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Alte Männer waschen doch keine Autos

Als 1977 mit „Fear on the streets“ das erste Lebenszeichen der MEMBERS auf dem Beggars Banquet-Sampler „Streets“ erscheint, sind sie nur eine von unzähligen, vom Punk-Virus infizierten Bands, irgendwo aus dem Niemandsland des Vereinten Königreiches, was sich auch 1978 mit ihrer ersten Single „Solitary Confinement“ vorerst nicht ändern sollte, da Stiff Records wohl keine besonderes Interesse daran hatte, Werbung für die Single zu machen. Das änderte sich allerdings schlagartig, als Virgin Records auf sie aufmerksam wurde und die Band unter Vertrag nahm, denn 1979 wurde so mit „Sound Of The Suburbs/Handling The Big Jets“ die Single veröffentlicht, mit der THE MEMBERS #12 der UK-Charts erreichten und welche mit dem Titelsong (aus dem aus die Zeile „Same old boring Sunday morning old mans out washing the car“ stammt) wie keine andere zum Markenzeichen der Band werden sollte.

Nach einer weiteren Single „Offshore Banking Business/Solitary Confinement“ im selben Jahr, die zwar kommerziell nicht annähernd an den Vorgänger anknüpfen konnte und zum Leidwesen von Virgin auch nur #32 der Charts erreichte, folgte umgehend das erste und beste Album „At The Chelsea Nightclub“, ein perfekter, dreckiger kleiner Rotzlöffel aus Punk und Reggae. Ein Jahr später wurde der Rotzlöffel allerdings langsam erwachsen und litt auf dem zweiten Album „The Choice Is Yours“ zudem noch unter einer dünnen Produktion, war aber trotz allem noch frech genug, um alten Leuten den Sitzplatz im Bus wegzunehmen. Virgin konnte das allerdings nicht beeindrucken, waren sie doch inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass sich mit Punk aufgrund fehlender Charterfolge wohl doch nicht soviel Geld verdienen lässt, wie sie es sich erhofft hatten. Zum Glück oder Unglück, je nach Sichtweise, nahm sich Arista THE MEMBERS an und 1982 erschien das letzte Album „Uprhythm, Downbeat“, auf dem die Band ähnlich THE CLASH versuchte, neue Einflüsse wie Funk und Rap in ihren Sound einzubringen, und dabei, nicht zuletzt dank HUMAN LEAGUE-Produzent Martin Rushent, eher mehr als weniger scheitert. So verlässt Sänger Nicky Tesco die Band völlig desillusioniert nach einer US-Tour 1983 und besiegelt so das vorläufige Ende der Band. 2007 findet sich die Band wieder zusammen und bringt zwei Jahre später mit der Single „International Financial Crisis“ in Eigenregie eine neue Version von „Offshore banking business“ heraus, gefolgt von einigen Konzerten und einem Live-Album von ihrem Auftritt im Berliner Wild at Heart in diesem Jahr. Was wir von den bereits feststehenden Konzerten 2011 zu erwarten haben und warum der von einigen vermisste Nicky Tesco nicht dabei sein wird, könnt ihr jetzt von JC Caroll erfahren.

Nach eurer Auflösung 1983, wie schwer war es da, 24 Jahre später wieder zusammenzukommen, und wie kam es überhaupt dazu?

