Nitro Records

Dexter Holland ist nicht nur der Frontmann der Punkrock-Millionäre THE OFFSPRING, sondern auch Betreiber von Nitro Records, jenem Label aus Los Angeles, das uns ganz aktuell die Alben der TURBO AC´S und von AFI bescherte wie auch von GUTTERMOUTH, VANDALS und JUGHEAD´S REVENGE. Nach der OFFSPRING-Show in Köln hatte ich die Gelegenheit, mich mit Dexter über sein Label zu unterhalten.

Wie und wann hattest du die Idee, dein eigenes Label zu gründen?


Ich fand die Idee, ein eigenes Label zu haben, schon immer reizvoll und kannte auch verschiedene Leute von Bands, die ein eigenes Label hatten. Es war also keine besonders neue Idee, aber Brett von BAD RELIGION, Jello von den DEAD KENNEDYS, Ian von FUGAZI und Fat Mike von NO FX waren für mich schon Vorbilder. Ich hatte freilich kein Geld für sowas und wusste auch nicht, welche Bands ich hätte ansprechen sollen. Dann, nach dem Erfolg von "Smash", hatte ich plötzlich Geld und GUTTERMOUTH, gute Freunde von mir, suchten ein Label, also ergriff ich die Chance, ihr Album zu veröffentlichen, und gründete Nitro. Das war eigentlich ein Zufall, geboren aus der Idee, Freunden zu helfen. Von da aus ist das Label ganz allmählich gewachsen, nachdem die ganze Sache anfangs von meinem Küchentisch aus lief. Da stand der Computer, und mein Schlafzimmer war das Lager. Jetzt gibt es Nitro schon sechs Jahre, mittlerweile arbeiten da zehn Leute und wir haben sieben oder acht Bands: TURBO AC´S, AFI, GUTTERMOUTH, VANDALS, JUGHEAD´S REVENGE, ENSIGN, SLOPPY SECONDS...

...und THE DAMNED, wie man hört.

Die müssten jetzt die Verträge unterzeichnet haben. Hat auch lange genug gedauert und ich kam mir schon komisch vor, wenn ich den Leuten erzählt habe, dass THE DAMNED jetzt auf Nitro sind. Die waren echt die Helden meiner Jugend, und als ich hörte, dass die ein Label suchen, habe ich versucht sie auf Nitro zu bekommen. Ich hab´ ihnen dann erstmal das Studio für Demo-Aufnahmen bezahlt, die auch gut geworden sind, wir haben uns vor ein paar Tagen in London getroffen und alles sieht ganz gut aus.

Was war das denn für ein Gefühl, plötzlich selbst ein "Plattenboss" zu sein, nachdem du zuvor als Mitglied einer ja genug Erfahrung mit Labels gesammelt hattest.

Hehe, ich weiss jetzt jedenfalls ganz genau wie man Bands so richtig abzockt. Nach den ganzen Tricks, die man bei uns versucht hat, wäre ich darin jetzt richtig gut. Nein, ich denke, es hilft dem Label insofern als ich die Positionen einer Band aus eigener Erfahrung sehr gut kenne und nicht nur so ein Typ bin, der da hinter seinem Schreibtisch sitzt. Ich weiss also, was eine Band prinzipiell von einem Label erwartet und wie man die Erwartungen einer Band so erfüllt, dass es für beide Seiten Sinn macht.

Hattest du denn ein bestimmtes Konzept im Kopf, als du das Label angefangen hast?

Nein, ich habe einfach losgelegt, einfach mal schauen, was passiert. Ich wollte eben die Musik rausbringen, auf die ich Bock habe, eben Punk. Die ersten beiden Bands waren GUTTERMOUTH und die VANDALS, und damals war diese Southern California-Punkszene auch noch größer. Ich fand die Idee auch ganz gut, das Label als Southern California-Punklabel zu etablieren. So lief das dann auch an, ich nahm JUGHEAD´S REVENGE aufs Label, aber du kannst auf Dauer nicht immer das Gleiche machen, denke ich, sonst wendet sich das schnell gegen dich. Und so nahm ich AFI und SLOPPY SECONDS, die schon einen anderen Sound machen und auch woanders herkommen. Grundprinzip ist aber, dass ich die Band mögen muss und dass sie gute Songs hat.

Das wäre meine nächste Frage gewesen: Ist dein Geschmack das oberste Kriterium?

