WOGGLES

Interviewtapes abzuhören ist für mich jedesmal ein schmerzhafter Prozess. Lange glückliche Jahre musste ich das auch nicht, weil ich kein Aufnahmegerät besaß. Ich kritzelte stattdessen die Antworten der Interviewten vollkommen unleserlich auf durchgenässte Bierdeckel, Servietten und dergleichen, was jedoch nicht weiter störte, da ich die sowieso meist verlor. Vollkommen frei von irgendwelchen einengenden Vorgaben in Form konkreter Informationen über die jeweilige Band, konnte ich mich anschließend hinsetzen und meiner Phantasie beim Schreiben des Artikels freien Lauf lassen.

Das hat immer prima funktioniert. Als ich dann aber zufällig mal mitbekam, dass es bei Lidl ein Diktiergerät für 29,95 DM (oder so) gab, musste ich Schlaumeier natürlich trotzdem zuschlagen. "Super", habe ich da gedacht, "Das macht Interviews ja bestimmt viiiiiel einfacher und professioneller, und wenn ich mal groß und Journalist bin, dann brauche ich ja sowieso eins!" Und nur weil ich damals mal wieder so eine Scheisse gedacht habe und wie der letzte Tölpel auf ein vermeintlich günstiges Angebot hereingefallen bin, muss ich mich auch jetzt wieder - beim Abhören meines Gesprächs mit Manfred von den WOGGLES - vor Scham winden wie ein Wurm. Ich kann mir mein kretinöses Gegurgel nämlich nur ganz, ganz schlecht noch mal anhören. Was hab´ ich da nur wieder für einen Mist verzapft! Und noch schlimmer: mal wieder überhaupt nichts geschnallt!! Communication Breakdown, nicht anders kann man diesen Torso eines Gesprächs, diese journalistische Bankrotterklärung nennen. Liegt es daran, dass ich halbtaub bin und nie was verstehe, oder kann ich vielleicht einfach kein Englisch?! Ein Beispiel:

Ich: "Warum heißt du eigentlich "the ProfessorÒ? Bist du wirklich einer?"

Manfred: "Vielleicht."

Ich: "Tatsächlich!!? (Ich hatte wohl ein "Ja sicher" verstanden.) Worin denn?"

Manfred: "In Rock´n´Roll."

Ich: "Echt?? Nee, du machst ´nen Witz!? - Vielleicht bist du ja Mathematikprofessor, wie der Typ von den ANGRY SAMOANS!"

Manfred: "Vielleicht!"

Ich: "Ja sag doch mal!"

Manfred: "Es ist ein "honorary degree"."

Ich: "Ein "ordinary degree"??

Manfred: "Honorary!"

So ging es dann weiter, bzw. wurde nachher eher noch schlimmer, da habe ich nämlich gar nichts mehr verstanden, und das sowohl akustisch als auch kognitiv. Manfred hat angefangen irgendwas zu erzählen und ich habe einfach nur noch "Aha!" gesagt, in der Hoffnung irgendwann wieder was zu kapieren. Manfred hat das bestimmt mitgekriegt und vielleicht auch gedacht, "Mann, was ist denn das für ein Interviewer?!". Er ließ sich aber nichts anmerken und bewies viel Geduld.

Er war überhaupt ein sehr umgänglicher Typ (wie die Amerikaner halt so sind), so trafen wir (jemand anderes und ich) ihn beispielsweise schon vorher in einer Pommesbude, in der er dem türkischen Imbisspächter mit ein paar Brocken Deutsch seinen Wunsch nach einem Jägerschnitzel verständlich machen wollte. Jener sprach das aber auch nicht so recht fließend, und so entwickelte sich ein lustiges Hin und Her. Manfred setzte sich anschließend ganz unkompliziert mit seinem Schnitzel an unseren Tisch und quakte mit uns. In der Situation hatte ich das Aufnahmegerät natürlich mal wieder nicht mit dabei. Da dort nicht so ein Trubel war, hätte ich ja vielleicht auch mal was verstanden.

Die WOGGLES gibt´s übrigens schon arschlange, anno ´87 haben sie sich gegründet. Aufmerksam gemacht haben sie auf sich aber erst - dann jedoch ziemlich nachhaltig - Anfang der 90er mit ihrer "I Got Your Number"-Single auf Estrus, deren Titeltrack ein echtes Monument von einem Song ist. Einer der Neo-60´s-Punk-Hits schlechthin und immer noch eins der herausragenden Highlights in dem Apfel-Fruchtsaftgetränk-Karton, in dem ich meine Singles aufbewahre. Das ist mächtig lange her, was man auch daran merkt, dass man den Manfred auf dem Cover gar nicht mehr wiedererkennt, von den anderen Typen ganz zu schweigen. Darauf sprach ich Manfred auch an und formulierte die Frage nach etwaigen Besetzungswechseln. Um es kurz zu machen, ich habe mal wieder nichts gecheckt! Angeblich soll sich wohl nicht viel geändert haben, aber, verdammt, die Visagen auf dem Cover haben doch nichts gemein mit denen, die an dem Abend auf der Bühne standen!

Wie dem auch sei. Nach dieser Monstersingle haben die WOGGLES schließlich noch etliche weitere Platten, große wie kleine, herausgebracht, von denen man manchmal ganz schön enttäuscht war, auf denen dann aber auch immer wieder grandiose Kracher waren, so z.B. der Song "Ramadan Romance", der sogar als Video auf VIVA zu bewundern war.

Ihre eigentlichen Qualitäten freilich konnten sie dann erstmals irgendwann in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auch in der Alten Welt unter Beweis stellen. Ich rede hier, ihr ahnt es bereits, von der Live-Performance der WOGGLES. Schicksal und die Tatsache, dass ich mit den Jahren etwas teilnahmslos geworden bin, ließ die WOGGLES schlussendlich dreimal über den Teich fahren, bis ich es Ende letzten Jahres erstmalig schaffte, die Band auf ihrer nun schon dritten Tour durchs Abendland zu erleben. Dafür habe ich sie bei dieser Gelegenheit gleich zweimal gesehen, was sicherlich keinmal zuviel war, bieten die WOGGLES doch perfektes Rock´n´Roll-Entertainment. Manfred, abseits der Bühne die Ruhe selbst, wird beim Auftritt zu Mr. 100.000 Volt. Beim ersten Konzert war ich spontan geneigt ihm Kokainkonsum zu unterstellen, anders konnte ich mir die fortgesetzte Zappelei nicht erklären. Der Mann stand während des ca. einstündingen Auftrittes wahrhaftig nicht einmal still! Das ging soweit, dass ihm durch die ganze Anstrengung ein Popel aus der Nase kam, worauf ich ihn selbstverständlich unauffällig aufmerksam machte.

Die anderen Musiker stehen dem Professor aber kaum nach. So lassen sie Manfred beispielsweise auf ihren Schultern reiten, tanzen auf der Bassbox oder schwingen auch einfach nur so mit ihrem Instrument herum. Für all die Daheimgebliebenen, die das nicht sehen konnten, habe ich davon mal ein Foto geschossen, das der Joachim für euch jetzt hier abdruckt. Viel Spass beim Angucken!