SEWERGROOVES

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Familienwerte

Rock aus Schweden ist immer eine sichere Bank. Obwohl: Was gilt in Finanzkrisenzeiten noch als sicher – eine Bank? Also vergleichen wir sie lieber mit einem alten Saab oder Volvo aus den Siebzigern und Achtzigern, was auch der Ära entspricht, in welche die musikalischen Wurzeln der Band sich krallen. Seit Mitte der Neunziger machen die SEWERGROOVES laute, mitreißende Musik zwischen Hardrock und Punk, die sich bald vom „Schwedenrock-Hype“ des vorvergangenen Jahrzehnts emanzipiert hatte, und was man ihrer mittlerweile sechs Alben sowie zig Kleinformate umfassenden Diskografie auch anhört. Im Frühjahr 2011 erschien mit „Trouble Station“ ihr erstes neues Album seit „Rock’n’Roll Receiver“ von 2006. Ich sprach mit Packe und Kurt nach ihrem Auftritt im Kölner Sonic Ballroom.

Draußen parkt euer Bandbus, ein cooler, alter V8-US-Van. Ist das in Zeiten extrem hoher Benzinpreise noch ein praktisches Vehikel oder säuft der den Großteil eurer Gage weg?

Kurt: Du siehst das ziemlich realistisch, ja. Wenn wir so zwischen 90 und 110 km/h fahren, braucht der um die 20 Liter auf 100 Kilometer.

Packe: Vorher hatten wir einen Renault-Bus, und der hatte so dünnes Blech, dass man auf der Autobahn das Gefühl hatte, man sitzt im Freien. Wir dachten uns, wir werden auch nicht jünger, wäre es nicht gut, auf Tour schön bequem und warm zu sitzen? Und so kauften wir uns diesen Van. Allerdings hast du Recht, der ist total unwirtschaftlich, wir müssen den loswerden. Wir sind den jetzt einige Jahre gefahren, aber wenn du wie wir morgen 1.500 Kilometer Rückreise nach Schweden vor dir hast und an die Tankstellenbesuche denkst, wird dir ganz anders.

Die Welt verändert sich – was hat sich für euch seit dem letzten Album verändert?

Kurt: Also ich nehme das so war, dass ich mich nicht verändert habe, aber die Welt um mich herum sich verändert. Wir machen als Band unser Ding, uns interessiert nicht, was gerade cool ist und was nicht. Wir gehen unseren eigenen, schmalen Weg.

Packe: Wir spielen in dieser Band, weil es uns Spaß macht, weil wir die Musik lieben. Und wir würden das auch machen, wenn es uns Geld kosten würden. Zum Geldverdienen haben wir unsere Jobs zu Hause. Wenn wir mit einem Konzert auch nur fünf Leute glücklich machen können, sind wir zufrieden. Vor ein paar Jahren dachten wir mal, wir könnten auch mit der Band unseren Lebensunterhalt verdienen, aber wir merkten schnell, dass das verdammt anstrengend ist, dass man dafür ständig auf Tour sein muss, 200 Tage im Jahr, und nicht nur 40, 50 wie wir. Diese 50 Tage sind schon ganz schön hart, wenn man eine normalen Job hat. Urlaub? Das ist für uns die Zeit, in der wir auf Tour sind. In den letzten Jahren haben dann alle von uns Nachwuchs bekommen, mittlerweile sind es sieben Kinder – er hat zwei, ich habe zwei, Andreas drei – und da muss man einfach Prioritäten setzen. Außerdem haben wir erlebt, wie es befreundeten Musikern ergangen ist, die 200 Konzerte im Jahr spielten. Japan, USA, Australien. Das hört sich im ersten Moment gut an, doch dann stellst du fest, dass du älter geworden bist, Kinder haben willst, und eigentlich nur noch zum Spaß Musik machen. Dann kommt die Frage: Und was tue ich jetzt? Du suchst einen Job, wirst gefragt, was du die letzten Jahre gemacht hast, und bekommst zu hören, du könntest einen Job für wenig Geld im Lager im Keller bekommen. Ich bin froh, dass wir uns trotz Angeboten für ein Leben außerhalb der Musik entschieden haben. So haben wir uns die Möglichkeit bewahrt, Platten rauszubringen und Konzerte zu spielen, ohne von außen beeinflusste Kompromisse eingehen zu müssen. Hätten wir uns für den professionellen Weg entschieden, würden wir jetzt vielleicht in größeren Clubs spielen, aber ich denke nicht, dass es so gekommen wäre. Der Schlüssel dafür, dass es die SEWERGROOVES noch gibt, ist unsere Organisation als „Familie“. Wenn einer von uns keine Zeit hat, auf Tour zu gehen oder ins Studio, weil seine kleine Tochter Geburtstag hat, dann ist das okay, dann sagt keiner was. Keine Probe am Samstag, weil die Kinder ins Kino wollen? Okay. Wir machen uns keine Vorwürfe.

