NEW ROSE PUNKROCKRADIO

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Auf Sendung: Nolti, the Schnauzbartpunk

„Geld ist nicht alles“, könnte der Punk-verwandte Slogan des Radiomoderators Frank Nolte lauten. Nach einem Motorradunfall in 2003 entschloss sich „Nolti“, seinen Arbeitsplatz bei einer Berliner Behörde auf eine Halbtagsstelle runterzufahren. Mit der Folge, dass er für sein seit 1996 existierendes „New Rose PunkRockRadio“ nun wesentlich mehr Zeit mit dem Zusammenstellen der Sendungen verbringt. Was hat so jemand, der seit 31 Jahren dem Punk als Fan aus der ersten Reihe verbunden ist, für Gedanken über seine Szene und über das wilde Gestern der West-Berliner Achtziger? Wie steht er zum Internet-Zeitalter von heute? Der umtriebige Berliner ist zum Glück keiner, der sich eigene Meinungen versagt, und so wusste er im Interview eine Menge zu berichten. Und alles nahm seinen Anfang irgendwie mit einer Trommel von THE DAMNED ...

Nolti, auch wenn dich viele Bands und Labels bereits kennen – stelle dich und deine Sendung doch mal kurz vor.

Ich bin Frank Nolte, genannt Nolti, fast 48 Jahre alt, aus Berlin. Seit 1980 bezeichne ich mich mehr oder weniger als Punkrocker, wobei einige bestimmt sagen würden, ich sei ein angepasster Spießer, unter anderem wegen meines schon immer existierenden Schnauzbarts, haha, aber das sehe ich anders. Wichtig ist, was man denkt, und nicht, wie man aussieht – dazu stehe ich nach wie vor und mache daher im weitesten Sinne seit 31 Jahren dasselbe. Ich bin 1985 mal auf die Idee gekommen, ein DIN-A5-Fanzine mit dem Namen „New Rose“ rauszubringen, was sich daraus ergeben hatte, dass ich die erste Single-Veröffentlichung von THE DAMNED so toll fand. Nach zwei Jahren und drei Ausgaben habe ich die Sache wieder einschlafen lassen. Früher war das ja noch alles Oldschool, so mit schnipseln, kleben, kopieren, Briefe schreiben. Alles kompliziert. Und vom Porto her auch recht teuer. Die Hefte erschienen übrigens in 300er Auflage. Jedenfalls haben wir untereinander die Hefte ausgetauscht und ich kam auf die Idee, zum Abschied noch das „Fanzine der Fanzinemacher“ zu erstellen. Jeder Macher eines Heftes hat auf einer Seite sein Fanzine und sich selbst vorgestellt. Ich war damals noch ein schüchternes Bürschchen aus einem Berliner Randbezirk, das im Grunde lediglich Konzertgänger war und, ohne wirklich Teil der Szene zu sein, alles mehr oder weniger alleine durchgezogen hat. Auch meine Frau, die Noltine, kam damals noch nicht zu Konzerten mit. Ende 1986 wurden wir dann schwanger, dann kamen unsere drei Kinder und es war erst mal vorbei mit den Aktivitäten, wobei ich allerdings niemals aufhörte, zu Konzerten zu gehen und fanatisch Platten zu sammeln.

Und wie kamst du zum Radiomachen?

In den Neunzigern fing ich an, im „Offenen Kanal Berlin“ andere Punkrock-Sendungen zu hören, weil es die nur im OKB gab. Dort konnte jeder Bürger seine eigenen Radiosendungen machen. Es fing konkret damit an, dass ich in einer Sendung eine Single gewonnen hatte, die ich mir persönlich dort abholte. Die Sendung hieß „Der Punkikantenstadl“ von Peter Backhaus. Kurz danach kam ich auf die Idee: Das kannst du auch. „Do It Yourself“ war ja immer der Hintergrund von Punkrock und das wollte ich damals einfach ausprobieren. Ich habe gleich am nächsten Tag mit meinen Kollegen Ralf und Tommy gesprochen, die waren von der Idee ebenfalls angetan. Nach einem OKB-Einführungskurs ging es los: am 19. Dezember 1996 war unsere so genannte „Null-Nummer“, weil es einfach nur eine Probesendung war und auch nur eine Dreiviertelstunde lief. Richtig los ging es dann im Januar 1997 und nun, zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im September 2011, sind wir bei 431 Sendungen.

