RAWSIDE

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Klartext

Seit dem 17. September ist das vierte Studioalbum „Widerstand“ der seit 1993 aktiven Coburger Hardcore-Institution RAWSIDE um Sänger Henne im Handel erhältlich. Nach sechs Jahren gibt es erstmals wieder neues Material, das nun vom Label Aggressive Punk Produktionen veröffentlicht wurde. Live sind RAWSIDE eine Wucht, die ihresgleichen sucht, und die unmissverständlichen deutschen und englischen Texte sind neben dem pumpenden Hardcore-Sound Markenzeichen dieser politischen Band. Mich umschleicht ein seltsames Gefühl, als ob wir mit RAWSIDE eine der letzten Bands haben, die kompromisslos Stellung bezieht. Sänger Henne und Gitarrist Martin sprachen Klartext, um ein für alle mal in der Gerüchteküche aufzuräumen.

Wie selbstverständlich war es 1993, dass RAWSIDE eine politische Band werden würde, und inwiefern war 2002 klar, dass die Wiedervereinigung daran anknüpfen sollte?

Es war uns immer wichtig, unsere Meinung kundzutun. Alle Urmitglieder kamen aus der politischen Punk- und Hardcore-Szene und somit wurden eben Themen, die uns persönlich betroffen haben, als Songinhalte gewählt, wie Bullenterror, Unterdrückung, Ausbeutung, generell Ungerechtigkeit. Da RAWSIDE 2002 aus denselben Mitgliedern bestand wie zum Zeitpunkt der Auflösung, stand eine textliche Neuorientierung überhaupt nicht zur Debatte. Da sich die politische Situation um uns herum ja nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat, gab und gibt es weiterhin genug Zündstoff für Texte. Dies sehen auch die „neuen“ RAWSIDE-Mitglieder so.

Musikalisch und thematisch scheint bei „Widerstand“ alles wie gehabt. Was davon ist Konzept und was echte Überzeugung?

Musikalisch gibt es genug neue Einflüsse, was ja auch logisch ist bei neuen Mitgliedern, wenn diese nicht nur Statistenrollen spielen. Ich denke, das ist auch unüberhörbar. Sowohl musikalisch als auch textlich kommt bei uns aber immer noch vieles direkt aus dem Bauch. Auch wenn sich am Ende alles zu einem Gesamtbild formt, kann von Konzept nicht die Rede sein, da es keinen Masterplan gibt. Natürlich entspricht das unserer Überzeugung und unseren Erfahrungen, die wir tagtäglich in diesem Land machen. Von Anfang an gab es Kritiker, die uns vorwarfen, unsere Texte seien plakativ. Aber das ist ja das Schöne an dieser Szene: Jede/r kann seine eigene Band gründen und uns zeigen, wie viel besser er oder sie es kann.

Ihr seid auf einem neuen Label, warum? Eigentlich habt ihr doch in der Vergangenheit mehr negative als positive Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht, warum also nicht gleich alles selbst machen? Und warum glaubst du, dass die meisten Bands immer noch einen Plattendeal anstreben?

Selbst machen bedeutet verdammt viel Arbeit und Stress neben dem eigentlichen Musikmachen, was oft dazu führt, dass die Band zu einem Businessunternehmen verkommt und man sich gar nicht mehr aufs Wesentliche konzentrieren kann. Zur Zusammenarbeit mit Aggressive Punk Produktionen kam es, da wir Matze schon länger kennen und er uns mit Begeisterung und ehrlichem Interesse an unserem neuem Album begegnete. Es gab auch Anfragen von Labels, bei denen ganz klar herauszulesen war, dass es ihnen eigentlich scheißegal ist, was wir da fabriziert haben, und sie sich nur unseren Namen in ihrem Katalog sichern wollten. Anscheinend müssen RAWSIDE immer noch einen gewissen Stellenwert in der Szene haben. Wir wollen und können die Beweggründe anderer Bands nicht beurteilen, dennoch wird es vielen Bands ähnlich ergehen wie uns: professionelle Labelarbeit, welche die Kreativität einer Band nicht einschränkt, findet man äußerst selten. Für viele junge Bands scheint „der Plattendeal“ immer noch dafür zu stehen, man habe es nun „geschafft“. Es ist nicht abzustreiten, dass ein Label einer Band viel helfen kann, gerade was Werbung und Vertrieb betrifft. Leider gibt es aber viel mehr Schwätzer und Betrüger als wirklich gute Partner.