Ja, schon, denn ich denke, es wäre falsch, eine Band zu signen, die ich hasse, nur weil die sich wahrscheinlich gut verkauft. Vor ein paar Jahren hat man mir geraten, AT THE DRIVE-IN zu signen, die zu dem Zeitpunkt immer beliebter wurden und wo ich auch sehen konnte, warum die Leute sie mögen. Aber es war nicht mein Ding, und ich will auch nichts gegen sie sagen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich für die Band begeistern kann. Tja, und jetzt sind sie total angesagt... Was soll´s, ich hab´s vergeigt!

Du bist ja sehr viel unterwegs und hast genug mit der Band zu tun. Wer kümmert sich da um die Alltagsarbeit, wie bleibst du mit dem Büro in Kontakt?

Klar, ich bin viel unterwegs und mit der Alltagsarbeit habe ich nicht so viel zu tun, ausser wenn ich zuhause bin: da bin ich schon jeden Tag im Büro. Es ist eben eine Frage der Organisation, und ich habe gute Leute, die mich nicht alle fünf Minuten anrufen, wenn es um eine Entscheidung geht. Es ist aber immer noch ein kleines Label, obwohl ich mittlerweile für jeden Bereich wie Promotion oder Großhandel jemanden eingestellt habe. Aber so macht es Spaß, und ob man das jetzt den "Independent-Gedanken" oder "keeping it real" nennt, für mich ist wichtig, dass alle Spaß haben an dem, was sie machen.

Es gibt ja einige Labels, die scheinbar independent sind und von bekannten Musikern gemacht werden, die letztendlich aber komplett von einem Major finanziert und vertrieben werden. Was hältst du davon?

Hahaha! Sowas gibt´s? Hehehehe... Ich weiss, was du meinst... Nein, als ich Nitro ´94 gegründet habe, waren wir noch bei Epitaph, der Wechsel zum Major kam erst ´97. Greg und ich steckten unser Geld da rein, da war kein Cent von einem Major dabei. Es hat für mich etwas damit zu tun, der Szene, aus wer wir kommen, etwas zurückzugeben. Aber selbst wenn es "schmutziges Geld" wäre, könnte man die Frage stellen, ob es nicht gut ist, das für einen guten Zweck zu verwenden. Ich halte die Szenebasis für sehr wichtig, ein Heft wie Maximumrocknroll hat uns lange die Treue gehalten, und ein D.I.Y.-Club wie Gilman St. war lange regelmäßig eine Tourstation für uns. Es ist für mich also wichtig, anderen zu helfen, kleinere Bands mit auf Tour zu nehmen, und auf dieser Tour haben wir ausser AFI jeden Abend noch eine lokale Vorband, um denen eine Chance zu geben. Weisst du, es ist eigentlich so einfach, mit Kleinigkeiten, die keine Mühe machen, anderen Leuten zu helfen oder ihnen einen Gefallen zu tun. Aber viele Bands denken über sowas nicht nach.

Anderes Thema. Napster ist eine Idee, eine Software, eine Technik, die sowohl euch als große Band wie dir als Betreiber eines kleinen Labels durchaus Schaden zufügen kann. Trotzdem hast du dich mehrfach für Napster eingesetzt.

Mittlerweile ist Napster ja beinahe tot, weil sie aufgekauft wurden, aber das Konzept dahinter ist immer noch interessant. Ausserdem ist es ein sehr schwammiges Thema, wie Religion: keiner weiss was Genaues, niemand kennt die richtige Antwort, aber jeder hat dazu eine Meinung. METALLICA denken, es schädigt sie, es beraube sie ihres geistigen Eigentums. Mein Argument ist, ob es denn eine Rolle spielt, wenn eine große Band statt acht Millionen Platten nur sieben Millionen verkauft. Wenn man aber eine Band der Größenordnung nimmt, wie wir sie auf Nitro haben, dann spielt es schon eine Rolle, ob du 30.000 oder 20.000 Platten verkaufst. Dabei ist die Frage, ob das wirklich so ist. Das Internet ist aber so eine großartige Sache, wenn es darum geht, umsonst an Musik ranzukommen. Als wir mit OFFSPRING anfingen, haben wir selbst Demos kopiert: für $20 konnten wir fünfzehn Tapes kopieren und umsonst verteilen. Uns ging es darum, möglichst viele Leute zu erreichen. Heute geht das viel einfacher, du machst deine eigene Website, setzt ein paar mp3s drauf und gibst die Songs auch an Napster - mit viel weniger Aufwand erreichst du viel mehr Leute. Wer also Napster und das Internet so verteufelt, übersieht den großen Promotionnutzen. Die Kampagne der Majors ist letztlich das Gleiche wie die "Home-taping is killing music" vor 20 Jahren, und ich frage mich schon, warum die Plattenfirmen bis heute keinen vernünftigen Kopierschutz für CDs entwickelt haben, wenn ihnen das so wichtig ist.

