NOISE AND RESISTANCE

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Ein Film über Punk und die Do It Yourself-Idee

Die Filmemacherinnen Julia Ostertag und Franny Andrade haben mit „Noise And Resistance“ einen Dokumentarfilm gedreht, der sich mit der europäischen DIY-Punkszene gestern und heute beschäftigt – jener Szene, die sich oft unterhalb des allgemeinen Radars auf Bauwagenplätzen, in Autonomen Jugendzentren, in den paar verbliebenen besetzten Häusern abspielt. Mitglieder von Bands wie CRASS, SEEIN RED, RUBELLA BALLET und WHAT WE FEEL kommen hier zu Wort, und es kommt den Macherinnen vor allem darauf an zu vermitteln, was diesen DIY-Spirit seit über dreißig Jahren am Leben hält. Ab Mitte Juni ist der Film in verschiedenen Programmkinos zu sehen – Daten unter www.noise-resistance.de – und es gibt auch eine DVD-Version.

Julia, Franny, was ist euer musikalischer bzw. Szene-Background, wie, wo, mit welchen Bands, bei welcher Gelegenheit seid ihr erstmals mit jenem Phänomen in Kontakt geraten, über das ihr euren Film gedreht habt?

Julia Ostertag: Ich bin zum ersten Mal Mitte/Ende der 80er Jahre im UJZ Kornstrasse in Hannover mit dieser Szene in Berührung gekommen. Da war ich 16/17/18. An die Bands erinnere ich mich noch nicht mal alle im einzelnen — ich bin damals einfach zu jedem Konzert gegangen. Es war die Zeit von z.B. MDC, NO MEANS NO, BLACK FLAG, und natürlich gab und gibt es in Hannover viele lokale HC-Bands, die aufgetreten sind. Ich weiss noch, dass ich völlig von der Atmosphäre, der Energie und dem abgerockten Ambiente fasziniert war. Inhaltlich habe ich das persönlich auf alles bezogen, worauf meine Freunde und ich Lust oder eben keine Lust hatten: auf jeden Fall wollten wir kein bürgerliches Leben. Es war die Zeit, als ich mir überlegen musste, was ich nach der Schule mache und alles, was mich wirklich interessiert hat, waren Kunst, Musik, radikale Philosophie und Politik. Natürlich haben wir auch gekifft und gesoffen, aber ich habe das nicht als „No Future“, sondern als eine insgesamt sehr kreative Stimmung empfunden — alle haben irgendwas gemacht — und dann waren da Projekte wie die Sprengel, das Silke Arp Bricht in Hannover, die selbstorganisierten Räume, und der musikalische Underground lieferten das Lebensgefühl dazu, den Soundtrack.

Franny Andrade: Na ja, generell würde ich sagen, ich bin Punk! Die Frage, die darauf folgt, ist: Was macht mich zum Punk? Ich habe da viele andere Vorstellungen, Wut, aber auch viel Kreativität und Energie in mir und in dieser Szene gab es zum ersten Mal die Möglichkeit für mich das auszuleben, und zwar zusammen mit anderen, denen es ähnlich geht und die mich darin inspiriert haben. Ich komme aus einer Kleinstadt im tiefsten Niederbayern, und da kann man nicht anders, als sich selbst was schaffen, anstatt darauf zu warten, dass irgendwer dieses Bedürfnis bedient. Dort hab ich angefangen Teil von Gruppen zu sein, Konzerte zu veranstalten und mich subkulturell und politisch zu engagieren. Seitdem ich in Berlin bin, haben sich für mich da ganz neue Möglichkeiten ergeben, Netzwerke wurden größer, es gab auf einmal viel mehr Struktur und Räume. Hier bin ich ein aktiver Teil der Punk- und DIY- Szene und gestalte sie in Form von Konzerten, Soliparties oder anderen (sub-) kulturellen Veranstaltungen mit. Ich bin aber auch Teil politischer Initiativen und Projekte die oft nicht mit der Szene in Zusammenhang stehen und versuche dies an der ein oder anderen Stelle zu verbinden. Also, um auf die Begegnung zurückzukommen: Das Ganze hat mit Punk angefangen, aber abgesehen davon begegne ich dieser kreativen Wut, von der ich am Anfang sprach, oder der Idee von DIY in allen möglichen Formen. Das hat Punk oder Musik an sich natürlich nicht gepachtet, das ist überall dort zu finden, wo Leute sich dazu entschließen, ihre Ideen auf eigene Faust und ohne viel materielle oder finanzielle Ressourcen und ohne Kompromisse mit Institutionen einzugehen, sie zu verwirklichen. Indem sie sich selbst organisieren, fehlende Mittel mit Kreativität und Improvisation ausgleichen und dabei voneinander lernen.

