DR. STRANGE RECORDS

Platten sammeln bis der Arzt kommt

Bill alias Doc von Dr. Strange Records ist ein alter Bekannter aus frühesten Ox-Tagen. Im Osten der endlosen Vorortwüsten von Los Angeles betreibt er seit über zehn Jahren einen der wenigen verbliebenen Punkrock-Plattenläden der Region, bringt auf seinem vor über 20 Jahren gestarteten Label, auf dem einst unter anderem VOODOO GLOW SKULLS und FACE TO FACE veröffentlichten, auch heute noch gelegentlich eine Platte raus, und handelt mit gebrauchten Punkrockscheiben, ist eine der besten und günstigsten Quellen für rares Vinyl alter englischer und amerikanischer Bands.

Was war die erste Platte, die du dir selbst gekauft hast, und wie hast du zu diesen Vinylscheiben so eine tiefe Zuneigung entwickelt??

Verrückt, dass ich das tatsächlich noch weiß! 1971 oder ’72, da war ich fünf oder sechs, habe ich mir „Skywriter“ von den JACKSON FIVE in einem Drugstore namens Thrifty’s gekauft. Soweit ich mich erinnern kann, bin ich jedes Wochenende davon aufgewacht, dass mein Dad laut Musik gehört hat, meistens Neil Diamond. Jeder in meiner ganzen Familie hat Musik geliebt, also schätze ich mal, dass ich es einfach in die Wiege gelegt bekommen habe.

Wie würdest du den Unterschied zwischen einem gelegentlichen Plattenkäufer und einem Sammler beschreiben? Was macht diese Sucht aus?

Na ja, wie du schon sagst: Es ist auf jeden Fall eine Sucht. Ich denke, manche Menschen tragen das einfach in sich. Ob es um Comics, Baseballkarten, Actionfiguren oder Platten geht: Eine ist nie genug. Wenn du einmal eine Band gefunden hast, die dir wirklich gefällt, dann willst du alles haben, jede Pressung, jede Farbe. Der „normale“ Musikfan dagegen kauft sich ab und zu mal etwas. Es ist genau diese Sucht, wegen der ich mit dem Sammeln aufgehört habe, als ich vor zwölf Jahren meinen Laden eröffnete. Ich wusste, dass ich den ganzen guten Kram lieber behalten wollen würde anstatt ihn zu verkaufen. Deshalb habe ich mich auf kalten Entzug gesetzt. Natürlich kommt es mal vor, dass ich mir etwas nehme, was in den Laden kommt. Wenn es eine seltene Platte ist, tausche ich sie mit einer aus meiner Sammlung. Auf die Weise gebe ich auch dem Laden etwas zurück und behalte nicht alle guten Platten für mich.

Wie groß ist deine Sammlung, was ist dein bevorzugtes Sammelgebiet und was ist deine wertvollste Platte, im nicht-materiellen Sinne? Und gibt es eine Platte, die du noch immer suchst und nicht gefunden hast?

Obwohl ich vor einigen Jahren aufgehört habe, habe ich immer noch eine ganz anständige Sammlung. Ich denke, es sind über 300 LPs und über 700 7“s. Die meisten Platten, die ich mir als Schüler gekauft habe, habe ich immer noch. Ich mag 7“s lieber als LPs, keine Ahnung warum, das war schon immer so. Aus irgendeinem Grund kommen sie mir „cooler“ vor. Trotzdem, wenn ich mich für meine Lieblingsplatten entscheiden müsste, würde ich wohl die 999-LP „Biggest Prize In Sport“ oder die LP „Duty Now For The Future“ von DEVO nehmen. Das sind zwei Releases, die mein Leben und meine Denkweise wirklich verändert haben. Bis auf eine Einzige habe ich auch genau ,die Platten, die ich will, und die ist auch noch von einer meiner Lieblingsbands: STIFF LITTLE FINGERS. Es gibt von ihnen eine auf 500 Stück limitierte Live-LP. An den Titel kann ich mich nicht mehr erinnern, aber es ist kein Bootleg. Die würde ich wirklich gerne noch haben! Ich habe aber Leute gesehen, die ihr Sammeln nicht mehr unter Kontrolle hatten, die sich dadurch ruinierten. Da muss man wirklich aufpassen!