Welche wichtigen Dinge sind seit der letzten Platte in den vergangenen Jahren bei RAWSIDE kurz zusammengefasst passiert?

Ehrl kam, Ehrl ging, Martin und Eppler kamen. Das hatte für uns den Vorteil, wieder mehr Platz für Leadgitarren und musikalische Feinheiten zu haben, andererseits aber auch den „Brett-Faktor“ zu erhöhen. Außerdem bringen zwei Gitarristen natürlich doppelt so viele Ideen und subjektive Einflüsse mit.

Stichwort Widerstand: Wie hast du dich mit Deutschland arrangiert, wo zeigst du – noch – Widerstand, was machst du konkret anders und in welcher Rolle siehst du dich in dieser Gesellschaft, in diesem Land?

Dieses Land widert mich Tag für Tag an. Die Gleichgültigkeit, mit der hier Menschen behandelt werden, bestürzt mich immer wieder aufs Neue. Im Umgang mit Ämtern, Polizei und Justiz habe ich oft das Gefühl, diesen Leuten ins Gesicht spucken zu müssen. Widerstand bedeutet für mich unter anderem, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, welcher Freiheiten und Rechte man in diesem Land tagtäglich beraubt wird. Trotz allem ist für mich eine Flucht oder Emigration keine Lösung, da ich mich Problemen lieber stelle, als vor ihnen davon zu laufen. Ich fände es albern, hier jetzt konkret aufzuzählen, wo und was ich „dagegen“ tue, um jemandem zu beweisen, was ich doch für ein toller Revoluzzer bin. Viel wichtiger ist es, die geistige Überzeugung unmissverständlich an den Tag zu legen, dass hier eben nicht alles gut ist, wie es ist und sich nicht in die überall immer stärker werdende Deutschtümelei einzureihen.

RAWSIDE wird in der deutschen Punk/Hardcore-Szene als linksextreme Band gesehen. Welche politische Entwicklung machte über all die Jahre RAWSIDE durch, wenn man immer wieder mit anderen Musikern spielt, die ja auch eine eigene Meinung besitzen?

Die Überzeugungen aller Mitglieder, die über die Jahre bei RAWSIDE gespielt haben und spielen, wichen nie von dem ab, wie RAWSIDE in der „Szene“ wahrgenommen wurde und wird. Antifaschismus, -rassismus, -kapitalismus, -homophobie und so weiter sind für uns definitiv mehr als leere Worthülsen, sondern für jeden Einzelnen von uns von grundsätzlicher Bedeutung. Eine Veränderung der politischen Ausrichtung der Band würde erst zur Diskussion stehen, wenn es auch eine politische Veränderung in diesem Land gäbe. Natürlich wird innerhalb der Band viel diskutiert, aber in den Grundzügen sind wir uns einig. Da hat sich auch mit neuen Mitgliedern nichts verändert. Gerade deshalb hat es manchmal auch so lange gedauert, passende neue Mitglieder zu finden. Gitarristen, die theoretisch unseren Sound spielen könnten, gibt es an jeder Ecke. Aber es geht eben um mehr ...

Was bedeutet für dich „Grauzone“?

Das eigentlich Schlimme ist ja, dass sich in der so genannten Grauzone Bands und Personen bewegen, die eben nicht irgendwo dazwischen stehen, wie der Begriff suggeriert, sondern die ganz klar rechts sind und versuchen, auch im linken Spektrum Einfluss nehmen zu können, egal, ob aus finanzieller oder politischer Motivation. Dass dabei auch Bands und Personen mit reingezogen werden, die es eigentlich nicht verdient haben, ist aber leider auch Fakt. Grundsätzlich ist deshalb wichtig, sich in jedem Fall eine eigene Meinung zu bilden und sich mit der Materie auseinanderzusetzen und nicht, wie leider auch gang und gäbe, vorgefasste Meinungen oder Attitüden von Presse und Medien unreflektiert zu übernehmen. Zusammengefasst: Grauzone – Fuck off! Trotzdem sollte man nicht jeden Internetblog blind nachbeten ...