Wie würdet ihr dieses Phänomen beschreiben?

Franny: Ich weiss nicht, ob ich DIY als Phänomen beschreiben würde, doch um es mit Penny Rimbauds Worten zu sagen: „It’s just a naturally thing to do!“ Es ist wohl eines der normalsten und bestätigendsten Dinge, die man so machen kann: etwas selber machen! Ideen zu entwickeln, sie zu planen, umzusetzen und sich darin auszudrücken, damit zu anderen sprechen und zu erleben, zu was man selbst fähig ist! Und das mit der Leidenschaft und Überzeugung zum Thema und Lust auf das Ergebnis als Motivation, anstatt Kohle oder Karriere. Und wenn Punk eine Reaktion auf das Establishment und auf das Spießertum der späten 70er und er 80er war, dann ist DIY eine nachvollziehbare Entwicklung in der Punk-Szene, eine Reaktion auf das viel größere Übel, das uns heute gegenübersteht, nämlich all die Entwicklungen, die der Kapitalismus mit sich bringt. Letztendlich ist es ein Ausdruck eines Lebensgefühls, das viele Leute teilen: Unzufriedenheit und Unverständnis, zusammen mit dem Mut, sich nicht in Muster hineinpressen zu lassen, sondern selbst zu entscheiden, sich zu wehren, indem man Alternativen schafft, auch wenn es Mühe macht. Musik ist in unserem Film der gemeinsame Nenner, der rote Faden, der die unterschiedlichen Facetten und Menschen, die in unserem Film auftreten, verbindet. Sie ist die gemeinsame Sprache sozusagen, die einen sehr zentralen Faktor einnimmt, weil sich darüber die Ideen vermitteln und die Leute zusammenfinden.

Julia: Ganz einfach: DIY-Hardcore political underground.

Was verbindet ganz alte Bands/Musiker/Künstler wie CRASS und RUBELLA BALLET mit mittelalten wie SEEIN RED und jüngeren wie WHAT WE FEEL oder FALL OF EFRAFA, was verbindet diese Szene in so verschiedenen Ländern wie England, Holland und Russland?

Julia: Ich denke, es ist die innere Einstellung zu dem, was sie machen, auch wenn die Musik ganz unterschiedlich ist. Und es sind die Leute, die sie verbinden — das so genannte Publikum, das ja dann auch oft selbst wieder in Bands spielt oder politisch oder organisatorisch oder anderweitig kreativ aktiv ist. Das ist doch das Besondere: Es geht nicht um Stardom oder „Ich bin so ein geiler Musiker und ich muss jetzt mal das große Geld machen, auch wenn ich mich immer noch Punk nenne.“ Nee, das läuft anders — alle und alles sind verbunden, auch international, alle gehören zusammen, und es gehört auch dazu, dass man ungefähr weiß, was gerade aktuell so abgeht auf der Welt bzw. an politischen Aktionen, dass man sich seine Gedanken darüber macht und sich austauscht. Was auch verbindet ist natürlich einfach der Spirit, die Attitüde, etwas zu machen, zu touren und etwas zu sagen zu haben, was über die Musik hinausgeht. Wie sagt es Paul von SEEIN RED doch so schön: „Punk should be more than music.“ Ich denke, diese Einstellung verbindet die alten und die neuen Bands und auch die Leute, die diese Musik hören.

Franny: Repression und soziale Missstände, Ausbeutung, Krieg, Faschismus, Sexismus und all diese Dinge, mit denen mensch sich rumquälen muss, sind heute nicht weniger ein Thema als damals. In Ländern wie England und Holland spielt sich das offensichtlich auf einem anderen Niveau ab als in anderen wie zum Beispiel Russland. Aber nur weil es woanders schlimmer ist, bedeutet das ja nicht, dass es bei uns die Situation gut ist. Musik zu benutzen, um Sachverhalte auszudrücken, Meinungen zu äußern und zu mobilisieren, mit der Intention zu verändern und der Idee von einer anderen Gesellschaft, das ist es, was diese Bands verbindet. Genauso wie die Szene, die sich darum bildet, alle verbindet. Für diese Bands ist Punk nach wie vor mit politischem Aktivismus gekoppelt, und ihre Musik ist Teil des Kampfes für eine andere Gesellschaft, das ist eine ziemlich starke Verbindung. FALL OF EFRAFA würde ich da allerdings ausnehmen, da sie einen morbideren, weniger aktivistischen Standpunkt haben.

