DYS

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More than fashion

Nachdem DYS, die neben SSD Anfang der Achtziger die Bostoner Straight-Edge-Szene begründeten, sich 2010 für eine Reunion-Show im Rahmen der Aufnahmen zu einer Dokumentation über eben diese Szene wieder zusammentaten, folgten diverse weitere Konzerte in den USA. Bridge Nine brachte vor kurzem eine Live-LP mit den Aufnahmen dieser Show heraus, und da die Band auch weiterhin aktiv ist, war es an der Zeit, bei Gründungsmitglied Jonathan Anastas (Bass) nach dem Stand der Dinge zu fragen.

Warum habt ihr euch wieder zusammengetan? Wurdet ihr anlässlich der Show zur Dokumentation „xxx All Ages xxx“ gefragt, oder war es eure eigene Idee?

DYS wurden über die Jahre sehr oft nach Reunion-Shows gefragt, aber wir haben immer nein gesagt. 2009 überlegten wir, ein paar Konzerte zu spielen, da wir ein Angebot aus Europa hatten. Leider passte das Timing nicht ganz. Als der Regisseur Drew Stone und der Produzent Duane Lucia ihre Boston-Hardcore-Dokumentation „xxx All Ages xxx“ zusammenstellten, waren sie beunruhigt, wie wenig Filmmaterial von den wesentlichen Bostoner Hardcore-Bands existierte, da sie in ihrem Film mehr als nur Fotos und neue Interviews zeigen wollten. Also beschlossen sie, eine „Gallery East Reunion“-Show zu buchen, um ihren Film mit neuer Live-Footage zu vervollständigen. Als sie mit dem Konzept – sechs Kameras, Full HD, 24-Track-Aufnahme vom Soundboard – auf uns zukamen, sagten wir aus zwei Gründen zu: zum einen, um unsere Szene, Freunde und Fans zu unterstützen, und zum anderen, um ein hochqualitatives Dokument der Band zu haben, was in den Achtzigern im Hardcore so nicht möglich war. Es wurde rundum als einmalige Sache aufgefasst und wir gingen auch davon aus, dass es dabei bleiben würde. Die Vorbereitungen auf die Show haben wir sehr ernst genommen, haben ziemlich oft geprobt und ein paar der Songs neu arrangiert. Da ich und Dave dachten, dass es nur bei dieser einen Show bleibt, wollten wir besser sein als je bevor. Die Ticketverkäufe liefen deutlich besser als erwartet und die Show wurde zuerst von einem 300-Mann-Saal in einen 600er verlegt und dann in einen für 1.200 Leute. Das hat natürlich noch mehr Druck auf uns ausgeübt, dem Hype, den Erwartungen der Fans und unserem eigenen Vermächtnis gerecht zu werden.

Wo wir gerade bei „xxx All Ages xxx“ sind, was meinst du, warum gibt es in letzter Zeit so viele Bücher und Dokus über Hardcore?

In einer Zeit, in der so viel Musik und Kultur massenproduziert und unauthentisch wirkt, sticht Hardcore als etwas Reales heraus. Und die Kids sind heute mehr denn je auf der Suche nach so etwas. Eine ganze neue Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, hat nach der wahren Essenz von Musik gesucht und sie über verschiedene Generationen verteilt gefunden, von LED ZEPPELIN bis zu den BAD BRAINS. HR oder BLACK FLAG sind real, Justin Bieber nicht. Dazu kommt, dass wir in einer Zeit leben, in der die Bosse, Redakteure, Produzenten und Regisseure der Massenmedien der Punk-Generation entstammen. Während also die bestimmenden Personen der vorherigen Generation mit Classic Rock aufgewachsen waren, wurde die jetzige in der Zeit geprägt, als Punk groß wurde. Deswegen hört man mittlerweile Punk und Hardcore auch in der Werbung, in Filmen und im Fernsehen. Diese beiden Entwicklungen kommen einfach zusammen und bringen eine größere Nachfrage nach altem und neuem Hardcore und Punk mit sich.

