RAZZIA

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Ausflug nach Hünxe

RAZZIA sind eine der großen deutschen Punkbands der Achtziger: Neben SLIME, NEUROTIC ARSEHOLES, EA80, HANS-A-PLAST, BLUT + EISEN und ein paar wenigen anderen waren die Hamburger musikalisch und textlich erstklassig, ihre Alben „Tag ohne Schatten“ (1983), „Ausflug mit Franziska“ (1986), „Menschen zu Wasser“ (1989) sind Klassiker, auch die späteren Werke enttäuschten nicht. Auf dem Ruhrpott Rodeo-Festival 2011 traten RAZZIA nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auf und veröffentlichten bald darauf auf ihrer Website das untenstehende Statement. Ich stellte der Band, vertreten durch Gründungsmitglied und Gitarrist Andreas Siegler, ein paar Fragen zum Warum und Wohin.

„Rund einen Monat nach dem fulminanten Revival-Gig in Hünxe sitzen wir wieder beisammen und wollen zu einem Beschluss kommen, ob und wie es weiter gehen soll. Die Vorstellungen und Prioritäten sind bei allen nach wie vor sehr verschieden, aber wir sind alle begeistert von dem schönen Gig. Das kann man denn ja dann nicht wieder einfach so hinschmeißen, oder?

,Ja, aber wie denn wo denn was denn ...‘ heißt es dann. Schaffen wir es weiter so zu proben, wie viele Gigs im Jahr wären durchführbar und wie müssen die aussehen? Denn Eines wird schnell deutlich: Wir können nicht wieder von Kulturzentrum zu Kulturzentrum ziehen, weil es nur sehr wenige Termine im Jahr geben wird, wo wir überhaupt alle Mitglieder unter einen Hut bekommen. Und wer soll da entscheiden, ob man in Tostedt spielt oder lieber in Hoyerswerda? ... und eine Tour ist terminlich sowieso völlig ausgeschlossen.

Aber immerhin, es besteht noch die Chance, dass es hin und wieder einen Gig geben wird. Wer ein unwiderstehliches Konzertangebot hat, kann sich gerne mit booking@limoinsel.de in Verbindung setzen.

Nächstes Thema: Was ist mit neuen Titeln? ,Äh ja, na klar ... aber wann denn bloß? und ’ne Studiosession wär toll, aber das dauert ja noch länger..‘ Schwierig alles, aber angeblich sind drei Titel so gut wie fertig geschrieben (Huch?). Also auch hier einfach abwarten und gucken was geht ...“


Wie kam es zur Reunion anlässlich des Ruhrpott Rodeo-Festivals, wie habt ihr euch vorbereitet? Wer war dabei, wer nicht, und warum?

Die Reunion fand nicht anlässlich des Ruhrpott Rodeos statt. Wie hatten bereits vorher eine eigene Veranstaltung geplant, die aber wegen Terminschwierigkeiten geplatzt ist. Das Ruhrpott Rodeo war einfach eine willkommene Gelegenheit, die wir genutzt haben. Seit 2009 haben wir immer wieder mal geprobt – einfach um zu sehen, ob wir musikalisch und auch terminlich so etwas wie eine Band auf die Reihe kriegen würden. Die Proben fanden mit Rajas, Andreas, Peter, Frank und Sören statt. Diese Besetzung hat für uns den Stellenwert der sogenannten „Urbesetzung“, weil mit ihr die meisten LPs produziert wurden. Außerdem war diese über die Zeit sehr stabil, auch wenn mancher zwischendurch ausgestiegen, aber später wieder zurückgekehrt ist. Peter, der Schlagzeuger, hat die Band dann letztes Jahr endgültig verlassen, weil er keine Lust mehr hatte aufzutreten. Deshalb ist Arne jetzt wieder dabei, der seit 1995 bei der B-Besetzung getrommelt hat. Mit ihm konnten wir zehn bis zwölf Mal proben, bevor es auf die Bühne ging.

