CHUCK RAGAN

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On the road again!

Ob nun solo oder mit HOT WATER MUSIC im Rücken, der Mann ist eine Offenbarung und erfreut sich stetig wachsender Beliebtheit. Gute Gründe für ein Interview im Rahmen der HWM-Europatour im August 2011 gab es gleich zwei: Zum einen Ragans neue Solo-Scheibe „Covering Ground“ auf SideOneDummy, zum anderen eine HWM-7“ mit zwei brandneuen Songs. Ich sprach mit Chuck beim Auftakt der Tour in Hannover.

Chuck, deine neue LP „Covering Ground“ steht kurz vor der Veröffentlichung und du machst zur Zeit dem Titel alle Ehre und bist wieder mal auf Tour. Bist du das ständige Reisen mittlerweile nicht auch ein bisschen leid?

Auf jeden Fall! Ich will ehrlich sein, es ist eine schwierige Art, sein Leben zu führen, aber es ist wie mit allem anderen: Wenn du keine Abwechslung hast, werden selbst die Dinge, die du eigentlich liebst, langweilig. So ist das auch mit dem Touren. Und ich werde dich hier nicht anlügen, aber manchmal ist das Touren das absolut Letzte, was ich gerne tun möchte. Ich hasse es, nicht bei meiner Familie und dem Hund sein zu können, und ich habe noch nicht einmal Kinder. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn Kinder dazukommen würden, entweder gar keine Touren mehr oder wesentlich weniger. Aber wenn ich erst mal auf der Bühne stehe und die ganzen Leute treffe, die mir wichtig sind, legt sich ein Schalter um und es geht los. Was die Leute nie sehen, sind die 23 anderen Stunden des Tages, in denen man die Zeit totschlägt und vor irgendwelchen Sicherheitschecks oder beim Zoll steht. Aber wir haben es uns selbst ausgesucht.

War dieses endlose Touren aber nicht genau der Grund, warum HOT WATER MUSIC für einige Zeit von der Bildfläche verschwunden sind und eine Auszeit genommen haben?

Der eigentliche Grund, warum ich wieder mit dem Touren anfing, war der, dass meine Frau mit dabei war. Die ersten Solo-Shows, die ich in Deutschland gespielt habe fanden im Rahmen einer MUFF POTTER-Tour statt und da war meine Frau dabei. Zu dem Zeitpunkt wollte ich dieses ständige Touren auch gar nicht. Ich habe zu Hause in Kalifornien wieder als Zimmermann gearbeitet und wollte eine eigene Firma für die Herstellung von Häusern gründen. Dann gab es aber den großen Einbruch in unserer Wirtschaft und es ging mit dem Häusermarkt steil bergab. Ich wusste, dass dieses Projekt nicht klappen würde, und wenn, dann nur auf wirklich lange Sicht. Zur gleichen Zeit gab es immer wieder Anfragen für kurze HWM-Touren, die ich dann wahrgenommen habe, einfach weil es zu Hause keine Arbeit gab. Dann kam mein Soloprojekt dazu, die Revival-Tour, HWM kamen wieder ins Rollen und eins kam zum anderen, und auf einmal war ich wieder mittendrin in dem ganzen Tour-Karussell. Während dieser Zeit habe ich über mich selbst gelernt, dass ich wirklich ein Vollblutmusiker bin, der seit 17 Jahren unterwegs ist. So gerne ich manchmal einen ganz normalen Job machen, morgens neben meiner Frau aufwachen, abends nach Hause kommen und an meinem Tisch essen würde, im Moment ist das nicht möglich.

Denkst du manchmal nicht darüber nach, alles einfach hinzuschmeißen und zu Hause zu bleiben?

Doch, das tue ich. Ich könnte aber nie im Leben aufhören, Musik zu machen, aber das Touren ist der springende Punkt. Ich werde Songs schreiben, bis ich alt und grau bin, und solange ich physisch und mental dazu in der Lage bin. Viele Leute hatten während der HWM-Pause auch einen falschen Eindruck und meinten, ich hätte der Musik den Rücken gekehrt, was so falsch war, wie etwas nur falsch sein kann. Ich habe die ganze Zeit über Songs geschrieben und aufgenommen, es ging vielmehr darum, meine Familie nicht zu vernachlässigen. Ich habe mittlerweile Nichten und Neffen und mein Vater hatte gerade eine schwere Herz-OP und ich bin nicht zu Hause. Ich bin ein Großteil der Zeit ein „verlorener Sohn“, auch für meine Freunde und meine Frau. Und das ist überhaupt nicht glamourös. Man muss wirklich viele Zugeständnisse machen und es ist immer eine feine Grenze zwischen „Seiner Leidenschaft folgen“ und „Nur an sich denken“. Weil es im Enddefekt immer nur um einen selbst geht. Meine Familie unterstützt mich, wo sie nur kann, aber das macht es für sie nicht einfacher. Und für mich auch nicht. Man verpasst einiges, Geburtstage und auch Beerdigungen. Aber ich kann mich nicht beschweren, das ist das Leben, das ich mir ausgesucht habe, und ich bin dankbar dafür, hier sein zu können. Ich weiß nicht genau, wir ihr es hier nennt, aber wir sind im Prinzip so etwas wie Leiharbeiter. Wenn es Arbeit gibt, sind wir da und verdienen Geld, wenn es keine Arbeit gibt, verdienen wir auch kein Geld. Es gibt also kaum Sicherheiten. Manchmal hast du gute Touren, bei denen Leute zu den Shows kommen und Platten und Shirts kaufen, und dann gehst du auf eine Support-Tour und verlierst eine Menge Geld. Der große Vorteil ist, dass man sein eigener Herr ist, und das würde ich für nichts auf der Welt eintauschen wollen.