1983 waren wir einfach völlig erschöpft von unseren ständigen Touren in den USA. Wir waren kurz davor, wirklich Erfolg dort zu haben, und kamen zurück in ein England, das sich inzwischen völlig verändert hatte. Du musst bedenken, dass die musikalische Entwicklung in den Achtzigern wie ein Pendel war, das wild und unkontrolliert von einer Seite zur anderen ausgeschlagen hat. Von 1977 bis 1979 gab es Punkrock, Disco und Pubrock, 1980 war Ska angesagt, 1981 New Romantic, 1982 und 1983 dann Electro und Rap. Der New Musical Express/NME und später The Face diktierten diese Trends und Bands waren schnell in Mode und dann wieder völlig vergessen. Aber eigentlich war es einfach, wieder zusammenzukommen, immerhin hatten wir ja sechs Jahre gemeinsam verbracht, außerdem sind wir auch über die Jahre in Kontakt geblieben. Chris Payne und Nigel Bennett haben beide auch auf meinem Soloalbum und bei anderen Projekten, JC AND THE DISCIPLES und NEW ENGLISH BLUES, mitgespielt. 2007 bin ich 50 Jahre alt geworden und entschied mich dazu, alle Musiker einzuladen, mit denen ich irgendwann einmal zusammen gespielt habe. Die Leute kamen von der ganzen Welt, wir spielten ein kurzes Set mit MEMBERS-Songs und es klang fantastisch. Natürlich gab es Streitigkeiten und Probleme, die noch zu klären waren. Ich hatte schon Jahre davor einmal probiert, ein Reunion-Konzert zu organisieren, aber Nicky war damals kurzfristig abgesprungen.

Ein großer Teil eurer alten Fans war nicht besonders begeistert von der musikalischen Entwicklung, die ihr auf eurem dritten Album „Uprhythm, Downbeat“ in Richtung Funk, Disco und Club Music mit einer sauberen und kommerziellen Produktion eingeschlagen habt. Was ist rückblickend deine persönliche Meinung zu diesem speziellen Album und dem neuen Sound, den ihr damals als Band entwickeln wolltet?

Die alten Fans haben das sicher so empfunden, aber viele Bands, THE CLASH eingeschlossen, sind damals diesen Weg gegangen und haben versucht, neue Stile in ihre Musik einzubringen. Das dritte Album hat wunderbare und schreckliche Momente, aber es muss im Kontext der Zeit gesehen werden. Wir hatten gerade bei Martin Rushents Genetic Label unterschrieben, der kurz zuvor einen weltweiten Nummer-Eins-Hit mit HUMAN LEAGUE hatte, und er wollte, dass wir bei unseren Aufnahmen mit dem selben Equipment arbeiten und dem selben Sound wie HUMAN LEAGUE. Also hat HUMAN LEAGUE tagsüber in den Genetic Records Studios gearbeitet und wir nachts mit Produzent David M. Allen. Nebenbei: David arbeitet immer noch mit mir an aktuellem Material der MEMBERS und an meinen Soloprojekten. Das dritte Album war auch eins, bei dem alle, die Bläsersektion eingeschlossen, am Songwriting mitwirken wollten, es war ein ständiger Kampf darum, wer auf die Liste der Publishing Credits kommt. In der Vergangenheit waren die meisten Songs von mir alleine, von Chris alleine, mir und Nick oder Chris und Nick geschrieben worden. Es sind sicher einige großartige Sachen auf dieser Platte und viele sehen sie heute als einen Klassiker der Achtziger, viele Stücke werden zum Beispiel oft für einen Remix oder als Sample genutzt. Ich habe gerade einen Song von der dritten Platte an die amerikanischen DJs Armand Van Helden und A-Trak lizensiert, die ihn für ihr DUCK SAUCE-Projekt benutzen wollen.

Welche eurer Platten siehst du als „THE MEMBERS’ finest moment“?

