COLIN STETSON

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There’s no way he’s a smoker!

Mit seinem Anfang diesen Jahres auf dem kanadischen Label Constellation erschienenen Album „New History Warfare Vol. 2: Judges“ dürfte dem in Ann Arbor, Michigan geborenen 36-jährigen Colin Stetson möglicherweise eine der ungewöhnlichsten Platten der letzten Jahre gelungen sein, die sich beeindruckend einer genaueren Kategorisierung entzieht. Denn die Palette seltsamer Töne, die Stetson darauf unterschiedlichen Saxofonen entlockt, kann eigentlich nicht nur diesem Instrument entstammen, zumal die Platte auch noch zum größten Teil in einer Session ohne Overdubs aufgenommen wurde. Ähnlich verhielt es sich schon beim Vorgänger „New History Warfare Vol. 1“, einem noch weitaus radikaleren Werk, einer minimalistischen Solo-Saxofon-Performance, fast ohne nachträgliche technische Manipulationen auf Platte gebannt. Nach längeren Aufenthalten in San Francisco und New York ist Stetson inzwischen in Montreal ansässig, nicht alleine wegen der facettenreichen Musikszene dort oder wegen seiner Tätigkeit als Tour-Musiker von ARCADE FIRE, sondern wegen der Liebe, denn zufällig ist er seit einigen Jahren mit deren Violinistin Sarah Neufeld liiert. Überhaupt hat sich Stetson zu einem geschickten Grenzgänger zwischen E- und U-Musik entwickelt, der mit seinen besonderen Fähigkeiten im Bereich der Blasinstrumente bereits Tom Waits, TV ON THE RADIO, Lou Reed, David Byrne, Sinead O’Connor, LCD SOUNDSYSTEM oder THE NATIONAL unterstützte, aber genauso in der Jazz-Welt angesehen ist. Inzwischen arbeitet Stetson bereits an der Fertigstellung von „New History Warfare Vol. 3“ und hielt sich zur Zeit meines Anrufs gerade in Montreals traditionsreichem Studio Hotel2Tango auf.

Colin, du bist ja in Bezug auf Blasinstrumente wie Saxofon ein ausgebildeter Musiker mit Abschluss einer Musikhochschule. Wie kommt man als Kind an ein Instrument wie Saxofon? Ist das in so einem Alter nicht ein eher „uncooles“ Instrument, will da nicht jeder lieber Gitarre spielen?

Nun, als ich aufgewachsen bin, war das Saxofon in der Popmusik noch sehr präsent, also in den Achtzigern. Als ich fünf oder sechs war, lief überall „Who can it be now?“ von MEN AT WORK, wo es ja auch ein Saxofon gibt, und damals dachte ich, dass ich auch Saxofon spielen will. Als ich dann das erste Mal selbst Saxofon spielte, muss ich ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein, und ich weiß noch genau, dass man da in fast jedem Song, der im Radio lief, ein Saxofon hörte.

Ja, etwa bei THE PSYCHEDELIC FURS, die zu dieser Zeit Saxofon in einem Post-Punk-Kontext eingesetzt hatten. Dennoch scheint diesem Instrument nach wie vor das Etikett des Uncoolen anzuhaften, und das überwiegend von Jazzmusikern benutzt wird.

Das stimmt. Sicherlich auch dadurch bedingt, wie man seit den Neunzigern auf die Achtziger zurückgeblickt hat und in Folge das Saxofon in gewisser Weise stigmatisiert wurde. Aber was die Leute als cool oder uncool erachten, wird oft dadurch beeinflusst, was sie irgendwo lesen. Das gilt natürlich nicht für jeden, aber viele Leute neigen dazu, bereits ein Urteil über etwas zu fällen, bevor sie es sich überhaupt angehört haben. Für mich ist es eigentlich egal, welchen Stil oder welches Instrument jemand spielt, wenn er es richtig tut und es seinen Zweck erfüllt, also wenn man es richtig rüberbringt. Und ich versuche, mit meinem Instrument eben die Musik zu machen, die mir vorschwebt und kümmere mich nicht darum, was ein bestimmtes Instrument für manche Leute bedeuten könnte.

