SONNY VINCENT

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The New York Years

Sonny Vincent machte seine ersten musikalischen Gehversuche Ende der Sechziger, hat seinen fünfzigsten Geburtstag also auch schon eine Weile hinter sich gelassen, und wird wohl auf ewig damit leben müssen, dass sein Name zwar echten Punk-Aficionados ein freudiges Lächeln ins Gesicht zaubert, jenen jedoch, die an New Yorker Punkrock neben den RAMONES höchstens noch die DICTATORS und NEW YORK DOLLS nennen können, bis heute unbekannt geblieben ist. Dafür kann sich Sonny Vincent rühmen, seinen Roots bis heute treu geblieben zu sein, denn zwischen den Aufnahmen der TESTORS von Ende der Siebziger und dem, was bis in die jüngste Vergangenheit eingespielt wurde, ist stilistisch eigentlich kein Fingerbreit Platz: Vincent spielt archetypischen, melodiösen, rauhen, melancholischen Rock’n’Roll im prototypischen, schnodderigen Punk-Gewand der Mitt-Siebziger und hat seitdem keine Veranlassung gesehen, an dieser Formel irgendwas zu ändern. Seine Aufnahmen entstehen in wechselnden Besetzungen, sein Adressbuch ist dick, und so kam es über die Jahre zu Kollaborationen mit Helden wie Scott Asheton, Captain Sensible, Bob Stinson, Moe Tucker, Cheetah Chrome, Walter Lure, Wayne Kramer, Scott Morgan, Brian James, Greg Ginn oder John „Speedo“ Reis. Viel hat Sonny, der derzeit mal wieder in Deutschland wohnt, im Laufe der Jahre erlebt, und entsprechend viel hat er zu erzählen, weshalb wir ihn im Rahmen einer Serie von Interviews zu Wort kommen lassen. Hier Teil 1.

Sonny, wie bist du ursprünglich in die Punk-Szene gekommen?

Es fing so an, dass ich in der Schule eigentlich immer nur Stress hatte. Ich brach die Schule ab, verließ mein Zuhause und mit 13 stand ich dann auf der Straße. Danach wurde ich auch einige Male in den Knast gesteckt. Das lag wohl meistens daran, dass ich Probleme damit hatte, mich der Gesellschaft anzupassen und irgendeiner korrupten Autorität zu gehorchen. Das war von Anfang an ein Problem für mich. Punk war also eine natürliche Konsequenz davon, denke ich. Wir nannten es anfangs allerdings gar nicht Punk. Als Gene und ich 1975 die TESTORS gründeten, waren die Begriffe „Punk“ und „Punkrock“ noch gar nicht gebräuchlich. Wenn wir uns selbst beschreiben sollten, nannten wir unseren Stil „Original Music“, weil das am ehesten passende „Hard Rock“ gewesen wäre. Und obwohl wir unseren Rock härter als den der normalen Rock-Bands fanden, passten wir nicht in diese Kategorie. Später machte Legs McNeil ein Magazin und nannte es „Punk“, also waren alle Bands Punk, über die er schrieb. Außerdem ist Punk nichts, was man sich aussucht, man ist es einfach! Im Sinne von: „Hm, ein Hippie zu sein ist irgendwie nicht mehr so cool, ich glaub, ich werde jetzt Punk, dann kann ich mehr Mädels aufreißen.“ So lief das nicht. Um ehrlich zu sein, anfangs mochte niemand von uns den Ausdruck „Punk“, aber wir fingen an, ihn zu benutzen, nachdem so etwas wie „New Wave“ in der Szene auftauchte. Ich dachte nur: Was zur Hölle soll das sein? Verdünnter Punk? Es klang so schrecklich. Nach diesem New-Wave-Scheiß klang „Punk“ also letztendlich okay. Es klang tough und cool.

Und wie ging es mit den TESTORS los?

