ÓLAFUR ARNALDS

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Escape The Weight Of Darkness

Ólafur Arnalds ist 23 Jahre alt und ein musikalisches Multitalent aus dem Städtchen Mosfellsbær in der Nähe von Reykjavík. Neben den zahlreichen Instrumenten, die er selbst spielt – Schlagzeug, Gitarre und Klavier sind nur eine kleine Auswahl – arbeitet Ólafur als Produzent und hält vor isländischen Musikern Vorträge über Self-Marketing und das Musikgeschäft. Er hat in der Vergangenheit in zwei der wichtigsten, neueren isländischen Hardcore-Bands mitgespielt, CELESTINE und I ADAPT. Zusammen mit Kolli und Þorir von GAVIN PORTLAND spielt er in der Hardcore-Punkband FIGHTING SHIT, die zwar nicht mehr aktiv ist, jedoch in regelmäßigen Abständen Konzerte gibt. Außerdem ist er eine Hälfte des isländischen Minimal-Duos KIASMOS. Soweit es der Terminkalender erlaubt: Ólafurs Hauptbeschäftigung ist sein Soloprojekt, bei dem er mit Piano und Streicherquartett fragile Soundlandschaften erschafft. Kürzlich erschien sein zweites Album „And They Have Escaped The Weight Of Darkness“.

Du bist vor allem für dein Soloprojekt bekannt, bei dem du sehr ruhige, nur von Streichern und Klavier getragene Songs machst. Aber du bist auch an zahlreichen Metal- und Hardcore-Projekten in Island beteiligt gewesen.

Meine erste Band war MANNAMÚLL. Wir haben 1999 angefangen und waren deshalb eine der ersten Bands, die es in diesem Genre überhaupt gab. Wir haben 2000 beim „Battle of the Bands“ mitgemacht. Das ist in Island eine ziemlich große Sache, es findet jedes Jahr statt, wird im staatlichen Fernsehen übertragen und bekommt auch sonst viel Aufmerksamkeit. Es war schon komisch, denn es waren damals drei Hardcore-Bands in der Endausscheidung. Wenn ich an diese Zeit mit meiner ersten Band zurückdenke, ist das alles sehr Punk gewesen: wir haben uns kaum Gedanken gemacht, sondern einfach aus Spaß zusammen gespielt. Ich muss immer noch daran denken, dass unser Sänger damals noch nicht einmal seinen Stimmbruch gehabt hatte und unser Gesang deshalb, na ja – etwas high-pitched – war. Danach bin ich bei I ADAPT eingestiegen. Später habe ich mit Kolli und Þorir von GAVIN PORTLAND zusammen FIGHTING SHIT gegründet und außerdem noch in ein paar kleineren Bands gespielt. Die erste FIGHTING SHIT-Show war als Vorband für STRETCH ARM STRONG, das war riesig. Wir hatten großen Spaß und, glaube ich, auch eine gute Show gespielt. Alles lief ziemlich gut und so sind wir nach I ADAPT die zweite Hardcore-Band überhaupt gewesen, die auch im Ausland auf Tour gegangen ist. Wir haben dadurch gemerkt, wie einfach es eigentlich ist, mit einer Band zu touren. Es ist ein gutes Stückchen Arbeit, aber wenn man es möchte, klappt es. Wir haben FIGHTING SHIT dann auf Eis gelegt, als Kolli nach London zog. Ich bin bei CELESTINE eingestiegen. Allerdings nahmen zur selben Zeit meine Solosachen immer mehr Zeit in Anspruch, so dass ich dort nach dem ersten Album aufgehört habe. CELESTINE sind sehr ambitioniert als Band, sie wollten viel touren und Aufnahmen machen. Ich habe gemerkt, dass ich die Band bremse, weil mir einfach die Zeit fehlte.

Was ist der Grund dafür, dass du in diesem Genre jetzt gar nicht mehr unterwegs bist?

Es liegt daran, dass ich keine Zeit mehr habe. Mit FIGHTING SHIT haben wir eine Art Vereinbarung getroffen, jedes Jahr zumindest eine Show zu spielen. Das ist mir sehr wichtig, da mir die Band nach wie vor sehr viel bedeutet. Aber Kolli lebt in England, GAVIN PORTLAND haben gerade ihre Platte raus – uns allen bleibt da wenig Zeit.

Kannst du dich erinnern, wie du zuerst mit Hardcore in Kontakt gekommen bist?