So eine lange Sendereihe geht wohl nicht ohne diverse Besetzungswechsel ab?

Richtig. Im September 1998, also nach nicht mal zwei Jahren, hat sich unsere Urbesetzung geändert. Tommy ist arbeitsmäßig aus Berlin raus gezogen, dadurch war ich mit Ralli über viele Jahre alleine. Tommy blieb uns aber als Webmaster für die bereits existierende Website erhalten. Irgendwann in 2007 meldete sich eines Tages Jürgen – eigentlich nur ein Hörer, der eine CD mit älteren Sendungen haben wollte. So trafen wir uns mal privat und waren fortan ein Team. Er bot nämlich an, auch die Website zu machen, die bisher Tommy aus der Entfernung führte, und der war seinerseits froh, die Sache abgeben zu können. Im Endeffekt ist nun Jürgen derjenige, der seit 2008 die Seite new-rose.de betreut. Relativ zeitgleich bot sich Hardy, ex-SCATTERGUN, an, zusätzliche Sendungen bei ihm zu Hause aufzunehmen, die nicht im OKB, dafür aber im Internet laufen sollten. Gesagt, getan. Im April 2009 wurde Ralf krank und ist ausgestiegen, so dass ich seitdem die Sendung alleine weitergemacht habe. Immer wieder ist jedoch auch Hardy mit von der Partie. Im Mai 2010 habe ich komplett aufgehört, im OKB zu senden, es ging seitdem also nur noch online weiter.

Warum das?

Weil sich der OKB inzwischen zu einer Art Schickimicki-Hauptstadtradio entwickelt hatte. Auf Druck der Medienanstalt Berlin-Brandenburg bekamen die da einen anderen Anspruch und das ging mir dann alles zu weit. Festgelegte Moderationsvorgaben, an die man sich halten sollte, mit viertelstündlichen OKB-Jingles und so weiter – das ganze Lustige, Stümperhafte, das ja auch einen gewissen Charme der dort produzierten Sendungen ausmachte, war nicht mehr erwünscht. Mir wurde klar, dass das gar kein Punkrock mehr ist. Da wollte ich nicht mehr mitmachen.

Du sagtest mir mal, dass für dich alles 1980 mit einer Klassenfahrt nach London anfing. Deine Punkrock-Sozialisation begann also mit der Optik von Lederjacke und Iro an der Themse, aber das Anhören der Musik macht wohl die Sache erst rund. Wie wurdest du auf die Mucke aufmerksam?

Das dürfte zuerst im Sommer 1979 gewesen sein, als ich 15 Jahre alt war. Ein Kumpel aus meiner Wohnsiedlung besaß die RAMONES-LP „Rocket To Russia“ und die SEX PISTOLS-Scheibe. Diese Musik habe ich dann also, ohne schon Fan zu sein, beiläufig mitbekommen. Eigentlich ging es dann im Juni 1980 mit der Abschluss-Klassenfahrt nach London los. Wir waren in einer kleinen Vorortsiedlung in West Hampstead untergebracht und auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnten drei Punks. Das war schon sehr spannend – der eine hatte blonde Zottelhaare und trug eine Jacke mit Leopardenkragen, der zweite sah aus wie Sid Vicious und der dritte war eher Skinhead – kurzgeschorene, gefärbte Haare. Wir bekamen auch mit, dass sie am Wochenende schwer bewaffnet – unter anderem mit großem Lötkolben! – nach Brighton gefahren sind, um sich da mit irgendwelchen Mods zu schlagen.

There’s a rumble in Brighton tonight ...

