BAD RELIGION

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Wir gehören zusammen

Gibt es BAD RELIGION wirklich erst 30 Jahre? Auf Nachfrage weiß das auch die Band nicht mehr so genau, sprach man doch bisher immer vom Gründungsjahr 1979. Aber warum kleinlich sein. Die Wahrnehmung der Dauer von Zeit hängt schließlich davon ab, was in der Zeit passiert. Im Fall BAD RELIGION war beziehungsweise ist das stets eine ganze Menge, haben sie doch weltweit mehrere Generationen von Jugendlichen beeinflusst. Bis zu ihrem heutigen Status als Punkrock-Superstars war es allerdings ein weiter Weg, über den zu reden es wohl keinen besseren Zeitpunkt gibt als den jetzigen. Bassist und Gründungsmitglied Jay Bentley wagt nicht nur den kritischen Blick zurück, sondern auch nach vorn, steht doch für Ende September 2010 die Erscheinung des 15. Studioalbums, „The Dissent Of Man“ auf Epitaph an.

Wie fing das damals mit BAD RELIGION an?

Greg Graffin und ich kannten uns aus der Highschool, hatten aber nie viel miteinander zu tun. Das änderte sich an dem Tag, als wir beide mit derselben schwarzgefärbten Sid-Vicious-Gedächtnisfrisur zur Schule kamen. Wir waren so ziemlich die Einzigen, die so rumliefen, und wussten demnach sofort, dass wir zwei zusammenhalten mussten, und so begann unsere Freundschaft. Greg traf kurz darauf Brett Gurewitz auf einer Party. Die beiden entschlossen sich noch am selben Abend, eine Band zu gründen, und fragten mich, ob ich nicht auch einsteigen wollte. Wir waren alle sehr jung, so um die 15. Das weiß ich noch so genau, da keiner von uns einen Führerschein besaß.

Wann reifte der Entschluss, eine Single aufzunehmen?

Wir hatten eine ziemlich genaue Vorstellung von unserer Musik und hatten nur ein Ziel: diese auf Vinyl zu pressen. Was wir nicht hatten, waren entsprechende finanzielle Mittel. Die steuerte zu unser aller Erstaunen Bretts Vater bei. Er hatte von Anfang an sehr großes Vertrauen in seinen Sohn und erkannte früh sein großes Talent als Songwriter. Er lieh uns die damals unvorstellbare Summe von tausend Dollar, mit der wir die Produktionskosten decken konnten. Die Single verkaufte sich dann so gut, dass wir ihm das Geld binnen kürzester Zeit zurückzahlen konnten. Etwas, womit er selbst wahrscheinlich am allerwenigsten gerechnet hatte. Am Ende hatten wir sogar noch Geld übrig, das wir in das erste Album, „How Could Hell Be Any Worse?“, investierten.

Zu der Zeit gab es schon eine Reihe Labels wie SST, Poshboy, BYO oder auch Alternative Tentacles. Ihr habt die Single 1980 trotzdem selbst herausgebracht. Warum?

Seine Songs auf Vinyl zu pressen, war damals der wichtigste Schritt, um in der wachsenden Punk-Szene ernst genommen zu werden. Demnach hatten wir bei allen damaligen Labels vorgesprochen oder Tapes eingereicht, erhielten jedoch immer wieder die gleiche Antwort: Kein Interesse. Nicht ein Label wollte mit uns arbeiten. Wir waren demnach gezwungen, unsere eigene Firma zu gründen. Das war damals alles andere als cool. Wenn man Anerkennung haben wollte, musste man auf den von dir genannten Labels sein. Viele junge Bands nahmen damals Platten für Labels wie Poshboy oder Mystic auf, wofür man den Labels dankbar sein musste. Geld sahen die Bands für die Aufnahmen jedoch nie, darin waren viele Labels gleich. Genau das wollten wir aber verhindern. Unser Weg war zwar total D.I.Y., Respekt in der so genannten Szene hat er uns zur damaligen Zeit trotzdem nicht eingebracht.

War das rückblickend nicht ein Wink des Schicksals?

