Akira-Tattoo

Das erste Tattoo hat wohl genau so etwas absolutes wie der erste Fick und ist ein Erlebnis, das man wirklich nie vergessen wird! Naja, wenigstens so in etwa. Ich habe mich lange darum gedrückt, obwohl ich bestimmte Motive schon seit fast über 10 Jahren mit mir rumschleppe. Doch wem soll ich vertrauen, mich für mein weiteres Leben zu kennzeichnen? Wie soll ich wissen, ob der Typ, der da die Nadel schwingt, sein Handwerk auch beherrscht? Ratschläge von Freunden sind ja ganz gut und helfen ein wenig, aber können all die Zweifel auch nicht ausräumen. Da hilft es schon ein wenig, wenn man den Typen persönlich kennt und weiß, oder es zumindest meint, wie gut der ist. Bei mir war das der Fall mit Jörg. Irgendwie war da ein Vertrauen, das über die Jahre gewachsen ist. Der Entschluß war also gefaßt und der Termin abgemacht.
Am 29.06 1999 sollte ich auf den Tisch und unter die Nadel. Etwas mulmig war mir ja doch schon, als ich an diesem Tag den Laden betrat... Was hatte man nicht schon für Horrorstorys über Schmerz und Leid gehört. Da ich mir auch noch eine der heikelsten Stellen für mein Debüt ausgesucht hatte, die Oberarm-Innenseite nämlich, schwittze ich auch ein wenig mehr! Im Endeffekt war´s gar nicht so schlimm, und nach einiger Zeit gewöhnte auch ich olles Weichei mit Nadel-Phobie mich daran und das monotone Summen der Maschine zog mich immer weiter in ihren Bann - und jetzt bin ich sogar richtig heiß darauf, mir endlich meine restlichen Motive stechen zu lassen! Das hat schon was fazinierendes, und verstehen kann und wird´s eh wieder nur jemand, der auch schon tätowiert ist. Wichtig ist mir noch vorweg zu sagen, daß ich persönlich großen Wert darauf lege, daß meine Tattoos einmalig sind und nur von mir getragen werden! Katalog, Mode und Abziehbildchen saugen extrem!
Da ich weiß, daß sich da draußen bestimmt noch ein paar Unentschlossene rumlümmeln, so wie ich auch einer war, dachte ich mir, es könnte doch recht hilfreich sein, mal hinter die Kulissen einer solchen "Firma" zu schauen. Ausgequetscht hab ich die Teilhaber Jörg, le Tättoo-Män, und Mike, der für die chirugischen Eingriffe zuständig ist, an einem lauen Sommermorgen bei Brötchen und Kaffee. Zu unserer Belustigung wurde wir immer wieder von einem Presslufthammer im Nebenhaus und solchen Wesen, die man gerne Kunden nennt, unterbrochen. Einen haben wir sogar dreimal zum Einkaufen geschickt...


Wie immer die blödeste, aber auch wichtigste Frage direkt am Anfang: Wie lange gibt´s AKIRA Tattoo & Piercing schon?

Mike: Ohh, das war damals schon... So um fünfundvierzig, kurz nach dem Krieg haben wir´s noch aus den Trümmern aufgebaut, als der Regen noch von hinten kam!

Also kurz vor der Währungsunion...

Jörg: Genau! - In echt gibt´s uns seit März 1998.

Für all die Unwissenden: Woher leitet sich der Name ab? Ihr hättet euch ja auch "Jörgy & Miky´s Tattoo-Stübchen" nennen können!!

Jörg: Diese Frage beantwortet Mike immer ganz gerne...

Mike: Aus dem gleichnamigen Manga-Film AKIRA. Akira ist in diesem Film die Person, die die reinste Form von Energie verkörpert. Gewählt haben wir den Namen aber auch, weil´s sich gut anhört, eingängig ist und einfach gut zu uns paßt.

Wie seit ihr eigentlich zum Tätowieren bzw. Piercen gekommen?

