ARTICLES OF FAITH

Foto

Helden des Alltags

Es gibt Bands, die gehören zu deinen ewigen Favoriten, bei deren Namen zucken viele aber nur mit den Schultern, was heißen soll: „Nie gehört.“ Jenen Menschen, die beispielsweise Platten von allen Bands auf der „American Hardcore“-Compilation im Schrank stehen haben, wird die Erwähnung des Namens der 1981 in Chicago gegründeten Band aber ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Vic Bondi heißt der Frontmann und Gitarrist der Formation, die nur bis 1985 existierte und die Szenekollegen von NEGATIVE APPROACH, EFFIGIES, BIG BLACK, NAKED RAYGUN und Co. waren und eine überschaubare Diskografie vorweisen: „What We Want Is Free“ (EP, 1982, Version Sound/Wasteland), „Wait“ (EP, 1983, Wasteland), „Give Thanks“ (LP, 1984, Reflex; produziert von Bob Mould) und „In This Life“ (LP, 1987, Lone Wolf, produziert von Bob Mould). 1992 gab es eine Reunion sowie Neuauflagen der Platten auf Bitzcore Records aus Hamburg, man spielte eine Europatour, um danach wieder in der Versenkung zu verschwinden – zumindest als Band.

Vic Bondi nämlich blieb aktiv, mit JONES VERY (bis 1992) und ALLOY (ab 1992), die „Emocore“ (sorry ...) im Dischord-Style spielten, wie auch solo, und nach zehn Jahren Erwerbsleben bei Microsoft tauchte Bondi, der auch in der Doku „American Hardcore“ zu Wort kommt, dann 2005 wieder mit REPORT SUSPICIOUS ACTIVITY auf, bei denen er wie in besten ARTICLES OF FAITH-Zeiten seine Wut auf die Welt und die politischen und ökonomischen Verhältnisse herausbrüllte. RSA sind allerdings auch schon seit 2007 Geschichte, wurden aber 2010 durch eine Neuauflage von ARTICLES OF FAITH abgelöst, die im Herbst sogar einer 5-Song-12“ auf Alternative Tentacles veröffentlichten und als Krönung des Ganzen zwei Auftritte beim Riot Fest in Chicago zu spielen. Sonst bin ich überhaupt kein „Band-Nerd“, der irgendwelchen Lieblingsbands hinterherfliegt, doch es gibt Ausnahmen, und so saß ich vor dem Auftritt im Metro in Chicago, direkt gegenüber dem legendären Wrigley Field-Stadion, einem nervösen Vic Bondi im Backstagebereich gegenüber. Nur so viel: Das 40-minütige Konzert war grandios, nur übertroffen vom anderthalbstündigen Set am Abend darauf, in dem alle Songs gespielt wurden, inklusive jenem, der mir anno 1992 Tränen der Begeisterung in die Augen getrieben hatte: „Remain in memory“. AOF waren und sind Dave Shield (bass, voc), Bill Richman aka Virus X (drums), Dorian Tajbakhsh (git), Vic Bondi (voc, git) und Joe Scuderi (git).

Vic, wie fühlt man sich vor einem solchen Auftritt, vor vielen alten Freunden, das erste Konzert seit 25 Jahren in eurer Heimatstadt?

Wir sind wie Antiquitäten: Es quietscht und ächzt und kracht an allen Ecken und Enden, wenn wir uns bewegen, und meist ist das zu ertragen, denn wir sind aus gutem Material. Aber es ist nicht zu verleugnen, wir sind alt geworden.

Das heißt, auf der Bühne zu stehen verursacht körperliche Schmerzen?

Oh ja: Bill ist verletzt, Dave hat sich bei der Arbeit den Rücken verzogen, und als wir die ersten Proben hatten dieses Jahr, merkte ich auch, dass ich mit meinen 50 Jahren nicht fit bin und unterzog mich erst mal einem Fitnessprogramm, um wieder in Form zu kommen. Denn es war klar: für dieses beiden Konzerte muss ich in Form sein! Abgesehen davon klangen wir sowohl beim Proben wie eben beim Soundcheck richtig gut, und jetzt sind wir richtig aufgeregt vor dem Auftritt.

