THRICE

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Es gibt nicht viele Künstler, die auf einmal alles über den Haufen werfen und sich an etwas komplett Neuem versuchen. THRICE zählen seit den beiden EPs von „The Alchemy Index“ sicherlich zu dieser sehr kleinen Gruppe und müssen es nun niemandem mehr beweisen. Niemand verlangt mehr ein Konzeptalbum, weil er des Standardsounds überdrüssig ist. Niemand verlangt ein juveniles Punkrock-Album, das zwar neue Standards setzen kann, jedoch nicht wirklich zur Band passen will. Und ganz sicher verlangt niemand mehr ein Album, das einen Musikstil mitbegründet und als eine Blaupause für unzählige junge Bands gilt. Denn all das haben THRICE schon erreicht. „Major/Minor“, das aktuelle Werk der Amerikaner klingt wie ein Album, das unbeschwerter kaum sein kann – betrachtet man die Herangehensweise der Musiker. War das Vorgängeralbum „Beggars“ der Anfang vom Ende einer musikalischen Entdeckungs- und Entwicklungsreise? Schlagzeuger Riley Breckenridge erklärt, welchen Anspruch er an seine Musik stellt und untermauert die Bedeutung von THRICE als moderne Rock-Band. Riley schreibt außerdem für mehrere Zeitungen in Orange County, ein Online-Musikblog sowie für ein Schreiberkollektiv namens flipcollective.com – und spielt gerne Baseball.

Es ist erstaunlich, welchen musikalischen Wandel ihr als Band durchgemacht habt, ohne dabei etwas an eurer Bandbesetzung zu ändern. Kannst du dir diese Entwicklung erklären?

Für uns hat sich alles sehr natürlich entwickelt. Je älter wir wurden, umso mehr unterschiedliche Musikstile haben wir kennen gelernt. Wir sind nun seit 14 Jahren als vier Musiker zusammen, die alle einen unterschiedlichen Musikstil pflegen. Das, was uns zu dem macht, was wir sind, ist die Fähigkeit, sich immer auf die goldene Mitte zu einigen. Wir liegen musikalisch zwar auch meistens auf einer Wellenlänge, wichtig ist für uns aber auch, dass wir uns gegenseitig als Künstler respektieren können.

Man kann bei euch nun wirklich von einer sehr umfangreichen Entwicklung sprechen, schaut man sich nur mal den Sound auf „The Illusion Of Safety“, einem eurer ersten Alben, und der EP-Reihe zu „The Alchemy Index“ an.

Wir haben sehr großes Glück, dass die Leute unsere Musik zu schätzen wissen und sogar mit uns aufwachsen. Es geht ja nicht um einen musikalischen Stil. Es geht um das, was man aus einer Band herausholen kann. Es ist schön zu sehen, dass nicht nur wir unseren musikalischen Horizont ständig erweitern, sondern dass auch unsere Hörer es tun. So kommen wir wieder gut zusammen, denke ich.

Kannst du dich an den entscheidenden Punkt erinnern, der euch dazu verleitet hat, dass ihr auf „Major/Minor“ im Vergleich zu „Beggars“ keinen großen Stilbruch vollziehen wolltet?

Bei uns ist es so, dass jeder von uns seine Songideen erst für sich zu Hause aufnimmt, ohne mit den anderen über die Richtung zu sprechen. Danach setzen wir uns zusammen und basteln uns den endgültigen Song. Es ist ein sehr langer Prozess, da wir die jeweiligen Songideen diskutieren und danach verarbeiten. Ich schreibe gerne, wenn wir gerade von einer Tour zurückkommen. So kann ich die Emotionen verarbeiten und neue Inspirationen sofort in die Songs einfließen lassen.

War euch vorher schon klar, dass ihr nicht noch einmal ein so großes Experiment wagen wolltet, wie ihr das schon einmal mit euren EPs getan habt?

