ESCAPADO

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Die, die es ansprechen

„Weil es so einfach ist“, heißt einer der neuen Songs auf ESCAPADOS drittem Album „Montgomery Mundtot“. Die letzten drei Jahre waren für die vier Norddeutschen um Gitarrist und Gründungsmitglied Sebastian jedoch nicht einfach. „Initiale“, das Album von 2007, kann man getrost als Erfolg betrachten, den Abgang von Sänger Helge und Bassist Gunnar jedoch als Enttäuschung. Gut, dass mit Felix als neuem Sänger, sowie Basser Johannes und Christoph am Schlagzeug eine weitere neue Episode der Bandgeschichte eingeläutet wurde. Hier ist wenig und doch alles beim Alten. „Montgomery Mundtot“ ist an wenigen Stellen eingängiger als seine Vorgänger. Ein Onkel von Grand Hotel van Cleef-Labelchef Thees Uhlmann beschreibt die Musik der Band aber immer noch als Abrissbirne, die in ein Planetarium kracht. Und dann waren da ja die Texte ...

Die einzige Konstante ist der Wechsel. Was ESCAPADO und vor allem die Gründungsmitglieder Sebastian und Schlagzeuger Christoph in den letzten drei Jahren mit ihrer Band durchgemacht haben, kann man getrost als Unruhe bezeichnen. Ihr zweites Album „Initiale“ wird nicht nur von Kritikern gut aufgenommen, die Band wird regelrecht zum Flaggschiff eines ganzen Genres erklärt. Dabei haben es die vier Norddeutschen niemandem wirklich leicht gemacht, sie irgendwo einzuordnen. Gut, es wurde – und wird immer noch – geschrien. Aber das Instrumentale hinter der Stimme des damaligen Sängers Helge hat es in der Art höchstens bei den guten Songs von AT THE DRIVE-IN gegeben. „Initiale“ war ein riesiger Schritt für die Band. Dabei sind sie schon damals ihrem Stil eigentlich treu geblieben.

„Wenn man mal die Spielzeiten der drei Alben miteinander vergleicht, haben wir uns immer zwischen einer halben Stunde und 40 Minuten bewegt. Schon die Songs auf ,Hinter den Spiegeln‘ waren irgendwie typisch für uns“, erklärt Gitarrist und Songschreiber Sebastian. Recht hat er, man kann ihm zustimmen. Das Debüt brachte ESCAPADO eine Menge Aufmerksamkeit in der Szene. Von welcher Szene wir reden? Ursprünglich war das wohl mal Screamo. Etabliert haben sich ESCAPADO aber schon seit langem. Mit dem Debüt jedenfalls kam auch schon der erste Besetzungswechsel. Bassist Lars verließ die Band und machte Platz für Gunnar, mit dem man die Aufnahmen zum Grand Hotel Van Cleef-Debüt „Initiale“ startete.

Es mag am Label gelegen haben, und daran, dass Thees Uhlmann ein totaler Fan der Band ist, dass „Initiale“ für ESCAPADO zum Durchbruch-Album wurde. Doch trotz der sich einstellenden Anerkennung und Wertschätzung von allen Seiten, verließ im letzen Jahr wiederum ein Bassist die Band. Nun mag man als Musiker darüber streiten, ob das in diesem Falle vielleicht nicht allzu gravierend war, doch zusätzlich ging auch noch der Sänger und damit die Stimme der Band von Bord. „In der Zeit zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr trifft man irgendwie die schwerwiegendsten Entscheidungen in seinem Leben. Man beendet sein Studium oder die Ausbildung und ist irgendwann für sich selbst verantwortlich. Jetzt muss man sehen, dass man über die Runden kommt und das erreicht, was man sich so vorgenommen hat. Wir können mit ESCAPADO nicht unseren Lebensunterhalt finanzieren und müssen abwägen, wie wichtig diese Band für uns ist. Dass in diesem Prozess jeder andere Prioritäten setzt, ist absolut verständlich“, erklärt Sebastian pragmatisch den Lauf der Dinge. Die Trennung verlief ohne Groll und in beiderseitigem Einverständnis. Sebastian jedoch hatte nach „Initiale“ das Gefühl, dass man sich musikalisch auf dem richtigen Weg befand, dass man gerade etwas begonnen hat, das noch für lange Zeit Spaß bringen sollte. „Natürlich wollen wir die ganze Sache nicht soweit ausschlachten, bis wir selber nicht mehr hinter der Band stehen. Aber im Moment habe ich ein gutes Gefühl.“