„At The Chelsea Nightclub“ ist ein sehr starkes Album und viele halten es für unser bestes. Es enthält viele großartige Songs und es ist zu einem großen Teil die Geschichte meines Lebens, ein junger Mann aus den Vororten, der es in die große Stadt schafft. „Sound of the suburbs“ ist großartig und es ist wirklich schwer zu erklären, wie wichtig es für viele englische Fans ist. Sie erzählen mir, dass es die Geschichte ihrer Jugend ist, und wenn wir den Song dann spielen, bewirkt er, dass Frauen und Männer mittleren Alters sich plötzlich wieder jung fühlen. Das ist ein großartiges Gefühl und beschreibt außerdem einen Moment in der Geschichte von UK-Punkrock, an dem stinknormale Typen aus den Vororten sich als Teil von etwas fühlen konnten, als Teil der Punk-Szene. Vor „Sound of the suburbs“ dachten viele, Punk wäre so eine Art elitäre Clique der Leute aus der großen Stadt. Um dieselbe Geschichte geht es auch in „Solitary confinement“ und zu einem gewissen Teil sind die Songs, die ich für die erste Platte geschrieben habe, sicher autobiografisch. Nicky hat mir dabei geholfen, diese Songs zu schreiben und Nicky und Chris Payne haben zusammen auch einige großartige Songs geschrieben.

Worin, denkst du, bestand der Unterschied zwischen THE CLASH und euch, die ja etwa zur selben Zeit wie ihr mit eurem dritten Album musikalisch in eine ähnliche neue Richtung gegangen sind und damit auch kommerziell ziemlich erfolgreich waren?

Es gibt sicher viele Parallelen zu THE CLASH, wir waren ja auch zu derselben Zeit wie sie dort auf Tour, als sie ihren großen Durchbruch hatten. Der Unterschied ist sicher, dass die Leute in den USA uns nur als die „Working Girl“-Band kennen und über unsere früheren Sachen nicht viel wissen. Irgendwie haben wir uns einfach in einem anderen Bereich bewegt als sie und viele andere, wie zum Beispiel Elvis Costello oder THE POLICE. In dem Moment, als die English New Wave sich auf die US-Invasion vorbereitet hat, hat sie die ursprüngliche englische Punkrock-Szene, die ihr das überhaupt erst den Weg geebnet hat, schlichtweg vergessen.

Würdest du sagen, dass der Moment, in dem eine Band versucht, ein größeres Publikum zu erreichen und sich dafür auch insofern anpasst, dass sie ihren ursprünglichen Stil stark verändert, der Punkt ist, an dem es zwangsläufig zu Streit und Problemen in der Band kommt, weil irgendwer das Gefühl, seine ehemaligen Ideale zu verraten?

Diese ganze Idee, dass man seine ursprünglichen Fans betrügt, weil man seinen Stil verändert, ist das, was wir immer von den „Hardcore“-Leuten zu hören bekommen. Sicher gibt es Leute, die gewollt hätten, dass wir nur noch „Sound of the suburbs“ in einer anderen Form aufbereitet und am Fließband hergestellt hätten, aber man sollte sich immer daran erinnern, dass die ursprüngliche Punk-Szene in London sehr vielseitig war, es gab einfach viele Arten von Punk, Art-Punk, Reggae-Punk, WIRE, THE STRANGLERS, XTC, ADAM & THE ANTS, X-RAY SPEX. Und THE MEMBERS haben immer versucht, Grenzen zu durchbrechen, und „Sound of the suburbs“ war ein riesiger Hit.

Als „Sound Of The Suburbs“ erschien, verkauften sich innerhalb kürzester Zeit 250.000 Exemplare. Inwiefern hat Virgin danach Druck auf euch ausgeübt, einen Anschlusserfolg nachzulegen, und haben sie euch dann irgendwann fallen gelassen, als es nicht dazu kam?

Eigentlich haben sie keinen besonderen Druck auf uns ausgeübt, wir sind aber auch ziemlich schnell nach Australien und in die USA verschwunden, um dort zu touren. Virgin entwickelte sich währenddessen in eine andere Richtung, sie holten sich Phil Collins und CULTURE CLUB, an THE MEMBERS und den RUTS hatten sie danach kein Interesse mehr.

Wie habt ihr die Veränderung innerhalb der Punk-Szene während eures Bestehens als Band erlebt? Viele andere, die mit euch angefangen haben, waren ja vergleichsweise schnell entweder wieder von der Bildfläche verschwunden oder haben sich der Mittelmäßigkeit gewidmet. Welche Möglichkeiten haben sich für euch durch Punk ergeben, als Band und in eurem weiteren persönlichen Leben?

