EL BOSSO & DIE PING PONGS

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Offbeat für die Pubertantenzimmer

„Denkt man an Ska mit deutschen Texten, denkt man an EL BOSSO & DIE PING PONGS“, so heißt es im Infotext zum neuen Album der Band, welches den Titel „Tag vor dem Abend“ trägt. Zum einen ist das wahr und zum anderen muss man mal festhalten: mit Recht! Vor gut 22 Jahren, bei meiner allerersten „Bosso-Hörerfahrung“ allerdings, dachte ich, da will mich jemand verarschen. „Warum, verdammt noch mal, singen die deutsch?“ Der Titel, den ich da vernahm, trug den Namen „Das wahre Leben“ und befand sich neben Stücken von Bands wie DIE GOLDENEN ZITRONEN oder Abstürzende Brieftauben auf dem Vielklang-Sampler „Wir warten auf die Lindenstraße“, einem elementaren Beitrag zur Auseinandersetzung mit selbiger TV-Serie. Neben den besagten Größen des Deutschpunk fand sich nun eben auch die Ska-Band EL BOSSO & DIE PING PONGS (wenn man 13 Jahre alt ist, findet man den Bandnamen übrigens noch großartiger als heute!) aus Münster, Westfalen. Ich befand den Sound für sehr gut, störte mich allerdings nachhaltig am deutschen Gesang, weswegen ich die Band nach einmaligem Hören auch schnell wieder aus meiner Wahrnehmung löschte.

Bis zu jenem Tag 1993, an dem ich den „Ska... Ska... Skandal No. 1“-Sampler bei einem guten Freund im Regal entdeckte und mir gleich mal unter den Nagel riss. Mit Ska-Bands aus UK hatte ich gute Erfahrungen gemacht, aber dazu später mehr. Da waren sie wieder, diese komischen „BOSSOs“. Der Titel „Immer nur Ska“ verursachte bei mir zwar – textlich betrachtet – nach wie vor einen eiskalten Rückenschauer (Zitat: „Ich wollt zu meiner Freundin/Doch da wohnt die Mama“) – ich meine, wir waren Skinheads, zwar relativ wenig authentisch, mehr mit Hausaufgaben als Nighter-Partys beschäftigt, außerdem irgendwo zwischen Ostfriesland und der Zivilisation gefangen, aber allemal Skinheads und keine Clowns – aber den Sound fand ich überragend, da gab’s nix!. Ich musste bald darauf feststellen, dass mir langsam, aber sicher, die Lust daran verging, alles bierernst zu nehmen, was die Musik der Münsteraner in meiner Gunst erheblich steigen ließ.

Dieser Bosso war mit seiner Frisur, der Hornbrille und seiner genialen Ausstrahlung ja ein totaler Hit, daneben dann dieser Kracher an der Posaune: nannte sich „Prof. Richie“ und war offensichtlich irgendwie nicht ganz dicht und hatte immer einen guten Spruch oder lustige Song-Intros drauf. Diese beiden absoluten Rampensäue hatten es definitiv drauf und ließen mich sogar über den Fakt, sich bereits 1990 für ein großes Jugendmagazin („Wenn diese acht Jungs auf der Bühne die Sau rauslassen, fliegen im Konzertsaal die Fetzen“, Bravo 1990) „ausgezogen“ zu haben, gönnerhaft hinwegsehen.

Fortan waren alle Sampler mit ihren Beiträgen meine. Ich kam zwar bereits vorher über die „englandverrückten“ Eltern eines Freundes an die Specials, The Selecter oder The Beat – 2Tone insgesamt fand ich dermaßen großartig, dass Axl Rose & seine Säuferkollegen ganz schnell den Kürzeren zogen –, aber letztendlich könnte man behaupten, dass ich mir erst wegen des „Ska... Ska... Skandal No. 1“-Samplers und der Bossos auch die weiteren Teile dieser bahnbrechenden Sampler-Reihe zulegte und somit letztendlich mit dafür verantwortlich sind, dass ich mich über Pork Pie, die Fanzines SkinUp und Skintonic zu anderen Bands wie Blechreiz, Braces und den Busters durcharbeitete und spätestens, als in der Folge die ersten Klänge von Herrn Aitken, Dekker oder den Skatalites meine Gehörgänge erreicht hatten, mit dem Virus infiziert war.