Bei CRASS – gerade wenn man die Bücher von Penny Rimbaud und Steve Ignorant gelesen hat – könnte man sagen, dass ihre Attitüde dem Zeitgeist der späten Siebziger und frühen Achtziger entsprach, doch dreißig Jahre später ist diese Form von Punk nicht tot. Was macht diese Form von „Noise and Resistance“ zeitlos und wichtig?

Julia: Es ist so wichtig, weil angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung, sich um diese Musik und politische Szene herum die letzten kulturellen Freiräume gruppieren — Konzerte sind in dieser Hinsicht einer der wichtigsten sozialen Treffpunkte und ein Ausgangspunkt für Netzwerke, und diese Form der Undergroundkultur verliert nie an Aktualität. Es kann da auch keine Historie im Sinne von „hat sich erledigt“ geben, denn genauso wie die Mainstreamkultur geht dieser Prozess zum Glück immer weiter, denn er hat ja auch mit Jugendbewegung zu tun und Kommunikation zwischen Generationen — das gemeinsame Bedürfnis nach Freiräumen und Selbstbestimmung in vielen Lebensfragen, die über die Musik hinausgehen. Deshalb kann diese Form von Punk zeitlos sein und auch weitergegeben werden, denn er steht im Ansatz für grundmenschliche Bedürfnisse, von unangepassten Menschen, die keine Lust auf einen „9 to 5“-Job und ein bürgerliches Leben haben. Es ist also in diesem Sinne auch eine Philosophie, und die entwickelt sich einerseits weiter und ist andererseits zeitlos, weil die darin formulierten Bedürfnisse nach Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch mehr unkonventionellem Spaß am Leben ganz grundsätzliche Themen von Menschen sind, die ihr Gehirn auch gerne mal zum Denken benutzen.

Franny: Musik ist einfach ein extrem starkes Medium, das in ziemlich kurzer Zeit — anders als Bücher oder Filme — fähig ist Inhalte, aber auch Stimmungen und Gefühle zu transportieren, und das auf einer kollektiven, gemeinsam erlebten Ebene, besonders was Konzerte angeht. Für eine pluralistische Gesellschaft ist es essenziell, dass sich Leute versammeln um gemeinsam so zu sein wie sie wollen, um eine Bestätigung in ihrem Empfinden und ihrer Ideologie zu erfahren und sich daraus solidarisieren, sich weiterentwickeln und schließlich Utopien verfolgen, anstatt zu zweifeln und sich voneinander zu isolieren und zum meinungslosen Gemüse zu werden. Musik spielt hierbei eine zentrale Rolle, zum einen um sich über die Inhalte zu politisieren, zum anderen um Leute zu treffen, sich auszutauschen und Gemeinsamkeit zu erleben. Ich denke aber nicht, dass das Endresultat dieser Entwicklung in Musik liegen sollte. Wenn sich alles alleine darüber definiert, dann kann man das Ganze als Bewegung knicken, denn wohin bewegt sie sich dann? Also ich meine, jemand ist nicht Antifaschist wenn er Gegen-Nazi-Texte auf einem Konzert mitbrüllt und sonst den Arsch nicht hochbekommt, wenn es um Demos oder Aktionen geht – das interessiert dann tatsächlich niemanden. Als politischer Output ist das ziemlich dünn.

Es wird immer wieder behauptet, „früher“ sei Punk viel politischer gewesen, heute sei alles irgendwie Pop. Für Mitteleuropa mag das bisweilen gelten, WHAT WE FEEL aus Russland, wo Antifaschisten von Nazis getötet werden, sehen das sicher anders. Muss man also den von euch portraitierten Underground von politischen Mainstream-Bands wie RISE AGAINST oder ANTI-FLAG unterscheiden?