Genau! Der besagte Skinhead war zu dieser Zeit Roadie von den UK SUBS und hat uns auch mal mit in den Übungsraum geschleppt, wobei die Band allerdings nicht anwesend war. Aber wir waren zumindest mal da. In London habe ich mein erstes Punk-Konzert erlebt, im legendären Moonlight Club. Wobei es mich bis heute mächtig ärgert, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, welche Band dort spielte. Egal, jedenfalls habe ich mir dort die ersten Riesen-Badges geholt, mit der ich meine Lederjacke aufpeppte, was bestimmt ziemlich lächerlich ausgesehen hat. Was mir noch in Erinnerung ist: zu der Zeit waren EXPLOITED gerade ganz groß im Kommen und vor diesem Konzertsaal lungerten die echt harten Punks herum. Da sah man diese meterhohen Iros, Bondage-Hosen, Schottenjacken und fünfreihige Nietengürtel. Drinnen nahmen sie sich beim Pogen am Schlafittchen und rotzten sich gegenseitig ins Gesicht. Das Rotzen war so eine fiese Sache, die man hier in Deutschland eher weniger ausübte. Außer bei EXPLOITED 1981 im Berliner SO36 kann ich mich nicht erinnern, dass ich so etwas groß mitbekommen hätte. Wieder in Berlin war es dann um uns geschehen. Wir gingen als Punks in die Schule zurück – Domestoshosen, Badges, Aufnäher, Wuschelhaare, Sonnenbrillen und so weiter.

Der Name der Sendung ist ja wie schon gesagt einem Song von THE DAMNED entlehnt. Mit der Band verbindet dich sogar eine lustige Story, präziser mit dem Drummer.

Im April 1981 spielten THE DAMNED vier Tage hintereinander in Berlin. Ein Ding, das heute überhaupt nicht mehr vorkommen würde. Sie haben damals im Downstairs, dem ehemaligen Metropol, gespielt, einem kleinen Laden, in den vielleicht maximal 70 Leute reinpassten. Da der Sänger Dave Vanian auf Drogen durch die Stadt irrte und deshalb nicht erschienen war, ging es dann mit endloser Verzögerung irgendwann ohne ihn los. Die anderen Bandmitglieder waren natürlich stinkig und so war der Gig recht kurz. Am Ende saß Captain Sensible nackt hinterm Schlagzeug, zündete es mit Feuerzeugbenzin an und schubste alles um. Eine Trommel kullerte direkt vor meine Füße und ich nahm sie in meinem jugendlichen Leichtsinn mit, so dass wir trommelnd und beglückt nach Hause fuhren. Nun steht sie seit über 30 Jahren bei mir auf dem Schrank. Das weiß natürlich keiner außer mir, schließlich steht ja da nicht „DAMNED“ dran – aber egal. Im Januar dieses Jahres habe ich den Ex-Schlagzeuger Rat Scabies persönlich getroffen, weil der gerade mit den MEMBERS unterwegs war. Im Gespräch beichtete ich ihm, dass ich ihm damals diese Trommel geklaut habe. Originell fand ich, dass er dies mit Humor zur Kenntnis nahm und mich gleich fragte, ob sie denn grün gewesen sei. Nachdem ich dies bejahte, fing er an zu lachen und meinte, dass es damals gar nicht sein eigenes Schlagzeug war.

Berlin-Reinickendorf, wo du herstammst, ist der grünste Bezirk der Stadt, aber nicht unbedingt „Punk“, obwohl Bands wie DISASTER AREA und DIE SCHLIMMEM FINGER von hier stammten. Was ging hier überhaupt so ab in den intoleranten Achtzigern?

Für mich gar nichts. Ich musste für Konzerte etc. immer vom Randbezirk nach Kreuzberg oder Schöneberg fahren, aber das war es dann auch schon.

Wenige Kilometer Luftlinie von uns lag das so genannte „Paradies der Arbeiter und Bauern“, die absurde DDR. Hast du von den Ost-West-Punk-Verbindungen damals viel mitbekommen beziehungsweise machte man sich hier Gedanken über die Probleme der sozialistischen Ausscherer?

Nö. Das mag zwar peinlich klingen, aber ich habe mir damals darüber keine großen Gedanken gemacht. Man war mit seiner eigenen Sache beschäftigt. Auch den übrigen Ostblock ignorierte ich, obwohl es ja auch dort bereits Bands gab, wie DEZERTER aus Polen. Ich untersuchte eher den englischen und amerikanischen Markt, hauptsächlich war jedoch der sogenannte „West“-Deutschpunk wichtig.