Wie schwer war es, sich zusammenzuraufen? Über die Jahre gab es verschiedene Besetzungen, es konnte der Eindruck entstehen, da war nicht so ganz klar, wer das „Recht“ hat, das Erbe zu verwalten?

Es gab nie Streit darüber, wer als RAZZIA auftritt, und wer nicht. Da hatten alle immer ein ganz gesundes Verständnis, so dass sich das von allein geregelt hat. Es traf sich so, dass 2009 die letzte aktive Besetzung offenbar jede Aktivität eingestellt hatte und es daher auch keinerlei Überschneidungen gab. Niemand will mit irgendwem in Konkurrenz treten.

Wie habt ihr den Auftritt erlebt – wart ihr aufgeregt, war das was Besonderes für euch?

Der Auftritt war klasse und hat uns viel Spaß gemacht. Natürlich war es etwas Besonderes, an einem Tag mit namhaften Bands wie THE DAMNED oder MISFITS aufzutreten. Das Festival war sehr gut organisiert und vom musikalischen Angebot her vielfältig. Festivalbesucher, welche beispielsweise die LOKALMATADORE nur ein wenig mögen, können uns nur hassen und umgekehrt. So war für jeden etwas dabei. Neu war, dass wir fast alle weitgehend nüchtern auf der Bühne standen und dass im Wagen nicht geraucht wurde. Das hat es früher nicht gegeben.

Und das Feedback von Leuten, deren kritische Meinung euch wichtig ist?

Das Echo ist durch die Bank positiv.

Hatte die ganze Sache was mit der Reunion von SLIME zu tun, im Sinne von „Was die können, können wir schon lange!“?

Nein, gar nicht.

Apropos SLIME: Wie war das Verhältnis zwischen den beiden Bands in den Achtzigern? Ihr seid parallel in der gleichen Stadt aktiv gewesen, was verband, was unterschied euch, inhaltlich, vom Publikum her ...?

Die erste Besetzung von SLIME kommt, wie wir, zum größten Teil aus Langenhorn, einem Stadtteil im Norden Hamburgs. Wir sind auf dieselben Schulen gegangen und haben zum Teil Unterricht zusammen genossen. Man traf sich gelegentlich in der Raucherecke oder abends auf eine Hefekaltschale im Kiwittsmoorpark. Die Vorgängerband von SLIME übte 1979 kurze Zeit an der Heidberg-Schule. Peter und Thomas waren davon so angetan, dass sie etwas später gemeinsam mit Andreas RAZZIA gründeten. Peter besorgte sich Waschmitteltrommeln, Andreas kaufte sich eine Akustikklampfe auf dem Flohmarkt und Thomas bastelte aus Sperrholzplatten seinen ersten Bass – seine Firma Cyanguitars ist heute weltbekannt und baut Gitarren zum Beispiel für DIE ÄRZTE. Anfang der Achtziger gab es dann ungefähr 100 Jugendliche in Langenhorn, die zusammen rumhingen, sich für Punk oder alternative Musik interessierten und auch in diversen Bands spielten. SLIME haben den Kontakt zu Walterbach vom Label Aggressive Rockproduktionen hergestellt, für den wir dann drei Samplerbeiträge für die „Underground Hits“-LP aufnahmen und der uns auf erste Gigs mitschleppte. Das waren die Gemeinsamkeiten und verbindenden Elemente. Inhaltlich und musikalisch unterschieden sich SLIME und RAZZIA immer sehr deutlich. Wir haben sehr bewusst darauf verzichtet, Feindbilder aufzubauen, Phrasen zu dreschen oder zur gewalttätigen „Lösung“ politischer Probleme aufzurufen. SLIME haben mehr Musik aus dem Bauch heraus gemacht, spielten, auch was die Verkaufszahlen angeht, immer in einer anderen Liga.

Wird es bei diesem Auftritt bleiben oder ist da mehr zu erwarten für die Zukunft, live wie Studio?

Wissen wir nicht. Es ist aber angedacht, einige seltene Auftritte zu machen und vielleicht auch ein paar neue Songs aufzunehmen. Mal sehen ...

