GENETIKS

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Gegen den Dreck

„Schwarzbuch Deutscher Postpunk“ lautet der offiziell klingende Titel des neuen Albums der GENETIKS aus Nürnberg, und wie die Vorgänger „De Bello Genetiko“ (2008) und „Bitte zurücktreten“ (2006) zeichnet es sich durch geschliffene, spöttische, vor Wortwitz nur so strotzende Texte aus. Aber auch musikalisch weiß das Trio, das auf den Bookletfotos so aussieht, als habe es versucht, eine große Schüssel Nutella restlos auszulecken (man darf da gerne einen Bezug zum Titel herstellen), zu überzeugen, wird doch eben jenem Post-Punk gehuldigt. Maik Dornberger (Gitarre und Gesang) beantwortete meine Fragen, Frank Schlosser (Keyboard) und Björn Rogatti (Schlagzeug) hielten sich raus.

Ihr habt also das „Schwarzbuch Deutscher Postpunk“ veröffentlicht. Was steht da drin?

Unzählige Untaten der deutschen Post-/Punk-Community der letzten Jahre. Vom Rechtsüberholen auf der Mainstream-Autobahn über kuscheliges Kleingärtnertum und Rasenpflege bis zum völligen Abgleiten in die politische Belanglosigkeit. Da tut sich nicht mehr viel, man könnte sogar, wenn man dürfte, fast sagen: „Der Papagei is doud.“

Und was darf, muss, soll man sich unter „Deutscher Postpunk“ vorstellen? „Postpunk“ an sich ist ja schon ein sehr schwammiger Begriff.

Postpunk kann, glaube ich, heutzutage zweierlei bedeuten. Einerseits alles, was nach der schwammigen Punk-Phase 1976/77/78 so kam, „nach Punk eben“, und/oder andererseits so Punk mit Wave-Kante, angelehnt an Bands wie JOY DIVISION oder BAUHAUS. Deutscher Postpunk könnte sowohl das sein, was damals, durch die erste Punk-Explosion beeinflusst, in Deutschland kulturell aufgegriffen und verwurstet wurde von Bands wie WIRTSCHAFTSWUNDER, KFC, ZK oder DAF, oder auch das, was sich heute selbst als Punk bezeichnet oder durch die Medien als solcher gelabelt wird. Ist ja quasi heute alles „nach Punk“ irgendwie ...

Nürnberg: Bratwurst. Eisenbahnmuseum. Christkindlmarkt. Und GENETIKS. Was würde ein Reiseführer über euch erzählen, so an richtig harten Fakten?

Wenn der Reiseführer im Bus zu den weniger romantischen Fakten über Nürnberg kommen würde – Reichsparteitagsgelände, Rotlichtviertel oder notorisches Rumgenörgel der Ureinwohner als Umgangston –, dann würden vielleicht auch die GENETIKS ins Spiel kommen. Der würde über uns dann wahrscheinlich sagen: „Da hinten, hinter dem Kulturgebäude und der freien Radiostation, in dieser dunklen Ecke da, sehen Sie eine der eher unauffälligen, wenn aber auffällig, dann umstrittenen Kapellen Nürnbergs. Die fabrizieren seit etwa einem Jahrzehnt in wechselnder Besetzung eine furztrockene Melange aus glühweinhartem und lebkuchenweichem Sound. Einmal im Jahr spielen sie in der ehemaligen Stadt der Aufmärsche. Zu diesen Anlässen kann es zu unangekündigter Nacktheit und Blutverlust durch Fausteinwirkung kommen. Ganz im Gegensatz zu diesem eher rauh anmutendem Mythos um diese Band, wird man, ist diese Schale einmal durchbrochen, aber hilfsbereite und freundliche Menschen vorfinden.“ Du wolltest doch die richtig harten Fakten ...