Vor über 20 Jahren hast du angefangen, dein Plattenlabel zu machen. Inwiefern hatte das etwas mit deiner Liebe zu Vinyl zu tun?

Ich muss sagen, dass es mir eher darum ging, ein persönliches Ziel zu erreichen, als nur um die Liebe zum Vinyl. Ich wollte einfach nur eine Platte rausbringen, um sagen zu können, dass ich es mal gemacht habe. Ansonsten hatte ich ja noch meinen Mailorder. Aber für mich ist Punkrock einfach so viel mehr als nur Musik. Es ist eine Bewegung, bei der es darum geht, andere zum Wohle der gemeinsamen Sache zu motivieren und zu inspirieren. Ich dachte mir, mit dem Label könnte ich nicht nur das erreichen, ich hätte auch noch sehr viel Spaß! Und so war es dann auch. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich jemals wirklich jemanden „inspiriert“ habe.

Du sagtest es eben: Noch vor dem Label hattest du deinen Mailorder.

Ja, den habe ich als Allererstes angefangen, das war im Oktober 1988. Damals habe ich schon Platten mit Leuten getauscht, die meistens aus Großbritannien kamen. Wenn ich dann hier in L.A. in den Plattenläden einkaufte, merkte ich, dass die da für viel Geld genau die Platten verkauften, die ich für einen Bruchteil des Preises in England bekommen konnte. Im Laden waren das Platten für zehn bis 20 Dollar, die ich für zwei bis fünf Dollar kriegen konnte. Also fing ich an, Platten in mehrfacher Ausführung zu kaufen oder zu tauschen, wenn ich sie für mich holte, um sie dann über Anzeigen im Maximumrocknroll- oder Flipside-Fanzine zu verkaufen. Ein Jahr später startete ich dann das Label. Der erste Release war von einer lokalen Band namens MANSON YOUTH. Ich war mit dem Sänger befreundet. Das dürfte so circa 1992 gewesen sein. Ich habe zwei 7“s von denen rausgebracht, die auch beide schnell ausverkauft waren.

Du hast dich mit deinem Mailorder zum Großteil auf rares Punk-Vinyl spezialisiert.

Ja, weil ich weiß, wie es ist, ein „wieder-entdeckender“ Sammler zu sein. Als ich anfing, war es zwar leicht für die Leute, die neuen Releases bei ihrem Plattenladen um die Ecke zu bekommen, im Gegensatz dazu aber schwer, etwas Rares zu finden. Ich hatte gute Beziehungen in alle möglichen Länder, um seltene Platten zu bekommen und ich sah es auch als eine Herausforderung. Als ich damals noch mehr Zeit hatte, habe ich sogar „Wunschzettel“ von Leuten bekommen und ihnen dann die Platten besorgt. Ich wünschte, für so etwas hätte ich heute noch Zeit. In den 21 Jahren haben sich so einige „Renner“ entwickelt: TEEN IDLES-7“s, BAD RELIGION-7“s, THE FREEZE „We Hate Tourists“-7“, MISFITS-7“s, MINOR THREAT, Dangerhouse-Releases und so weiter. Du hast uns gefragt, wir hatten es irgendwann.

Und wo findest du das Zeug, von wem und wo kaufst du die Platten, die du dann verkaufst?

Als ich anfing, habe ich die meisten Raritäten in den anderen Plattenläden in Südkalifornien entdeckt. Im Gegensatz zu heute gab es da noch viele Läden. Außerdem habe ich Mailorder-Kataloge gewälzt: Small Wonder, U.K. Midnight Records, Bomp! und andere. Erinnert euch, Leute, wir reden hier über die Zeit vor Internet und PC. Meinen ersten Katalog habe ich noch auf einer alten Schreibmaschine abgetippt. Alles hat viel länger gedauert. Neben den Mailordern habe ich auch mit vielen anderen Leuten überall auf der Welt Platten getauscht. Das ist, so nebenbei gesagt, auch eine der schönsten Seiten an meinem „Job“: Durch Briefe lerne ich Leute auf der ganzen Welt kennen. So habe ich echte Freunde gefunden, von denen viele schon bei uns zu Hause zu Besuch waren oder wir haben sie besucht. Dank meinem guten Ruf, faire Preise zu machen, kommen viele Leute zu mir in den Laden oder schicken mir per E-Mail Listen mit Platten, die sie tauschen oder verkaufen wollen. Manchmal ziehe ich noch los und gehe in andere Läden oder auf Börsen, aber größtenteils kommen die Leute zu mir.