Als wir „Beggars“ geschrieben haben, ist uns klar geworden, wie viel Spaß wir haben, wenn wir vier zusammen in einem Raum laute Musik machen. „The Alchemy Index“ war ein Kraftakt, der uns musikalisch sehr weit gebracht hat. Es ist aber auch kein Zufall, dass „Major/Minor“ nun wieder etwas rockiger klingt. Auch als wir mit dem letzten Album getourt haben, ist uns aufgefallen, wie leicht sich da alles angefühlt hat. Wir wollten das Gefühl auch wieder für die neue Platte verwenden. Wir wollten die Musik machen, die wir gerne hören, aber auch das Maximum aus unseren Fähigkeiten herausholen.

Das sollte euch sicherlich leichter gefallen sein, nachdem ihr wie keine andere Band eure musikalischen Extreme ausgelotet habt. Was könnte eine Band mehr wollen, als von sich sagen zu können, dass man alles gemacht hat, was die eigenen Möglichkeiten hergeben.

Uns ging es eigentlich nie darum, uns ein Ziel für die Musik zu setzen. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass sich keiner von uns am Anfang unserer musikalischen Karriere gedacht hat, anstelle eines superschnellen Punkrock-Albums mal ein Konzeptalbum aufzunehmen, auf dem stellenweise noch nicht mal eine Gitarre zuhören ist. Wie ich schon sagte, wollen wir immer das repräsentieren, wo wir uns als Band gerade befinden, und das hat sich immer weiter entwickelt.

Halten wir also fest, dass „Major/Minor“ in der Tradition von „Beggars“ steht. Ist eure musikalische Stilsuche damit abgeschlossen?

Nein! Das Interessante am Musikmachen ist, dass es keine Antwort auf etwas gibt; dass es keinen wahren Weg gibt. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sich musikalisch zu positionieren. Die einzige Limitierung ist dein eigenes Können und deine Kreativität. Für mich ist es sehr spannend zu sehen, wie ich mich stetig weiterentwickle. Es gibt keine Formel, nach der man Musik schreiben kann – meiner Meinung nach. Ich mag den kreativen Entstehungsprozess. Darum schreibe ich Musik, wann immer ich kann.

Gibt es Erwartungen eurerseits, die ihr an eure Hörer habt? Gibt es etwas, von dem ihr denkt, das man es erkennen muss, um THRICE richtig zu verstehen?

Nein, so etwas gibt es nicht wirklich. Ich hoffe, dass unsere Musik die Leute emotional bewegen kann. Es ist doch schließlich so, dass man sich vor allem an Songs erinnert, die einen wirklich berührt haben. Ich kann für mich sagen, dass es auf „Major/Minor“ ein paar solcher Songs gibt, die mich wirklich emotional bewegen, zum Beispiel „Cataract“ oder „Yellow belly“. Bei Letzterem habe ich im Studio gesessen und Ideen entwickelt. Nachdem ich die Sachen mit Teppei durchgegangen bin, schrieb er die Gitarrenriffs dazu. Es war also ein Prozess, der andersherum ablief, als es üblich ist. Das ist für mich dann natürlich auch etwas ganz Besonderes. Ich würde mir wünschen, dass die Hörer sich unserer Musik immer offen und ohne Vorurteile nähern, so dass sie ihre eigenen Erfahrungen machen können.

Ich habe THRICE auch immer als eine Band wahrgenommen, die sich kritisch mit aktuellen Entwicklungen und Politik auseinandersetzt. Was denkst du als Amerikaner über die aktuelle politische Situation der amerikanischen Gesellschaft?