Der ursprüngliche Punk wurde zu Hardcore, es war nicht mehr dieselbe verrückte, interessante Musik wie in den späten Siebzigern. Es war eine neue Form von Punk, die auf Aggression und Uniformierung basierte, der Irokesenschnitt und die Lederjacke. Szenen und Modeerscheinungen kommen und gehen, aber gute Songs bestehen für immer. Ich habe genug Glück habt, einige Songs geschrieben zu haben, die den Test der Zeit bestanden haben. Was mich persönlich angeht, hatte ich Sex mit Frauen, mit denen ich wohl keinen Sex gehabt hätte, wenn ich nicht in einer Band gewesen wäre, haha. Ich bin um die Welt gereist und konnte meine Musik spielen, meine Musik konnte mit mir wachsen.

Inwiefern warst du musikalisch oder anderweitig zwischen dem Ende der MEMBERS und heute noch aktiv?

Ich habe in den Neunzigern viel Folk-Musik gespielt und Musik für Filme gemacht, ich war an Alben mit Glen Matlock und Johnny Thunders beteiligt, habe mit FAD GADGET gearbeitet und nahm vor etwa fünf Jahren ein Soloalbum namens „Rock Is In The Laptop“ auf. Ich habe noch für etwa acht Alben Solomaterial, das ich jetzt versuche, in das MEMBERS-Set einzubauen.

Euer aktuelles Line-up besteht aus dir, Chris Payne und Nick Cash, obwohl eure Single von 2009 „International Financial Crisis“ noch mit Nicky Tesco und Nigel Bennett aufgenommen wurde. Was ist der Grund für diese Line-up-Wechsel, vor allem auch in Bezug auf Nicky Tesco, den viele ja als wichtigen und integralen Teil der MEMBERS sehen?

Nicky hat die Band 1977 gegründet und 1983 verlassen, um solo weiterzumachen, war aber bei beiden Reunions 2007 und 2008 wieder dabei. Ich bin immer noch sehr gut befreundet mit Nicky und muss leider sagen , dass es ihm nicht besonders gut geht und er gesundheitlich stark eingeschränkt ist. Er hatte drei Operationen wegen einer künstlichen Hüfte und leidet unter einer besonders schweren Form von rheumatoider Arthritis, die es ihm sehr schwer macht, zu laufen oder auf der Bühne zu stehen. Mich haben schon viele Leute gefragt, ob Nick diesen oder jenen Gig spielen könnte, aber die Antwort ist, dass er sich einfach nicht gut genug dafür fühlt. Er will einfach nicht, dass seine Fans sehen, wie stark er körperlich eingeschränkt ist. Wenn wir spielen, beschweren sich die Leute nicht, dass Nicky nicht dabei ist, sie freuen sich, die Songs zu hören. Chris Payne ist auch ein wirklich guter Songwriter und verantwortlich für einige der besten Sachen von den MEMBERS.

Wenn dieses Interview gedruckt ist, wird auch eure im Wild at Heart in Berlin mitgeschnittene Live-CD erhältlich sein. Können wir in der Zukunft noch neues Material von euch erwarten?

Ja, die Live-CD ist jetzt schon zu haben und wir sind verdammt stolz darauf. Es ist unsere erste Veröffentlichung, auf der alle Songs uns gehören, das ist die Lehre, die wir aus 30 Jahren Sklaverei bei Labels gezogen haben. Auf der CD sind bereits einige neue Sachen, die wirklich gut sind, und im Moment arbeiten wir an einem neuen Album, das auch einige verdammte gute Songs zu bieten haben wird. THE MEMBERS werden weitermachen, wir sind eine Band, eine, die jedes Label, für das sie aufgenommen hat, überlebt hat. Wir werden weiter Musik machen und unsere Songs für die Leute spielen, die sie hören wollen.