Interessanterweise hast du ja auch schon einige Male auf dem Jazz-Festival in Moers gespielt. Das liegt bei mir zwar um die Ecke, aber ich habe es nie in Betracht gezogen, dort mal hinzugehen, da man Jazz ja oft als reine Belustigung für langweilige Bildungsbürger ansieht.

Und das wahrscheinlich auch zu recht, denn das, was lange Zeit innerhalb dieses Genres passierte, war auch meist ziemlich langweilig. Andererseits ist auch vieles, was man auf einem Rock-Festival geboten bekommt, ziemlich langweilig. Ein Großteil der aktuellen Musik ist einfach ziemlich langweilig. Man muss schon die oberen Schichten der meisten Genres abschälen und kann darunter dann aufregende Dinge entdecken. Aber ich finde eigentlich, dass gerade das Festival in Moers ziemlich vielseitig ist, da passieren sehr unterschiedliche Sachen. Aber natürlich assoziieren viele Leute das in erster Linie mit Jazz. Aber eigentlich mache ich ja auch keinen Jazz ...

Aber dennoch würden viele Leute genau diese Kategorie wählen, oder was meinst du?

Ja, und das verstehe ich auch. Die Schublade, in die ich gesteckt werde, ist meistens Jazz, wegen des Instruments, das ich benutze. In der Regel bejahe ich das auch, abhängig davon, wo ich mich gerade aufhalte. Ich denke aber, dass meine Musik nicht in ein bestimmtes Genre passt – es hängt eher davon ab, wie ich meine Musik im jeweiligen Kontext präsentiere. Wenn ich auf einem Jazz-Festival spiele, finde ich, passt es genauso perfekt wie auf einem Rock-Festival. Ich bewege mich da auf einem schmalen Grat zwischen ganz unterschiedlichen Sachen. Zumindest sehe ich das so.

Man sagt ja im allgemeinen, dass es schwer ist, im Musikbereich noch etwas wirklich Neues zu schaffen. Bei dir hat man zumindest das Gefühl, es mit etwas recht Außergewöhnlichem zu tun zu haben.

Also, für mich ist das erst mal eine sehr persönliche Sache. Was diese Aussage angeht, stimme ich ihr bis zu einem bestimmten Punkt zu, aber so lange es neue Menschen gibt, die diesen Planeten bevölkern, die neue Sachen erleben und neue Geschichten zu erzählen haben, wird es immer wieder neue Variationen und Zusammenhänge geben. Aber ich setze mich auch nicht in einen Raum und überlege mir bewusst etwas, was nur von mir stammt, tatsächlich brandneu ist und noch niemand zuvor getan hat. Ich spiele wie gesagt Saxofon, seit ich zehn bin. Ich habe viel Zeit mit diesem Instrument verbracht, habe mit vielen unterschiedlichen Leuten Musik gemacht und mir unterschiedlichste Musik angehört. Und ich bin jetzt in der glücklichen Lage, die Musik machen zu können, die ich machen will, aber das ist einfach so passiert.

Jemand hat mal über dich geschrieben: „He can basically do anything that can be done with a saxophone (and maybe some things that can’t).“ Dabei fiel auch der Begriff Zirkularatmung. Kannst du erklären, was du da genau tust?

Haha, das gefällt mir ... Also, Zirkularatmung ist einfach eine Technik, bei der man durch die Nase atmet, während man gleichzeitig Luft aus dem Mund bläst. Das ermöglicht einem, den Sound nicht unterbrechen zu müssen. Bei mir ist das eine Mischung aus Zirkularatmung und Multiphonics, also bestimmten Griff- oder Blastechniken, mit denen man mehr als einen Ton gleichzeitig auf einem Instrument erzeugen kann – und all diese entgegengesetzten Dinge passieren auf einmal. Außerdem benutze ich auch noch meine Stimme, was die Sache noch zusätzlich beeinflusst.