Ja, das war, als wir angefangen haben zu spielen. Es gab damals keine Szene und es gab auch keine Hardcore-Bands. Wir waren 13, 14 Jahre alt und haben uns getroffen, um Rockmusik zu machen, wie LIMP BIZKIT oder KORN – was wir eben so gehört haben. Wir haben also ein paar Riffs geschrieben, von denen wir dachten, dass die so klingen. Im Nachhinein klang das natürlich überhaupt nicht so, aber als unser Sänger anfing, dazu zu schreien, fanden wir das cool. Im Grunde hat sich daraus die Szene entwickelt, die es bis heute in Island gibt. Wir lernten durch den „Battle of the Bands“ die anderen Bands kennen und wir machten Konzerte zusammen. Es gab damals schon ein paar größere und bekanntere Bands, MÍNUS zum Beispiel wurden gerade auch im Ausland populär. Eine andere Band, die sicherlich für fünf Jahre unsere absolute Nummer eins gewesen ist, waren VIGSPÁ. Wenn ich heute reinhöre, denke ich immer: Wie konnten wir das nur mögen, das ist furchtbar! Aber damals war das meine Lieblingsband, meine Idole. Ihr Sänger Boas singt heute übrigens bei der Band REYKJAVÍK! VIGSPÁ war eher eine Nu-Metal-Band. Aus heutiger Sicht haben wir zu der Zeit auch eher eine Nu-Metal-Szene gehabt, die wir Hardcore-Szene nannten. Alles war sehr unprofessionell, weil wir ja noch so jung waren. Niemand wusste, wie eine „richtige“ Hardcore-Szene geht. Wir kannten ja auch keine Bands in der Richtung, außer vielleicht SICK OF IT ALL. Es hat gedauert, bis sich eine feste Szene, wie es sie in den USA oder Deutschland oder Großbritannien gibt, auch bei uns entwickelt hat. Man merkt das auch an den Bands. Die Bands in Island heute sind vom musikalischen Standpunkt her viel besser als die Bands damals! Wenn ich darüber nachdenke, ist das eine sehr schöne Sache: Wir sind zusammen aufgewachsen.

Wie würdest du die Szene heute beschreiben?

Ich glaube, sie ist noch kleiner als vor ein paar Jahren. Wir haben damals vor 150 Leuten gespielt, das ist für unsere Verhältnisse gigantisch. Man muss allerdings bedenken, dass sich Metal und Hardcore ein Stück voneinander entfernt haben. Es gibt im Moment eine große, aktive Metal-Szene, die allerdings mit Hardcore wenig am Hut hat. Die Leute, die sich wirklich für Hardcore interessieren und vor allem auch engagieren, werden irgendwie immer weniger, im Moment sind es vielleicht noch 20 oder 30 Leute. Andererseits sind die verbliebenen Bands unglaublich gut. Man braucht sich ja zum Beispiel nur GAVIN PORTLAND ansehen.

Was meinst du, warum die Szenen auseinander driften?

Ich glaube, dass die grundsätzliche Einstellung, die bei uns mit diesen beiden Stilen jeweils verbunden ist, ernster genommen wird. Da sind einerseits die Metal-Anhänger, die vor allem Party machen wollen. Es gibt dieses Venue The Cave, ein bisschen außerhalb Reykjavíks, und ich mache ziemlich häufig den Sound da. Es gibt dort viele Metal-Konzerte und dort triffst du ständig besoffene Leute. Das macht mich manchmal echt sauer, denn für den Club könnte es Lizenzprobleme geben, weil dort nicht getrunken werden darf. Die Metal-Leute tun es trotzdem, weil es für sie dazugehört. Die Hardcore Szene andererseits scheint radikaler in ihren Ansichten geworden zu sein. Vegetarismus oder Veganismus und linke Politik sind heute sehr viel verbreiteter als früher – zumindest ist das mein Eindruck. Das ist schon ein bisschen exklusiv.

Was bedeutet Hardcore für dich? Verbindest du zum Beispiel politische Einstellungen damit?