Gibt es denn noch genug junge Sammler, die den alten folgen, wenn die mit der Sammelei aufhören?

Klar. Es ist wirklich großartig, Kids zu sehen, die in den Laden kommen und Vinyl haben wollen. Ich denke, eine gute Sache am technischen Fortschritt ist, dass die Leute sich Plattenspieler kaufen können, die man an den Computer anschließen kann. Dann kann man sich seine Platten auf den iPod oder was auch immer ziehen. Ansonsten hat der technische Fortschritt den kleinen Läden nur geschadet, aber diese eine Sache ist ein Beispiel dafür, dass auch mal etwas Gutes dabei herauskommt.

Lief es aus geschäftlicher Sicht im Zuge der Krise, die die USA und den Rest der Welt getroffen hat, gut oder schlecht für dich? Ich nehme mal an, dass viele Menschen gezwungen waren, ihre Vinylschätze zu verkaufen, um die Miete bezahlen zu können.

Es ist traurig zu sehen, wie viele Leute ihre Platten noch immer nur wegen des Geldes verkaufen. Leute, von denen du weißt, dass sie es nicht wollen, aber am Ende bleibt ihnen nichts anderes übrig. Glaub mir, ich fühle mit den Leuten und es macht mir in solchen Fällen auch keine Freude, ihnen etwas abzukaufen. Ich mache ihnen dann einen fairen Preis, aber es macht wirklich keinen Spaß. Erst letzte Woche kam ein Stammkunde zu mir, um seine Sammlung zu verkaufen. Ich glaube, er brauchte Geld für sein neugeborenes Kind. Er erzählte mir, dass er von den Platten Fotos gemacht hat, bevor er sie zu mir in den Laden gebracht hat. Wie traurig ist das bitte?

Wie ich höre, ist die Situation für Labels und Plattenläden in den Staaten noch schlimmer als hier in Europa. Wie ist das für dich, als Besitzer eines Ladens und eines Labels?

Ich habe noch nie in meinem Leben so eine miese Zeit gesehen. Und ich habe unter Reagan gelebt! Aus irgendeinem Grund habe ich ein paar gute Entscheidungen getroffen und war schon immer ein Typ, der mit wenig Geld auskommt. Es war und ist zwar ziemlich hart, aber mit der Hilfe meiner Frau kommen wir zurecht. Es könnte immer noch schlimmer kommen, soviel ist klar. Bis jetzt kenne ich schon sechs Menschen aus meinem Freundeskreis, die ihr Haus verloren haben. Das ist Wahnsinn ... und es fing an vor drei, vier Jahren, als CDs noch angesagt waren. Da kamen Gruppen von Kunden in meinen Laden und wenn einer sich eine CD aus dem Regal nahm, sagte sein Kumpel: „Kauf die nicht. Ich hab sie und brenn sie dir.“ Das war der erste Schlag gegen die Plattenläden. Der zweite war das Downloading und der dritte die heftige Rezession.

Was wird die Zukunft bringen? Wirst du mit Dr. Strange weitere Platten rausbringen?

Ich habe immer gesagt, dass ich aufhöre, wenn es mir keinen Spaß mehr macht. Es ist heute zwar schwieriger, macht aber immer noch Spaß. Vor ein paar Monaten erst ist die BROKEN BONES-7“ „Death Walks The Streets“ erschienen und im April werde ich ein Reissue der 1984er GOVERNMENT ISSUE-LP „Joyride“ veröffentlichen. Ich habe für dieses Jahr noch ein paar Sachen geplant, also Leute: Augen und Ohren offen halten!