Wie kam es zu eurer Reunion?

Eine „richtige“ Reunion ist es ja nicht. Wir haben im Sommer die Songs für die Platte aufgenommen, wir spielen jetzt in Chicago, und weitere Pläne haben wir nicht. Und schon die Platte und die beiden Konzerte waren von uns nur schwer umzusetzen. Wir leben über die USA verstreut, Joe in San Francisco, ich in Seattle, und die anderen drei in Chicago. Wir haben Familien und Jobs, wir haben Kredite abzuzahlen, das macht es sehr schwer, bei der Arbeit freizunehmen, um so was wie eine Band zu betreiben. Im Vorfeld dieses Konzertes haben wir eine Woche lang geprobt, mussten dafür Urlaub nehmen, das ist teuer. Immerhin gibt uns das Riot Fest die Möglichkeit dazu, denn mit der Gage können wir einen Teil der Kosten decken. Vor allem aber macht die ganze Aktion Spaß. Wir kennen uns alle seit 30 Jahren, sind immer noch gute Freunde, und so war es bei allen Schwierigkeiten doch recht einfach, zu sagen: „Let’s do it again!“. Und es machte auch Spaß, die neue Platte zu machen.

War es denn schwer, sich wieder „in Stimmung“ zu bringen? Schließlich ist es 18 Jahre her, seit ihr zusammen Musik gemacht habt. Und die letzten Tage habe ich auch ein paar alte Bands erlebt, die eher wie Coverbands klangen.

Nein, mir, uns fiel es nicht schwer, wieder reinzukommen, auch was den politischen Anspruch der Texte betrifft. Wir teilen immer noch die gleichen Meinungen in politischer Hinsicht. Wir waren damals wütend auf die Welt, weil wir jung waren, weil die Welt ungerecht war. Und heute? Da verspüren wir aus den gleichen Gründen immer noch die gleiche Wut, und so fällt es uns nicht schwer, uns heute auf die Bühne zu stellen und das zu sagen. Joe und ich haben uns die letzten Tage ein Zimmer geteilt, und er hat oft Nachrichten und politischeTalkshows geschaut, was ich sonst nie mache. Und bei der Gelegenheit haben wir gemerkt, dass uns immer noch die gleichen Sachen wütend machen: Die Eliten der Welt haben beschlossen, dass das brasilianische Modell für alle Staaten der Welt Vorbild sein soll.

Das bedeutet?

Eine große Kluft zwischen Armen und Reichen, und eine große Konzentration von Reichtum in den Händen weniger. In diesem Modell wird die Mittelklasse nicht mehr benötigt, und diese Entwicklung kann man in den USA schon jetzt klar erkennen, und sie wird auch euch in Europa bald erreichen. Warum? Weil die Wirtschaft die Konsumenten der Mittelklasse im Westen nicht mehr braucht, seit sich eine solche, zahlenmäßig sehr starke, in China und Indien entwickelt: die kaufen jetzt die Waschmaschinen und Fernseher. Das Ganze ist ein großes gesellschaftliches Experiment: Wie viel Armut verträgt eine Gesellschaft, bevor sie instabil wird? 10%? 20%, 30%? In Mexiko oder Brasilien schaffen sie es schon, mit 25% der Bevölkerung in völliger Armut sowie einer kleinen Mittelschicht und ein paar extrem Reichen an der Spitze der Pyramide klarzukommen. Und der politische Streit in den USA zwischen Republikanern und Demokraten dreht sich um genau die Frage: Welcher Prozentsatz an Armen ist noch zu verkraften? Fuck ’em for that!

Wie trifft solch eine Entwicklung Menschen wie dich und mich?

Wir befinden uns jetzt schon in der Defensive, jeder von uns spielt ein bisschen Klassenkampf. Und sie sind hinter uns her, wirklich! In den USA warten die Republikaner doch nur darauf, das System der Sozialversicherung früher oder später abzuschaffen. Die sind wild dazu entschlossen.

