Jon Savage

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Über kalifornischen Punkrock und Jugendkultur

Der britische Journalist und Autor Jon Savage ist das, was man gemeinhin mit „meinungsstark“ beschreibt: Er hat eine Meinung, die steht, die kann er begründen und er tut sie auch kund. Zum Beispiel sagt er klipp und klar, dass die STRANGLERS und THE JAM nie Punk gewesen seien. Sein 1991 erschienenes Standardwerk „England’s Dreaming“ erzählt die Geschichte der SEX PISTOLS und die der Ursprünge von Punk in England gleich mit. Geschrieben wurde sie von einem der – Jahrgang 1953 – damals alt genug war, aber nicht zu alt, um Punk und seine Vorgeschichte sowohl als Musikfan wie als akademisch geschulter Beobachter mitzuerleben und darüber zu schreiben. Mit London’s Outrage hatte er sein eigenes Fanzine, er schrieb ab 1977 für Sounds und später für Melody Maker und The Face und im weiteren Verlauf bis heute für eine Vielzahl von Magazinen und Zeitungen. Sein Thema war und ist Pop- und Jugendkultur, und so erschien 2007 sein Werk „Teenage: The Creation of Youth, 1875-1945“, dem er 2009 die CD-Compilation „Teenage: The Creation Of Youth, 1911-1945“ folgen ließ, eine weitere Themen-Compilation, der beispielsweise „England’s Dreaming“ (2004) und „Queer Noises – From The Closet To The Charts“ (2006) vorangegangen waren. Sein aktuelles Projekt ist „Black Hole – Californian Punk 1977-80“, eine Zusammenstellung frühen kalifornischen Punkrocks mit Bands wie GERMS, DILS, SCREAMERS, THE WEIRDOS, THE AVENGERS, THE ZEROS und DEAD KENNEDYS – ein guter Grund, sich mal wieder mit Savage zu unterhalten, ist das letzte Interview doch schon bald zehn Jahre her.

Du hast mit „Black Hole“ eine sehr schöne Compilation zusammengestellt. Wie sah die Arbeit daran aus?

Also ich habe die Songs ausgesucht und den Booklet-Text dazu geschrieben, und jemand anderes kümmerte sich dann um die Rechte an den Songs.

Was war dein „mission statement“ für dieses Projekt?

To rock! Hahahaha. Es ist einfach die Zusammenstellung von einer ganzen Menge Songs und Bands aus einer bestimmten Phase, die ich mag.

Nun ist doch aber sicher ein bestimmtes Anliegen, eine Aussage damit verbunden.

Was ich an all diesen Songs, Bands und Platten mag, was sie verbindet, ist die Tatsache, dass sie von Außenseitern für Außenseiter gemacht wurden. Nur die wenigsten der Bands hatten einen Vertrag mit einem Majorlabel, und so machten sie ihre Musik, weil sie wollten, weil da diese wütende Energie in ihnen war, weil sie etwas sagen wollten. Das finde ich großartig, und diesen Spirit kann man den Platten anhören.

Worin besteht der Unterschied dieser Bands zu jenen britischen Bands aus der gleichen Zeit, von denen neben den SEX PISTOLS in „England’s Dreaming“ die Rede ist?

Punk in England war für mich Ende 1977 vorbei. Und da fingen diese amerikanischen Bands erst an, machten sie ihre erste Platten. Auf der anderen Seite der Welt baute sich da also eine Welle frischer Energie auf, das war fantastisch. Mir gefiel schon immer der internationale Aspekt an Punk, mich hat es schon damals gestört, wenn britische Musikjournalisten so taten, als sei Punk in Großbritannien erfunden worden und würde dementsprechend „uns“ gehören. Das ist Blödsinn, Musik gehört keinem, sie ist für alle da. Und interessanterweise war Punk damals ein internationales Phänomen, das an vielen verschiedenen Orten gleichzeitig passierte. Und so gab es überall Bands mit gewissen Variationen der gleichen Idee, nicht nur in London, sondern auch in Cleveland, in Paris, in New York, in Manchester, in Berlin.