Jörg: Gezeichnet hab ich eigentlich immer schon. Dann hab ich mit 15 angefangen Jacken und Wände zu bemalen, und für die Schülerzeitung hab ich auch gezeichnet. Später, ich war 24, hat Christoph, ein Freund von mir, ´nen Tattoo-Laden in Bochum aufgemacht und mich gefragt, ob ich nicht bei ihm arbeiten möchte. Ich bin dann bei ihm sozusagen in die "Lehre" gegangen. Das dauerte zweieinhalb Jahre, und danach hab ich mir überlegt ´nen eigenen Laden aufzumachen.

Mike: Ich bin durch Thorsten von "Wicked-Tattoo" in Schwerte zum Piercing gekommen, denn irgendwann hatte ich keine Lust mehr einfach "nur" Piercings zu tragen. Er hat mir dann auch alle Tricks und das nötige Grundwissen beigebracht.

Jörg: Eigentlich wollte ich nie Tätowierer werden. Mir schwebte eher etwas mit Grafik-Design vor, oder Buchumschläge gestalten. Wie gesagt, dann hat mich Christoph gefragt, ob ich bei ihm arbeiten möchte. Da hab ich angefangen mir die Tattoo-Zeitschriften genauer anzuschauen und festgestellt, daß einige Tätowierer wirklich abgefahrene Kunstwerke schaffen, und seit dem hat es mich gepackt.

Über Hygiene wollen wir hier jetzt gar nicht reden, denn das sollte für gute Tattoo- & Piercing Studios selbstverständlich sein, aber wie soll der unerfahrene Laie, der gerne ´n Tattoo haben will, den optimalen Tätowierer für sich finden?

Jörg: Erstmal muß der Tätowierer dir sympathisch sein und man sollte ihm mal bei der Arbeit zusehen können. Es gibt da aber auch ´n paar Sachen, auf die man achten sollte: Arbeitet er mit Handschuhen? Teile, die der Tätowierer anfasst, sollten abgeklebt sein, so das er sie nach der einmaligen Benutzung wegwerfen kann. Wichtig ist auch, dass hinterher alles desinfiziert und sterilisiert wird. Ein guter Tätowierer wird sich auch die Zeit nehmen und dir alles erklären. Und dan schau dir die Fotos und Arbeiten verschiedener Tätowierer an und bilde dir dein eigenes Urteil. Ausserdem gibt es auch riesige Preisunterschiede, doch ein gutes Tattoo sollte einem schon ein paar Mark wert sein.

Also sollte man sich nicht für Zwo-Maak-Fuffzich in der näxten Hafenkneipe stechen lassen.

Jörg: Genau... Es lohnt sich halt immer ´n paar Mark mehr zu investieren, denn man läuft schließlich ein Leben lang damit rum!

Piercing ist ja nicht gerade ein kleiner Eingriff, und es können eine Menge Komplikationen auftreten, etwa Entzündungen, oder wenn man in die Augenbraue sticht, kann ein Nerv getroffen werden...

Jörg: Genau das passiert dem Mike andauernd...

Das war mir schon klar! Mike, hast du denn in medizinischer Sicht ´ne richtige Ausbildung bzw. Weiterbildung gemacht?

Mike: Eine richtige Ausbildung hab ich nicht, denn Piercing ist ja kein anerkannter Beruf, somit gibt es auch keine "richtige" Ausbildung. Ich hatte das Glück, daß mir jemand zeigte, wie es richtig gemacht wird. Man muß sich dann auch ständig selber weiterbilden, gerade wenn es um Hygiene und Anatomie geht. Man muß wissen, was man selber machen kann und besonders, was man machen darf. Gewisse Sachen sollten einfach tabu sein, denn schließlich arbeitest du mit der Gesundheit anderer Leute. Wenn man auf den richtigen Schmuck und Größe achtet, alles peinlichst genau einhält, dann ist es eigentlich kein Problem. Vorausgesetzt der Kunde hält dann auch die mitgegebene Pflegeanleitung ein. Sollte es dann doch mal zu Entzündungen kommen, gibt es genug Mittel diese zu heilen.

Der letzte mögliche Schritt ist dann einen Arzt zu bemühen...

Mike: Dann muß man grundlegend ALLES falsch gemacht haben und sich fragen, ob man als Piercer diesem Job noch weiter arbeiten sollte.

Welche Piercings würdest du denn nicht machen?

