeltmusik. Mutige Ansage? Aber was wäre Punk ohne ein wenig Provokation und Mut an der richtigen Stelle? Mit Hans, dem sympathischen Kopf der Band, entstanden folgende Zeilen mit der ernüchternden Erkenntnis, dass die Punk-Szene einen Hang zu Luxusdiskussionen hat ...

Hans, wie viel Poesie besitzt euer derzeitiges Leben abseits der Dresdner „Eckkneipen“?

Ich glaube eigentlich, momentan ein ganzes Stück. Von den persönlichen Höhen und Tiefen mal abgesehen, geht es uns ganz gut, obwohl ja immer Luft nach oben ist – aber eben auch nach unten! Bandmäßig war 2009 für uns ein sehr gutes Jahr mit der neuen Platte und vielen schönen Shows und coolen Leuten, die man getroffen hat. Das kann einen schon mal zur Poesie verleiten, wenn auch eher der einfacheren Art.

Bitte je ein kurzes Statement zu euren bisherigen drei Alben – Selbstkritik erwünscht!

Oh, so was ist immer schwierig, vielleicht kann man grundsätzlich erstmal sagen, dass wir natürlich technisch Fortschritte gemacht haben. Auch der Sound ist bei jeder Platte ein bisschen anders und wird sich auch bei der nächsten weiterentwickeln. Was die Songs angeht, sind diese, egal um welches Thema es geht, aus sehr persönlicher Sicht geschrieben. Wobei vor allem bei der ersten Platte noch die „Fuck you!“-Attitüde vorherrschte. Es gibt einige Songs, die ich sicherlich so nicht mehr schreiben würde, aber ich denke, das geht allen Bands so. Was nicht heißt, dass ich die ersten Platten schlecht finde! Für diese Zeit war es meine Sicht auf die Dinge. Natürlich steht man dem neuesten Album emotional am nächsten, da die Gründe, warum man einen Song gemacht hat, ja auch zeitlich am nächsten liegen.

Und wie soll es nach der „entscheidenden“ dritten Platte weitergehen? Durchatmen und abhaken, Albumroutine oder voll Tatendrang?

Ich glaube, dass „Corner Bar Poetry“ recht gelungen ist, aber da man erst, sobald eine Platte fertig ist, auch hört, was alles nicht so geklappt hat, wie man wollte, will man es direkt besser machen. Das heißt, ein nächstes Album gibt es bestimmt, aber das wird noch etwas dauern. Ich fange gerade erst an, wieder Songideen aufzuschreiben. Routine klingt immer etwas negativ im künstlerischen Zusammenhang, aber für die eigentlichen Aufnahmen einer Platte hat sie schon ihre Vorteile, dadurch braucht man für viele Dinge einfach weniger Zeit, also Geld. Was das Songwriting angeht, kann man wohl nie von Routine sprechen – das macht es eigentlich auch aus.

Zwar ist „The thin red line“ ein prototypischer SOCIAL DISTORTION-Rocker, und man könnte meinen, es gehe um die „üblichen“ Themen, doch weit gefehlt. Ich hoffe allerdings, das Beschriebene entstammt keinen eigenen Kriegs-/Erfahrungen ...

Nein, zum Glück weniger, aber das ist ein Thema, das mich persönlich einfach interessiert. Songs darüber sind mir auch wichtiger als lokalpolitische Sachen oder andere Belanglosigkeiten. Und nachdem ich von Freunden und Bekannten ähnliche Schilderungen hörte, habe ich versucht, einen authentischen Text aus persönlicher Sicht darüber zu schreiben. Ich will mir da auch nichts anmaßen, aber finde es einfach wichtig, dies zu thematisieren. Selbst innerhalb der Band haben wir über Afghanistan und Co. verschiedene Ansichten. Das alles hat eine neue „Qualität“ bekommen. Da werden „unschuldige“ Kids zu scheinbar harmlosen Einsätzen geschickt. Klar, bei uns muss man schon damit rechnen, wenn man sich beim Bund verpflichtet. In den USA beispielsweise sieht es da schon anders aus, da werden Zukunftsängste ausgenutzt, um egoistische Interessen durchzusetzen. Was hinter den ganzen Dingen wirklich steckt, erfahren wir sowieso nicht, und ob Vorfälle wie in Abu Ghraib wirklich Einzelfälle sind, hm? „Was soll das alles und welche Rolle spiele ich dabei?“ Viele Fragen!

Korrigiere mich, aber Oi! und Streetpunk sind heute nur noch Zitate ihrer selbst und flache bierselige Stimmungsmusik ...