Aus heutiger Sicht haben wir natürlich alles richtig gemacht. Damals waren wir einfach nur enttäuscht. Ich empfehle jedem, der eine Vision hat, alles daran zu setzen, diese auch umzusetzen. Mit viel Eifer und Wut kann man nämlich so einiges bewegen. Auch wenn dieser Weg eindeutig der härtere ist, ist er es doch immer wert. Denn nur unabhängig hat man die Chance, sich zu verwirklichen. Man bekommt mit, wie diese Branche tickt und was alles an ihr hängt. Als Band ist man sonst ja nur der kreative Teil, der Zulieferer. Unseren heutigen Band- und Labelstatus mussten wir uns über die Jahre hart erarbeiten. Die Punk-Szene hatte lange Schwierigkeiten, uns als ein Teil von ihr zu akzeptieren. Außerdem hatten wir eine Menge Glück, uns in der Musikindustrie zu behaupten. Auf vieles hat man in diesem Business nämlich keinen Einfluss.

D.I.Y. – ist das das Geheimnis von BAD RELIGION?

Vielleicht. Wir haben es immer so empfunden, dass es Druck von der Band nimmt, für ein Label zu spielen, von dem man weiß, dass es hinter einem steht. Für ein Label, das hinter einer Band steht, ist das aber anders: es erhöht den Druck auf dich als Labelmacher. Egal, wie gut die Musik ist, es ist deine Aufgabe, sie unters Volk und an den Mann zu bringen. Diese Verantwortung als junge Musiker zu übernehmen, war die größte Herausforderung für uns als Band in einer Zeit, in der Punk noch lange nicht im Mainstream angelangt war. „Das schafft ihr eh nicht“, war damals der Standardsatz, den wir zu hören bekamen. Für uns war das nur Grund und Ansporn, noch mehr zu geben und es allen Kritikern da draußen zu zeigen.

Welche Erinnerung hast du an das erste BAD RELIGION-Konzert?

Die erste Show war 1980, wir traten zusammen mit SOCIAL DISTORTION im Industriegebiet von Fullerton auf. Ich weiß noch, dass ich so nervös war, dass ich vorher hinter die Bühne gekotzt habe! Wir hatten damals vielleicht acht Songs, die wir natürlich alle spielten. Zu all unserem Erstaunen wollten die Kids aber mehr hören. Und da wir nicht mehr zu bieten hatten, spielten wir das gleiche Set eben ein zweites Mal, was aber niemanden weiter zu stören schien. Für uns als Band war das ein weiterer Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Weg waren.

ADOLESCENTS, AGENT ORANGE, D.I. – aus dem kalifornischen Fullerton kamen eine Menge großartiger Bands, die es heute noch gibt. Wie wäre es heute mal mit einer gemeinsamen Tour?

Da viele dieser Bands uns damals unterstützten und auf Shows spielen ließen, hatten wir vor kurzem genau diesen Gedanken. Als wir letztens in Hollywood den Marathon von 28 Shows in knapp zwei Monaten im House of Blues spielten, war der Zeitpunkt gekommen, all diesen Bands etwas zurückzugeben. Neben den von dir genannten Bands traten noch CHANNEL 3 und TSOL auf. Es war der totale Hammer!

Dazu hat SOCIAL DISTORTION gerade bei Epitaph angeheuert. Schließt sich da ein Kreis?

Irgendwie schon und wir sind alle mächtig stolz über diese Entscheidung. Auf der anderen Seite zeigt es uns, welchen Stellenwert sich Epitaph im Punk-Zirkus mittlerweile erworben hat. Wenn du willst, dass deine Band ernst genommen wird, dann heuerst du eben hier an.

Bis dahin war es ein weiter Weg. Im Jahr 1981 nahmt ihr „How Could Hell Be Any Worse?“ auf.

Die Aufnahme erfolgte in zwei Etappen, da wir nach ungefähr sechs Songs kein Geld mehr hatten. Wieder sprang Bretts Vater ein, rückblickend wohl so etwas wie unser finanzieller Mentor, und lieh uns das entsprechende Kleingeld. Das weitaus größere Problem war, dass sich unser damaliger Drummer Jay Ziskrout kurzfristig verabschiedete, so dass wir erst einmal Ersatz finden mussten. In der Zwischenzeit schrieben wir dann eine Handvoll neuer Songs, die auch alle auf dem Album landeten und in einer zweiten Studiosession aufgenommen wurden.

Das Coverfoto von Edward Colver mit der Skyline von Los Angeles war relativ ungewöhnlich.