Was nun den Begriff „Schwarzbuch“ betrifft, so sagt mir Wikipedia: „Ein Schwarzbuch ist eine Sammlung von Negativbeispielen aus der Sicht des Autors oder Herausgebers, die in Buchform veröffentlicht wird, in jüngerer Zeit auch als Dokument oder Website. Es gehört zur Gattung der Enthüllungsliteratur, die sich die Aufdeckung von – vermeintlichen oder tatsächlichen –unmoralischen, illegalen oder kriminellen Missständen (also entweder der „schwarzen“ [negativen] Seiten von Einzelpersonen beziehungsweise von politischen oder wirtschaftlichen Organisationen oder der „schwarzen Schafe“ innerhalb einer Branche) zur Aufgabe gemacht hat. Diese werden an den öffentlichen Pranger gestellt, beziehungsweise ohne Wertung der Öffentlichkeit kundgetan.“ Was wollt ihr anprangern?

Ich bin letztens durch einen Buchladen geschlendert und mir sind da ein Haufen solcher „Schwarzbücher“ über CIA, CDU und so weiter aufgefallen, in denen, wie du oben so schön zitiert hast, unangenehme Details über die eine oder andere Organisation, Person oder Regierung aufgedeckt werden. Da ich selbst einen so genannten Punk- beziehungsweise Hardcore-Background habe, mich dieses Thema also seit Jahren interessiert respektive verfolgt, dachte ich plötzlich daran, wie es wohl wäre, wenn jemand ein solches „Schwarzbuch“ über den so genannten „Punk“ herausbringen würde. Da könnte dann zum Beispiel drinstehen, dass schon 1978 einige, das, was sie gerade eben als „Punk“ bezeichnet hatten, schon für tot erklärten, weil es nicht mehr ursprünglich das sei, was es mal war, sondern dass es mittlerweile schon zur bloßen Maskerade verkommen sei. Oder da stünde drin, dass sich viele der damaligen Bands hassten und sich gegenseitig vorwarfen, nur eine Kopie von der Kopie zu sein oder „Punk“ zu verraten durch Ausverkauf zum Beispiel. Da stünde vielleicht drin, dass der Mensch gern vergangene Dinge verklärt, weil es einfacher ist, in vermeintlich Schönem, Vergangenem zu schwelgen, als mit der eigenen banalen Realität klarzukommen. Da könnte zum Beispiel auch drinstehen – auch nix Neues, ich weiß –, wie die Medien das, was damals als „Punk“ aufkam, kommerziell ausgeschlachtet und total verdreht haben, oder dass „Punk“ vielleicht was mit Alter zu tun hat. Denn je älter ich werde, desto mehr füge ich mich ein in diese Gesellschaft und in diesen Staat – Perso, Auto, Kinder, Rente etc. Wie punkig konsequent oder konsequent punkig kann ich dann noch sein, wenn mir meine Eltern diesen ganzen unliebsamen Scheiß nicht mehr vom Leib halten? Wenn man „Punk“ nicht nur als Musikrichtung sieht, sondern auch als Geisteshaltung oder Religion, würde das dann in diesem Buch wahrscheinlich immer mehr von der Haltung hin zur coolen Musik rüberwandern. Weil so letztendlich nicht mehr viel davon übrig bliebe, außer die Illusion von irgendetwas radikal Echtem, dessen Formel nur die alten Gralshüter kennen ... und das prangern wir an!

Passend zum Titel seht ihr auf der Anzeige zum Album so aus, als hättet ihr gerade gemeinsam Kohle geschaufelt oder würdet euch für die Rolle des schwarzen Königs bei den Sternsingern bewerben – oder euch gar über dunkelhäutige Mitbürger lustig machen. Was ist wirklich passiert?