Damit beschäftige ich mich echt nicht, ich höre auch nur wenig Bands dieser Richtung. Das ist so Schubladendenken und oft benutzen viele Veranstalter das für ihre Flyer, damit die Leute wissen, was sie bekommen. Bei uns stand schon alles Mögliche drauf, sogar „Skinhead-Rock’n’Roll“ – und das geht gar nicht. Klar, wiederum sind wir über die Streetpunk-Schiene „bekannt“ geworden und reinen Pop-Punk wird es von uns nicht geben, insofern ist ein gewisser Rahmen okay. Ich denke, jeder sollte sich selbst sein Urteil bilden, gerade bei den ganzen komischen Diskussionen derzeit. Ich kenne etliche Leute, die in lächerliche Grauzonen-Diskussionen reingezogen worden sind, meistens von irgendwelchen „Großstadt-Antifas“, die lieber vorm PC sitzen, als vor Ort was gegen die Faschisten zu tun. Gerade die Leute hinter unserem Label sind echt nur von Faschos umzingelt, aber ich will mich nicht zu sehr aufregen. Man muss auch vertrauen können und vor allem mit den Leuten reden – man merkt dann recht schnell, wer wie drauf ist. Ich kenne meine Leute und habe andere Sorgen. Diese Luxusdiskussionen brauche ich echt nicht!

Verständlich. Wer von den alten Punk-Heroes hat deiner Meinung nach sein Gesicht behalten, Stichwort Integrität?

Das ist sehr schwer, von den meistens UK-Bands bin ich eher enttäuscht. Bei den COCKNEY REJECTS dachte ich nur: „Oh nein!“ Das ist von Fall zu Fall aber unterschiedlich. Wenn Bands mit neuen guten Songs ankommen und klasse Gigs abliefern, ist es mir egal, ob die Band eine längere Pause hinter sich hat. Ist ja auch nicht einfach, über die Jahre seine Band zusammenzuhalten. Bands, die kontinuierlich aktiv sind, sind mir aber lieber. Da ist der Beigeschmack nicht so bitter. ADOLESCENTS fand ich letztens echt super. DEAD KENNEDYS mit „neuem“ Sänger aber gingen zum Beispiel absolut nicht! Momentan sind es eher aktuelle Bands, die mich begeistern.

Und wer sind deine neuen Helden – musikalische wohlgemerkt?

Momentan hörte ich vermehrt Stoner-Rock. KYUSS find ich klasse! Auch wenn die für einige eher platt sind, aber ich mag die aktuelle HATEBREED-Platte. Das neue Album von KREATOR ist auch spitze. Die letzte RANCID-Platte läuft öfter ... Immer wieder klasse sind die BOUNCING SOULS. Total umgehauen haben mich, als die noch nicht so bekannt waren, THE GASLIGHT ANTHEM. Die haben hier ums Eck gespielt und eine absolut geile Show abgeliefert. RISE AGAINST, STREET DOGS, GENERATORS sind ebenfalls top. Ich entscheide immer von Platte zu Platte, nicht nach Musikrichtung. Der Geschmack entwickelt sich ja auch mit der Zeit.

Apropos Zeit: Wie haben sich STRONGBOW respektive du selbst verändert? Alter gleich Vernunft?

Was heißt Vernunft? „Auf-die-Kacke-hauen-Rock’n’Roll“ waren wir nie. Man sieht alles gelassener und der Fokus liegt auf wichtigeren Sachen – vor allem persönlich! Man besinnt sich und die teilweise kleinlichen Diskussionen sind einfach nur noch lächerlich. Ich hoffe aber, unsere Musik ist nicht zu relaxt, haha. Wenn ich mir heute einige der alten Songs anhöre, denke ich mir schon: „Meine Güte, das geht ja gar nicht!“ Eine gewisse Entwicklung ist einfach da ...

Zu einem anderen Thema, nicht weniger spannend: Digitale Releases und Co. – was hat das alles noch mit Punk/-Kultur zu tun? Welche Konsequenzen haben sie für die Band, für dich?

Für mich bedeutet das, dass ich nur noch Vinyl kaufe. Klar, wenn ich von Freunden etwas bekommen kann oder für unterwegs sind mp3s aber schon praktisch, und LPs mit Download-Code finde ich gut. Ich brauche was zum anfassen. Die CD an sich mag ich überhaupt nicht! Für die Band? Bei der aktuellen Platte haben wir der LP alle Songs auf CD beigelegt. Erstens war das finanziell machbar und bedeutete weniger Aufwand, als das Album direkt vom Label herunterladen zu können. Zweitens fanden wir es einfach wichtig! Das mit der Extra-CD haben wir bei der letzten COCK SPARRER-LP gesehen und fanden das super. Wir sind auch dabei, von uns Bezahl-Downloads anzubieten, etwas Spruchreifes gibt es aber noch nicht. Wenn mir eine Band gefällt, will ich die unterstützen und etwas kaufen, was „Richtiges“ besitzen. Digital ist das aber schwierig, doch verhindern kann man die Entwicklung nicht. Wer weiß, was noch kommt? Ich denke, Labels und Vertriebe werden sich da aber etwas einfallen lassen, lassen müssen. Es wird globale Portale geben und dann kann ich entscheiden, welches Produkt ich haben will ...