Ich komme ja aus New York, und eines Tages fuhr ich nach Florida, hatte meine Songs und meine Gitarre dabei und schrieb in Florida auch einige Songs. Als ich dort war, traf ich Gene, brachte ihm meine Songs bei und nahm ihn mit nach NYC, wo wir dann die TESTORS gründeten. Zu der Zeit entstand in New York auch gerade eine kleine Szene und ich war froh, endlich einen Ort zu haben, wo ich spielen konnte. Ich hatte meine Musik zwar schon, bevor ich die Bands rund um das CBGB’s und das Max’s sah, aber das waren trotzdem unglaubliche Momente, etwa als ich das erste Mal die RAMONES gemeinsam mit den CRAMPS sah. Es gab natürlich schon einige Band, die mich inspiriert haben. Ich weiß noch, wie ich Johnny Thunders gesehen habe, der den authentischsten, großartigsten Sound überhaupt hatte – nur mit seiner Gitarre und einem Verstärker. Keine Pedale, keine Special Effects. Das war pure Inspiration und ich schmiss am nächsten Tag sofort mein Echoplex weg. Ich höre mir viel lieber Johnny an, wie er nur mit seiner Gibson durch einen Amp spielt, als die Typen von PINK FLOYD mit ihren 100 Effekten. Im Grunde genommen war das Inspirierendste seine Einfachheit. Niemand war interessiert an den Exzessen und Rockstar-Gepose der großen Gruppen, die es zu der Zeit gab. Wir wollten weg von dem Stadion-Scheiß. Diese Musik war todlangweilig für uns. Wir waren fasziniert und besessen von der Einfachheit der Musik der Fünfziger. Es war eine Art Trennung von der „Rich Rockstar Music“ und eine Rückbesinnung auf die Leidenschaft des wahren Rock’n’Roll der Fünfziger und frühen Sechziger. Und die Musik der TESTORS war sehr individualistisch. Ich arbeitete fast wie in einer Blase, wie in einer Höhle. Ich mochte es sehr rauh. Gene und ich waren sehr verbunden, was unsere Spielweise anging.

Nachdem dieses Kapitel ja „The New York Years“ heißt, wie war es so in New York in der Siebzigern?

New York in den Siebzigern war verdammt cool. Es gab kein Muster, dem du folgen musstest, sondern wir schrieben mit dem, was wir taten, unser eigenes Drehbuch. Es gab so viele originelle Bands, die ganz anders klangen als das, was im Radio lief. Anfangs gab es auch gar keine coolen Klamotten, wenn du nicht das Glück hattest, einen älteren Bruder zu haben, dem du Fünfziger-Jahre-Klamotten klauen konntest. Du musstest also improvisieren. Die Musik war natürlich das Wichtigste, aber ich kann nicht oft genug sagen, wie unfassbar leidenschaftlich die Leute sich für ihre Klamotten interessiert haben. Es war eine kleine Gruppe und es gab strenge Regeln, was cool war und was nicht. Wie ich schon sagte, Fünfziger-Zeug war cool, selbstgemachte Klamotten waren cool, und alles, was irgendwie beängstigend oder abstoßend war, und alle haben sich ständig damit beschäftigt. Ich erinnere mich noch, wie meine Manager zu dieser Zeit fragten, ob ich nicht mein Image ein bisschen runterfahren könnte, weil sie dachten, auf die Mädchen würde ich wirken wie ein Serienmörder oder ausgebrochener Häftling. Natürlich ist es heute nicht mehr schockierend, wenn jemand so aussieht, aber damals hat es die Menschen wirklich erschreckt. Es war merkwürdig, als wir plötzlich feststellten, dass das Image doch stärker war, als wir es für möglich hielten. Die Leute beleidigten uns, wenn wir die Straße entlanggingen.

Wo hingst du am liebsten rum?

CBGB’s und Max’s Kansas City. Später gab es noch ein paar Locations, aber die zählen nicht wirklich. Vielleicht mal, um eine Band zu sehen, zum Beispiel im Irving Plaza oder im Ritz, aber die beiden Orte, um abzuhängen, waren das CB’s und das Max’s. THE VELVET UNDERGROUND haben im Max’s ihren allererste Auftritt gespielt, dann kamen die Glamrock-Bands und später war es nur noch Punk. Oft trafen wir andere Bands auch einfach auf der Straße, hauptsächlich am St. Marks Place.

Was war der schlimmste Auftritt während der Zeit in New York? Und was der beste? Kam es es jemals bei einem eurer Gigs Gewalttätigkeiten?