Das war meine Idee! Der Fotograf Edward Colver war der totale Musikfreak und jemand, den du bei jeder Hardcore/Punk-Show getroffen hast. So lernten wir uns kennen. Er war wegen seiner beachtlichen Größe von knapp zwei Metern nicht zu übersehen, wo auch sein Spitzname Ed „The Viking“ herrührt. Wir sprachen ihn darauf an, dass wir für das erste Album noch ein passendes Foto bräuchten. Er hatte die Idee, am Hollywood Cross, einem großen Kreuz in den Bergen Hollywoods, ein paar Aufnahmen zu machen. Einmal dort, hatten wir einen fantastischen Blick auf die Stadt, die wir alle liebten, aber zu einem gewissen Grad auch abgrundtief hassten: Los Angeles. Ich sagte: „Schau dir das mal an, Ed. Wie findest du dieses Motiv?“ Er drückte ab und wir hatten unser Cover. Es ist schlicht, aber eben auch sehr aussagekräftig. Auf dem letzten Album „New Maps Of Hell“ haben wir dem Ganzen mit einem ähnlichen künstlerischen Ansatz noch mal Tribut gezollt.

Ein BAD RELIGION-Song erschien 1982 auf dem Sampler „Someone Got Their Head Kicked In!“. Wie kam der Kontakt zu BYO und den Stern-Brüdern zustande?

Damals kannte jeder jeden. Und obwohl sie ursprünglich aus Kanada kamen, gehörten auch die Stern-Brüder schnell zur kalifornischen Hardcore/Punk-Familie. So richtig kennen lernte ich sie, als sie den Club Godzilla’s aufmachten, in dem ich dann als Türsteher arbeitete. BAD RELIGION wurde dann so etwas wie ihre Hausband, die einmal pro Woche dort auftrat.

Während der Aufnahmen des zweiten Albums „Into The Unknown“ bist du 1983 kurzerhand aus der Band ausgestiegen. Was war der Grund?

Der musikalische Ansatz, den Greg und Brett auf „Into The Unknown“ verfolgten, war mir viel zu progressiv.

Wie kamen die beiden darauf, vermehrt Keyboards und Rock-Einflüsse in den Vordergrund zu stellen?

Im Falle von Brett Gurewitz ist das relativ einfach und mit einem Wort zu beantworten: Drogen. Für Greg war das zu der Zeit einfach die Musik, die er machen wollte. Punk war damals so gut wie tot in Hollywood, da kein Club mehr Bands auftreten ließ. Und was ist mehr Punk, als etwas zu tun, was nicht der Norm entspricht?

Ich finde das Album songtechnisch eigentlich gar nicht so übel.

Es ist auf jeden Fall nicht so schlecht, wie viele behaupten. Die Songs stammen schließlich aus der Feder von Brett Gurewitz, einem der fünf besten Songwriter dieses Planeten! Es ist einfach ein Album, das von der falschen Band aufgenommen wurde. Hätten sie diese Platte unter einem anderen Bandnamen herausgebracht, wäre das passender gewesen und hätte uns vieles erspart. Unter dem Namen BAD RELIGION hatten wir uns ein gewisses Maß an Erfolg erspielt. Die beiden dachten fälschlicherweise, diese Erfolgswelle für ihre progressiv-experimentelle Phase nutzen zu können, um so die Band auf das nächst höhere Level zu hieven. Dieser Ansatz war für mich einfach falsch, so dass ich die Brocken hinwarf und schweren Herzens ausstieg. Wir werden aus diesem Grund „Into The Unknown“ auch nicht wieder auflegen. Wer das Album hören will, soll es sich irgendwo aus dem Netz laden. Unter Sammlern hat die Platte ja wohl totalen Kultstatus und auf meinem Dachboden steht, glaube ich, noch eine ganze Kiste mit eingeschweißten Exemplaren, haha!

Auf dem nächsten Release, „Back To The Known“, ging es 1984 wieder zurück zu den alten Punk-Wurzeln. Du warst aber nicht mit von der Partie.