Mike: Direkt durch die Klitoris würde ich nie stechen, und so ganz sinnlose Piercings, wie z.B. das Augenlid oder zwischen Daumen und Zeigefinger, würde ich auch nicht machen. Es gibt Stellen, die pierct man einfach nicht.

Dann auch die gleiche Frage direkt an den Tätowierer: Welche Tattoos würdest du nicht machen?

Jörg: Auf keinen Fall würde ich irgendwelche rassistischen oder menschenverachtenden Motive stechen. Das sind jetzt erstmal die Motive, die ich wegen der politischen Aussage nicht machen würde, ansonsten würde ich auch keine Sachen tätowieren, die einfach unästhetisch aussehen. Also ich sage den Leuten auch, daß sie ihre eigenen Vorlagen mitbringen können, wenn das aber dann total schrecklich aussieht, versuche ich die Grundidee beizubehalten und darauf aufbauend was Neues zu entwerfen. Es gibt aber auch Motive, die sehen tätowiert einfach nicht aus, z.B. ein Portrait in 5 Mark-Stück Größe, das ist dann ein Erfahrungswert und warum sollte ich die Leute in ihr Unglück rennen lassen?

Was tätowierst du denn am liebsten?

Jörg: Puh, es sollten schon ausdrucksstarke Sachen sein. Ich leg´ mich da nicht so fest. Ich mag asiatische Tattoos, aber auch spacige "Biomechanics" à la H.R. Giger oder düstere Dämonen und Monsterfratzen à la Paul Booth.

Woher bekommst du neue Ideen? Was inspiriert dich? Irgendwelche geheimen Quellen unendlicher Kreativität?

Jörg: LSD! KOKS! SPEED!

Mike: Drogen...

Jörg: Nein, wehe du schreibst das!

Darauf kannst du wetten!

Jörg: Egal. Hauptsächlich aus Tattoo-Magazinen. Da schaue ich nach, was die richtigen "Cracks" so produzieren, denn auch ich habe natürlich meine Vorbilder. Ansonsten lasse ich mich durch alles Visuelle inspirieren, was mich erreicht.

Was sind denn zur Zeit die beliebtesten Motive?

Jörg: Tribals, muß ich leider sagen!

Mike: Kleine chinesische Schriftzeichen....

Jörg: ...und Drachen.Ja, das sind eigentlich zur Zeit die Favoriten.

Mike: Rosen und Delphine sind auch wieder stark im Kommen.

Es gibt ja verschiedene Werkzeuge, die man zum Tätowieren nutzen kann, wie z.B. die elektrische Tätowiermaschinen, aber auch Nadeln oder Rasierklingen. Kannst du das mal für den Laien etwas entwirren?

Jörg: Also, da gibt es die japanische Technik. Das sind Nadeln, die an einen Bambusstab gebunden sind und vom Tatowierer in die Haut gedrückt werden. Auf den Phillipinen ist es ähnlich, allerdings wird dort "geklopft". Dort nutzen sie kammartig angeordnete Nadeln oder angespitzte Haifischzähne, die an einem Stock befestigt sind. Auf diesen wird dann mit einem anderen drauf geschlagen und die Nadeln, die vorher in Farbe getaucht wurden, werden so in die Haut geklopft! Ja, und dann gibt es halt noch die professionellen Tätowiermaschinen...

Es gibt da ja auch noch den berüchtigten umgebauten elektrischen Rasierapperat...

Jörg: Oh ja, und Gott sei Dank, daß ich sofort mit ´ner professionellen Maschine angefangen habe! Ein umgebauter Rasierapperat funktioniert aber nach dem gleichen Prinzip wie ´ne richtige Tattoomaschine, aber nicht so effektiv. Tätowiermaschinen sind speziell für diese Zwecke entworfene Werkzeuge, mit denen man am besten arbeiten kann.

Wie tätowierst du? Da gibt es ja auch verschiedene Möglichkeiten.

Jörg: Ich pause meistens eine Skizze auf die Haut und arbeite sie dann aus. Aber ich arbeite manchmal auch freihand, d.h. ich zeichne meine Ideen direkt aus´m Kopf mit einem Filzstift auf die Haut. Wobei ich das immer mit dem Kunden abspreche: Er sagt, was er sich so vorstellt, ich gebe meine Ideen dazu und so entsteht das Motiv dann im Teamwork. Oft orientieren wir uns an einer vorhandenen Vorlage und ändern sie ab.

