Rookie Records

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Achtung, Anfänger!

Nein, ein Anfänger ist Jürgen Schattner nicht, auch wenn der Name seines Labels diesen Eindruck erweckt. Letztlich ist der aber wiederum ja nur eine Anspielung auf seine nach einem Aufkleber für Fahranfänger benannte Band ATTENTION!ROOKIES. Davor war die WALTER ELF, danach KICK JONESES, wohnte er in Kaiserslautern und in Freiburg und landete schließlich in Köln, wo er seit ein paar Jahren als Kleinunternehmer mit der Herstellung von Tonträgern von Bands wie SPERMBIRDS, PASCOW oder GENEPOOL beschäftigt ist. Außerdem schreibt Jürgen fürs Ox, ist ein netter Kerl – und feiert 2011 den 15. Geburtstag von Rookie Records.

Jürgen, bitte stell dich vor.

Ich bin 45 Jahre alt, in Landau in der Pfalz geboren, aufgewachsen in Enkenbach bei Kaiserslautern und lebe seit einigen Jahren in Köln.

Wie bist du einst zu Punk/Hardcore gekommen?

Anfang der 1980er hatte ich das Glück, an meiner Schule in Kaiserslautern meinen Großen-Bruder-Ersatz kennenzulernen. Jochen „Doc“ Wenz war zwei Klassen über mir und spielte damals bei einer Punkband namens AWACS. Er empfahl mir neue Bands und zeigte mir die ersten Griffe auf der Gitarre meiner Schwester. Neugierig geworden ging ich zu den ersten Konzerten der Lauterer Indie-Musikszene. Darunter war auch ein Konzert von KAHLSCHLAG – nicht die Naziband natürlich! –, aus denen später die WALTER ELF hervorging. Ich lernte Beppo und Frank kennen, die zu meinen ältesten Freunden zählen und mit denen ich bis heute Musik mache. Als sie ihren Proberaum in der Betzenberg-Grundschule verloren, zogen WALTER ELF, SPERMBIRDS und einige andere Lauterer Bands in den Heizungskeller meiner Eltern um. Obwohl ich in einem CDU-Wähler-Haushalt aufwuchs, unterstützten meine Eltern unser Treiben und ließen die Bands jeden Tag proben. An der Tür hing sogar eine Art Stundenplan: Freitags von 18-20 Uhr WALTER ELF, von 20-22 Uhr SPERMBIRDS. Ein einziges Kommen und Gehen im Hause Schattner.

Was waren deine ersten, was sind deine heutigen „Szene“-Aktivitäten?

1984 gründete ich meine erste eigene Band, SECHSER PACK, stieg aber schon 1985 bei WALTER ELF ein, als deren erster Gitarrist Joe Strübe nach Norddeutschland zog. Später spielte ich bei WEDDING TACKLE, FREEZERBURN, ATTENTION!ROOKIES – daher auch der Labelname – und bis heute bei KICK JONESES, der WALTER ELF-Nachfolgeband. Ich tauschte Platten, übernahm von Beppo irgendwann die Plattenkiste und verkaufte bei unseren Konzerten. Ich organisierte Konzerte in Kaiserslautern und später auch in Freiburg, buchte Touren für WALTER ELF und meine anderen Bands und war als Roadie mit SPERMBIRDS unterwegs. 1996 gründete ich mein Label Rookie Records, das anfangs eher als Hobby bzw. Notlösung gedacht war, weil niemand die A!R-Platten veröffentlichen wollte.

Was machst du, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie sah der Weg dorthin aus?

Ich arbeitete lange Zeit als Umwelttechniker bei einem privaten Ingenieurbüro, das sich auf Altlasten spezialisiert hatte. Meistens nur halbtags, mein Traumberuf war es nicht, sondern eher die Möglichkeit, ein Grundeinkommen zu sichern, um mir mein Hobby Musik leisten zu können. Im Sommer 1998 traf ich zufällig Tom von Flight13 Records bei einem Konzert in Saarbrücken und wir kamen ins Gespräch. Ich erzählte ihm von meinem Traum der Nacht zuvor, dass ich bei Flight13 in Freiburg arbeiten würde. Das nennt man wohl Initiativbewerbung, und nach beiderseitiger kurzer Bedenkpause zog ich Anfang 1999 in den Breisgau und blieb dort bis 2006. Ich lernte bei Tom quasi die Grundlagen für meinen heutigen Beruf, machte später meinen kaufmännischen Abschluss nach und professionalisierte mein Label immer mehr. Inzwischen hat sich Rookie Records zu meinem Beruf entwickelt und ich feiere im April 2011 mein 15-jähriges Jubiläum mit einem großen Konzert in Köln im Gebäude 9. Da es heutzutage sehr schwierig ist, nur von verkauften Tonträgern zu leben, habe ich vor zwei Jahren zusammen mit einem alten Bekannten eine Musikverlagsedition gegründet, verlege also auch die meisten meiner aktuellen Bands. Zusätzlich mache ich für „labelfremde“ Bands Promotion und buche für einige meiner Bands auch Konzerte. Alles zusammen kann mich einigermaßen ernähren.