Mitte der Neunziger wehte ein neuer Wind durch die Punkrock-Szene, einerseits Hardcore, andererseits Grunge à la NIRVANA. Du hörtest ja damals wohl auch die MANIC STREET PREACHERS. War Punk im herkömmlichen Sinne tatsächlich jemals seinem Ende nahe?

Schwer zu sagen. Es wird glaubwürdigen Quellen zufolge ja schon seit Ende 1976 davon gesprochen, dass Punk tot ist. In diesem Zusammenhang kann ich jedem ein Buch wie „Punk Rock“ von John Robb ans Herz legen. Ich glaube, dass es eine Musikrichtung und die dazugehörigen Epigonen immer geben wird, solange ein Publikum dafür existiert. Zu den MANIC STREET PREACHERS muss man sagen, dass sie sehr jung angefangen haben und 1988 ihre erste Single veröffentlichten, die heute unbezahlbar ist. Sie orientierten sich sehr an THE CLASH und hatten auch linke, politische Texte. Sie besprühten sich ihre Hemden selbst mit Parolen und so ... Also im Grunde genommen habe sie nicht anders begonnen als eben einst THE CLASH. Natürlich kann man sagen, sie haben irgendwo abgekupfert, aber das tun doch alle Bands irgendwann mal. Ihre 91er Single „You Love Us“ zum Beispiel war nichts anderes als Punk. Mit musikalischer Weiterentwicklung und ihrem ersten Longplayer kamen unter anderem leichte Metal-Einflüsse dazu. Heute sind sie eher langweilig geworden ...

Apropos technische Weiterentwicklung, Bands reden ja gerne davon, dass ihre neueste LP besser ist, sie hätten sich entwickelt und so weiter. Aber ist es nicht eher so, dass eine Band auch nach einigen Jahre noch irgendwie gleich klingt? Und falls nicht, sie für den Fan eventuell gar nicht mehr interessant ist?

Ansichtssache. Was machen denn die UK SUBS seit 35 Jahren? Obwohl sie durchgehend neue Platten veröffentlicht haben, spielen sie live heute wieder überwiegend ihre alten Klassiker. Und wenn wir alle ehrlich sind, wollen wir überhaupt nichts Neues hören. Auch die UK SUBS werden sich musikalisch weiterentwickelt haben, indem sie spieltechnisch besser wurden und auch privat ein ausgeprägteres Interessenspektrum in Sachen Musik haben werden. Ich stelle mir bloß in anderen Fällen manchmal die Frage, ob es sinnvoll ist, eine Band unter dem ursprünglichen Namen weiterzuführen, wenn man sich nicht mehr wie diese Band anhört. Das Gleiche gilt, wenn Bands wie zum Beispiel die MISFITS nur noch aus einem Originalmitglied und ständig wechselnden Leiharbeitern bestehen ...

Du machst die Sendung, du sammelst Platten – aber was ist an deinem Leben Punk?

Im herkömmlichen Sinne überhaupt nichts. Ich stamme nicht aus der Unterschicht, ich habe nie auf der Straße gelebt, mir ging es finanziell immer ausreichend gut – aber jetzt kommt das Punkrockige: Ich mache seit vielen Jahren mein eigenes Ding, ich stehe hinter dem D.I.Y.-Gedanken, stehe dazu, dass man andere Leute weitestgehend respektieren sollte. Man sollte sozial eingestellt sein, sich aber auch nicht zuviel vorschreiben lassen. So gesehen führe ich praktisch ein Doppelleben. Ich gehe arbeiten, stehe mit beiden Beinen in der normalen Gesellschaft, versuche aber dort mein eigenes Ding durchzuziehen. Deshalb ecke ich auch öfter mal an – das ist in meinen Augen auch Punkrock.

Wie sieht jemand wie du junge Punks, die betrunken abhängen und Bierflaschen zerdeppern? Als Teil der Szene oder als notwendiges Übel?