Und wo stehen wir nun im Jahr 2010? Mit Sänger Felix und Bassist Johannes ist die Band wieder komplett und hatte zum Zeitpunt des Interviews gerade die Aufnahmen zu ihrem dritten Album, „Montgomery Mundtot“, abgeschlossen. Zum ersten Mal hat die Band hierfür mit BLACKMAIL-Gitarrist Kurt Ebelhäuser zusammengearbeitet und ist bis in die Nähe von Koblenz gefahren, um aufzunehmen. In idyllischer Umgebung beantworteten Felix und Sebastian erste Fragen zum Album.

Eine aufregende Zeit liegt hinter euch. Wie fühlt es sich an, die Aufnahmen abgeschlossen zu haben.

Sebastian: Natürlich sind wir stolz auf das, was wir mit „Montgomery Mundtot“ gemacht haben. Da wir uns trotz der einschneidenden Wechsel natürlich weiterentwickelt haben, klingt das Album zwar wie ESCAPADO. Es gibt aber unheimlich viel Neues zu hören.

Felix, du warst ja eigentlich für die Stelle des Bassisten eingeplant. Wieso singst du jetzt doch?

Felix: Da sich die Sängersuche ein wenig kompliziert und aufreibend gestaltet hat, habe ich eines Tages einfach das Mikro genommen und es selber versucht. Dabei hatte ich jedoch niemals die Ambitionen, wirklich den Posten des Sängers zu übernehmen. Den anderen gefiel dann aber doch, was sie hörten, und so hat sich das dann entwickelt. Jetzt mussten wir nur noch einen neuen Bassisten suchen.

Was mir beim ersten Hören auffiel, ist der Sound von „Montgomery Mundtot“: Da ist viel Wucht und Druck, aber auch wieder dieses Soundfeld, wie auf „Initiale“.

Sebastian: Man kann schon sagen, dass man auf dem neuen Album eine homogene Entwicklung des Bandsounds hören kann. Der entscheidende Unterschied zu den alten Alben ist aber sicherlich der Gesang.

Dabei hört man aber trotz neuem Mann am Mikro, dass das hier unverkennbar ESCAPADO ist.

Felix: Da stimme ich dir auf jeden Fall zu. Wie Sebastian gerade schon sagte, klingt das Album so, als reihe es sich auf eine homogene Weise neben die anderen zwei Platten der Band ein. Dabei ist der Gesang dieses Mal doch – natürlich durch einen neuen Sänger – ganz anders als zuvor. Ohne dass dies jedoch erzwungen wurde. Es passte einfach besser, mal zu einer Passage zu singen, als zu schreien.

Teilt ihr euch wie bei Helge und dir, Sebastian, das Schreiben der Texte?

Sebastian: Bei ESCAPADO haben wir schon immer die Texte zusammen geschrieben. Wir haben da eigentlich immer zusammengearbeitet. Es gibt schon Songs, bei denen Felix den Text allein schrieb. Genauso wie es Songs auf der Platte gibt, wo ich allein für den Text verantwortlich zeichnen kann. Wir sprechen die Sachen aber immer zusammen durch, so dass wir alle wissen, was wer mit dem Text sagen will. Die Chemie stimmt jedoch bei uns, was das angeht. Wenn man was Gutes schreibt, findet der andere das meistens auch gut.

Was hat es sich mit „Montgomery Mundtot“ auf sich?