Wie „punkrock“ ist dein Job, wo gibt es Berührungspunkte zu deinen privaten Interessen bzw. zu Punk-Idealen, worin liegen die „Inkompatibilitäten“?

Natürlich kommt es zu Inkompatibilitäten, wenn man den Begriff Punkrock-D.I.Y. mit „keinen Profit machen“ gleichsetzt. Als das Label mein Hobby war, veröffentlichte ich auch Platten, bei denen ich vorher schon wusste, dass das Geld nie mehr reinkommen würde. Es war mir aber egal. Wenn „Punkrock“ mich ernähren soll, muss ich natürlich anders an die Sache herangehen und eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung machen. Ich verlange von meinen Bands zumindest semi-professionelles Arbeiten, also sollte ich mit gutem Beispiel vorangehen. Und ja, ich muss natürlich mit Journalisten und Anzeigenverkäufern dealen, die ich vielleicht nicht sonderlich mag, aber wenn man eine Platte gut bewerben will, muss man mehr ausprobieren als drei Anzeigen in Ox, Trust & Plastic Bomb.

„Eine andere Welt ist möglich“ sagt attac. Was sagst du, was tust du dafür?

Gute Frage, eine andere Welt ist sicher möglich, aber wäre diese auch gerechter? Attac ist eine gute Sache, ich habe den Jubiläums-Sampler ja auch bei Rookie veröffentlicht, aber ich möchte hier nicht in politische Agitation verfallen. Punkrock ist für mich seit jeher nicht Killernieten und „Schieß doch Bulle“ auf der Lederjacke gewesen, sondern wie es Jello Biafra ausdrückte, „punk means thinking for yourself“.

Wie reagiert dein Umfeld auf deine Punkrock-Vorliebe?

Meine Eltern haben es nicht verstanden, was mich an dieser Musik reizt, die meisten meiner Mitschüler und später meine Arbeitskollegen sicher auch nicht. Es stößt oft auf Verwunderung, wenn ich sage, dass ich ein Punkrocklabel betreibe. Für viele ist Punkrock eine tote Jugendbewegung, so wie Rock’n’ Roll.

Apropos: Punk war mal eine Jugendbewegung. Wie lässt sich das mit deinem Alter vereinbaren? Für immer jung, für immer Punk? Oder manchmal doch das schleichende Gefühl, für irgendwas zu alt zu sein?

Für immer Punk ganz sicher, im Herzen und im Kopf, aber manchmal fühle ich mich seltsam in der Zeitschleife, wenn vor der Bühne die Kids Pogo tanzen und ich hinten mein Bier trinke. Das Besuchen von Konzerten ist natürlich auch Teil meines Berufes, trotzdem macht es mir nach wie vor Spaß, neue Bands zu entdecken. Nur für mich, weil ich Musikfan bin, oder halt für mein Label, weil ich denke, diese Bands hätten es verdient, von vielen gehört zu werden. Dann geht der missionarische Eiferer mit mir durch.

Bei welcher Gelegenheit hast du angefangen, über Musik zu schreiben?

Ich schrieb bei Flight13 meine ersten Plattenbesprechungen für den Katalog bzw. den Onlineauftritt. Das war anfangs völlig neu und ich wurde erst mit der Zeit besser und schneller. Natürlich waren das keine langen Abhandlungen wie bei Musikjournalisten, nur ein Mal haben mein Kollege Kristof und ich die „Dear You“ von JAWBREAKER so umfangreich – Lied für Lied – besprochen, dass die Rezension im Flight13-Katalog eine halbe Spalte lang war.

Wie und wo hast du das Ox erstmals wahrgenommen?

Irgendwann bei einem Konzert in der Nähe von Ulm, wohl so 1989/90. Entweder war Joachim selbst da oder einer der Konzertverkäufer hatte das Heft in der Kiste.

Und was hat dich dann bewegt, beim Ox mitzumachen?