Julia: Ich denke, dass die Einschätzung, dass Punk früher politischer war, von Personen kommt, die der aktiven Punk-Szene an einem ganz bestimmten Punkt den Rücken zugewandt haben und sich keine neuen Platten mehr kaufen. Dieser Ansatz mit „früher“ ist ein gefährlicher und ich finde auch ein langweiliger, weil der nächste Gedanke ist ja „früher war alles besser“ – und das ist weder konstruktiv, noch macht es Spaß. Der von uns portraitierte Underground und seine Bands ist tatsächlich etwas anderes als „politische Mainstream-Bands“. Schon allein der Begriff ist für uns natürlich ein Widerspruch in sich, oder wenn eine Band wie RISE AGAINST ein Album mit dem Titel „Siren Song of the Counter Culture“ auf einem Tochterlabel von Universal veröffentlicht. Im Gegensatz dazu haben die von uns porträtierten Bands zum einen gemeinsam, dass sie alle nicht auf so genannten Majorlabels erscheinen, sondern ihre Musik im Selbstvertrieb verbreiten, die Platten zu geringen Budgets mit Freunden, die z.B. Tontechniker sind, in ein bis zwei Tagen in kleinen Studios aufnehmen, oder sogar zu Hause im „Wohnzimmer“ oder im Übungsraum — all das ist ja auch durch Digitaltechnik in guter Qualität möglich geworden. Und zum anderen sind diesen Bands der spontane Ausdruck, die Message und der direkte Kontakt mit dem Publikum in einem Umfeld, das sie selbst mitgestalten und prägen, sowie die kreative Kontrolle über ihre Musik und ihre Inhalte viel wichtiger als das Geld und die Massenkompatibilität. Oder wie es der Drummer der mexikanischen Band ANTIMASTER sagt: „Wenn ich nicht in einer DIY-Band wäre, würde ich es lieber bleiben lassen.“ Die Leute von den in „Noise and Resistance“ portraitierten Bands sehen sich nicht primär als Musiker, sondern als Aktivisten, im Falle von CRASS auch als Künstler, für die die Musik eine Möglichkeit bietet, ihren Emotionen, ihrer Kritik, ihrer Wut über herrschende Zustände Ausdruck zu verleihen und mit anderen zu kommunizieren.

Franny: Ja ja, ich war schon früher hier und deswegen weiß ich ganz genau ... Es bietet sich natürlich an, dem frischen Wind von 1976 nachzutrauern und alles an dieser Zeit, in der alles neu und noch nie dagewesen war, zu messen. Nun blicken wir in Mitteleuropa aber eben auf eine über 30-jährige Geschichte zurück, und die hat viele Entwicklungen mit sich gebracht, natürlich auch was die Entwicklung hin zu Kommerz, Lifestyle und Mainstream angeht. Das ist ein ganz anderes Ding mit einem anderen Anspruch und auch eine andere Szene. Was aber nicht heißt, dass Bands aus diesem Spektrum nichts zu sagen haben! Nur weil es solche Bands gibt, die in diese Richtung gegangen sind, bedeutet das nicht, dass Punk heute nichts mehr wert ist. Eine Subkultur bzw. Bewegung lässt sich zum Glück nicht konservieren, und auch die politische, aktivistische Sparte des Punks hat die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln. Bands, die einen kommerziellen Weg gehen bzw. es versuchen, machen den Punk-Underground nicht unechter bzw. schwächer, da muss man einfach eine Trennlinie ziehen. Wenn Punk heute oft nur noch als Pop gesehen wird, dann weil man von dem politischen Teil nicht allzu viel mitkriegt. Denn es definiert sich ja nicht alles über die Bands und ihre Texte, sondern hauptsächlich über die, die sie zu hören kriegen. Ein Haufen Leute sitzen in ihren Venues und denken, dass mit dem Pachten einer Ideologie, die mittlerweile ganz schön Staub angesetzt hat, Statement genug gemacht wird, ohne sich zu überlegen, wohin sie eigentlich damit wollen. Das bedeutet eine ziemliche Stagnation. Obwohl immer mehr Freiräume, in denen diese Szene ihren Platz findet, verschwinden, gibt es wohl noch genug um sich selbst in seinem Outfit und mit den Scheiben, die man so gern hört, wohl zu fühlen. Letztendlich muss sich jeder selber fragen, inwieweit er zum DIY-Konsument geworden ist. Ich glaube, um neue Utopien zu finden oder wieder zu finden, muss man sich von einigen Konventionen und Dogmen verabschieden, auch denen, die von Punks gemacht wurden und sich neuen Leuten öffnen und vernetzen. Für mich ist Punk nichts, was sich nur über Unterhaltung/Entertainment definiert und ausschliesslich im Keller abspielt, und was nur für wenige Auserwählte zugänglich sein soll. Dann wäre es nichts als schmutziger Pop, oberflächlich und elitär. Wenn eine politische Idee die Motivation ist, muss man erstmal auch keine Angst haben, dass der Kommerz oder der Lifestyle einem alles kaputt macht.

Für wen ist euer Film? Für Punk-Eltern, für „die“ Szene, für Sozialpädagogen – was ist euer Anliegen?