Ich muss sagen, dass ich mir all die Sachen, die ich mir vor zehn oder fünfzehn Jahren auf Tape gezogen habe, weil ich kein Geld hatte, mittlerweile nach und nach doch noch gekauft habe.

Siehst du? Die meisten Leute sind wohl so, und letztlich ist es für eine Band doch wichtig, dass von ihrer Musik überhaupt Notiz genommen wird.

Dexter, du hast auch im Prozess gegen Jello Biafra als Zeuge für ihn ausgesagt. Worum ging es bei deiner Aussage?

Ich bin mit Jello seit einer ganzen Weile befreundet. Das fing an, als ich ihm als Kid Fanbriefe geschrieben habe, denn ich liebte die DEAD KENNEDYS, und ich war völlig überrascht, dass er mir immer persönlich geantwortet hat. Und als ich meine Band hatte, schickte ich ihm unser Demo, er kam zu unserer Show, und als ich ihn fragte, ob er uns auf Alternative Tentacles haben wolle, lehnte er ab, weil er uns noch nicht gut genug fand. Wir sind also seit einer ganzen Weile befreundet, und als ihn die anderen Bandmitglieder dann verklagten, fragte er mich, ob ich ihm nicht helfen könne, sagte ich natürlich zu. Ich weiss, dass ich ihm vertrauen kann, dass er das Herz an der richtigen Stelle hat und dass niemals absichtlich etwas machen würde, um seine ehemaligen Bandkollegen zu betrügen. Er gab mir gegenüber zu, dass es in der Buchhaltung ein paar kleine Fehler gegeben habe, die aber berichtigt worden seien, und mehr sei da nicht gewesen. Ich wurde dann gebeten, vor Gericht für ihn auszusagen. Die Sache war, dass die anderen drei DK-Mitglieder behaupteten, dass die Platten sich besser verkauft hätten, wenn Jello mehr Anzeigen geschaltet hätte. Und deshalb solle Jello sie jetzt für die nicht verkauften Platten bezahlen. Das ist eine sehr seltsame Forderung, wie ich finde, und ich wurde gefragt, ob es denn geholfen hätte, wenn er mehr Anzeigen geschaltet hätte. Meine Antwort war, dass ich das nicht glaube, denn wenn eine Platte ein Klassiker ist, verkauft sie sich eben nur in einer gewissen Stückzahl. Die nächste Frage war, was denn geholfen hätte, und ich sagte, wenn die Band eine Reunion gemacht hätte oder ein neues Album. Das war ein seltsame Sache, und ich steckte auch zwischen meiner Rolle als Labelmacher und Bandmitglied, und natürlich maulten auch ein paar Leute rum, ich würde mich als großer Punkexperte aufführen. Leider hat Jello den Prozess verloren, weil die Jury, wie ich denke, nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht, was es mit der Punkszene auf sich hat. Ach ja, und sie fragten mich auch, ob es schlecht für eine Punkband sei, wenn die Musik für einen Werbespot verwendet wird. Natürlich, sagte ich, gerade für die DEAD KENNEDYS. Und dann kam die Frage, ob wir denn unsere Musik schonmal für einen Werbespot hergegeben hätten - was wir nicht haben. Aber versuch mal, die seltsamen Ideen und Konzepte der Punkszene so einer Jury zu erklären. Wie erklärst du denen den Unterschied von BLINK 182 zu GREEN DAY und BAD RELIGION? Und dann kam die Frage, ob denn THE CLASH nicht auch einen Song für eine Levi´s-Werbung hergegeben hätten, was natürlich stimmt - aber das ist was anderes! Naja, du weisst, worum das geht, aber eine Jury? Aber ich meine, irgendwie hätte das einfach nicht so ganz gepasst, "Holiday in Cambodia" zu einem Levi´s-Commercial zu sehen, oder? Jello hat verloren, weil dieses Punk-Ding "normalen" Leuten nicht zu erklären ist.

Dexter, danke für´s Interview.