Felix: „Montgomery Mundtot“ ist das Sinnbild für das, was die Platte hauptsächlich behandelt. Hier geht es meistens um kommunikative Beziehungen, die häufig durch Schweigen oder Gestörtwerden gekennzeichnet sind. Man weiß Dinge, spricht sie aber nicht aus und verschlimmert sie dadurch nur.

Sebastian: Das können auch Dinge sein, die man gar nicht aussprechen muss, da man keine Chance hat, sie zu ändern. Zum einen ist da die zwischenmenschliche Ebene, auf die der Titel anspricht und was sich in den Texten auch immer mal widerspiegelt. Es geht um das Gefühl, dass es manchmal keinen Bedarf gibt, Dinge auszusprechen, die man eh nicht ändern kann. Es passieren Dinge, die werden von anderen wiederum auf Kosten anderer gemacht und man kann nur machtlos zuschauen.

Felix: Das Interessante ist ja, dass sich so was durch das ganze Leben zieht: von der Beziehung zwischen zwei Menschen bis hoch zu irgendwelchen Regierungen. Das Phänomen ist überall da, aber niemand redet darüber.

Sebastian: Es wird schon viel geredet, aber meistens nur Blödsinn. Wenn man darüber nachdenkt, ist das Ganze sehr makaber. Wir wollen jetzt aber auch nicht sagen, dass die Leute sich mehr unterhalten sollen. Zumindest verbinde ich das nicht mit dem Titel.

Felix: Jeder soll selber seine Schlüsse daraus ziehen, wie er mit diesem Phänomen umgeht.

Sebastian: Wir arbeiten bei den Texten ja auch eher mit Bildern, ohne dass wir allzu konkret werden wollen. Es soll zwar eine Perspektive angedeutet werden, denken müssen die Leute aber schon noch allein. Wir beschreiben Bilder, die sagen, wie wir Dinge sehen. Jedoch ohne dabei zu sagen: „Hey Leute, guckt mal, wie es ist. Jetzt macht mal ein bisschen Lärm hier.“ Das ist gar nicht der Anspruch. Ich habe bei vielen Sachen, über die ich nachdenke, das Gefühl, dass sie nicht gut laufen. Aber dann kommt dann auch wieder der Gedanke, dass man machtlos ist. Man kann sein eigenes Leben so ausrichten, dass man ehrlich gegenüber sich selbst ist. Eine Riesendimension in die ganze Sache zu bringen, ist aber sehr schwierig.

Meinst du zum Beispiel Themen wie vegetarische Ernährung oder Veganismus? Schließlich trifft man hier eine Entscheidung für sich selbst, ohne damit eine ganze Industrie ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen.

Felix: So kann man das auch sehen. Es gibt Leute, die es für sich selber schaffen, zu sagen, dass sie etwas nicht wollen, und dann auch nicht tun. Dann gibt es aber wiederum auch Leute, die zum Beispiel trotzdem zu McDonald’s laufen, weil es da jetzt den billigen „Veggieburger“ gibt.

Sebastian: In unserem Alter, Mitte 20, sind wir über diese Stufen schon hinweg. Über vegetarische Ernährung hat man sich mit 17 Gedanken gemacht, als man damit richtig konfrontiert wurde. Fast zehn Jahre später habe ich die kommenden Stadien schon durchgemacht und resigniere, wenn ich meine eigene Position betrachte: Man steht für etwas und weiß, dass man den „Mensch an sich“ dann doch nicht ändern kann. Man kann kleine Dinge bewirken – und das sollte man auch. Den Wahnsinn, der überall in der Welt passiert, wird man jedoch nicht verändern können. Dafür greifen da zu viele kleine Dinge ineinander. Dazu ist das alles zu komplex.

