RADARE

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Von der Quadratur des Kreises

Vor kurzem erst veröffentlichten sie als ACTRESS eine unfassbar intensive Lärmorgie, da waren sie auch schon wieder Geschichte. Bei dem gewaltigen Talent der Musiker hinsichtlich spielerischer und kompositorischer Finesse jedoch lag es irgendwie auf der Hand, dass man ziemlich schnell wieder in irgendeiner Form von ihnen hören würde. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis man RADARE aus der Taufe hob, eine Band, die trotz Parallelen zu CULT OF LUNA und ISIS mehr zu bieten hat und das auch zeigen möchte. Im Gespräch erläutert Gitarrist Fabian, was bei ACTRESS schief ging und warum man eben nicht auf den großen Post-Metal-Zug aufspringen möchte, was man angesichts der musikalischen 180-Grad-Drehung zunächst vermuten könnte.

Fabian, gerade erst habt ihr mit ACTRESS eine wirklich sehr gute Platte herausgebracht, da war es auch schon wieder vorbei mit euch. Was war los?

Bei „Glacier“ handelt es sich im Grunde um eine Zusammenstellung all jener Songs, die wir bisher aufgenommen hatten. Vor dem Release gab es uns bereits sechs oder sieben Jahre, in denen wir es jedoch nicht geschafft haben, mal eine komplette Platte zu machen. Dadurch ist man als Band irgendwie ins Stocken geraten. Wir haben uns sozusagen im Kreis gedreht. Dann kam es noch, dass Bassist und Sänger Ferdi kurz vor unserer zweiten Tour ein heftiges Knalltrauma erlitt und dadurch ausfiel. Drummer Henrik und ich standen dann natürlich erst mal alleine da und hatten absolut keine Ahnung, wie es denn nun weitergehen sollte. Gute eineinhalb Jahre später hatte sich Ferdi soweit erholt, dass wir es noch mal probiert und sogar eine Island-Tour gespielt haben. Zu diesem Zeitpunkt merkten wir jedoch schon, dass es uns musikalisch in eine andere Richtung zieht.

Damit bringst du mich schon zu meiner nächsten Frage, nämlich ob man bei euch vielleicht auch von einer musikalischen Neufindung sprechen kann?

Klar, das auf jeden Fall. Zwar erkennt man bei RADARE schon noch unsere Wurzeln, jedoch schwinden diese Merkmale insbesondere bei unseren neuen Stücken immer mehr. Man kann hier schon von so etwas wie einer natürlichen Entwicklung sprechen. Es war ja nicht so, dass wir von jetzt auf gleich beschlossen, dass wir kein schnelles und aggressives Zeug mehr spielen wollen. Das war ein langer Prozess, der seinen Anfang zu der Zeit nahm, als ich mit Henrik alleine war. Wir saßen im Proberaum und dachten: „Alter, wir müssen jetzt irgendwas machen.“ Da haben wir unseren ehemaligen Basser Matze, der jetzt auch bei RADARE spielt, gefragt, ob er Bock hätte, ein bisschen zu jammen. Nach drei Monaten hatten wir dann unseren ersten Song fertig, „Morast“, der auch auf dem Album gelandet ist, und schließlich kam dann auch noch Hans an der zweiten Gitarre dazu. Das war alles ein fließender Prozess.

Doom/Post-Metal und Post-Rock haben gerade einen wahren Boom hinter sich und erfreuen sich größter Beliebtheit. Habt ihr da keine Angst, man könne euch vorwerfen, diesen Sound nur zu spielen, um auch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen?

Das ist mir bei vielen Reviews auch aufgefallen, dass man uns immer wieder auf diese Stile reduziert. Klar ist es leicht, jetzt einfach den CULT OF LUNA-, ISIS-, NEUROSIS-Stempel zu zücken. Für viele ist damit das Review dann halt am einfachsten geschrieben. Wir haben uns jedoch niemals vorgenommen, jetzt auf irgendeiner Welle mitzureiten. Ich glaube, wenn du dir den ganzen Tag einen Kopf über deine Musik machst und der Meinung bist, jetzt „das Ding“ zu erschaffen, dann klappt das ohnehin nicht. Diese ewigen Post-Metal-Vergleiche ärgern uns auch sehr, weil wir eigentlich andere Einflüsse haben, die man bei aufmerksamem Hören auch erkennen kann.