Wie hörtest du damals von den Bands, die du jetzt auf der Compilation versammelt hast?

Ich bekam die in meiner Eigenschaft als Musikjournalist zugeschickt, von V. Vale vom Search & Destroy-Fanzine aus San Francisco und Claude Bessy vom Slash-Zine aus Los Angeles. Ich schrieb für beide Hefte, und anstatt mir Geld für die Artikel zu geben, schickten sie mir Platten, und so lernte ich diese Bands kennen.

Welche Unterschiede zu den britischen Bands fielen dir auf?

Ganz generell empfinde ich, dass alle US-Rockbands so einen gewissen „Swing“ haben, der den britischen Bands fehlt. Die sind oft etwas steif, und manche wie beispielsweise WIRE haben das sogar zu einer Tugend erkoren. Und die einzige Band damals, die nicht diese Steifheit aufwiesen, waren die SEX PISTOLS – und vielleicht THE DAMNED. THE CLASH waren total steif! Demgegenüber rockten die kalifornischen Bands viel mehr, die waren unglaublich echt und ehrlich. Im Vergleich dazu waren die New Yorker Bands – auch wenn ich beispielsweise TELEVISION sehr mag und die RAMONES fantastisch finde – viel mehr die Umsetzung einer konkreten Idee. Die kalifornischen Bands waren auch meist viel jünger, viele waren noch Teenager, und oft hatten die sehr schwarzen Humor, was mir sehr gut gefiel. Vielen von ihnen war einfach alles egal, die wussten ja, dass sie nie einen Plattenvertrag bekommen würden, dass sie jeder hasst. Und daraus ergab sich diese „Fuck you!“-Attitüde.

Meines Empfindens nach war die kommerzielle Ausbeutung der britischen Szene auch viel umfänglicher als die der frühen US-Szene.

Absolut richtig. Die kalifornischen Bands waren den britischen ja prinzipiell in vielem ähnlich, doch der fundamentale Unterschied war, dass die britischen Gruppen davon ausgingen, dass ihnen der Durchbruch gelingt, sie einen Plattenvertrag bekommen, es ins Fernsehen schaffen. Und tatsächlich war das ja auch oft der Fall. Ganz anders die Bands in Los Angeles und San Francisco: Denen passierte nichts von dem!

In diesem Kontext könnte man also behaupten, die US-Bands seien viel mehr Punkrock gewesen.

Wenn du so willst, ja. Aber eigentlich ist das ja egal, mir geht es um die Musik. Und da ist Punk in England mittlerweile ein normaler Teil der Musikgeschichte geworden, da ist heute auch viel Nostalgie im Spiel. Da denken jetzt Menschen, THE JAM seien Punks gewesen ... Hallo?! Nein, waren sie nicht! Die waren Scheiße! Oder dass Elvis Costello Punk gewesen sei. Nein, war er nicht, und die STRANGLERS auch nicht. Die waren nur zur gleichen Zeit am gleichen Ort, das ist alles. Um auf die Kommerzialisierung in England zurückzukommen: Es gab angesichts des Erfolgs von Punk einfach viele kommerzielle Trittbrettfahrer – wie THE JAM. Aufgrund der medialen Aufmerksamkeit für Punk wurde es für Bands, die gar nicht aus dieser Szene kamen, interessant, sich da dranzuhängen, um Erfolg zu haben. In Kalifornien war das anders, da war mit Punk kein Geld zu verdienen, also gab es auch keine Trittbrettfahrer – das lohnte sich einfach nicht, von ein paar wenigen Ausnahmen mal abgesehen wie der New Wave-Band THE KNACK. Wobei ich gegen „My Sharona“ eigentlich nichts habe, das ist schöner Powerpop. Powerpop war 1972 mal eine gute Idee, mit Bands wie THE WACKERS und THE FLAMIN’ GROOVIES, doch 1979 klangen die Bands dieses Genres wie die Industrieversion von Punkrock.