„Montgomery Mundtot“ klingt anders und doch typisch nach ESCAPADO. Nachdem man es im Ganzen gehört hat, fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit von „Initiale“ und hat doch ein wenig Gedankenarbeit zu leisten. Wie viel Gesang kann diese Band vertragen? Kann man bei ESCAPADO überhaupt stellenweise von Pop sprechen? Die treffendste Antwort liefert wohl die Betrachtung der Texaner AT THE DRIVE-IN. Deren Songs haben es geschafft, eigentlich total verkopft und wütend zu sein, dabei blieben sie aber immer im Ohr, da Cedric Bixler-Zavala wie kein Zweiter gesungen hat. Es ist dieses Flair des Unvergleichbaren, das beide Bands miteinander verbindet. Genauso weiß man, dass sowohl bei den vier Norddeutschen als auch bei ATD-I die Texte vor Aussagekraft nur so strotzen. Die Inhalte der Texte sind wie Sprengstoff, verpackt in unglaublich intensive Songs. Wenn Sänger Felix nun manchmal auf die TURBOSTAAT-Art zu singen beginnt, klingt das immer noch verdammt glaubhaft. Es ist das Geschrei, dass „Montgomery Mundtot“ so dramatisch macht. Es ist aber auch der Gesang, der dem Zuhörer den Einstieg in die Platte ein wenig erleichtert.

Sebastian: Wenn man jung ist, klingt man immer kompromisslos. Es war noch nicht mal so, dass wir uns vor die Wahl gestellt und gesagt haben: Mit der neuen Platte machen wir irgendwas Neues und anderes. Es hat sich einfach so entwickelt, dass die Songs jetzt so klingen, wie sie klingen. Es musste so sein, ohne dass es wirklich bis ins kleinste Detail geplant war.

Ihr habt jetzt eure ersten Shows in der neuen Besetzung und mit neuen Songs gespielt. Was ging da in euch vor?

Felix: Für mich als Neuen war es ja vielleicht noch ein bisschen aufregender als für Sebastian und Christoph. Während der Shows gehe ich total in der Musik auf. Natürlich nehme ich wahr, ob das Publikum die Songs kritisch aufnimmt, oder ob die Leute total ausrasten. Ich will mich davon aber nicht allzu sehr beeinflussen lassen. Mir macht die Sache einfach total Spaß und ich genieße es unheimlich. Die Reaktionen nach den ersten Shows waren aber auch glücklicherweise positiv. Sowohl was die Songs betrifft als auch was den neuen Sänger betrifft. Das hat mich natürlich gefreut.

Sebastian: Es ist immer wieder interessant, wenn die Leute vor oder auch nach den Shows zu uns kommen und sich über die Musik äußern. Darauf, wie die neuen Songs ankommen werden, bin ich auf jeden Fall gespannt. Die ersten Reaktionen waren, wie Felix schon sagte, auf jeden Fall schon mal positiv.

Kommen wir noch mal auf Grand Hotel van Cleef zu sprechen. Ihr seid mit PROPAGANDHI die Exoten auf dem Indielabel. Welche Bedeutung hat GHvC für euch und vielleicht auch für die Szene?

Sebastian: Dadurch, dass Grand Hotel van Cleef, wie du schon sagst, eher ein Label ist, auf dem sich Indiebands tummeln, ergeben sich auch für Bands wie ESCAPADO neue Möglichkeiten. Wir können sprichwörtlich über den „Szene-Tellerand“ hinausblicken und sicherlich mehr Leute mit unserer Musik erreichen. Vielleicht ist es ja sogar so, dass irgendwer über ESCAPADO mehr Interesse an dieser Musik gewinnt. Es gibt schließlich genug gute Bands, die es in unserem Umfeld zu entdecken gibt, etwa CAPTAIN PLANET oder MATULA, von TURBOSTAAT ganz zu schweigen.

Welche Entwicklung soll ESCAPADO in der Zukunft noch durchmachen?

Sebastian: Ich habe zur Zeit das Gefühl, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, und ich merke, dass ich mit der Entwicklung der Band bis hierhin – von ein paar Ausnahmen mal abgesehen – zufrieden bin. Es fühlt sich gut an, die Songs zu spielen. Sobald sich daran etwas ändern wird, muss man überlegen, wie die ganze Sache weitergehen soll. Doch das liegt hoffentlich erst mal in weiter Ferne. Zunächst bin ich gespannt darauf, wie die Platte ankommt, und freue mich auf die kommenden Konzerte.