Also der schlimmste Gig war an sich gar nicht so schlecht, da die Atmosphäre sehr aufgeladen und aufregend war. Aber er war nicht in New York, sondern im Hot Club, einem Laden in Philadelphia, den die CBGB’s-Bands für sich entdeckt hatten. Ich glaube, Stiv hat mir davon erzählt. Es waren nur zwei oder drei Stunden Fahrt und es war ein cooler Laden, um da unsere Musik zu spielen. Als die TESTORS dort das erste Mal auftraten, machte eine Art Standardrock-Band den Opener für uns, und die hatte einige Fans dabei. Sie spielten ihr Set für ihre Freunde und Fans. Ich erinnere mich noch, dass sie sich anhörten wie dieser lächerliche Kram, der im Radio lief. Ich nehme nicht an, dass ihre Fans schon bereit waren für die TESTORS. Wir wurden angesagt – „From New York City: TESTORS!“ – und fingen an zu spielen. Nach ein paar Songs riefen die Leute so was wie: „Lernt endlich zu spielen!“, „Haut ab nach New York!“. Wirklich! Sie waren geschockt und sogar irgendwie beleidigt. Also sagte ich ihnen, dass sie ihre Mütter informieren sollten, dass ich sie nach der Show besuchen kommen würde für ein bisschen Sex und eine warme Mahlzeit. Da rasteten sie aus. Sie schubsten Gene von der Bühne und alle P.A.-Boxen fielen herunter. Es waren allerdings auch Fans von uns in der Menge, so dass es in eine Art Kampf ausartete. Wir spielten weiter, schafften aber nur drei weitere Songs, bis die Polizei die Veranstaltung abbrach. Es herrschte ein riesiges Durcheinander, als wir fertig waren. Überall zerbrochenes Glas, zerbrochenes Holz von den Stühlen, außerdem hatte jemand die Toiletten geflutet und überall stand das Wasser. Das totale Chaos. Du musst mal versuchen, dir die Sicht dieser Arschlöcher auf uns zu vergegenwärtigen. Wir trugen Klamotten, die total merkwürdig auf sie wirkten, im Grunde waren sie sauer auf uns deswegen, das machte sie nervös, es regte sie auf, und als wir obendrein noch diese heftige Musik spielten, hielte sie es nicht mehr aus, sie schnappten über. Es war wirklich eine wahnsinnig negative Reaktion. Ein Jahr später spielten wir dort noch mal und da kannten die Leute in Philly bereits unsere Musik, so dass wir nicht wieder vor Leuten spielen mussten, die gegen uns waren.

Wer waren deine besten Freunde in der Punk-Szene?

Lux, Ivy, Cheetah, Dee Dee, Joey, Stiv, Alan Vega.

Ihr habt in Amerika mit den DEAD BOYS getourt, wie war es, mit denen zu spielen?

Es war lustig und auch verrückt. Wir mussten Stiv in Ohio bei seinen Eltern einsammeln. Wir kamen in das Haus und er hatte seine Klamotten auf links angezogen. Wir sind also losgefahren und nach zwei Meilen kamen wir zu einem Denny’s Restaurant. Wir gingen rein. Stiv, mit seinen Klamotten auf links, ich trug eine Thunfischdose an einem Band um den Hals und hatte mir Ketten um die Beine gewickelt. Und Johnny Blitz, der Drummer, hatte Käseklumpen auf sein T-Shirt geschmiert, in denen lauter Haare klebten. Also, das waren erst wir drei – die restlichen Bandmitglieder hatten auch noch was zu bieten. So starteten wir also auf unsere bahnbrechende Tour durch Amerika.

Wie wurdet ihr im Rest Amerikas angenommen? Wie war das Publikum?

Es war wirklich verrückt, Stiv war ständig der Entertainer. Aber die Welt war immer noch nicht bereit für unsere Musik und unseren Look. Wir trafen auch Fans, Leute, die wussten, was wir machten, aber überall waren auch viele Menschen, die das nicht verstanden, die gegen uns waren. Viele Tontechniker weigerten sich, unsere Shows abzumischen. Einer schlug sogar Stiv nieder. Oft mussten wir mit der voreingestellten P.A. spielen, niemand kümmerte sich um den Sound. Addier dazu noch die ganzen Drogen, die Frauen und den Wahnsinn auf dem Highway ... Aber ich denke, du kannst dir auch vorstellen, dass es eine ganz neue Art von Musik war – es klang sehr lebendig.