Mag ja sein, dass manche in die Schusslinie geratene Band an sich korrekt ist, allerdings bedienen sie ein Publikum, mit dem ich nichts zu tun haben will. Und wenn dann fernab von Parolen und Sprüchen ein konkretes Abgrenzen fehlt, ist bei mir sowieso jegliche Sympathie verspielt. Martin spielt auch Gitarre bei der Pagan-Metal-Band VARG, die derzeit im Internet heiß diskutiert wird. Von der Thematik kann man halten, was man will, allerdings kann man nur schwer leugnen, dass Black und Pagan Metal ein Sammelbecken für rechte Spinner geworden ist, die dem Ganzen eine ideologische, politische oder religiöse Bedeutung geben. Was ist da wirklich dran, wie denken du und Martin darüber und wie geht ihr mit dieser Kritik um, die ja auch vehement von der Antifa kommt?

Grundsätzlich darf man hier nicht alles in eine Schublade werfen. Der extreme Metal-Bereich ist am Ende wahrscheinlich genauso vielschichtig wie die Punk-Szene, sowohl musikalisch als auch ideologisch. Zweifelsohne ist die Grauzone im Metal viel ausgeprägter als im Punk und Hardcore. Martin spielt seit einem Jahr bei VARG. Diese sind jedoch dieser Grauzone längst entflohen, indem sie durch klare Statements den Rechten den Krieg erklärt haben. Genau aus diesem Grunde gibt es hierbei auch so ein starkes Echo, vor allem im Internet. Es gilt zu bedenken, dass mindestens 90% der Kritik eindeutig nicht von Seiten der Antifa oder generell der linken Szene kommt, von dieser aber erschreckend ungeprüft und unkommentiert übernommen wurde. Gerade die Distanzierung der Band von jeglichem rechten Einfluss hat dazu geführt, dass die rechte Szene immer wieder versucht, Stimmung gegen VARG zu machen, mit den sich stets wiederholenden Unterstellungen angeblicher rechter Tendenzen. Natürlich hab ich mir selbst ein Bild gemacht, habe in persönlichen Gesprächen Sänger Phillip mit den Vorwürfen konfrontiert. Dabei hat er jederzeit klar Stellung bezogen und mir sehr glaubhaft erläutert, worauf die Anschuldigungen beruhen. Als Beispiel für die aktive Auseinandersetzung Phillips mit dem Problem ist die Tatsache zu nennen, dass er als Veranstalter beim Wolfszeit-Festival, einem Pagan und Black Metal Open Air, das auch schon im Kreuzfeuer stand, in diesem Jahr die „Good Night White Pride“-Security einsetzt, um keinerlei rechte Unterwanderungen zu dulden. Dies wird dort ohne jegliches Wenn und Aber umgesetzt werden. Auch auf Konzerten und diversen Homepages stellen VARG immer wieder ihre Position dar und die lautet unmissverständlich: Nazis fuck off!