Dennoch ist euch die Band so wichtig, dass ihr sie immer noch am Laufen haltet. Was bedeutet sie euch?

Packe: Wie ich eben schon sagte: Sie ist unsere zweite Familie. Unser Proberaum ist in einem tiefen Keller, da hast du keinen Handy-Empfang. Wenn du einen harten Tag hattest, genervt bist, dann gehst du zur Probe, und was immer passiert, in der Zeit erreicht dich keiner. Da unten haben wir unsere Instrumente und einen Kühlschrank mit Bier, und auch wenn du eigentlich keine Lust auf die Probe hattest, kaum bist du da unten, triffst deine Jungs und spielst deine Musik, ist alles in Ordnung. Für zwei, drei Stunden bleibt dann die Zeit stehen. So eine Bandprobe gibt mir jedes Mal neue Energie.

Kurt: Und der Schlüssel dazu, dass das so bleibt, ist, die Band nicht zu einem richtigen Job zu machen. 2007 sah es ja nach außen hin so aus, als würden wir mit der Band eine Pause einlegen, aber das war eigentlich nicht der Fall, denn in der Zeit spielten wir zwar keine Konzerte, aber wir probten regelmäßig und nahmen auch auf.

Packe: Zur gleichen Zeit hörten die HELLACOPTERS auf, aus verschiedenen Gründen. Wir hingegen entschieden uns nach unserer Spanientour, es erst mal ruhiger angehen zu lassen.

Kurt: Eigentlich ... Denn da war ja unsere KISS-Tribute-Band. Ich war Paul Stanley.

Packe: Wir nannten uns DRESSED TO KISS und kleideten uns wie KISS auf dem „Dressed To Kill“-Album, spielten nur Songs von den ersten drei Alben. Wir legten großen Wert darauf, den Gesang richtig echt hinzubekommen, dass der Bassist den Gene Simmons-Part singt. Ich war Ace Frehley, und wir hatten echt eine Menge Spaß, inklusive einer Menge Special Effects. Wir haben zwei Handvoll Konzerte gespielt, und verblüffenderweise bekamen wir da bessere Gagen als jemals mit den SEWERGROOVES. Zuerst war das eine einmalige Aktion, doch wir wurden immer wieder angerufen – unglaublich. Wir hatten aber keine Lust darauf, Teil dieser Coverband-Szene zu werden, deshalb haben wir das einschlafen lassen. Eigentlich machen wir immer Musik, sogar im Urlaub. Wir haben in relativer Nähe zueinander Ferienhäuser in Nordschweden, und der Vater meiner Frau war in den Sechzigern Drummer einer damals recht bekannten Band, und so riefen wir da mal eben eine Band ins Leben, mit meinem Schwiegervater als Drummer, Kurts Frau am Bass und Kurt und mir an der Gitarre. Wir spielten in der Dorfkneipe Songs von Chuck Berry, BEATLES, ROLLING STONES, VELVET UNDERGROUND und so weiter. Es war interessant, wir konnten von so einem altgedienten Musiker echt noch was lernen, und unser Publikum bestand sowohl aus kleinen Kindern wie alten Omas. Ja, so sah also unsere SEWERGROOVES-Pause aus, haha.

Und dann habt ihr es ja doch noch geschafft, im Frühjahr 2011 mit „Trouble Station“ endlich ein neues Album aufzunehmen.

Packe: Ja, wir haben da letztlich zwei Jahre daran gearbeitet und brauchten dafür ein neues Label, denn unser bisheriges Label Wild Kingdom war offensichtlich nicht mehr an uns interessiert. Zum Glück kamen wir dann mit Gregor von Sounds Of Subterrania ins Gespräch – wir erinnerten uns an die Zusammenarbeit bei der 10“ von 2002 –, wir einigten uns, und letztlich kam das Album dann endlich raus. Und die Tour jetzt ist fantastisch, wir haben so viele alte Freunde getroffen, das hat großen Spaß gemacht.