Die Bank- und Immobilienkrise in den USA hat in den letzten zwei, drei Jahren zur Verarmung des Mittelstandes massiv beigetragen.

Oh ja! Ich und meine Frau haben unser Haus am Höhepunkt des Immobilienbooms gekauft, und was soll ich sagen, es ist ein komplettes Desaster. Unser Haus hat seitdem 20, 30% seines Wertes eingebüßt, was sich auf den Hypothekenkredit auswirkt. Hinter Leuten wie uns sind die Banken jetzt her, wir müssen für deren Fehlverhalten büßen. Wir haben lange versucht, einen neuen Kredit zu bekommen, und obwohl wir uns das alles leisten können, haben sie uns einen neuen Vertrag verweigert, weil wir für den alten Vertrag ja so viel mehr bezahlen. Diese Banktypen, das waren und sind Motherfuckers. Und das macht es mir leicht, bei ARTICLES OF FAITH dazu Texte herauszuschreien – die Wut ist die gleiche wie damals bei Ronald Reagan. Klar, Obama ist ein ganz anders als Reagan, aber die Machtstrukturen sind immer noch vorhanden, und es tobt ein unbarmherziger Klassenkampf.

Siehst du die Chance für irgendeine Art von Besserung der Lage?

Ich denke, dass in Europa durchaus die Chance besteht für eine progressive Übereinkunft zur Lösung dieser Probleme. Da sind die Erinnerungen noch wach an Faschismus und Klassenkampf, und entsprechend ist es für die Eliten schwieriger, dieses „Brasilianische Modell“ umzusetzen als in den USA oder China.

Welche Beobachtungen hast du in deinem Job bei Microsoft gemacht?

Aus meinem Job der letzten 15 Jahre nehme ich die Erkenntnis mit, dass nicht jede Entwicklung der jüngeren Vergangenheit negativ ist. Wir nähern uns dem Ende des Ölzeitalters, es wird große Umwälzungen geben, und die Computerindustrie hat sich zu einer progressiven Kraft in der Entwicklung der Menschheit entwickelt, wobei natürlich auch die Chance besteht, dass sich das alles in eine ganz negative Richtung entwickelt. Dennoch denke ich, dass die Computertechnik sich in vielerlei Hinsicht zu einer revolutionären gesellschaftlichen Kraft entwickelt hat. Die Menschen sind heute über das Internet sehr stark vernetzt und bekommen viel stärker mit, was überhaupt abgeht, so dass es den Eliten immer schwerer fällt, ihre Absichten zu verschleiern, denn es ist leichter geworden, sie zu enttarnen. Auf solche Entwicklungen muss man hinweisen, nur tun das nicht viele Bands, und das ist für mich ein guter Grund, das mit ARTICLES OF FAITH 2010 noch mal zu versuchen.

Was halten denn deine Kollegen von diesem Typen, der sich in seiner Band mit wütenden Texten heiser brüllt?

Ein paar meiner Kollegen sind heute Abend hier, wobei ich meine politischen Ansichten bei der Arbeit nicht diskutiere. Das ist einfach nicht angebracht. Ich versuche allerdings, meine Ansichten und Überzeugungen in meine Arbeit einfließen zu lassen. Ich glaube, ein paar meiner Kollegen finden aber ganz cool, was ich da mache, zumindest habe ich ein paar Mails dieses Inhalts bekommen. Geschadet hat es mir also bislang nicht, was sicher auch daran liegt, dass ich bei Microsoft keine Position mit Außenwirkung habe, so dass sich die Firma da nicht weiter dafür interessiert.

Lass uns mal die Geschichte von ARTICLES OF FAITH aufdröseln. Für eure Fans in den USA war 1985 Schluss.

