DRAMAMINE

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Gegen Reisekrankheit immun

Das erstes DRAMAMINE-Album von 2010 fand ich „nur“ ganz gut, live hatte ich die Band vor einer Weile auch mal gesehen, fand sie okay. Aber dann vor FUCKED UP im Juni 2011 blieb mir angesichts des Auftritts der Münsteraner der Mund offen stehen: Unfassbar mitreißend und ganz eigen war das Gebotene, es war einer der raren Momente, in denen einen eine Band anzieht wie ein Schwarzes Loch. Nun ist auf This Charming Man Records das zweite Album „Green Horse“ erschien, und das schafft es, mit diesem Live-Auftritt mitzuhalten.

Wie kamt ihr als Band zusammen, wie habt ihr euch entwickelt?

Pogo: Also die Entstehung von DRAMAMINE hängt wohl mit Julius und meiner alten Band PRESS GANG zusammen. Wir haben Stebbe, unseren Schlagzeuger, „musikalisch“ näher kennen gelernt, als er mit dem alten PRESS GANG-Schlagzeuger zusammengewohnt hat. Dementsprechend sind wir uns in der Bude oft über den Weg gelaufen und haben viel über Musik geredet und die dann natürlich auch gehört. Julius und mir war klar, dass wir Bock hatten, was Neues zu machen, raus aus diesem strengen Punk-Korsett, das wir uns damals bei PRESS GANG, zumindest musikalisch, auferlegt hatten. Erste Probe, der erste Song war „Hitch“. Nachdem einige Songs standen, mussten wir einen Sänger ins Boot holen. Malle kam dazu. Platte aufgenommen und so weiter.

Könnt ihr meine Reaktion nachvollziehen, also hat es irgendwann zwischen erster und zweiter Platte entscheidend „Klick“ gemacht?

Pogo: Der erste Schritt zur musikalischen Weiterentwicklung war wohl die Idee, mit einem zweiten Gitarristen weitermachen zu wollen, um eben noch mehr Möglichkeiten zu haben. Also kam Torben dazu, der den Sound wesentlich flächiger gestaltet hat. Hinzu kommt, dass er sich im songwriterischem Prozess eingeklinkt hat, was die Songs natürlich auch zwangsläufig verändert. Torben – den wir vorher kaum kannten, jedoch wussten, dass der guten Sound hört und sein Instrument festhalten konnte – hat sich perfekt in die Band eingefunden, sowohl bei den Songs als auch persönlich. Ein anderer großer Schritt ist der, dass wir einfach musikalisch wesentlich offener und experimentierfreudiger geworden sind, als wir es noch bei der ersten LP waren.

Die Substanz Dimenhydrinat wird unter den Markennamen Driminate, Gravol, Gravamin, Vomex und Dramamine in vielen Ländern als Mittel gegen Reisekrankheit verkauft. Ist die Wirkung den durch eure Musik ausgelösten Effekten gleichzusetzen? Habt ihr keine Angst vor den allmächtigen Anwaltskanzleien großer Pharmakonzerne?

Pogo: Wir hatten damals die erste LP komplett geschrieben und hatten immer noch keinen Namen. Wir sind auf die Idee gekommen durch die Band Sebadoh, die einen Song hat, der „Drama mine“ heißt. Im Refrain singen die aber „Dramamine“ und somit war das tolle Wortspiel perfekt. Wir waren dann so kreativ und haben das Ganze umgedreht. Ob unsere Musik den gleichen Effekt hat!? Also wenn unsere Musik auf andere Menschen in irgendeiner Art und Weise bewusstseinserweiternd wirkt, ist das schon schmeichelhaft. Ob wir Angst haben, verklagt zu werden, wurden wir schon mal in einem Interview gefragt, vorher haben wir uns diese Frage nie gestellt. Im Zweifelsfall nennen wir uns einfach „Drama Mine“ oder „Dramamine Jr“.

Höre ich DRAMAMINE, denke ich an die besten drei SONIC YOUTH-Alben, also natürlich „Evol“, „Sister“ und „Daydream Nation“. An welche Bands denkt ihr, wenn ihr euch selbst einordnen müsstet?