Ist das tatsächlich ungewöhnlich, oder gibt es da eine bestimmte Tradition, wenn man ein Blasinstrument spielt?

Es gibt keine bestimmte Tradition in Bezug auf das, was speziell ich tue, aber im Bereich Free Jazz greifen natürlich viele Leute auf diese Techniken in anderen Zusammenhängen zurück. Etwa der Brite Evan Parker, der durch Zirkularatmung ganz besondere Akzente in seiner Musik setzen konnte, oder jemand wie Peter Brötzmann, der auch mit Multiphonics weiterreichende Sounds entwickelt hat. All diese Sachen gibt es schon länger und werden von Leuten genutzt, aber ich setze sie in meinem individuellen Kontext ein.

Ich habe auch gelesen, dass du Mikrofone auf spezielle Weise arrangierst, um deinen Sound richtig umzusetzen.

Ja, die Mikrofone sind in gewisser Weise der Schlüssel dazu, um wirklich alles einzufangen, was mit dem Instrument passiert. Meine Intention dabei war nicht das, was eigentlich jeder tut, wenn er ein Instrument aufnimmt, nämlich nur ein Mikrofon davor zu platzieren. Denn dabei bekommt man nur eine Momentaufnahme aus einem bestimmten Winkel, und das war’s. Das klingt für mich flach und repräsentiert nicht wirklich, was in einem Raum akustisch passiert Und so versuche ich, so präzise wie möglich mit strategisch im Raum verteilten Mikrofonen alle verschiedenen Sounds damit einzufangen, um sie beim Abmischen wiedergeben zu können und dadurch etwas Neues zu erzeugen.

Ein neues Element auf deinem aktuellen Album „New History Warfare Vol. 2: Judges“ ist der recht prägnante Einsatz von Gesang. Der stammt überwiegend von Laurie Anderson, einer Ikone der Avantgardemusik, die in den Achtzigern deutlich bekannter gewesen sein dürfte, als sie es heute ist. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Ich glaube, Laurie hat neun Jahre lang keine Platte mehr aufgenommen, bis dann letztes Jahr „Homeland“ erschien. Ich arbeite mit ihr schon seit ungefähr anderthalb Jahren zusammen, vor allem bei ihrer Bühnenshow, so lernte ich sie kennen. Und es entwickelte sich da ein angenehmer Synergieeffekt, denn ich schrieb an meinem aktuellen Album zur selben Zeit, als ich mit ihr zusammenarbeitete, und sie wollte deshalb dazu beitragen, was sehr gut funktionierte. Allerdings gab es auch schon auf dem vorherigen Album „New History of Warfare, Vol. 1“ einige kleinere Spoken Word Teile, wo man den Architekten Buckminster Fuller hört. Ich wollte dieses Element auf dem neuen Album noch etwas ausweiten, nur sollten die Stimmen weiblich sein, denn das erschien mir als guter Gegenpart, um für eine gewisse Ausgeglichenheit zu sorgen. Nicht nur, damit man generell auch eine menschliche Stimme hört, sondern auch, um der Maskulinität meiner Musik etwas entgegenzusetzen. Insofern ist es für mich ein wichtiges Element, um bestimmte Geschichten erzählen zu können.

Abschließend noch die Frage: Rauchst du eigentlich?

Haha! Nicht mehr, aber ich war mal Raucher. Aber ich war kein besonders starker Raucher und habe meistens nur auf Partys geraucht. Ich habe irgendwann aufgehört, weil es mir einfach nicht mehr schmeckte. Der Unterschied beim Saxofonspielen fiel mir zum ersten Mal tatsächlich auf, nachdem ich damit aufgehört hatte, vorher hatte es mich nie merklich beeinträchtigt, aber das ist inzwischen auch schon einige Jahre her.