Die finanzielle Situation macht mir schon sehr große Sorgen. Die Entwicklung der Kurse an den Börsen ist furchterregend, genauso wie die Tatsache, dass es hier kaum noch Jobs gibt. Vor allem junge Leute haben es sehr schwer. Die Leute werden entlassen, Geschäfte werden geschlossen. Selbst hier in Orange County, wo es normalerweise etwas entspannter und ruhiger abgeht, machen sich die Leute Sorgen um ihre Zukunft. Die politische Situation ist noch schlimmer. Da ja bald wieder Wahlen anstehen, werden neue Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden können. Die Leute zerfleischen sich gegenseitig und machen Wahlkampf mit Stimmung statt mit Fakten. Das führt nicht dazu, dass sich etwas verändern wird. Eher bringt uns das einem großen Knall ein weiteres Stückchen näher und zeigt, dass das Parteiensystem und das Denken der Politiker in Legislaturperioden eher zum Stillstand als zu positiven Entwicklungen führt. Das Phänomen Obama mit all seinen Hoffnungen und Versprechungen wird von Leuten zerstört, die sich mehr Gedanken über ein weiteres teureres und umweltverpestendes Auto machen, als darum, dass Amerika auch einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Erde tragen müsste. All das führt dazu, dass die Leute hier immer weniger Hoffnung haben. Es ist deprimierend.

Meinst du, der amerikanische Traum ist ausgeträumt?

Nein, es ist immer noch so, dass die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung hier in Amerika sehr groß sind. Ich bin schon froh, hier zu leben.

Die Medien haben immer einen großen Anteil an der Meinungsmache. Dies ist nicht nur in Amerika so, jedoch nimmt man manche Berichterstattung hier in Europa doch als sehr speziell wahr.

Das kann ich mir denken. Nimmt man zum Beispiel Fox News und deren ultrakonservative Berichterstattung, so kann man sich manchmal fragen, warum es hier in Amerika so viele leichtgläubige und vor allem durch Angst und Vorurteile zu beeinflussende Menschen gibt. Rot, Weiß und Blau: Dieser extreme Patriotismus ist mit Bush nicht von der Bildfläche verschwunden. Jeder Fehler, den Obama macht, macht die Konservativen stärker und das Fernsehen spielt immer noch eine große Rolle dabei. Im Internet wird anders diskutiert – zum Glück. Die Medien haben sicherlich mehr Macht, Menschen zu beeinflussen, als sie haben sollten. Das kann für gute Dinge benutzt werden, wird aber immer mehr missbraucht, um Missgunst und Unruhe zu sähen.

Du hast das Internet angesprochen. Ihr habt mit THRICE und dem Leak von „Beggars“ auch schlechte Erfahrungen gesammelt. Bist du im Vorfeld des neuen Albums deshalb nervös?

Auf jeden Fall. Es war eine wirklich unglückliche Sache, dass das Album vor Veröffentlichung als Download verbreitet worden ist, denn so mussten wir unser Konzept zur Vermarktung komplett umstellen. Alles, was vorbereitet war, Videos und Fotos, die auf „Beggars“ aufmerksam machen sollten, wurden Bestandteil der digitalen Ausgabe des Albums. Jetzt halte ich jeden Tag in den üblichen Tauschforen Ausschau nach dem neuen Album. Nicht um die Verbreitung zu verhindern, so was lässt sich nicht verhindern, es geht eher darum, dass wir den Schaden gering halten.

Ist der Leak ein Grund dafür, warum ihr auf eurer Internetseite in engem Kontakt zu euren Fans steht?

Ich bin wahrscheinlich derjenige von uns, der am meisten online ist und viele Fragen beantworten kann. Damit möchte ich den Leuten zum einen etwas zurückgeben für ihre Wertschätzung und zum anderen bin ich auch nur ein ganz normaler Nerd, der viele neue Sachen ausprobieren will. Durch den Kontakt mit den Leuten sorgen wir dafür, dass es keine Mauer gibt zwischen ihnen und uns. Ich denke, dass es wichtig ist, zu zeigen, dass man eigentlich ein normaler Typ ist, der die Möglichkeit hat, mit seiner Leidenschaft, dem Musikmachen, sein Leben bestreiten zu können. Es gibt viele Bands, deren Mitglieder denken, dass sie etwas Besseres sind als ihre Hörer. So denken wir nicht.