BEEHOOVER

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Unspektakulär und gleichzeitig spannend

Ein kauziger Bekannter meiner Eltern hatte mir vor Jahren einmal ein Tape aufgenommen, das mir viele spektakuläre Jazzbassisten vorstellen sollte. Dieses hat er plakativ „Ohne Bass kein’ Spaß“ betitelt und er amüsierte sich wesentlich intensiver über diesen Spruch, als ich es tat. Eben jenen Binnenreim, dessen Inhalt grob gesagt als Rechtfertigung für das eigentliche, als recht langweilig charakterisierte Rhythmusinstrument namens „Bass“ gelten mag, kann man auf eine kleine Band namens BEEHOOVER beziehen, müsste ihn allerdings vorher noch ein wenig umändern: „Ohne Bass gar keine Melodie“ beziehungsweise „keine Riffs“, „Songs“ oder gar „Band“. Denn ist die Bassgitarre in vielen Bands eher Beiwerk im Hintergrund, so erfüllt sie bei dem Duo aus Esslingen am Neckar einen weitaus wichtigeren Zweck. Denn Bassist und Sänger Ingmar Petersen spielt ihn als Lead- und Rhythmusinstrument. Und so nimmt der Bass durch Effekte und Verzerrer die Rolle und Charakteristika der Gitarre ein. Doch auch in Sachen Songwriting bieten Petersen und sein Kollege und Drummer Claus-Peter Hamisch auf ihrem dritten Album „Concrete Catalyst“ wieder einmal gewohnt Spektakuläres.

Dabei sind die beiden Musiker nicht wirklich erpicht darauf, großartig aufzufallen oder als mögliche Ausnahmeerscheinung in der Independent-Rock-Welt dargestellt zu werden. So erzählt Claus-Peter, dass es Ende 2001 das Ziel gewesen wäre, „eigentlich eine klassische Rock-Band“ zu gründen, „bei der allerdings Ingmars Bassspiel schon im Vordergrund stehen sollte“. Da die Suche nach einem Gitarristen nicht fruchtbar war, nahm man drei Jahre später ein erstes Demo auf, ohne Gitarre und noch ohne Ingmars Gesang. Denn damals hatte man noch einen zusätzlichen Frontmann. Aber das entsprach nicht der Vision der beiden Musiker, die im Alltag Ingenieurberufen nachgehen. Daher ist es eher als ein unbedeutender Zufall denn als schicksalsträchtige Fügung anzusehen, dass BEEHOOVER 2005 in ihrer charismatischen Zweier-Konstellation die EP „A Mirror Is A Window’s End“ auf Beardhead Records veröffentlichten. Genauso unspektakulär ist ihr Verhältnis zu VOODOOSHOCK, einer Doom-Band, bei der Petersen und Hamisch die Rhythmusabteilung gestellt haben – und die immer wieder als ihre Hauptband angesehen wurde, was an deren höheren Bekanntheitsgrad liegen mag. Denn auch wenn sie die Band verlassen haben, um sich voll auf BEEHOOVER konzentrieren zu können, gab es keinerlei böses Blut, keine Intrigen und keine musikalischen Differenzen. Viel eher kann man das Mitwirken bei VOODOOSHOCK „quasi als eine Art Ausflug von BEEHOOVER“ ansehen.

Auch auf die Frage, welchem Genre man sich denn zugehörig fühle, räumt der Schlagzeuger unverzüglich alle Irrtümer aus dem Weg. Denn die facettenreiche Musik, die man nicht nur auf „Concrete Catalyst“, sondern auch auf dem Vorgänger „Heavy Zooo“ (2008) sowie dem Debüt „The Sun Behind The Dustbin“ (2007, beide auf Exile On Mainstream) findet, wird in Rezensionen oft umschrieben mit schillernd und spektakulär klingenden Kategorisierungen wie Krautrock, Doom, Stoner, Psychedelic, Prog, Noise oder ähnlich Aufregendem. Doch das sei alles „Schall und Rauch“, so das Understatement des Drummers, spiele man doch ganz einfach nur „Rockmusik“.