Pogo: Schwer zu beantworten, am Anfang haben wir mal Folgendes als Einflüsse angegeben: Bob Dylan, Hot SnakeS, Dinosaur Jr, Wipers, Shotmaker, Pixies, Dischord, SST, Amphetamine Reptile Records. Das ist ja eine Palette an Bands oder Künstlern und Labels, die unterschiedlichsten Sound machen. Oftmals brauchen Außenstehende die fünf bis sechs Bands, die zum Vergleich herhalten müssen, um grob zu beschreiben, was wir machen. Hätten wir Minor Threat, Government Issue und the FaitH angegeben, läge wahrscheinlich auf der Hand, was wir für einen Sound spielen würden. Ich finde, einfach „nur“ zu sagen, dass wir wie SONIC YOUTH klingen, ist zu einfach. Auch wenn es natürlich ein Riesenlob ist. SONIC YOUTH sind definitiv ein Einfluss. Wir sind alle große Fans und hatten sogar die Möglichkeit, im letzten Jahr mit den DISAPPEARS inklusive Steve Shelley von Sonic Youth zu spielen. Das war der Wahnsinn und ich habe uns alle selten so ehrfürchtig gesehen.

[b6Sind euch die Texte nicht so wichtig, oder warum finden sich auf dem Beiblatt von „Green Horse“ nur jeweils ein paar wenige Worte zu jedem Song?[/b]

Malle: Meine Songtexte sind für mich eine Form, um mich mit bestimmten Veränderungen im Leben und persönlichen Erlebnissen auseinanderzusetzen. Bei DRAMAMINE geht es aber vor allem darum, wie der Gesang in den Songs funktioniert. Ich versuche, über meine Stimme und meine Art zu singen ein Gefühl zu vermitteln, genau so wie alle anderen Musiker in der Band das mit ihren Instrumenten auch tun. Die Texte drehen sich um mich und die Menschen in meinem Leben und haben keine explizite Botschaft an die Rezipienten. Daher auch die Textfragmente im Inlay: Es geht nicht um die Geschichten, die ich erzähle, sondern um bestimmte Gefühle, die sich so pointierter darstellen lassen. Die Texte sind wichtig, für die Ästhetik des Artworks passten aber die Auszüge einfach besser.

Auf der anderen Seite des Beiblatts ist ein Foto abgedruckt – euer Proberaum? Interessant finde ich daran den Hintergrund: jede Menge Jacken auf Ständern. Seid ihr die Band aus der Kleiderkammer?

Pogo: Nee, das wären wir gerne, aber das Foto ist bei der Produktion der „Green Horse“-LP entstanden und das war eben in einer Lagerhalle für Secondhand-Klamotten. Die Platte haben wir dort mit unserem Haus-und-Hof-Produzenten Christoph Bartelt aus Berlin aufgenommen. Uns war im Vorfeld klar, dass wir, wie bei der ersten LP und der 7“ auch, großen Wert auf natürlichen Raumklang legen und deshalb einen großen Raum benötigen. Der eigentliche Plan war, in einem stillgelegten Kohlekraftwerk aufzunehmen. Wir hatten bereits das Okay, nur gab es letztendlich Umstände, die die Realisierung des Ganzen unmöglich machten. Plan B war dann, bei Stebbes Eltern in einer Lagerhalle für Secondhand-Klamotten aufzunehmen, was im Nachhinein, so denken wir, ohnehin die bessere Option war. Vom ständigem Stress mit den Nachbarn und dementsprechend auch den Bullen abgesehen, waren die Rahmenbedingungen nahezu perfekt. Dieser natürliche Hall, der eingefangen wurde, und die Balance zwischen direktem Sound und Raumklang tragen einen großen Teil zur Stimmung auf der Platte bei.

Thema Fanzines: Anlässlich des Ox-Jubiläums, die nächste Ausgabe ist die #100, wüsste ich gerne von euch, welche Rolle ihr Fanzines, also den klassischen, gedruckten, in Zeiten von gestreamter Musik und Social-Network-Wahn, noch zusprecht.

Pogo: Ich habe keinen Bock, meinen Computer mit auf das Klo zu nehmen. Nee, im Ernst, ich kaufe mir oft völlig unterschiedliche Fanzines oder Zeitschriften, die etwas – sofern das interessant ist – mit Musik zu tun haben. Natürlich ist das Internet wesentlich schneller und umsonst, jedenfalls fast, aber letztendlich glaube ich, dass durch die Digitalisierung die Wertigkeit eines Kulturguts verloren geht. Etwas in der Hand zu haben, es greifbar zu haben, das hat auf mich jedenfalls die intensivere Wirkung. Wie es bei Menschen ist, die ohne so was aufgewachsen sind, kann ich nicht sagen. Ich finde das auf jeden Fall total wichtig und ich würde es stark vermissen, wenn es so etwas in Zukunft nicht mehr geben würde.