In welchem musikalischen Kontext würdet ihr euch selbst also sehen?

Hmm, das ist eine schwierige Frage. Eigentlich haben wir uns nie große Gedanken über einen Begriff gemacht für das, was wir da eigentlich machen. Für mich ist es einfach langsame, ausladende, ausartende Musik. Gerade auch unsere neuen Sachen, die wir derzeit schreiben, haben für mich so eine Art „Vulkan-Charakter“. Es brodelt die ganze Zeit irgendwie vor sich hin und bricht genau dann aus, wenn man es eigentlich am allerwenigsten erwartet. Das ist uns mittlerweile sehr wichtig geworden, dass man die Wirkung der Musik in den Vordergrund stellt.

Fiel es euch denn schwer, diesen Weg zu den epischen Strukturen zu gehen?

Komischerweise überhaupt nicht. Wir haben einfach losgelegt und plötzlich hatten wir einen Song wie „Morast“. Uns fiel aber auf, dass wir manchmal Probleme haben, in einem bestimmten Part komplett aufzugehen, ihn wirklich bis zum Letzten auszureizen. Oft beschleicht einen das Gefühl, es fehle noch irgendetwas, dabei ist doch gerade bei dieser Art von Musik weniger manchmal mehr.

Ich habe euer Album „Infinite Regress“ einem guten Freund vorgespielt. Nachdem er sich die Platte aufmerksam angehört hat, war er total beeindruckt von der Atmosphäre, die eure Songs entfachen und hatte eine heftige Gänsehaut. Geht euch das manchmal genauso, wenn ihr die Songs spielt?

Definitiv! Dabei ist es so, dass jeder von uns inzwischen so seine Lieblingsparts hat. Du spielst den entsprechenden Song dann zwar schon zum 150. Mal und freust dich live dann trotzdem wieder wie verrückt auf den einen besagten Part. Früher bei ACTRESS kamen zwar auch manchmal Leute zu uns und meinten, dieser oder jener Teil eines Songs würde ihnen besonders gefallen, heute geht das Ganze jedoch noch eine Spur weiter. Ich war neulich in Bochum auf einem CONVERGE-Konzert. Da wurde ich von einem Bekannten angesprochen, der mir erzählte, er würde manchmal nachts mit einer Gänsehaut aufwachen und hätte dann einen ganz bestimmten Part von uns im Kopf. Wenn man so etwas hört, geht das schon runter wie Öl.

Ihr habt im Proberaum aufgenommen; mangelnde Kohle oder der D.I.Y.-Gedanke?

Das war der D.I.Y.-Gedanke. Henrik hat sich sehr intensiv in den ganzen Aufnahmeprozess hineingefuchst. Es war uns viel daran gelegen, alles komplett selbst in der Hand zu haben. Aber ich möchte nichts beschönigen, denn mangelnde Kohle spielte natürlich auch eine Rolle, denn wenn man so lange an einem Album arbeitet, geht das schon gut ins Geld.

Was wollt ihr textlich rüberbringen?

Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Texte von uns allen stammen. Jeder hat etwas dazu beigesteuert, daher gibt es auch kein Konzept. Es handelt sich um Dinge, die sich mit irgendetwas Vergangenem beschäftigen. Dabei ist der für uns wichtigste Text der zu „Asthenic doubts revolve“, dem letzten Song der Platte, der das Thema der Quadratur des Kreises aufgreift, das wir auch mit dem Artwork darstellen wollten und das uns letztlich auch zum Albumtitel brachte, aufgrund des Gedankens über den „endlosen Rückschritt“, den dieser Song behandelt. Es ist schon ein eher philosophischer Gedanke, der dahinter steckt, aber der inhaltliche Aspekt des Albums wird durch ihn am besten widergespiegelt.

Denkst du denn, dass eure Stücke auch ohne Vocals funktionieren würden?

Ich finde schon, dass die Vocals ganz erheblich zur Gesamtstimmung auf „Infinite Regress“ beitragen. Klar habe ich da auch schon andere Stimmen gehört und auch innerhalb der Band sind wir da teilweise gespaltener Meinung, aber insbesondere der letzte „Ausbruch“ von „Morast“ würde ohne Vocals absolut nicht funktionieren. Auch wenn wir dieses Element nur spärlich einsetzen, ist es uns schon immens wichtig.