Deine Theorie ist also, dass Punk in England schon in den Siebzigern extrem kommerzialisiert wurde, in den USA hingegen noch ein reines Underground-Ding war. Dann kam der kommerzielle Durchbruch dort also mit mehr als 15 Jahren Verspätung, als Anfang/Mitte der Neunziger GREEN DAY, THE OFFSRING und NIRVANA unglaublich erfolgreich wurden.

Exakt, so lange dauerte es in den USA, bis Punk im Mainstream angekommen war. In England dauerte es sechs Monate, in den USA 16 Jahre. Übrigens liebe ich NIRVANA, und manche Sachen von GREEN DAY finde ich ganz gut.

Dann lass uns mal über die Bands auf deiner Compilation sprechen. „Black Hole“ ist der Titel, ich vermisse allerdings „Kids of the black hole“ von den ADOLESCENTS ...

Der Titel bezieht sich ja auch auf „Black hole“ von den URINALS. Die ADOLESCENTS sind absichtlich nicht dabei, da sie aus einer späteren Zeit kommen. Unterm Strich habe ich alle Bands bekommen, die ich auf der Compilation haben wollte. Aufgebaut ist diese in chronologischer Reihenfolge, beginnt 1977 mit „Forming“ von den GERMS und endet 1980 mit „Los Gatos“ von THE SLEEPERS.

Und wo sind BLACK FLAG? Die kamen aus Los Angeles, waren in dieser Zeit bereits aktiv und nicht ganz unwichtig, sind aber nicht enthalten ...

Ganz einfach: Ich mag sie nicht. Es ist meine Compilation, ich mag sie nicht, also sind sie nicht drauf. Okay, es gibt auch noch einen anderen Grund: Es gab auch dort eine erste und eine zweite Generation von Bands, und ich habe mich auf die erste Generation konzentriert. Es geht mir um die ursprüngliche Idee von Punk, um Musik von Außenseitern für Außenseiter. Und das beinhaltet verschiedene Aspekte des Außenseitertums, also auch aus Gründen der sexuellen Orientierung. Sobald da aber kleine Machos aus den Vorstädten ins Spiel kommen, geht mein Interesse gegen null. An diesem Punkt wurde Punk zu einer Wiederholung der gleichen alten Geschichte. Weißt du, warum heute jeder THE CLASH gut findet? Weil die über die Jahre zu so einer Jungs-Band geworden sind, anders als SIOUXSIE & THE BANSHEES oder auch die SEX PISTOLS. THE CLASH hingegen sind für „Normale“ sicher, das ist eine Band wie eine Jungen-Gang, das spricht die Leute an. Aber Punk war mehr, Punk war bedrohlich und verstörend, zumindest zu Beginn.

In dieser Hinsicht fügt sich diese Compilation also ein in die Reihe deiner Arbeiten zur Erkundung verschiedenster Jugend- und Protestkulturen.

Genau so ist es, besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Dabei steckt da keine bewusste Entscheidung dahinter, es ist nur Ausdruck dessen, was mich interessiert. Die Entstehung der Compilation selbst ist unspektakulär: Ja, ich liebe Vinyl und spiele auch zu Hause ständig meine alten Platten, aber CDs und vor allem meine Songs in iTunes sind eben auch sehr praktisch, und da stelle ich immer wieder mal für mich und Freunde Playlists zusammen, etwa über Los Angeles-Punk. Diese schickte ich an die Leute von Domino Records, die ich gut kenne, und so entstand die Idee, so eine Compilation auch zu veröffentlichen.

Und wie verhält es sich mit dem Aspekt, dass da ein Kerl aus England erklären will, wie es sich mit der kalifornischen Punk-Szene verhält?

Ach, ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Es reicht doch aus, ein Bewohner der westlichen Welt zu sein. Und wenn es darum geht: Ich wohne ja nicht mal mehr in London, geschweige denn England, sondern in Wales.

... das bekanntlich ein eigenständiger Teil von Großbritannien ist und deshalb wie Schottland auch eine eigene Fußballnationalmannschaft hat, wobei ich nie so recht verstanden habe, wie das sein kann. Interessierst du dich für Fußball?