Was hat euch die Punk-Welle bedeutet, die zu der Zeit in England losging?

Wir fühlten uns dem Ganzen ziemlich verbunden, so als hätten wir Freunde an einem anderen Ort. Die Bands gefielen uns sehr gut. Es gab zwar eine gewisse Abneigung gegen die Kommerzialisierung und die Art und Weise, Pop als Ware zu sehen, wie es in England der Fall war. Aber die Musik und die Leute in den Bands waren Seelenverwandte für uns.

Hattet ihr die Chance, mit einigen der englischen Bands zu spielen?

Die TESTORS spielten eine Show mit X-RAY SPEX im CBGB’s und ein anderes Mal mit THE YACHTS im Max’s. Aber meistens traten wir zusammen mit anderen New Yorker Bands auf.

Warum hast du New York dann verlassen?

Die Szene hatte sich irgendwie verändert, die Bands wurden langweiliger und ließen sich kaufen. Es kamen Leute in NYC an, die sich durch ihre Eltern finanzieren ließen, und die kauften die ganzen billigen Apartments. Die Kunstszene war voller Leute, die sich ein Loft leisten konnten, das 3.000 Dollar im Monat kostete. Und viele der besten Bands waren total kaputt vom Heroin. Kurz nachdem die TESTORS sich aufgelöst hatten, spielte ich in einer NYC-Band, die THE PRIMADONNAS hieß. Und obwohl die Musik wirklich gut war, war die ganze Band ein reiner Drogenumschlagsplatz. Joey verkaufte Luigi Quaaludes, Luigi verkaufte Koks an Kenny. Es war ein Witz, immer wenn der Drummer während der Proben die Sticks wegschmiss, hieß das, es war Zeit für Kokain. Versteh mich nicht falsch, ich mag es, manchmal abgefuckt zu sein, aber die Musik war für mich immer das Wichtigste. Zu Spielen war mir wichtiger als die Party-Szene, in die New York sich verwandelte. Also verließ ich die Stadt und fuhr nach Minnesota, wo ich Leute fand wie HÜSKER DÜ und die REPLACEMENTS, die diese Art von Energie hatten, die ich brauchte.

Was denkst du heute über New York? Glaubst du, von dort könnte noch einmal etwas so Revolutionäres wie die Punk-Bewegung ausgehen?

New York hat viel mitgemacht. Nachdem ich weg war, versuchten einige Promoter, das Prinzip „Pay to play“ durchzusetzen, aber das hat nicht funktioniert. Dann wurde die Hardcore-Szene größer und war sehr lebendig, und viele dieser Bands hatten um 1975/76 die TESTORS das erste Mal gesehen und erzählten mir, dass unser Einfluss sie dazu gebracht hätte, ihre eigenen Bands zu gründen. Es waren auf jeden Fall garantiert nicht BLONDIE, was sie inspiriert hat! Momentan gibt es in New York einige Bands, die auf einem ähnlichen Trip sind wie wir damals. Sie sind heiß darauf loszulegen, doch leider bestimmt das Musikbusiness immer noch dieselbe alte Leier: Wenn du keine dieser blöden, gigantischen Firmen hinter dir hast, bekommst du kaum eine Chance, für ein breiteres Publikum zu spielen. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, also Bands, bei denen alles zu ihren Bedingungen abläuft. Aber wenn dir normalerweise Integrität etwas im Leben und in der Musik bedeutet, kostet es dich große Überwindung, deinen Kram an so einen schreckliches Konzern zu schicken. Aber meistens erledigt sich so was durch persönlichen Kontakt zu Leuten, die den gleichen Geschmack haben, Bands, Labels, Websites, Foren ... Und so kommt „Bizarro Hymns“, meine neue LP, jetzt bei Still Unbeatable Records raus, einem coolen Label, das sich auf 77er Punk spezialisiert hat. Es gibt also durchaus jede Menge Bands in New York und Umgebung, die den selben Geschmack haben und ein gewisses Maß an Integrität besitzen. Und die Möglichkeiten, dass die ein größeres Publikum erreichen, sind auf jeden Fall vorhanden.

Übersetzung: Ines Sagurski