Julia: Wir wollen, dass der Film von möglichst vielen verschiedenen Menschen, Alters- und Zielgruppen gesehen wird. Wir denken, dass der Film auch jenseits der Musik genug Ansatzpunkte liefert, um für jede Person, die sich aus welchem Grunde auch immer für Alternativkultur und Möglichkeiten politischen Widerstands interessiert, spannend ist! Darüber so richtig freuen werden sich vermutlich am meisten die Leute, denen auch die Musik gefällt. Aber wir haben auch darauf geachtet, dass nicht nur Hardcore-Bands vorkommen, sondern, dass es im Film auch etwas „zugänglichere“ Musik gibt — soll heißen melodischer Punk wie z.B. die Schweden/-innen SJU SVåRA åR oder HipHop von der Rapperin Sookee. Insgesamt denke ich, wir können zurecht sagen, dass dieser Teil der heutigen Musikszene noch in keinem Filmprojekt so umfassend porträtiert wurde und dass der Film auch mit einem anderen Ansatz als viele andere Punk-Dokumentationen daher kommt. Denn von vornherein war der Ansatz etwas zu kreieren, das wesentlich vielschichtiger ist als eine Musikdoku.

Franny: Wir haben versucht einen Film zu machen, der für viele Menschen zugänglich ist. Hätte ich nur die Szene ansprechen wollen, würde der Film mehr Kritik beinhalten. Aber es ist ziemlich sinnlos etwas auseinanderzunehmen, was andere inspirieren soll. Der Film ist letztendlich für alle gemacht, die sich irgendwie für Punk-Musik, Subkultur, Protest, Aktivismus, alternative Lebensweisen und gesellschaftliche Parallel-Kosmen interessieren. Und wie die Protagonisten im Film haben auch wir eine Botschaft, nämlich, dass man nichts hinnehmen muss, man muss sich nur für eine Alternative entscheiden und es angehen. Vielleicht denkt sich der ein oder andere Zuschauer: „Okay, die Ausgangssituation kann ich nachvollziehen oder sogar teilen. Für die Leute im Film ist Punk und DIY eine Antwort, was könnte meine Antwort sein?“ Für Szenies kann der Film ein Impuls sein zu überlegen, wo sie eigentlich nach dieser ganzen Entwicklung der letzten 30 Jahre stehen.

Dokumentarfilme wie eurer schaffen es selten ins Kino – warum dieser Schritt?

Julia: Ich würde sagen: Weil wir es konnten! Wir haben die Möglichkeit den Film trotz eher minimalistischer Produktionsbedingungen — denn alles: Regie, Kamera und Schnitt wurden von uns beiden gestemmt — ins Kino zu bringen als Chance gesehen, ihn einem breiteren Publikum zu präsentieren und demnach auch Leute zu erreichen und zu inspirieren oder zum Nachdenken anzuregen, die eben unter Umständen nicht den Weg in ein unabhängiges Jugendzentrum oder dergleichen finden. Die Protagonisten fanden die Idee auch gut — sonst hätten wir es ja nicht machen können. Und reich werden wir deswegen auch nicht, denn wir haben ja zwei Jahre quasi „umsonst“ gearbeitet und so deckt sich vielleicht ein Teil der investierten Arbeit.

Franny: Es war eine eher zufällige Entwicklung. Wir haben diesen Film gemacht, um ihn zu machen, ein Zeitzeugnis zu erstellen und das über eine Bewegung, während sie noch Bewegung ist. Da wir beide professionell als Filmemacherinnen arbeiten, implizierte das auch einen gewissen Anspruch an die Qualität des Endresultats. Der Filmverleih Neue Visionen unterstützt einige der Aktionen des Videoaktivistenkollektivs AKKraak, bei dem ich mitmache, und darüber entstand der Kontakt. Wir hatten nie daran gedacht, dass der Film für eine Programmkinoauswertung in Frage kommt, umso mehr freue ich mich, dass es nun die Möglichkeit dazu gibt. Abgesehen davon, dass es für uns persönlich eine tolle Entwicklung ist, kann der Film auf diesem Weg nochmals ganz andere Leute erreichen, die wir über unser persönliches Netzwerk niemals informieren hätten können. Neue Visionen unterstützt unseren DIY-Ethos und wir können in nach wie vor auf Non-Profit-Basis in alternativen Zentren etc. zeigen, was uns sehr wichtig ist. Durch den Verleih können wir aus diesem „preach to the converted“-Schema ausbrechen. Um es mit den Worten von Paul (SEEIN RED) und Ukrop (POLITZEK) aus dem Film zu sagen: „Get back to the society, and make it as big and as grant as you can do it“ (Gee Voucher).

Gibt es eine zentrale Erkenntnis, die ihr als Filmemacherinnen aus dem Projekt mitnehmt?

Julia: Punk is not dead! Aber das wussten wir schon vorher ...

Franny: Dass ich nach wie vor in dieser Szene zuhause bin, und dass es in vielen Menschen das Bedürfnis gibt, die Szene weiterzuentwickeln.