Zurück zu deiner neuen Scheibe. Für mich hat sich im positiven Sinne nichts geändert. Gleicher Sound, andere Songs. Experimentierfreudigkeit kann man dir jedenfalls nicht vorwerfen ...

Ich gebe dir vollkommen Recht. Neu ist für mich allerdings unser Mann am Kontrabass, Joe Ginsberg, der jetzt anstelle von Digger Barnes in der Band ist und ganz neue Elemente mit in die Band einbringt. Digger ist ein großartiger Musiker, aber er hat einen ganz anderen Stil. Außerdem haben wir erstmals mit Christopher Thorn von BLIND MELON aufgenommen, der auch ein paar ganz besondere Ideen eingebracht hat. Was die Songs angeht, kann und will ich mich gar nicht verstellen, wir sind einfach keine Bluegrass-Band und ich schreibe solche Songs auch nicht. Wir bezeichnen uns am ehesten als Americana oder Folk, wobei das ungefähr so viel Aussagekraft wie die Schublade Rock’n’Roll hat. Wir befinden uns mit dem Sound der neuen Platte sicherlich irgendwo zwischen „Feast Or Famine“ und „Gold Country“, aber mein Ziel war es, eine sehr reduzierte Scheibe herauszubringen, die nur Instrumente beinhaltet, die es schon 100 Jahre gibt und die von guten Musikern gespielt werden. Ich schreibe nie Songs in Hinsicht auf ein bestimmtes Genre, wenn es sich gut anfühlt, investiere ich mehr Energie und nehme alles auf. Ehrlich gesagt geht es mich nichts an, was die Leute davon halten, das müssen die Hörer selbst beurteilen. Die Musik gefällt halt nicht jedem und damit kann ich leben.

Spielt Digger Barnes noch die europäischen Shows mit dir?

Nein. Auf einer der letzten Touren mit Frank Turner wurde es deutlich, dass er gerne mehr Zeit in seine eigene Musik investieren würde, wofür ich größten Respekt habe. Es ist schade, dass er nicht mehr dabei ist, aber so ist das eben und ich unterstütze das auch. Wir brauchten dann natürlich einen Vollzeitersatz und die Wahl fiel auf Joe Ginsberg.

Am Ende der neuen Platte gibt es einen „hidden track“. Was hat es damit auf sich?

Ich mag das einfach. Als ich jünger war, habe ich immer darauf geachtet. Manchmal lief eine Platte einfach weiter, was ich mitunter schon wieder vergessen hatte in der Zwischenzeit, und plötzlich kam da noch ein Song, das fand ich immer cool. Früher gab es das ja häufiger, in letzter Zeit weniger, darum habe ich mich dazu entschlossen. Der Song selbst ist mir sehr wichtig, er geht zurück auf einen wissenschaftlichen Artikel namens „The Tragedy of the Commons“ von Garrett Hardin, der erstmalig 1968 veröffentlicht wurde und einer der ersten war, der sich mit den Themen Erderwärmung und Verschwendung von Ressourcen beschäftigt hat. Es geht in dem Artikel darum, dass eine kleine Gruppe von Leuten unbewusst alle Ressourcen verbraucht und sich damit selbst in Bedrängnis bringt. Mir ging es also darum, zu zeigen, dass wir uns durch die Produktion von zuviel Müll und Verbrauch von zuviel Öl und Elektrizität konstant auf dem Weg nach unten befinden. Zur gleichen Zeit gibt es aber Leute, die genau das Gegenteil wollen und probieren, etwas zu ändern. Das hat für mich etwas mit Kameradschaft zu tun, darum heißt der Song auch „Camaraderie of the commons“, sozusagen ein positiver Anstrich dieses alten Artikels.

