HIRSCH EFFEKT

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Für eine Hand voll Kekse

Gibt es heute noch Sachen, die man wirklich nicht bei Wikipedia oder gar Google finden kann? Sucht man nach THE HIRSCH EFFEKT, findet man die üblichen Webseiten. Sucht man jedoch nach Songtiteln wie „Lentevelt“ oder „Zoetrop“, blinkt da zuerst ein großes digitales Fragezeichen. Genau so ein Fragezeichen wird das Debütalbum der Band „Holon : Hiberno“ sicherlich über den Köpfen unbedarfter Musikhörer erzeugen. Wie oft benutzt man „Wahnsinn“ um Musik zu beschreiben? Es waren eigentlich immer Bands wie THE MARS VOLTA oder THE FALL OF TROY, die man mangels Vergleich- und Greifbarem schnell als wahnsinnig beschrieb. THE HIRSCH EFFEKT sind die erste deutsche Band, die sich locker in diese Riege einreihen darf. Sie sind ein Trio. Sie singen und schreien auf Deutsch. Sie arbeiten mit einem kleinen Orchester und ihre Musik ist keine für gemütliche Stunden. Man kann ruhig sagen, dass das hier Kunst ist ...

Eigentlich dürfte es doch niemanden wundern, dass „Holon : Hiberno“ dann doch kein Pop-Album geworden ist. Den Mut, Grenzen zu überschreiten und den Hörer auch mal in die Zwickmühle zu bringen, hat nicht jeder. Dass das Ganze dann nur drei Köpfen entsprungen sein soll, macht die Sache schlussendlich noch ein Stück unbegreiflicher. Es gab in der letzten Zeit viele Querdenker, allen voran Omar Rodriguez-Lopez und THE MARS VOLTA. Er war einer der Ersten, die progressiven Wahnsinn zumindest ein wenig aus der hintersten Nische und für ein paar Minuten ins Spotlight geholt hat. Mit THE MARS VOLTA musste sich messen, wer im Bereich des strukturierten Chaos etwas auf sich hielt. Es kamen Bands wie THE FALL OF TROY, die nicht nur ob ihres Alters zu faszinieren wussten. Auch diese Amerikaner waren ein Trio, das zu begeistern und zu polarisieren wusste. „Es geht nicht darum zu polarisieren. Wir machen die Musik, die ganz einfach aus uns herauskommt“, kommentiert Sänger und Gitarrist Nils das Argument, dass man nur kurz ein paar Leuten den Kopf verdrehen will.

THE HIRSCH EFFEKT ist das Kind von Nils, Philipp am Schlagzeug und Ilja am Bass. Erstere treffen sich irgendwann 2008 in Hannover, nachdem Nils eine Anzeige in der örtlichen Presse geschaltet hat. „Ich konnte Philipp mit meiner musikalischen Vergangenheit ködern. Er kannte meine alte Band und es stellte sich heraus, dass wir sofort auf einer Wellenlänge lagen.“

Die Ideen der beiden wollen sich an keinem Stil festmachen. Es geht kreuz und quer durch Elektro, Metal und Jazz. Gelernt ist gelernt, kann man bei der musikalischen Ausbildung der Mitglieder vermuten: Nils besucht die Musikschule in Hannover. „Es eröffnet einem einen weiteren Horizont, wenn man immer wieder mit neuen und spannenden Dingen in Kontakt kommt. An der Uni kommt man gar nicht dazu, sich selbst keine Gedanken über außergewöhnliche Musik zu machen.“

Klingt irgendwie ganz schön verkopft, könnte man da vermuten, doch sind es vor allem die Texte und die Produktion von „Holon : Hiberno“, die dazu führen, dass das Album nicht als ein „Musikstudentending“ durchgeht. „Textlich reflektiere ich meine Umgebung und versuche Dinge anzusprechen, die mir auf dem Herzen liegen.“ Dabei beleuchtet Nils sowohl gesellschaftliche Unzulänglichkeiten als auch Konflikte seines eigenen Ichs.

„Musik ist eine Gefühlssache“, so Schlagzeuger Philipp dazu, „und natürlich wissen wir auch, dass wir mit vielen Details spielen. Aber wenn wir Songs schreiben, dominiert immer noch das Bauchgefühl.“

Ein anderes Bauchgefühl war laut Sänger Nils Ursache dafür, dass die Band sehr kostengünstig ein ganzes Kammerorchester für die Aufnahmen von „Holon : Hiberno“ verpflichten konnte: „Wir konnten unserem Orchester keine große finanzielle Belohnung für ihre Teilnahme an den Aufnahmen anbieten und so waren sie dann alle mit ein paar Keksen und Saft zufrieden.“

Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit verleiht dem Debüt von THE HIRSCH EFFEKT die nötige Tiefe und erschließt wieder weitere musikalische Flächen. Aber „Holon : Hiberno“ ist auch ein Album geworden, das man nicht immer hören kann und will. Der Sprung zum Etikett „Zu anstrengend“ ist nicht weit und macht das Album dann doch wieder interessant. Nur wann weiß ich, wann der richtige Moment gekommen ist, um mal wieder auf „Play“ zu drücken und mich der einen Stunde Wahnsinn hinzugeben? Auch dafür gibt Google keine Antworten ...