Ebenso bunt wie die Genrevergleiche sind die Bands, die die beiden inspiriert haben: PRIMUS, NOMEANSNO, HELMET, RATM, CROWBAR, TOOL, DIO oder IRON MAIDEN. Dabei geht es ausschließlich um die Musik, da „Attitüde uns nicht wichtig ist“. Dementsprechend ungern hört es die Band, wenn zu viel Beachtung auf ihre instrumentale Konstellation beziehungsweise auf die Duo-Besetzung gerichtet wird. Das Einzige, was im Nachhinein, nach all dem Glamour und der Show, bleibt – und das zählt für jede Band –, sei letztendlich nur das Resultat. Und das Resultat kann nur „ein ,fesselndes‘ oder ein ,egales‘ Lied“ sein. Wobei bei BEEHOOVER die Tendenz deutlich in Richtung „fesselndes Lied“ geht.

Und diese Songs werden, hier darf man schon von Ironie sprechen, größtenteils auf der Akustikgitarre komponiert. Obwohl die Ironie nur bedingt gegeben ist, da es „nie eine bewusste Entscheidung gegen die Gitarre“ gegeben hätte. Das laute Instrument Gitarre, dem man eine spektakulär-phallische Ästhetik nachsagen mag, wird bei BEEHOOVER daher nicht gehasst, dämonisiert, stigmatisiert oder nur einfach nicht beherrscht: „Im Grunde spielen wir einfach nur die Instrumente, welche wir schon vorher spielten“, die da schlicht und einfach wären: Bass und Schlagzeug. Und diese werden von beiden Musikern im Sitzen gespielt, was bei einem Drummer natürlich nichts Besonderes ist. Doch sitzen beide bei einem Live-Auftritt auf Hockern. Findet das Publikum so etwas spannend anzuschauen? Oder ist das für den Bassisten Petersen nicht irgendwie seltsam? Hier gehe es ausschließlich um „praktische Gründe“, wie er sagt. „Wir benutzen keine programmierbaren Effekte. Die Schaltmuster müssen getreten werden und das sind manchmal bis zu vier gleichzeitig“ und „außerdem würde ich mir doof vorkommen, als Einziger zu stehen“.

Doof vorkommen? Vielleicht. Doof sind die Musiker allerdings nicht, denken sie sich doch spektakulär klingende Titel wie „Concrete Catalyst“ für ihre Alben aus. Der Titel ist nicht so einfach nachzuvollziehen und lässt auf einen recht eigenwilligen Ingenieurshumor schließen. Denn „Concrete“, also „Beton an sich ist ein starkes Symbol der Trägheit. Und diesen dann beschleunigen zu wollen – das erheitert uns.“ Inwiefern das lustig ist, erörtert der bärtige Bassist allerdings nicht weiter. Doch betrachtet man das künstlerisch anmutende Schwarz-weiß-Cover genauer, so entdeckt man etwas, das an eine gotische Kathedrale erinnert – und ebenso an einen Betonmischer. Petersen erklärt, dass es sich hier um „die fantastische Arbeit von Wim Delvoye“ handle, einem belgischen Konzeptkünstler, dessen Fotos auch das weitere Booklet ausschmücken und dessen Schaffen generell recht zwiespältige Reaktionen hervorruft. Bei Aktionen wie dem Tätowieren von Schweinen oder einer konzipierten Maschine namens „Cloaka“, die menschlich anmutende Exkremente produzieren kann (die schlussendlich auch gekauft werden können), ist es nicht verwunderlich, dass Delvoye aneckt. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen übt der Künstler, mit dem der Kontakt recht unspektakulär übers Internet zustande kam, eine Faszination auf die beiden Musiker aus. Denn auch wenn „seine Arbeiten kontrovers zu betrachten“ wären, so „schaffen sie einen interessanten Widerspruch und andersartige Sichtweisen“, ähnlich wie das Cover-Motiv es tut. Denn „sein Betonmischer hat durch die gotischen Elemente eher die Anmut einer ,Betonkanone‘“, was den Titel „Concrete Catalyst“ wohl erklären könnte.

Solch großen Motiven folgen große Worte, allerdings nicht von der Band selbst, sondern von Seiten des Labels. So steht im Infozettel zum neuen Album geschrieben, dass das Album „konzeptionell unglaublich durchdacht“ sei und dass sich die Scheibe als das präsentiere, „wofür man mal den Begriff Album erfunden“ habe. Diese bedeutungsschwangeren Worte revidiert der Musiker mit Hang zur nüchternen Erkenntnis schnell wieder. Konzeptionell sei höchstens, dass „die Songs sich aneinander fügen wie Kapitel eines Buches“. Denn „das Einzige, was bleibt“ ist nicht das Image, die Kostüme, das Posing oder die Show, sondern das, „was aus den Boxen kommt“ – eine angenehm unauffällige Weisheit einer angenehm unspektakulären Band mit erfrischend aufregenden Songs.