Wechseln wir das Thema und kommen auf die gerade beendete US-Tour als Support von SOCIAL DISTORTION zu sprechen. Funktioniert deine Musik in diesen großen Hallen oder brauchst du den kleinen, verschwitzten Club?

Ich war mir selbst nicht sicher, aber es hat geklappt. Ich höre SOCIAL DISTORTION seit 24 Jahren und es war immer eine meiner Lieblingsbands. Darum war das alleine schon vollkommen verrückt und kaum zu glauben. Aber es ging dann ja nicht nur darum, was ich denke, sondern was die Leute von uns denken, einer Band, die mit Kontrabass und Geige auf die Bühne geht als Support einer Band, die im Anschluss 30 Jahre alte Rock’n’Roll-Songs spielt. Der Großteil des Publikums hatte aber mein Alter, ich bin jetzt 36, konnte mit uns was anfangen und hat verstanden, was wir da machen. Wir wurden also gut aufgenommen, die Leute haben sich für uns interessiert und sind nach den

hows zum Merch-Stand gekommen und haben Platten gekauft, ohne zu wissen, was denn nun die erste oder letzte LP ist. Das war schon cool.

Im Oktober bist du ja schon wieder mit der Revival-Tour in Deutschland unterwegs. Was können wir da erwarten?

Ihr könnt eine Show erwarten, die an jedem Tag anders sein wird. Wer zu den Shows kommt, sollte wirklich pünktlich erscheinen, denn der persönliche „Favorit“ wird gleich zum Anfang der Show auf der Bühne sein, so fangen wir immer an, mit allen beteiligten Musikern. Im Prinzip geht es darum, mit gleichgesinnten Musikern zusammen zu kommen und die feste Rangfolge von Support und Headliner einzureißen. Die gesamte Show wird ungefähr drei Stunden dauern, ohne Pause, und es wird ein ständiges Kommen und Gehen auf der Bühne geben.

Und alle vier Beteiligten „Hauptakteure“, nämlich du, Brian Fallon von GASLIGHT ANTHEM, Dave Hause von den LOVED ONES und Dan Andriano von ALKALINE TRIO haben dann gerade ihre Soloalben veröffentlicht.

Ja, genau und wir werden auch eine Revival-Tour-Compilation auf meinem Label Ten Four Records rausbringen, die sowohl veröffentlichte als auch unveröffentlichte Songs der beteiligten Musiker enthält. Die wird es auf der Tour zu kaufen geben.

Kommen wir zum aktuellen Anlass deines Deutschlandbesuches: HOT WATER MUSIC haben seit dem „The New What Next“-Album von 2004 wieder eine neue Veröffentlichung in Form einer 2-Song-7“ am Start. Wenn man ein paar Online-Reviews durchliest, findet man immer wieder den Verweis, dass der Song aus deiner Feder wie ein elektrisch verstärktes Solostück klingt, der von Chris Wollard hingegen wie ein THE DRAFT-Song. Stimmst du damit überein?

Oh ja, völlig, denn das spiegelt die aktuelle Situation in der Band wider. Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass wir ja noch nicht mal die Zeit hatten, alle vier zusammen ins Studio zu gehen, weil jeder so sehr mit eigenen Dingen beschäftigt ist. Aber wir sind mit dem Ergebnis zufrieden und können es nicht abwarten, weiter an neuen Songs zu schreiben.

Für 2012 ist eine neue HWM-LP auf Rise Records angekündigt. Wie kam es zu der Entscheidung, bei Rise zu unterschreiben?

Craig, der Besitzer von Rise, ist ein guter Freund von mir, den ich sehr respektiere, aber der ausschlaggebende Punkt für Rise war, dass er mehr als alle anderen Interessenten neue HWM-Songs veröffentlichen wollte. Und das war uns wichtig. Wir haben Entscheidungen immer aus einem Bauchgefühl heraus getroffen und genauso war es auch hier. Es hatte rein gar nichts mit anderen Bands auf dem Label zu tun, sondern einzig und allein mit der Tatsache, dass er die Songs wirklich veröffentlichen wollte und voll dahinter steht.

Wie steht es um dein eigenes Label Ten Four Records?

Wie bereits erwähnt, veröffentlichen wir die Revival-Tour-Compilation, ansonsten sind wir bemüht, alles eher klein zu halten und für meinen eigenen Vinylkram zu benutzen. Wir sind viel zu beschäftigt, als dass wir noch andere Bands veröffentlichen könnten.

Zum Schluss noch ein kleiner Blick in die Zukunft, was steht noch an?

Als Nächstes kommt noch eine Vierfach-Split-LP mit Sam Russo, Jimmy Islip, Helen Chambers und mir auf Specialist Subject Records aus Großbritannien heraus. Dann steht, wie gesagt, die Revival-Tour an und wir freuen uns darauf, mit HWM wieder durchstarten zu können und neue Songs zu schreiben.