Martin: Ich bin seit über 20 Jahren in der Hardcore/Punk-Szene aktiv, und finde es erschreckend, wie schnell an der Glaubhaftigkeit der Einstellung einer Einzelperson respektive einer ganzen Band gerüttelt wird. Ich habe mich mit VARG und den Mitgliedern vor und seit meinem Einstieg ausgiebig auseinandergesetzt und habe jedes Bandmitglied auf Herz und Nieren geprüft, auch wenn sich die Vorwürfe vornehmlich gegen Phillip richten. Und damit meine ich keine oberflächlichen Gespräche. Ich habe Tage und Nächte mit ihnen in Tourbussen verbracht. Selbst wenn das alles bloß Fassade gewesen wäre, spätestens im betrunkenen Zustand hätten ja irgendwann die angeblichen Masken fallen müssen. Ich kann mit aller Klarheit sagen: es gibt keinerlei rechte Tendenzen oder Annäherungspunkte. Es gibt definitiv genug schwarze Schafe im Metal, warum man sich mit derartiger Intensität aber VARG als Bauernopfer ausgesucht hat, ist mir ein Rätsel. Genauso, warum sich die Antifa und die linke Szene so vor den Karren spannen lässt, jedem Drecksgerücht aus dem Internet blind Glauben zu schenken, obwohl die Quellen so leicht zu durchschauen sind, wohingegen jede von Phillips Beteuerungen generell als oberflächliche Ausreden gewertet werden. Man kann die Musik scheiße, Auseinandersetzung mit nordischer Mythologie albern und die Texte gewaltverherrlichend finden, aber bitte wo sind die rechten Tendenzen? Phillip war ein kleiner dummer Metaller, der unkritisch ein T-Shirt von der deutschen Nazi-Metal-Band ABSURD trug und ein paar falsche Bekannte hatte – er war aber nie ein Nazi, er ist auch kein Aussteiger, hier geht es nicht um so etwas wie im Falle Bernd „Pernod“ Peruch. Es gibt genug Bands aus dem Black-Metal- und Pagan-Bereich, die es definitiv wert sind, genauer beobachtet und geprüft zu werden, die Weltmeister sind im Scheiße labern und die sich bei öffentlichen Vorwürfen mal eben schnell mit einem „Och nee, wir sind doch gar keine Nazis“ aus der Affäre ziehen. Nichts davon trifft auf VARG zu: Jeder kann die Statements zu diesem Thema im Internet nachlesen, die eben nicht aus inhaltslosen Ausredefloskeln bestehen. Deshalb finde ich es wirklich bedenklich, wie wenig Phillip die Chance gegeben wird, sich zu beweisen, wie sehr immer wieder und wieder ein kleiner Teil Wahrheit mit einem riesigen Berg Lügen vermischt und aufgewärmt wird. Fakt ist, dass im Metal eindeutig tausendmal mehr Aufklärungsarbeit nötig ist. Es ist eben nicht das übliche „preaching to the converted“, wie man dies in der Punkwelt findet, also dass Leute Texte vortragen, die meine Meinung teilen. Und gerade weil VARG so ein junges Publikum anspricht, kann ich tausendmal mehr „Einfluss“ nehmen und Aufklärung leisten. Wie soll man zum Beispiel verstehen, was an Thor Steinar scheiße ist, wenn man aus einer unpolitischen Welt kommt und voll auf das in der Öffentlichkeit unpolitische Marketingkonzept dieser Scheißmarke reinfällt? Wenn man die versteckte Symbolik nicht zu deuten weiß und nur mitbekommt, dass da jemand auf einen zukommt und sagt: „Zieh das aus oder ich hau dir auf die Fresse“? Klar ist, ich habe und werde mit meiner Meinung und politischen Einstellung nie hinterm Berg halten. Ich werde jeden treudoofen Metaller immer wieder damit konfrontieren, dass Musik niemals unpolitisch sein sollte und dass es einen schmalen Grat zwischen Auseinandersetzung mit nordischer Mythologie und dümmlichem Blut-und-Boden-Geschwätz gibt. Ich wandle nicht zwischen zwei Welten, meine Meinung ist in beiden Bands dieselbe. Glaubt tatsächlich jemand, ich würde diese über Bord werfen, nur um auf meine alten Tage in Wacken spielen zu können?

Was tut sich sonst so im bayerischen Hinterland gegen die Christlich-Konservativen und weiter rechts davon? Verfolgt ihr noch, was sich in Wunsiedel so tut, dem fränkischen Örtchen, in dem die Neonazis so gerne Rudolf Heß huldigen?

Natürlich verfolgen wir das Geschehen in Wunsiedel, wir wohnen alle keine 100 Kilometer davon entfernt. Grundsätzlich hat sich hier in den letzten zehn Jahren wenig verändert. Punks gehören wie überall auch hier zum Stadtbild. Franken ist trotzdem mit dem Rest Bayerns nicht vergleichbar, da wir schon immer eine gewisse Autonomie anstrebten. Es gibt vielerlei positive Ansätze zu beobachten, wie kleine aktive Gruppen, die gegen den Coburger Convent, einem Zusammenschluss von Studentenverbindungen, arbeiten oder generell antirassistische Aufklärungsarbeit leisten. Leider ist aber auch zu erkennen, dass bei vielen Jüngeren jegliches Interesse an politischen Themen und klaren Meinungsäußerungen sinkt. Dagegen werden die MySpace-Freundesliste, die virtuelle Welt an sich, sowie das Konsumdenken und -verhalten immer wichtiger. Sich eigentlich nahe stehende subkulturelle Gruppen, die an sich gemeinsame Ziele verfolgen sollten, bekriegen sich lieber gegenseitig. Es gibt kaum etwas in diesem Land, mit dem ich mich einverstanden erklären würde, geschweige denn, was mich zufrieden stimmt. Unite and fight!