Ja, aber in Europa waren wir 1992 noch einmal auf Tour. Da spielten wir wirklich nur bei euch und kein einziges Konzert in den USA. Das war für Bill und Dorian übrigens ihr bisher einziger Besuch in Europa. Es war klar, dass wir nur diese Tour in Europa spielen, eine Fortführung der Band in den USA stand nie zur Diskussion. Ich selbst hatte eine andere Band, ALLOY, und mit der war ich drei Monate nach AOF auch in Europa auf Tour. Damals lebten wir wie heute auch in verschiedenen Städten, da war es illusorisch, mit der Band weiterzumachen. Aber zurück zu den Anfängen: ARTICLES OF FAITH existierten von 1981 bis 1985. Danach , von 1989 bis 1992, hatte ich JONES VERY, und ALLOY gab es von 1992 bis 1995, und REPORT SUSPICIOUS ACTIVITY waren von 2005 bis 2007 aktiv. RSA hatten als mein Soloprojekt angefangen, aber irgendwann war es eine richtige Band geworden, bei der auch J. Robbins, Darren und Eric Songs schrieben. Ich arbeite derzeit auch wieder an Solosachen, die J. so gut gefallen, dass er sie mit mir zusammen spielen will, aber das wird sicher keine Neuauflage von RSA. Ich habe schon ein ganzes Album an Songs zusammen und muss sehen, was ich damit mache. Und ... wenn ich meine Jungs von AOF richtig verstanden habe, können die sich auch eine weitere neue AOF-Platte vorstellen. Oder, Jungs? ... Ja? Das war ein Ja.

Wie wichtig ist Musik in deinem Leben? Wenn man sich das mal anschaut, hast du die meiste Zeit deines Lebens eine Band gehabt.

Ja, stimmt, nur nach meinem Umzug nach Seattle hatte ich mal fünf Jahre oder so keine Band. Und: Obwohl ich seit 15 Jahren da lebe, hatte ich nie eine Band in Seattle. Irgendwie habe ich da nie die richtigen Leute gefunden, und ich bin bis heute sehr wählerisch, was meine Bandmitglieder anbelangt: Ich habe keine Lust auf Kids, die denken, sie könnten Rockstars werden, und ich will nicht mit Leuten spielen, die eine Band als Hobby betreiben wollen, aber nicht gut spielen können. Ich brauche gute Musiker um mich, die wissen, was realistisch ist, etwa dass wir zwar Platten machen können, sich die aber nur in begrenzten Stückzahlen verkaufen werden, und dass wir hier und da mal ein Konzert spielen werden, aber nur so zum Spaß. Wir sind eben nicht bei „American Idol“, wir leben in der Realität. Leider ist es aber meist so, dass Musiker da andere Vorstellungen haben als ich, und ich bin eben auch nicht mehr bereit, meinen Job für die Musik aufzugeben, ja, Teil zu werden dieses Musik-Mainstreams. So, wie es jetzt bei ARTICLES OF FAITH ist oder davor bei REPORT SUSPICIOUS ACTIVITY, so ist das für mich in Ordnung.

2007 erschien die Doku „You Weren’t There: A History of Chicago Punk 1977-1984“, in der unterem auch du und Steve Albini zu Wort kommen. Und eure rückblickenden Statements auf die Szene der frühen Achtziger sind sehr bitter und unversöhnlich.

Du meinst, weil man den Eindruck bekommt, dass ich Albini hasse und er mich? Ich denke, das ist eine zutreffende Einschätzung. Ich gebe einen Scheiß auf Albini, der ist nicht Teil meines Lebens.

Aber wieso habt ihr beide so schlechte Erinnerungen an eine Szene, die solch großartige Bands wie EFFIGIES, BIG BLACK, NAKED RAYGUN und ARTICLES OF FAITH hervorgebracht hat und damit eindeutig einen positiven Beitrag zur Punk-Geschichte leistete?