Das reine Rumlungern in der Fußgängerzone ist mit Sicherheit nicht kreativ. Wenn ich einen auf unabhängig mache und dem Staat den Mittelfinger zeige, okay. Dann nehme ich aber auch nicht dessen Geld oder das von den so genannten Spießern. Aber da hört die Konsequenz eben leider oft auf. Und besoffen rumzuliegen ist auch kein Punkrock, aber diese Art von Punks gab es schon immer, auch in meiner Schulzeit. Ist wohl auch in Ordnung, weil ich denke, dass das auch eine Altersfrage ist. Im Laufe eines Punkrock-Lebens sollte man sich aber auch weiterentwickeln. Ich muss nicht besoffen irgendwo rumliegen. Wenn diese Kids alle mal ihre Energien in irgendwelche Projekte stecken würden, wo sie sich selbst und der Punk-Szene einen Gefallen tun würden – in Bands spielen, Konzerte organisieren, Fanzines basteln, was auch immer, dann wäre allen viel mehr geholfen. Hauptsache ist nicht destruktiv abzuhängen. Nur seien wir ehrlich, mit 15 war ich auch noch anders drauf, man musste eben den „Harten“ machen ...

Ein großes Musikmagazin nannte neulich recht subjektiv die 50 wichtigsten Punk- Alben. Die ersten drei waren: SONICS, VELVET UNDERGROUND, MC5. Das wirst du sicher anders sehen.

Diese Zeitschrift ist für mich sowieso nicht maßgebend. Waren die als Punk-Platten bewertet? Mir ist schleierhaft, wie man diese drei Gruppen als Punk bezeichnen kann. Sie haben sicherlich alle ihre Bedeutung in der jeweiligen Zeit gehabt, waren damit einflussreich. Das waren sicherlich harte Bands zu ihrer Zeit. Da kannst du auch auf die Fünfziger zurückgehen, da war auch Elvis revolutionär, Eddie Cochran und Co. Es gab immer Sachen, die früher da waren und härter als andere. Ich bezweifle aber, dass irgendjemand in den Sechzigern diese Gruppen als Punk bezeichnet hat. Der Begriff Punk wird mir ohnehin viel zu inflationär benutzt, diese Bezeichnung hat man ihnen erst heute aufgedrückt.

Kannst du aus der Pistole geschossen auch ein paar Platten nennen, die deine Lieblingsscheiben darstellen, und andere, die viel zu unterbewertet blieben?

Seltsamerweise gehört die erste DAMNED-LP – obwohl da „New rose“ drauf ist – nicht zu meinen Lieblingsplatten. Die erste GENERATION X-LP war sicherlich ein Meilenstein für mich. Und weil wir gerade bei DAMNED waren, die dritte LP „Machine Gun Etiquette“ fand ich am besten. Die erste UK SUBS-Scheibe war sehr wichtig zu ihrer Zeit, ebenso die ersten von DEAD KENNEDYS, COCKNEY REJECTS. Nicht zu vergessen, wenn auch eher ruhiger: die erste BLONDIE-LP. Auch die ersten drei SLIME-LPs waren für mich als Kiddie extrem wichtig, viel später auch das Debüt der schon erwähnten MANIC STREET PREACHERS, das in meinen Augen übrigens auch unterbewertet blieb. Unterbewertete Bands gibt es leider viel zu viele und dabei gibt es so viel zu entdecken. Geile Bands, bei denen leider viel zu wenig Leute zu Konzerten hingehen. Jeder ist aufgerufen, sich nicht nur teure Tickets für große Bands zu holen, um diese abzufeiern, sondern mal ein bisschen in der eigenen Ecke zu gucken!

Die Szenen wachsen zusammen, das Internet verbindet Bands und Fans auf unkomplizierte Art und Weise. Also alles dufte? Oder gab es Sachen damals, deren Charme dir heute ein wenig fehlt?