Ich bin immer auf der Suche nach guter Musik und ich beschäftige mich gerne mit Bands und deren Geschichte. Ich finde das Ox immer noch gut und wichtig und möchte meinen kleinen Beitrag liefern.

Welche Bands/Platten und Genres haben dich früher beeindruckt und beeinflusst, welche sind es heute?

Meine erste Lieblingsband waren die BEATLES. Ich lag nach der Schule zuhause im Zimmer mit dem Weißen Album und sang die Texte mit, ohne groß zu wissen, was die Songs zu bedeuten hatten. Dann folgte eine kurze Phase mit Hardrock, unter anderem AC/DC und MOTÖRHEAD, die ich bis heute gut finde. Dann kam mit einem großen Knall Punk, in allen Formen und Spielarten, meist eher die melodische Variante. Es ging los mit SEX PISTOLS, DEAD KENNEDYS, UK SUBS, CLASH und RAMONES. Heute schaue ich, was es an alten Powerpop-Schätzen noch so gibt, wo Punk herkommt, also viel 60s/R’n’R, aber auch mal ein bisschen Northern Soul.

Was hat sich deiner Meinung nach in der Szene in der Zeit, die du dabei bist, am maßgeblichsten verändert, sowohl positiv wie negativ?

Die fortschreitende Kommerzialisierung ist sicher einer der entscheidenden Punkte. Die D.I.Y.-Szene ist nahezu ausgestorben und Subkultur findet meist ähnlich strukturiert statt wie Mainstreamveranstaltungen. Der Profit steht an erster Stelle. Das mag jeder selbst bewerten. Durch das Internet ist der Aufbau eines Netzwerks viel einfacher geworden, das heißt die Möglichkeiten sind theoretisch da, in einer selbstgeschaffenen Nische/Szene zu arbeiten.

Was empfindest du heute als das größte Ärgernis in Zusammenhang mit Musik?

Für mich als Label sicher der Punkt, dass Musik inzwischen von den jüngeren Generationen als vorhandenes „kostenloses Gemeinschaftsgut“ betrachtet wird. Es wird ins Netz gestellt, gefilmt, gepostet, geklaut ... Eine schier unendliche Flut von Infos, die nur wenig Mehrwert bringen, aber alles zu jeder Zeit verfügbar machen. Es ist ja nicht so, dass jeder Rapidshare-Nutzer dann auch zu den Konzerten der Bands gehen würde.

Wie wichtig waren dir früher Äußerlichkeiten wie Schuhe, Frisur oder Kleidung, wie sieht das heute aus?

Ich trug als Jugendlicher eine Lederjacke, aber ohne Nieten oder Parolen, das fand ich peinlich. Ich hatte auch keinen Iro oder Dreadlocks, ich war eher der „New Wave“-Typ, wenn überhaupt, dann schwarz gefärbte Haare. Heutzutage achte ich bei Kleidung eher darauf, dass sie bezahlbar ist und trotzdem nicht zwangsläufig aus den schlimmsten Sweatshops in Asien stammt.

Wie groß/klein ist deine Plattensammlung, wie wichtig ist sie dir, welche Formate bevorzugst du?

Ich weiß es nicht genau, schätze mal 1500 LPs, 1000 Singles und 400 CDs, wobei die meisten davon Promos sind. Ich kaufe bis heute kaum eine CD. Als Teenager bestellte ich zusammen mit Freunden bei Malibu, dann auch bei X-Mist, Flight13 und We Bite. Mein Kaufverhalten hat sich entscheidend geändert, seit ich nicht mehr bei Flight13 arbeite. Damals war es normal, dass man seine Überstunden in Naturalien auszahlen ließ. Eine große Verlockung für einen Musikfan.

Du machst mit Rookie Records als Einzelkämpfer ein cooles Label. Was fasziniert dich am Labelmachen?

Das Entdecken einer neuen Band und der Weg von diesem Punkt bis zur Releaseparty ist sicher extrem spannend, aber auch arbeitsintensiv. Ich habe größtenteils mit Menschen zu tun, die meine Liebe zur Musik teilen. Was will man mehr als weitgehend selbstbestimmt zu arbeiten und gleichzeitig seiner Leidenschaft nachgehen zu können? Ich möchte das gar nicht verklären, auch ich muss viele Sachen machen wie z. B. Buchhaltung, die mit dem eigentlichen Thema Musik nichts zu tun haben.

Gibt es Label-Vorbilder?

Nein, ich fand zwar Dischord und SST und die meisten ihrer Bands total gut, aber ich mach mein eigenes Ding.

Welches waren die ersten Bands, welche sind heute wichtig?