Die Punk-Szene von Chicago war sehr isoliert, sie bestand zu einem großen Teil aus Kids mit einer Gang-Mentalität, da ging es viel um Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen. Vorgestern noch habe ich mich mit Steve Economou und Chris Bjorklund von den EFFIGIES über dieses Thema unterhalten, über die damalige Rivalität zwischen seiner und meiner Band, und wir stellten fest, dass wir diese Diskussion einfach leid sind. Was immer damals war, heute ist das kein Thema mehr. Albini mag das anders sehen, aber wie gesagt, in meinem Leben spielt der keine Rolle mehr. Übrigens mag ich ein paar Platten, auf denen er spielt.

Von der Gang-Sache mal abgesehen: Dafür, dass Chicago die drittgrößte Stadt der USA ist, spricht man neben der Szene von New York und Los Angeles eher über die von San Francisco, Boston oder Washington D.C. als die deiner Heimatstadt. Woran liegt das?

Ja, die Szene von Boston war größer, die von D.C., die von San Francisco. Chicago war damals eine fürchterliche, trostlose Stadt. Wir befanden uns mitten im Niedergang der Reagan-Jahre, die Industrieunternehmen zogen sich aus der Stadt, ja, aus dem ganzen Mittleren Westen zurück, und „The Loop“, heute der schicke Downtown-Stadtteil, war ein schmutziges Loch voller Müll und Pornoläden. Viele von uns lebten damals in echter Armut, wir bezogen alle Lebensmittelhilfe und aßen „Government Cheese“.

„Regierungskäse“?!

Ja, das war so ein Zeug, dass die Regierung in den Achtzigern an Sozialhilfeempfänger verteilte, und wir hatten alle den Kühlschrank voll mit dem Zeug. Das waren ziegelsteinartige Klötze. Ich erinnere mich aber auch, dass so hart es auch war, sich irgendwie durchzuschlagen, wir doch auch viel Spaß hatten. Und verdammt, 25 Jahre später spielen wir immer noch zusammen in dieser Band! Aber um auf deine Frage zur Szene in Chicago zurückzukommen: Ich denke, es gab damals einen speziellen Chicago-Sound, und den verkörpern für mich bis heute PEGBOY. Die haben es geschafft, den „Chicago Sound“ perfekt zu destillieren. John Haggertys sägender Gitarrensound, alles im Midtempo, Larry Damores Gesang – ich liebe PEGBOY, und man kann diesen Sound auch bei NAKED RAYGUN, EFFIGIES und BIG BLACK heraushören. Nur bei uns nicht, was bedeutet, dass wir rein vom Sound her nie eine Chicago-Band waren. Das machte uns damals zu Außenseitern, und wir sind das bis heute geblieben.

Wie kam das?

Mich beeinflusste die D.C.-Szene, was auch was damit zu tun hatte, dass meine Eltern damals dort lebten. Unser Drummer Bill hatte eine Schwäche für Soul und Funk, Dave stand auf Country & Western und Rock, und so waren unsere Einflüsse vielschichtiger. Auf Tour im Van hörten wir entsprechend wenig typischen Punkrock, und wenn, dann Bands wie die BIG BOYS, MDC, BLACK FLAG, aber vor allem Johnny Cash, ständig. Und auch Neil Young und SLY & THE FAMILY STONE, und das schlug sich in unserer Rhythm Section nieder, hör dir mal „Give Thanks“ genau an, etwa „In your suit“ oder„In this jungle“, da findest du auch Reggae-Elemente, wir waren damals Fans von Linton Kwesi Johnson und anderen alten Reggae. Joe war damals schon ein großer Jazz-Fan, während ich erst zu JONES VERY-Zeiten viel Jazz hörte, John Coltrane, Miles Davis und so weiter. Ich habe damals sogar versucht Coltranes Gitarrensoli herauszuhören und die bei JONES VERY nachzuspielen. Meine erste Liebe galt allerdings der Soul-Musik. 1972 war das, da fing ich an Stevie Wonder, SLY & THE FAMILY STONE, TEMPTATIONS, ISLEY BROTHERS zu hören, der ganze Philadelphia-Soul, das war die Musik, die ich damals liebte. Und ich liebe diese Musik heute noch, nur spielen kann ich sie nicht. Wenn wir morgen Abend bei der Secret Show betrunken genug sind, versuchen wir vielleicht mal, was zu spielen, was wir im Studio ausprobiert haben und was in diese Richtung ging ... Als Musiker, als Künstler, hat man eine Muse, und die bringt einen hin, wo sie will, und meine Muse hat mich zu meiner Art zu singen gebracht, die sich klar von der anderer Sänger unterscheidet. Da ich das gut mache, bleibe ich dabei, gleiches gilt für mein Gitarrenspiel: Man sollte immer bei dem bleiben, was man gut kann. Klar, kann man Neues ausprobieren, aber würde ich mich als Soul-Sänger versuchen, das würde nichts werden.