Waren die Live-Aufnahmen eurer Show von Anfang an als neue LP geplant?

Nein, absolut nicht. Wir hatten im Vorfeld keine andere Absicht, als so gut zu spielen, wie wir nur konnten. Klar, wir wussten, dass die Show aufgenommen werden würde, aber das bedeutete für uns nur mehr Druck, gut zu sein, und keinen Masterplan, eine Live-LP daraus zu machen. Wir hatten Bridge Nine an sich nur wegen Merchandise kontaktiert, nicht wegen eines Plattendeals. Chris Wrenn, der Besitzer von Bridge Nine, war super locker und hat dem Merch den Look verpasst, den wir wollten: Schlüsselemente unserer Vergangenheit, aber in einer moderneren Art. Wir waren wirklich begeistert davon, und als uns dann auch noch klar wurde, was wir da an Aufnahmen vor uns liegen hatten, fingen wir an, über eine Live-Platte zu reden.

Ihr habt bei eurer ersten Reunion-Show ein paar Songs eurer zweiten, selbstbetitelten LP gespielt, wenn auch etwas anders, als sie aufgenommen wurden. Wieso?

Als wir uns für die Show wieder zusammentaten, hatte ich vor allem die Idee, die musikalische Lücke zwischen den beiden Platten zu füllen und sie aktueller und homogener klingen zu lassen, die „Brotherhood“-Songs mit der zweiten Gitarre und etwas anderem Tempo zu spielen, sowie den einen oder anderen Refrain oder Breakdown hinzuzufügen und dafür die Songs der zweiten Platte ein Spur härter, mehr nach Hardcore klingen zu lassen. Dies haben wir durch anderes Stimmen der Gitarren, tieferen Gesang und durch schnelleres Spielen einzelner Parts hinbekommen. Dadurch klingen die Songs beider Platten ähnlicher und eher so, wie wir sie damals schon hätten spielen sollen, wenn wir es denn besser gewusst hätten. Und um das Ganze zusammenzuhalten, haben wir MOTÖRHEADs „Road crew“ gecovert. Es ist Rock, es ist Punk, es ist Hardcore. Genau die Schnittmenge, in der sich unsere neue Musik bewegt.

Bist du denn im Nachhinein noch zufrieden mit eurer zweiten LP? Ich kenne nämlich einige Leute, die sie – genau wie die letzten SSD-Platten – hassen.