Nicht wirklich, aber mir gefällt das Seifenopernhafte am Fußball. Und vor allem bin ich der Meinung, dass man Sport und Musik nicht miteinander vermischen sollte, bei dem Thema werde ich echt fanatisch. Diese Vermischung verkörpert für mich alles, was in der heutigen Populärkultur schief läuft. Warum? Weil ich der Meinung bin, dass Sport die Menschen letzten Endes in die Konformität führt. Konformität interessiert mich aber nicht, sondern nonkonformes Verhalten. Sport ist was für die normalen Kids, mich interessieren aber die Außenseiter. Und solche Außenseiter waren all die Bands auf „Black Hole“: Die waren nie Teil des Mainstreams, denn zu dieser Zeit spielte sich Popkultur noch am Rande der Gesellschaft ab und kaum jemand nahm davon Notiz. Solch eine Szene wurde unlängst auf der Compilation „Rocky Mountain Low“ dokumentiert ...

... also die von Denver, Colorado, und Jello Biafra ist da mit seiner ersten Band zu hören.

Ja, genau, und solche Szenen waren noch abseitiger. Es gibt auch eine gute Compilation über die Cleveland-Szene, „Those Were Different Times“, und viele andere über andere Städte. Ob da nun alle Bands gut sind, ist eine andere Frage, aber ich finde es gut, dass jemand sich darum kümmert, so etwas zu dokumentieren.

Was machst du sonst so?

Ich schreibe viele Artikel, ich bin ja eigentlich Musikjournalist, und ich arbeite zusammen mit Johan Kugelberg an einem Buch über Punk-Grafik.

Nun steckt der Musikjournalismus weltweit in einer Krise: Umsonst zugängliche Blogs sind allgegenwärtig, kaum noch jemand kann als ernsthafter Musikjournalist seinen Lebensunterhalt verdienen. Wie siehst du das?

Das größte Problem des Musikjournalismus ist heute, dass kaum noch jemand über Musik schreibt. Stattdessen schreiben die Leute über sich selbst und ihre Reaktion auf Musik. Und dafür mache ich Nick Hornby verantwortlich, dieses Geschreibsel à la „Und dann besuchte ich ein Konzert von THE CLASH und auf dem Nachhauseweg verpasste ich den Bus“, blablabla. Diese persönlich gefärbten Berichte interessieren mich nicht, da wird nicht über die Musik geredet, die Musik nicht in einen Kontext gesetzt, es ist einfach nur ein persönlicher Bericht.

Du verlangst also eine rein journalistische, eher wissenschaftliche Herangehensweise.

Eine ausgewogene Mischung: Natürlich muss man Fan einer Band sein, und eine persönliche Beziehung zur Band schadet nicht, aber letztlich geht es um eine fundierte Analyse, um eine sauber recherchierte Reportage: Was für Musik macht die Band, was für Songs spielt sie, wie ist ihr Verhältnis zum Publikum? All die Basics, die zur journalistischen Grundausstattung gehören, die aber kaum noch jemand beherzigt, der über Musik schreibt. All diese langweiligen persönlichen Berichte interessieren mich nicht! Und was nun die finanzielle Seite des Musikjournalismus betrifft, so ist es natürlich ein großes Thema, dass niemand bereit ist, für Content, für Inhalte zu bezahlen. Man muss sich dazu mal anschauen, wo das Geld hinfließt, denn im Internet wird ja durchaus Geld verdient, und deshalb müssen auch die Leute bezahlt werden, welche die Inhalte liefern: No pay, no play! Ich werde ständig gefragt, ob ich nicht umsonst was schreiben könnte, aber ich mache das nur sehr selten, etwa für das Ugly Things-Fanzine. Wenn mich aber ein kommerzielles Magazin nicht bezahlen will, betrachte ich das als Beleidigung. Aber wir müssen uns eben immer wieder vergegenwärtigen, dass die Massenkultur alles dominiert mit ihren Celebrities. Das vergiftet alles, und dass so was wie die BEATLES oder NIRVANA es mal ganz bis an die Spitze der Charts schafften, das war ein Zufall, keine Selbstverständlichkeit.

Jon, besten Dank für das Interview.