Das Briefe schreiben vermisse ich gar nicht, das war auch nicht ganz billig, wegen des teuren Portos ins Ausland. Eins steht fest: die Menschen waren ja theoretisch nie kommunikativer als jetzt. Aber praktisch sind die meisten Leute heute ganz arme Würste in meinen Augen. Die sind zwar der Meinung, sie tauschen sich gegenseitig aus – tun es aber in Wirklichkeit nicht mehr wirklich. Ich selbst bin auch bis heute ein Handy-Verweigerer – ich will nicht auch noch beim Kacken belästigt werden. Ich muss nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar sein. Das betrifft das Handy mit den blöden SMS und auch eMails, wo oft wenig bis gar nichts Wichtiges drin steht. Das Persönliche geht allmählich völlig unter. Es geht oft nur noch um die Verbreitung von irgendwelchen Daten ... Werbung eben. Facebook und Co.: Fuck off!

Mit welchen Bands stehst du in intensiverem Kontakt?[

In erster Linie mit den Berliner GRUBBY THINGS. Aber Bands wie PÖBEL & GESOCKS, BANKRUPT, BLITZKRIEG BOYS und SIMON CHAINSAW & BAND übernachten bei uns, wenn sie hier spielen. Bands, die ich persönlich kenne, haben durchaus die Möglichkeit, bei uns zu pennen – Noltes Punkrock-Hotel, hihi ...

Gab es besonders schöne Momente bei deinen Interviews?

Ja, da gab es mal eine Live-Sendung im Studio des OKB mit den KAMIKAZE QUEENS, die ihre Instrumente mitbrachten. Sie haben dann halbakustisch und aus dem Stehgreif einen Live-Sound hinbekommen, der mich schwer beeindruckt hat.

Dazu fällt mir ein; es gibt ja den eher symbolisch gemeinten Slogan „Kill your idols!“ In dieser Sache hattest du kürzlich zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen machen dürfen.

Jau. DAMNED und SLIME sind für mich sehr einflussreiche Bands gewesen. Ich habe neulich beim Ruhrpott Rodeo DAMNED-Sänger Dave Vanian getroffen und ihn gebeten, etwas für meine Sendung aufs Diktiergerät zu sprechen. Erst hat er mich vertröstet und später dann wohl keine Lust mehr, so ließ er mich einfach stehen. Und da sagt man sich natürlich: „Du dumme Sau!“ Ich bin ja nachtragend und damit ist der für mich erst mal gestorben, auch wenn andere meinen, vielleicht hätte er nur einen schlechten Tag gehabt. Ich habe meine Sendung sogar nach einem seiner Songs benannt und ich finde, da sollte man sich anders verhalten. Ein anderes, aber positives Beispiel: Im letzten Jahr hatte ich SLIME interviewt, sie in diesem Zusammenhang zum ersten Mal persönlich getroffen. Speziell bei Dirk, dem Sänger, hatte ich im Vorfeld Bedenken, wie er so rüberkommen würde, und war danach angenehm überrascht. Er war derjenige in der Band, der mich auch bei späteren Treffen wieder erkannte, umarmte – und offensichtlich doch noch an der Basis ist. So etwas freut mich immer. Das war ja immerhin die Band meiner Jugend.

Wie könnte die Szene in 20 Jahren aussehen? Siehst du gute Chancen, dass die mp3-Generation mitwächst, Vinylplatten sammelt und in großer Anzahl Konzerte besucht?

In erster Linie finde ich – obwohl ich bekennender Plattensammler bin –, dass es völlig egal ist, auf welchem Medium ich Musik höre. Wir haben früher mit Kassetten angefangen, heute hört kein Schwein mehr Kassetten. Das war aber ein tolles Medium zum gegenseitigen Austausch, zum Kopieren, zum Weiterverteilen. Heute ist die CD-R oder die mp3 nichts anderes, nur noch unkomplizierter zur Verteilung. Alle meckern darüber, dass die Musikindustrie pleite geht. Ich finde aber, wenn ich einen Song in der Sendung spiele, dann mache ich damit Werbung für die Band. Das ist nichts Bösartiges, selbst wenn jetzt jemand die Sendung hört und sich davon irgendwas runterlädt. Dann habe ich damit einen guten Beitrag zur Verbreitung der Musik geleistet.