Für mich war das Ganze nie besonders politisch aufgeladen. Ich stimme auch mit vielen ethischen Einstellungen, die im Hardcore sehr populär sind, nicht überein. Ich bin nicht dabei, um die Welt zu retten, für mich ist das eine sehr persönliche Angelegenheit. Ich bin Vegetarier und auch im weitesten Sinne links orientiert. Aber was mich von vielen Leuten in der Szene unterscheidet, ist, dass ich diese Einstellungen nicht extrem nach außen vertrete. Ich bin nicht militant und auch nicht aggressiv. Ich verstehe zum Beispiel, dass Leute gegen Tierversuche sind – aber ich weiß auch, dass ohne solche Versuche manche Leute nicht mehr in meinem Leben wären. Diese Art von Protest wirkt auf mich immer etwas blind. Manchmal gibt es keine eindeutigen Antworten. Man muss sich immer hinterfragen und die Dinge immer abwägen. Ich bin mir bei vielen Dingen einfach nicht sicher genug. Also, um noch mal zur Frage zurückzukommen. Hardcore ist für mich vor allem emotional. Ich bin großer Fan davon, dass Leute ihre Meinung ausdrücken – ob ich mit ihnen übereinstimme oder nicht, spielt dabei erst mal keine Rolle. Ich finde, das verdient fast immer großen Respekt. Im Hardcore passiert das häufig, die Leute sind sehr engagiert und brennen für das, was sie tun. Das gefällt mir.

Wie bist du zu der ruhigen Musik gekommen, die du jetzt machst?

Ich habe das nebenher immer schon gemacht. Ich habe ein bisschen programmiert, dazu ein bisschen Gitarre gespielt und das Ganze aufgenommen. Das Ergebnis war noch eher Prog-Rock. Als ich bei I ADAPT war, waren wir Tour-Support für HEAVEN SHALL BURN. Ich habe Maik Weichert, dem Gitarristen, von meinen Songs ein Demo gegeben. Etwa ein Jahr später hat er sein eigenes Label gegründet, Progression. Er bat mich, für das HEAVEN SHALL BURN-Album „Antigone“ ein Intro zu schreiben. Da ich meine rockigen Sachen irgendwie unpassend fand, habe ich die Drums und die Gitarre entfernt. Das gefiel ihm dann so gut, dass er mich fragte, ob ich damit nicht eine ganze CD machen wolle. Ich habe für HEAVEN SHALL BURN später noch ein paar solcher Instrumentals gemacht – ich glaube, ohne Maik hätte ich keine eigene CD aufgenommen.

Siehst du zwischen beiden Stilen irgendeine Verbindung?

Ja, auf jeden Fall. Sowohl Hardcore als auch klassische Musik sind sehr emotionale Stile. Es geht viel mehr darum, die Musik zu fühlen. Klar, haben viele Hardcore-Bands gute Texte, aber ein schreiender Sänger und die lauten Gitarren sind vor allem emotionale Elemente. Die Texte liest man im Booklet nach. Ich beobachte auch immer wieder, wie viele Leute aus der Metal-Szene auf meine Konzerte gehen, also muss es da auch für andere Leute eine Verbindung geben.

Du machst ja eine ganze Menge Arbeit bei deinen Releases selbst, du musizierst, mischst ab, nimmst auf, vermarktest dich selber und machst Promotion für deine Platten. Warum machst du das alles selbst?

Na ja, wenn du anfängst, ist da einfach niemand, der diese Dinge für dich übernimmt. Ich hatte den Traum, von der Musik leben zu können, darum habe ich angefangen, daran zu arbeiten. Und dazu gehörten neben Klavierspielen und Songs schreiben eben auch viele, viele Dinge drumherum. Irgendwann habe ich angefangen, mich in Marketing einzuarbeiten, und ich habe ehrlich Spaß daran gefunden. Wenn man so etwas beginnt und du siehst, es funktioniert, die Leute kommen zu deinen Konzerten oder kaufen deine Platten, das ist großartig. Ich bin immer noch überrascht, wie gut es bei mir funktioniert hat: ich habe meine erste Tour selbst gebucht und sie selbst auf MySpace beworben, und es hat funktioniert. Ich hatte ja noch nicht einmal ein Album! Sicherlich schreien jetzt viele „Sellout“, weil das Ganze über die Jahre so gewachsen ist, dass ich vieles jetzt eben nicht mehr selbst machen kann, sondern Agenturen und so was habe. Ich suche mir die Leute, mit denen ich arbeite aber so aus, dass ich genau weiß, dass sie sich für meine Musik interessieren, nicht für den Profit. Das habe ich aus der Hardcore-Szene mitgenommen: das Wichtigste ist die Musik.