Eine bewusst polemische Frage: Braucht noch irgendwer Ü50-Männer, die mittels Band-Reunion eigene nostalgische Gefühle bedienen und die von ein paar ebenso alten Menschen im Publikum? Ganz zu schweigen von Ü40-Fanzinemachern, die glauben, dass Interviews mit solchen Bands noch jemanden interessieren ...

Nein, das braucht niemand. Wir bedienen allerdings keine nostalgischen Gefühle, sondern spielen, was wir können und mögen. Übrigens: Als RAZZIA 1979/80 gegründet wurde, waren einige von uns erst 13 oder 14 Jahre alt, Ü50 passt also noch nicht ganz.

Und was ist mit euren alten Platten? Was ist aktuell noch erhältlich, was nicht, sind irgendwelche Neuauflagen geplant?

Zur Zeit ist alles vergriffen. Wir sind im Gespräch über Neuauflagen. Nichts Genaues weiß man nicht. Das hängt auch von Engagement derer ab, mit denen wir diese Platten machen.

RAZZIA waren für mich immer eine der Bands, die auf intelligente Weise kritisierten, kluge Fragen stellten und gesellschaftliche Entwicklungen kommentierten – im Gegensatz zu anderen Bands, denen es mehr auf Provokation und Krawall ankam. Was prägte euch als Jugendliche und junge Erwachsene, wie sah euer Punk seinerzeit aus?

Es gibt diesen blöden Spruch: „Kunst kommt von Können, nicht von Wollen, sonst hieße es Wunst.“ Er wurde von Ingenieuren formuliert, die glauben, die Reparatur einer Kaffeemaschine sei eine kreative Handlung. Kunst muss ihre Umwelt kritisch hinterfragen und Missstände verändern wollen, sonst ist sie keine. Die Form darf nicht den Inhalt diktieren. Punk hieß Anfang der Achtziger: wer aussagekräftige Texte hat, kann auch Musik machen. Die Fähigkeiten am Instrument waren eher zweitrangig. Es galt, Neues auszuprobieren, sich die eigene Kreativität nicht von anderen kaputt reden zu lassen und eigene Ängste zu bewältigen. Außerdem waren wir bemüht, im eigenen Umfeld politisch zu handeln, als ob man damit die Welt verändern könnte, uns nirgendwo einreihen und auch nicht jeden Scheiß mitzumachen.

Was ist in eurem Leben geblieben von Punk, an Ideen, an Werten?

Leider mehr, als du dir vorstellen kannst. Wie viele andere auch, fällt es uns immer noch äußerst schwer, uns einzuordnen, Sinnlosigkeit, Zerstörungswut, Dummheit oder Langeweile zu ertragen. Wir sind aber nicht mehr so arrogant zu glauben, dass wir mehr über andere wissen als sie selbst.

Man sagt ja oft, dass jede Band in einer gewissen Zeit existiert, die auch die Inhalte prägt. Doch vieles, was vor 25, 30 Jahren in Texten kritisiert wurde, ist mit minimalen Änderungen heute immer noch aktuell, es gibt kein kleineres Nazi-Problem als früher, Tiere werden immer noch ausgebeutet – entsprechend aktuell wirken die alten Texte. Wie geht es euch, wenn ihr eure alten Texte lest, sie singt – „gehen“ da noch alle, oder sind da welche dabei, die man so nicht mehr singen kann?

Die Texte, die wir nicht mehr mögen, haben wir schon in den Neunzigern abgewählt. Ja, es gibt da Jugendsünden, wie das halt so ist, wenn 15-Jährige was aufschreiben. Da ist auch schon mal Mist dabei, der gar nicht mal falsch, aber missverständlich ist oder vielleicht heute zu belanglos erscheint, um daraus ein Lied zu machen. Das ist aber nicht problematisch, weil es hier um alte Stücke geht. Unverständlich finden wir es, wenn junge Bands Songs schreiben, die überhaupt nicht zeitgemäß erscheinen und sich nur in Klischees bewegen.