Es ging mit ATTENTION!ROOKIES los: Keiner der üblichen Verdächtigen wollte die Platte rausbringen, also wurde ich selbst aktiv. Dann erschienen die Vinylversion des ersten KICK JONESES-Albums, später die Neuauflagen der ersten WALTER ELF und SPERMBIRDS, die ursprünglich auf We Bite veröffentlicht wurden. Inzwischen hat sich mein Musikgeschmack verbreitert, entsprechend habe ich über die Jahre z. B. FRAU DOKTOR (Ska/Rocksteady), DIEGO (Wave), THE PLEASURE (Pop) und Big John Bates (Rock’n’Roll) aufs Label genommen. Durch meinen englischen Partner Aston von Boss Tuneage und meine Kollegen von Fullsteam in Finnland habe ich viele Release-Kooperationen gemacht, also deren Platten dann hier in den Vetrieb gebracht. Auch dadurch hat sich das Gesamtprogramm stilistisch entscheidend erweitert.

Welches sind die drei wichtigsten, besten oder meistverkauften Veröffentlichungen?

Den Grundstein habe ich sicher mit den Neuauflagen der alten WALTER ELF und SPERMBIRDS gelegt, die sich bis heute recht gut verkaufen. Der Begriff „die Besten“ ist immer relativ und im jeweiligen zeitlichen Kontext zu sehen. Die Bestseller sind aktuell sicher SPERMBIRDS und PASCOW, dazu AERONAUTEN, STEAKKNIFE, TURBOSTAAT und JINGO DE LUNCH.

Wie sieht deine „Labelpolitik“ aus, was ist dir wichtig, was geht gar nicht?

Mir ist es wichtig, dass ich mich mit der Band verstehe und die Band kapiert, was ich tue und warum. Am Anfang steht allerdings immer der Besuch eines Konzertes. Es kommt nicht drauf an, dass 150 Leute total steil gehen. Die Musik muss mir gefallen, der Auftritt muss mich berühren. Ich veröffentliche keine Platte, nur weil ich denke, dass die durch die Decke gehen könnte. Ich bekomme so viele Anfragen jede Woche, Bands aus Italien und Finnland schreiben mir, aber ich habe bis heute keine einzige Band aufs Label genommen, weil sie mir ein Demo geschickt hat. Eigentlich läuft alles über persönliche Empfehlungen von Bookern, Promotern und Verlagspartnern. Traurig, aber wahr und bitter für den Nachwuchs. Apropos, es kommt öfter vor, dass Bands noch keine zehn Auftritte gespielt haben, aber schon nach einem Plattenvertrag fragen. Viele wollen sich ins gemachte Nest setzen. Ich glaube, es ist heutzutage wichtiger denn je, dass Bands Eigeninitiative entwickeln und Netzwerke aufbauen, die abseits vom Mainstream funktionieren können.

Wie siehst du die Zukunft von kleinen Ein-Mann-Labels wie Rookie in Zeiten, wo so ziemlich jeder „nur so zum Reinhören“ Musik „umsonst“ runterlädt, aber „natürlich“ von allem, was gefällt, das Vinyl kauft?

Zum einen muss ich natürlich schauen, wie ich die Verluste durch immer weniger verkaufte Tonträger auffange. Die digitalen Verkäufe reichen dafür noch lange nicht. Da ist nur eine ganz langsame Entwicklung festzustellen. Ich habe inzwischen einen Musikverlag/eine Edition gegründet und hoffe so, weitere Einnahmen zu erwirtschaften. Dazu bedarf es natürlich auch einer stimmigen Zusammenarbeit mit den Bands, die durch kontinuierliche Auftritte entsprechend mehr Platten absetzen können. Ich glaube, das Überleben in der Nische ist möglich. Ich biete natürlich, wenn es wirtschaftlich Sinn macht, von allen Titeln auch eine Vinylversion an. Die Aufmachung ist mir dabei ein besonderes Anliegen. Ich bevorzuge schweres oder farbiges Vinyl, die Texte als Beilage oder bedruckte Innenhüllen und in letzter Zeit verstärkt beiliegende Downloadcodes, damit sich der Vinylkäufer seine Platte auch im Auto, beim Baden oder Joggen anhören kann.

Welche Daseinsberechtigung, welche Rolle, welche Funktion haben Labels wie Rookie, warum müssen die überleben?

Ich fühle mich als Entdecker, also als klassischer A&R, der in einem Meer neuer Bands die für mich richtigen herausfischt. Es gibt so viele abseits vom Mainstream, die es verdient haben, einem größeren Publikum vorgestellt zu werden.