FAR

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Wieder auf dem Schirm

Jonah Matranga ist ein bisschen so was wie der Emo-König des frühen 21. Jahrhunderts. Mit Bands wie NEW END ORIGINAL und ONELINEDRAWING hat er sich einen festen Platz erarbeitet in jeder Historie, die zu diesem Genre geschrieben wird. Doch noch bevor er fast im Alleingang Alben wie „Thriller“ und Songs wie „Lukewarm“ veröffentlichte, ebnete er mit FAR wohlmöglich den Weg für ein ganzes Genre. Im Jahr 1998 wurde bereits „Water And Solutions“, das fünfte Album der kalifornischen Band, auf einem Major veröffentlicht und wohl mangels eines passendes Genrestempels verkannt. Die Band trennte sich kurz nach der Veröffentlichung und war für lange Zeit kein Thema mehr für alle Beteiligten. In diesem Jahr ist man wie aus dem Nichts wieder auf der Bildfläche erschienen und hat mit „At Night We Live“ nicht nur ein wirklich vitales Lebenszeichen abgegeben, sondern auch noch eine wichtige Platte veröffentlicht. Das Album dient nicht zum Geldverdienen und hat auch nichts mit Ruhmesverwaltung zu tun. „At Night We Live“ ist vielleicht das Post-Hardcore- oder auch Oldschool-Emo-Album des Jahres. Willkommen zurück.

Zwölf Jahre sollten eigentlich eine lange Zeit sein. Doch Jonah Matranga wusste sich sehr gut zu beschäftigen. Mit seinen –wie er sie jetzt nennt – Projekten NEW END ORIGINAL, ONELINEDRAWING und GRATITUDE hat er mit Albumveröffentlichungen und Tourneen nie Langeweile aufkommen lassen. Das Gefühl, Teil einer Band zu sein und nicht die ganze Band darzustellen, hat den Gitarristen und Sänger aber nie losgelassen. Wobei er selbst betont, dass er nach dem Ende von FAR auch nicht mehr an eine mögliche Reunion geglaubt hat. Er erzählt: „Natürlich waren wir untereinander immer noch in Kontakt. Aber es stand sage und schreibe elf Jahre nicht mehr zur Debatte, dass wir als FAR noch mal zusammen Musik machen.“

Nun stellt sich die Frage, wieso ausgerechnet 2010 mit „At Night We Live“ der Nachfolger zu „Water And Solutions“ ansteht. Es war wohl kaum Geldnot oder Langweile auf Seiten Matrangas. „Ich hatte einfach das Bedürfnis, noch einmal laute Rockmusik zu machen, wie du sie eigentlich als Teenager machst. Es gab zwar keinen ausschlaggebenden Punkt, der mich dazu geführt hat, den anderen noch einmal Bescheid zu sagen. Aber ich war mir im Klaren darüber, dass ich, wenn ich die ungestüme Art von Musik richtig ausleben will, das nur mit den Jungs von FAR machen konnte.“

Um zu merken, dass FAR zwölf Jahre nach „Water And Solutions“ immer noch nach FAR klingen, sollte man sich beide Alben hintereinander anhören. So nimmt man wahr, dass es irgendwie die gleiche Band ist, mit dem gleichen unverkennbaren Sound, und doch merkt man auch, dass sich hier niemand wiederholen will. Alles klingt frisch. Songs wie der Titeltrack „At Night We Live“ verbinden die Tiefe und Melodien, für die Bands wie JIMMY EAT WORLD oder SAVES THE DAY bekannt wurden, die man aber auch schon vom Stil her auf dem 1998er Album finden konnte. „Damals wusste man noch nicht, wie mit derartiger Musik umzugehen ist. Natürlich ist das Emo. Aber von einer Art, die Bands wie eben JIMMY EAT WORLD, PROMISE RING und BRAID miteinander verbindet. Wir selbst kommen, wie viele andere Bands von früher, aus dem Hardcore und ich finde auch, dass FAR eine weit lautere und düstere Musik machen, als dass man das als 100% Emo bezeichnen kann. Wenn ich mir eine Schublade aussuchen sollte, die in den letzten Jahren aufgemacht wurden, würde ich sagen, dass wir sehr gut in die Post-Hardcore-Sparte passen.“

Zu Zeiten ihres letzten Albums wurden sie noch mangels Genre-Stempels oft in einem Atemzug mit Bands wie INCUBUS oder den DEFTONES genannt. Heute würde man mit diesen Namen wohl eher die Leute verschrecken und verwirren, als man sie gewinnen können. „Wir wollen, dass die Leute ,At Night We Live‘ als Album einer unbekannten Band ansehen. Es soll ein Album sein, das dich in seinen Bann zieht, weil du die Musik liebst, und nicht, weil es ein Album einer Band von damals ist. Als wir die Songs produziert haben, ging es uns einfach nur darum, dass wir es uns selbst zeigen. Es ging nie darum, zu versuchen mit einem Namen, den zugegebenermaßen heute doch wirklich niemand mehr auf dem Schirm hat, noch ein paar Dollar zu machen. Wir wollen als Band begeistern.“

Auf jeden Fall werden die Leute begeistert sein, die nie ganz aufgehört haben, Emo zu sein. „At Night We Live“ ist vielleicht das „Clarity“ für Erwachsengewordene. Es ist ein vielseitiges Album, das auch die textliche Tiefe, für die Matranga bekannt ist, voll ausschöpft. „Ich weiß nicht ob ich FAR als eine Art Kanal betrachte, mit dem ich andere Dinge ansprechen kann als in meinen anderen Projekten. Auf jeden Fall weiß ich, dass zu lauter Rockmusik auch intensive Texte gehören. Als Erwachsener hat man ganz andere Dinge, die einen beschäftigen, im Gegensatz zu früher. Ich habe viel Zeit, um zu reflektieren, worüber ich schreiben wollte.“

Dabei ist es dieses Mal nicht nur Matranga, der den Stift in die Hand genommen hat. Auch Gitarrist Shaun Lopez war in großem Maße am Entstehen der Songs beteiligt. „Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Band wohnen wir nicht mehr alle in Sacramento. Wir konnten uns also nicht in einem Raum treffen und zusammen Songs entwickeln wie früher. Dieses Mal lief vieles über das Internet. Shaun schickte mir seine Ideen und wir arbeiteten dann zusammen daran.“

„At Night We Live“ sollte eigentlich von der Band selbst vertrieben werden, doch hat man sich letztlich dafür entschieden, in Amerika mit Vagrant zusammenzuarbeiten, die laut Jonah perfekt zu FAR passen. In Europa erscheint das Album auf Arctic Rodeo. Auf die Frage, ob es denn eine weitere Platte geben wird oder ob „At Night We Live“ eine einmalige Sache bleibt und die Welt wohlmöglich noch einmal zwölf Jahre warten muss, antwortet der Sänger lachend: „Zuerst einmal freuen wir wie Teenager darauf, die neuen Songs unserer Band vor Publikum spielen zu können. Wir sind stolz auf unser Album und genießen jetzt schon jeden Augenblick. Was danach kommt, wird sich irgendwann zeigen. Fakt ist nur, dass wir alle immer älter werden und doch manche Abenteuer lieber erzählen als sie zu erleben.“