Kohle geschaufelt ist eigentlich ein gutes Bild, da man sich für so ein „Schwarzbuch“ durch ganz schönen Dreck wühlen muss, um vielleicht dann zur vermeintlichen Wahrheit zu gelangen. Warum gehst du von dieser negativen Sichtweise aus? Warum kann es nicht sein, dass wir uns schwarz angemalt haben, weil wir dunkelhäutige Mitbürger gut finden? Ich bin zum Beispiel seit Jahren ein großer Fan von Fela Kuti und dessen Kosmos. Seine Mucke ist quasi Pflichtlektüre im Bandbus auf Tour. Verkleidung kann auch heißen, dass man in eine andere Rolle schlüpft, und wer hat sich noch nicht vorgestellt, wie es wohl wäre, mal als dunkelhäutiger Mitbürger rumzulaufen. Wir fanden auch, dass durch die Fotos dieser schwere Albumtitel wunderbar persifliert würde. Das ist eigentlich der ganze Hintergrund zu der Sache.

Ist der Satz „Cum violenta bonum facere“, zu finden im Booklet, euer Bandmotto? Mein Großes Latinum ist zwar schon über 20 Jahre her, aber ich glaube, das heißt: „Mit Gewalt Gutes tun“. Was wollen uns die Herren Gymnasiasten damit sagen?

Dass überhaupt jemand das Kleingedruckte auf der Platte liest, spricht für/oder gegen ihn. Ja, das heißt „Mit Gewalt Gutes tun“. Wir bleiben unserer Tradition treu und bauen am Fußende unserer Platten jeweils einen bedeutungsschwangeren lateinischen Abschlusssatz ein. Die meisten lesen drüber weg. Aber die, die ihn lesen, das sind auch meistens die, die genauer hinsehen, die mit Abitur, die lieber zweimal mehr nachfragen, um zu verstehen, als hinzunehmen und zu schlucken. Die Schlucker sind dann meistens die, die noch über die schimpfen, die zweimal nachgefragt und dann vielleicht verstanden haben. Der Satz ist eine Anspielung auf unsere verdrehte Realität, in der ja alle Mächtigen nach diesem Prinzip arbeiten. Da heißt das dann aber nicht so, sondern zum Beispiel „Friedensmission“ oder „Gesundschrumpfen“, eben euphemistisch. Unser Motto knallen wir halt ganz offen und ungeschönt auf den Tisch, wir wollen niemandem was vormachen. Das heißt, wo gehobelt wird, fallen Späne, beziehungsweise wer Schönes erschaffen will, muss manchmal auch gewaltig drücken, damit eine schöne Wurst dabei rauskommt.

Auf eurer Website habt ihr neben den Logos von Facebook und Twitter auch die von Aldi, H&M und Ikea – und von Bayern, oder ist das von der CSU? Welche Marken findet ihr noch gut, und warum?

Wer als unbekannte/r Band/Künstler bekannter werden möchte, der muss sich neben dem Live-Spielen und dem Plattenmachen der Social Networks bedienen. Und wer sich ohne das nötige Kleingeld durch unsere Realität in den Großstädten bewegen möchte, der kommt an den Bedarfs-Discountern unserer Zeit auch nicht vorbei. Das soll keine Werbung für die sein, sondern widerspiegeln, dass wir alle – der eine mehr, der andere weniger – mitten in dieser ganzen Scheiße drinstecken. Wir behaupten nicht, dass es gut ist, da drinzustecken, wir versuchen das ja in dem einen oder anderen Fall soweit als möglich auch zu vermeiden, aber ich will mir trotzdem keine Predigten von irgendwelchen Missionaren der guten Sache anhören, die dabei Coca-Cola schlürfen, schicke, in Billiglohnländern produzierte Leder-Sneakers tragen und daheim das neueste Ox oder Trust in ihr Billy-Regal stapeln. Das Logo mit dem goldenen Löwen, der die blaue Raute hält, ist das Logo der CSU und führt direkt zu einer Vereinigung namens „Lesben und Schwule in der Union/CSU“, die erst kürzlich von der Partei anerkannt wurde. Ich dachte gar nicht, dass es Lesben und Schwule in der Union gibt. Die gibt das aber jetzt auch offen zu, quasi das „Coming-out“ der CSU. Das freut uns, deshalb wollten wir das publik machen.