Ab sofort hieß es: Mit allem zur Verfügung stehenden Kapital den Moskito Mailorder, Pork Pie, Weserlabel, Edition No Name oder wie sie alle hießen leerkaufen, teilweise sogar blind, ohne zu wissen, was sich hinter einem für cool befundenen Bandnamen verbarg. Wie im Wahn, ein Virus eben. Ich suche nach manch schlechter Hörprobe zwar manchmal noch heute nach einem Heilmittel, aber der Arzt erzählt dann irgendwas von „unheilbar“. Die Alben von EL BOSSO & DIE PING PONGS hatten es mir natürlich ganz besonders angetan. Da wäre das gleichnamige Debütalbum von 1990, das 1991er „Ich bin Touri“, von dessen Titeltrack ich heute noch behaupte, dass er in der imaginären Interpretation durch EAV in die Top 10 gegangen wäre, sowie natürlich die Zusammenstellung „Komplett“ von 1995. Musik, die für mich einfach irgendwie immer geht, abwechslungsreich und meistens irgendwo zwischen meinen beiden Kumpels „Ska“ und „Reggae“.

Live ist die Band auch von jeher eine Bank, wobei man sich musikalisch über die Jahre natürlich stets verbesserte. Der „Professor“, der selbst – auch unter Inkaufnahme eines persönlichen „Downgrades“ vom „Prof. Richie“ zum „Dr. Ring-Ding“ – nicht weniger als eine Weltkarriere hingelegt hatte, avancierte immer mehr zur absoluten Institution an der Posaune und war neben Sänger und „Mr. Charisma“ El Bosso die zweite treibende Entertainment-Fachkraft. Dritter Mann im Chef-Trio ist bis heute „Skacus“, Gitarrist und Songwriter der Band. Alle 3 Amigos haben über die Jahre viele andere Projekte initiiert oder waren Bestandteil solcher: El Bosso ist seit vielen Jahren Schauspieler und Radiomoderator und singt seit einiger Zeit regelmäßig in der Münsteraner Ska-Punk-Formation EL BOSSO MEETS THE SKADIOLAS. Richie Jung ist lange schon unglaublich vielseitig kreativ und ohne Pause unterwegs, sei es wie vor Jahren als Musiker in der Band von Götz Alsmann oder in Sachen Chansons mit seinem eignen Jazz-Ensemble La Bande à Richard. Er lässt sich da überhaupt nicht festlegen. Enorme Bekanntheit erlangte er spätestens als Dr. Ring-Ding in der Welt des Reggae & Dancehall sowie der internationalen Ska-Szene. Er teilte mit allen Großen dieser Genres die Bühne oder produzierte mit ihnen. Wenn spätestens jetzt jemand denkt: „Ich höre zwar Rockmusik, aber den kenn’ ich irgendwoher ...?“ Ja, auch der große Mann in der H-Blockx-Version des Cash-Klassikers „Ring of fire“ ist Dr. Ring-Ding.

Bei Gitarrist und Songwriter Skacus, der neben seinen Live-Qualitäten auch einen großen Anteil im Studio einbringt, handelt es sich ebenfalls um einen musikalischen Tausendsassa: neben Aktivitäten in unterschiedlichen Rockbands gehen diverse Produktionen in den Bereichen Soundtrack für Kinofilme, Remixe oder Internetspots auf sein Konto.

Die über Jahre stetig wachsende Vielseitigkeit der Band war vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass man sich schon früh keinen großen Kopf mehr um schwarz-weiß-karierte Konventionen gemacht hatte, bei einem Konzert der Bossos bekam man neben Ska und Reggae immer auch schnell eine Ladung Pop und Rock.