„Remain in memory“ ist mein AOF-Übersong. Spielt ihr den heute?

Ja, das wird der zweite Song sein. Es ist ein Lied, das „Absurd“ von ALLOY ähnelt, und es geht darum, wie Menschen kommen und gehen. Erinnerungen vergehen, Menschen sterben, mein Onkel, der mir sehr wichtig war, starb vor ein paar Jahren, andere Menschen sterben, denn ich bin jetzt in einem Alter, wo vermehrt Menschen, die man kennt, sterben. Was bleibt, ist die Erinnerung, etwa an die RAMONES. Joe Strummer ist tot – Joe Strummer, der tollste Typ überhaupt, tot! Es gibt ein altes Zitat, ich glaube von den Griechen, das sagt, es sei allein die gute Erinnerung, die von dir bleibt, wenn du nicht mehr bist. Und darum geht es in „Remain in memory“, zu dem es noch eine interessante Geschichte gibt: Als wir den damals in Homburg gespielt haben, da rastete ein Typ vor der Bühne total aus, der schrie „Remember me, remember me!“ und reckte dazu seinen rechten Arm zum Hitlergruß! Der glaubte echt, das sei ein Pro-Hitler-Lied. Ich brüllte ihn nur an, ob er eigentlich komplett bescheuert sei. Der hatte echt nichts von dem Text verstanden, ich war geschockt. Ich habe daraus gelernt, dass Menschen deine Kunst interpretieren, wie sie wollen. Es freut mich, dass du das Lied magst, denn es ist auch einer meiner Favoriten.

Es findet sich auf „In This Life“, dem posthumen Album. Auf Alternative Tentacles erschienen 2002 die beiden CDs „AoF Complete Vol. 1“ und“ AoF Complete Vol. 2“, doch als Vinylscheibe ist das eigentliche Album nicht mehr erhältlich.

Nein, von „Complete“ gab es zwar auch Vinyl, aber das eigentliche Album nicht. Das musste ich seinerzeit übrigens für „Complete“ vom Originalalbum mastern, das auf dem winzigen kanadischen Label Lone Wolf erschien und von Jill Heath gemacht wurde, einer Freundin der Band. Es erschien zwei Jahre nach Auflösung der Band, haha.

Und das war das „Durchbruch“-Album der Band, denn in Europa hatte das damals jeder.

Ja, und die Popularität der Band nach ihrem Ende finde ich immer noch erschreckend.

Vic, besten Dank für das Interview.

 


Vic Bondi über sein kommendes Solo-Album und Musik für alte Männer:

So I’m working on a new solo album. [...] It’s kind of a concept record. I was on my way to London several months ago, and listened to the entire „Quadrophenia“ record on the way. I haven’t listened to it in years. It was very moving. It was a huge record for me when I was a kid, and made me start to wonder why we listen to music that expresses the existential angst of teenagers as opposed to that of middle-aged people. I suppose part of it is because a lot of middle-age folks basically give up on music; they end up listening to the same thing they did when they were teenagers, if anything at all. But not everyone’s this way, and I started to wonder what it would be like to write a record for people my age. I get a lot of mail from people around my age, from people in the days of the original hardcore. No one’s writing music for them. Think of it this way: when some eighteen year old writes a song about how his heart is breaking, everyone seems to give it credit – probably because we all know he’ll get over it. He has time. Someone middle-aged doesn’t. They break. Or walk broken. This record is for them.