Nach der „Into The Unknown“-Enttäuschung schloss ich mit der Musik ab und verkaufte Instrumente und Verstärker. Auch ich kämpfte eine Zeit lang mit der Drogensucht, schaffte im Gegensatz zu Brett aber dann auch den Absprung. Seitdem bin ich auch wirklich immer brav gewesen – bis zu dieser Tour. Ich hatte bis vorgestern jahrelang nicht geraucht, aber vor ein paar Tagen habe ich dann doch wieder angefangen. Aber gut, ein paar Laster muss man ja haben. Apropos Laster: meine zweite große Leidenschaft neben der Musik sind Motorräder. Ich fing nach meinem Ausstieg an, für Filmproduktionen als Mechaniker zu arbeiten. Immer wenn eine Filmszene was mit einem Motorrad zu tun hatte, war ich derjenige, der das Ganze dann irgendwie umzusetzen hatte.

Wie kam es zur Reunion, aus der dann „Suffer“ hervorging?

Irgendwann bekam ich einen Anruf von Greg Hetson. Es ging aber gar nicht um BAD RELIGION, sondern um CIRCLE JERKS, die einen Bassisten suchten. Ich musste dann zum einen zugeben, dass ich gar kein Equipment mehr besaß, und zum anderen, dass ich die Musik schon sehr vermisste. Also sagte ich zu und war der neue CIRCLE JERKS-Bassist. Das sprach sich bis zu Greg Graffin herum, der mich kurzerhand anrief und fragte, ob ich nicht wieder Lust auf BAD RELIGION hätte. Zuerst war ich gar nicht so angetan, aber die erste gemeinsame Show war für uns alle mal wieder der Beweis, dass wir als BAD RELIGION zusammengehören. Außerdem stand dann auch die erste Europatour an. Etwas, wovon wir immer geträumt hatten.

Neulich sagte Sänger Greg Graffin während der Rock am Ring-Show, dass es womöglich das letzte Mal wäre, dass ihr dort spielt. Wollt ihr etwa aufhören?

Greg sagt so einiges, wenn er auf der Bühne steht. Man sollte das nicht alles so ernst nehmen.

Am 28. September erscheint erstmal das neue Album „The Dissent Of Man“.

Frag mich jetzt bitte nicht, wie es wird. Das machen im Moment einfach zu viele.

Das hatte ich nicht vor. Sagst du mir trotzdem kurz, warum diese Frage tabu ist?

Weil sie nicht zu beantworten ist. Ein Künstler kann schlecht in Worte fassen, wofür sein Werk steht.

Wie lautet dann deine Antwort auf die Frage, wie das Album wird?

Ich sage einfach: Gut! Was soll ich auch sonst dazu sagen?

 


Einmal ins Ungewisse und zurück

Im Fahrwasser der Erfolge experimenteller Rock-Bands in den Achtzigern ließ sich auch eine Hälfte von BAD RELIGION künstlerisch nicht lumpen und brachte unter der Leitung von Sänger Greg Graffin und Gitarrist Brett Gurewitz 1983 „Into The Unknown“ heraus – ein Album, dessen Ruf der Band bis heute nachhängt und das sie lange Zeit am liebsten ungeschehen gemacht hätte. Von der selbstbewusst gepressten Gesamtstückzahl von 10.000 Einheiten verkauften sich im Erscheinungsjahr nur ein paar Hundert. Es hagelte Kritik und vor allem für die Szene in L.A. war es ein Verrat der eigenen Wurzeln. Schnell merkte man, dass der künstlerische Ausflug in den psychedelisch angehauchten Arena-Rock dabei war, der Band das Genick zu brechen. Gerüchten zufolge setzten Graffin und Gurewitz alles daran, die sich noch bei den Vertrieben befindenden Alben wieder zurückzukaufen. Das Album bahnte sich dennoch seinen Weg: Gurewitz’ Ex-Freundin verkaufte angeblich Tausende Exemplare unter der Hand, nachdem der damals drogenkranke Mr. Brett die gemeinsame Wohnung räumen musste und die liebe Ex ausgerechnet die Kisten mit dem ungeliebten zweiten Album als Pfand für rückständige Zahlungen zurückbehielt. Für Fans gilt „Into The Unknown“, bei der die Band wegen des Rückgriffs auf Keyboards und Rock-Elemente à la BON JOVI auch liebevoll BAD JOVI oder BON RELIGION genannt wird, als heiliger Kollektor-Gral, für den viele bereit sind, (viel zu) viel Geld zu zahlen. BAD RELIGION brachten nach diesem vermeintlichen Fehltritt eine EP mit dem verheißungsvollen Titel „Back To The Known“ heraus, um klarzustellen, dass sie wieder ganz die Alten waren – und änderten ihren Sound bis heute nicht mehr.