Und nun kommt also das neue Album, „Tag vor dem Abend“, welches genau diese Vielfalt, die die Band auf der Bühne präsentiert, wiedergibt und über sämtliche Grenzen hinwegrockt, die mancher noch im Kopf haben dürfte. Diese Platte ist 100% EL BOSSO & DIE PING PONGS und ich muss zugeben, mich – nicht ganz frei von Schadenfreude – bereits auf die ersten Beschwerden der allzeit unter uns weilenden „Ska-Polizei“ zu freuen, die sich mit diesem Werk sicher nur schwer anfreunden können wird: zu viele Einflüsse, zu viel Offenheit und Humor sicherlich.

Gut, man war schon mal mehr Ska-Band – logo. Wie damals, als das deutsche Ska-Label Pork Pie auf die Band aufmerksam wurde und sie relativ schnell unter Vertrag nahm. Nicht ganz selbstverständlich und außerordentlich mutig, da die deutschen Texte der Bossos zu jener Zeit, gelinde gesagt, polarisierten. Matzge von Pork Pie, sicher eine der wichtigsten Personen im Umfeld von EL BOSSO & DIE PING PONGS, sieht das alles noch genau vor sich: ,,Ich erinnere mich noch an so eine weiße, analoge Demo-Musikkassette mit ,Immer nur Ska!‘ drauf, die bei uns im Büro eintrudelte. Da war Ska mit deutschen Texten noch total ungewöhnlich, aber der Song war natürlich ein Hammer – wir waren total geflasht. Das war keine Frage, dass der dann auf den ,Skandal‘-Sampler drauf musste. Nachdem er sich ja schnell zur Ska-Hymne entwickelt hatte und sogar beim ostdeutschen Jugendradio DT 64 dauernd gespielt wurde, war klar, dass ein Album her musste.“, sagt der Inhaber von Pork Pie Records, nach wie vor eines der renommiertesten Ska-Labels weltweit. Live erlebte Matzge die Band dann zum ersten Mal direkt nach der Wende im damaligen Jugendclub Linse in Berlin-Lichtenberg. Wenn er anfängt, über die besonderen gemeinsamen Erlebnisse zu plaudern, bekommt man spätestens bei den Begriffen „Trinken“, „Kopfschmerzen“ oder „Sexshop an der Potsdamer Straße“ einen klaren Eindruck davon, dass die Band immer schon in allen Belangen Spaß gemacht haben muss.

Hunderte Shows und zwei Platten nach dem ersten Pork-Pie-Beitrag also veröffentlicht man nun erneut beim selben Label ein Album, das so unerwartet wie großartig daherkommt. Hier gibt’s das Werk einer Band, die zwar klar wissen lässt, wo ihre Roots liegen, aber dennoch hemmungslos keinen einzigen Meter davor zurückschreckt, genau die Musik zu machen, die sie machen will.

Es gibt mit Titeln wie „Mein Freund der Psychopath“ oder der Coverversion des aus der Feder des unvergessenen Desmond Dekker stammenden Klassikers „Get up Edina“ natürlich nach wie vor Ska-Songs, aber eben auch weitaus mehr. Mit der Single „Mädchenmusik“ findet man beispielsweise eine feine Ballade, die sich aber wiederum in ausgezeichneter Rock- und Pop-Gesellschaft befindet. Als I-Tüpfelchen pfeffern sie einem dann sogar noch eine astreine Drum&Bass-Nummer um die Ohren – warum eigentlich nicht? Alles kommt also sehr frisch daher und wirkt nicht so, als ob man, getrieben von irgendwelchen Gewohnheiten, einfach mal wieder im Studio gelandet ist.

Wenn also Götz Alsmann vor Jahren behauptete, dass es nur eine Band je geschafft habe, den Offbeat in die Pubertantenzimmer zu tragen, und das seien EL BOSSO & DIE PING PONGS, dann füge ich dem heute hinzu: Und wenn es eine Band geschafft hat, den deutschen Ska und alle obendrein hinzu- und lieb gewonnen Einflüsse zu einem wunderbaren, super-positiv-ironischen und dennoch ernstzunehmenden Sound zu verbinden, dann sind das ebenfalls eindeutig EL BOSSO & DIE PING PONGS.