Das ist eine schwierige Frage, denn sie ist einfach ein Relikt der damaligen Zeit. Um ehrlich zu sein, bin ich aus verschiedenen Gründen mit keinen von unseren Studioaufnahmen zufrieden, und ich denke, dass die neue Live-LP die Songs unserer beiden Alben besser repräsentiert als die Platten, auf denen sie ursprünglich erschienen. Bei der ersten, „Brotherhood“, waren die technischen Fertigkeiten aller beteiligten Musiker noch eher eingeschränkt, genau wie unsere Erfahrungen, unser Budget und die Studiosituation. Alles, was an dieser Platte bedeutend und kraftvoll war, lag in der Ehrlichkeit, der Hingabe, unseren Absichten und dem Denken, das da einfloss, nicht an der Technik. Der Sound ist dünn, insbesondere die Gitarren, und die Vocals sind zu sehr in den Hintergrund gemischt. Aber sie gibt das Gefühl der damaligen Zeit sehr gut wieder. Du musst schon dabei gewesen sein, um das wirklich nachvollziehen zu können. Das zweite Album ist auch sehr repräsentativ für die damalige Zeit und unsere Absichten. Wir konnten besser spielen, hatten einen zweiten Gitarristen und es gab offensichtlich neue Einflüsse, wie METALLICA, IRON MAIDEN und MOTÖRHEAD, aber den Einfluss von SSD und BLACK FLAG kann man auch noch raushören. Man kann schon sagen, dass die Platte vom Technischen und der Produktion her mit den anderen „Crossover“-Platten damaliger Hardcore-Bands mithalten kann. Heutzutage klingt die Platte mit dem gigantischen Drum-Sound und Daves hohem Gesang ziemlich veraltet, genau so wie eine Phil Collins-Platte aus der damaligen Zeit heute veraltet klingt. Wir haben sogar digitale Drum-Samples benutzt. Trotzdem, wenn du dir die Texte anhörst, wirst du merken, dass es da keine so heftige Veränderung gab wie bei der Musik. Die Themen waren, ähnlich wie bei „Brotherhood“, persönlicher Art, oder es ging um Persönlichkeitsentwicklung und Entfremdung. Das war also keine „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“-Heavy-Metal-Platte. Wie du weißt, gingen innerhalb der folgenden zwei Jahre viele Hardcore-Bands einen ähnlichen Weg. Musikalische Weiterentwicklung ist eine diffizile Sache. Die Fans tendieren dazu, das zu lieben, was sie ursprünglich bei einer Band angezogen hat, und Veränderungen beunruhigen sie. Ich verstehe und respektiere das, aber das Bedürfnis, für dein Publikum musikalisch zu wachsen, ohne dich zugleich dadurch von ihm zu entfernen, ist ein klassisches Spannungsverhältnis in der Karriere einer jeden Band. THE WHO hatten damit Probleme, viele Hardcore-Bands unserer Ära kämpften damit, die BAD BRAINS hatten diese Reggae-Geschichten, BLACK FLAG wurde vorgeworfen, dass sie auf einmal langsame Songs spielten. Im Nachhinein betrachtet, scheinen nur THE CLASH zusammen mit ihrem Publikum gewachsen zu sein, als sie ihre Musik um Ska, Reggae, Motown und Dub erweiterten.

DYS galten immer als Straight-Edge-Band, aber spielt Straight Edge noch eine Rolle in eurem Leben?

Ich kann hier nur von meinem Leben erzählen. Ich habe auch vor DYS schon keine Drogen genommen und rauche und trinke nicht. Ich glaube an eine gesunde Lebensweise mit Sport, Bio-Lebensmitteln, ohne Drogen und ohne Alkohol. Ich habe einen sehr stressigen Alltag und bei allem, was DYS anbelangt, möchte ich auch 150% geben. Ich an jeder Entscheidung und jedem Ereignis in meinem Leben bewusst teilhaben. Das ist der Lifestyle, an den ich glaube. Ich weiß jetzt nicht, ob das die Definition von Straight Edge ist. Ich bin kein Veganer, ich trage Leder, ich trinke Kaffee und Energy-Drinks mit Koffein. Was die Band angeht: Wir sind überzeugt von der zerstörerischen Wirkung von Alkohol und Drogen. Wir glauben an ein bewusstes Leben, das nur du selbst kontrollieren kannst. Das spiegeln die Texte unserer neuen Songs wider, genau wie früher unsere alten. Die Geschichten werden jetzt nur mit etwas veränderter Perspektive erzählt, mit mehr Menschlichkeit und basierend auf mehr Erfahrungen. Wenn mit unserer Message auch nur eines der Kids vor schlimmen Erfahrungen bewahrt wird, war es das wert.

An welchen anderen musikalischen Projekten arbeitet ihr noch?

Mit DYS schreiben wir neue Songs, wir haben im Sommer fünf Lieder aufgenommen, die in den nächsten vier Monaten rauskommen sollten. Um die Jahreswende 2011/12 herum werden wir erneut ins Studio gehen und vier bis sechs weitere Songs einspielen. Sie werden alle zuerst in den USA digital und als Singles veröffentlicht, vielleicht dann auch zusammen in Europa. Es wird ein paar limitierte Sachen geben, ein paar Gratis-Songs und noch mehr. Daneben macht Dave Smalley natürlich mit DOWN BY LAW weiter und kümmert sich um seine Solo-Shows. Ja, und Franz Stahl ist sehr aktiv mit SCREAM – eine Band, die wir alle sehr lieben.