Wie setzen sich die Kosten für ein Tattoo zusammen?

Jörg: Es richtet sich nach dem Aufwand. Also eigentlich hab ich einen ungefähren Stundenlohn und es zählt eigentlich nur die reine Arbeitszeit. Da ist es egal, ob ich nun stundenlang schwarze Flächen wie bei Tribals fülle oder ob ich ein künstlerisch wertvolleres Portrait tätowiere. Wieviel was kostet, kommt immer auf das Motiv an.

Wie steht ihr denn zu solchen Sachen wie "Branding", "Zungenspalten" oder sich Implantate unter die Haut pflanzen zu lassen?

Mike: Wenn die Leute sich darüber bewußt sind, was sie da machen, denn es ist schon ein recht harter Eingriff, finde ich das vollkommen in Ordnug. Solange das im ästhetischen Rahmen bleibt...

Würdet ihr sowas auch hier anbieten?

Mike: Nein, weil ich vom Branding keine Ahnung habe, und Implantate sind ein richtiger chirugischer Eingriff, für den ich nicht ausgebildet bin. Falls sich aber jemand so etwas machen lassen will, würde ich ihm empfehlen zu einem Spezialisten zu gehen und sich das nicht in irgendeinem Keller machen zu lassen!

Jörg: Klar, die Haut verbrennen kann ich dir auch! Ich hab da noch ´n super Lötkolben...

Mike: Was ich selber sehr interressant finde ist "Zungenspalten", also so eine Art "Echsenzunge" zu haben! Ich selbst spiele mit den Gedanken mir die Zunge spalten zu lassen, habe aber noch kein passendes Studio dafür gefunden.

Und wann werden die ersten Finger amputiert?

Mike: Das ist doch albern! Nee, echt, das ist dann auch wieder das, wo ich sage, daß es schon nicht mehr ästhetisch ist!

Wird´s denn nicht irgendwann mal langweilig, das x-te Herz, Delphin oder Tribal zu stechen, also diese ganzen "normalen" Tattoos?

Jörg: Nee, eigentlich nicht, denn der Untergrund wechselt ja ständig. Einmal hast du Vera K. aus H. und am nächsten Tag Petra D. aus E. Vera ist 40 und Petra vielleicht erst gerade süße 18...

Mike: ...und so´n bisschen im Dekolleté, da tätowiert er besonders gerne!

Ihr habt auch kein Problem damit, das Tattoos gerade groß in Mode sind und jeder Mensch meint sich ´n schickes Tribal oder ´n süßen Delphin tätowieren lassen zu müssen?

Jörg: Nö, denn die Leute müssen selber wissen, was sie haben wollen. Außerdem lebe ich davon und verdiene so mein Geld. Anderseits würde ich es auch begrüssen mehr künstlerische Freiheit zu haben un einfach anspruchsvollere Sachen machen zu können.

Was haltet ihr denn von sogenannten "Bio-Tattoos" , also Tattoos, die nach ´ner bestimmten Zeit wieder verschwinden?

Jörg: Finde ich voll geil! Ich finde es gut, das man sich nicht für sein ganzes Leben festlegen muß! Nee, ehrlich, das ist die totale Degeneration...

Mike: Bullshit!

Entweder man weiß was man will, oder man lässt es...

Mike: Ganz oder gar nicht! Keine halben Sachen!

Jörg: Also: 1. Entweder, oder... - 2. Funktioniert das sowieso nicht mit dem Bio-Tattoo, denn ich habe noch kein Schönes gesehen, und außerdem verschwinden sie, wenn überhaupt, auch nur teilweise, d.h. meistens werden sie nur blasser. 3. Kosten sie total viel und werden von irgendwelchen Frisören oder Kosmetikern gemacht, die nicht zeichnen können.

Letzte Frage: Was kann man denn machen, wenn einem sein Tattoo nicht mehr gefällt?

Jörg: Pullover anziehen! Es gibt aber noch andere Möglichkeiten: Schon verblasste Tattoos kann man mit dem Laser sehr gut entfernen. Professionelle, großflächigere und vor allem sehr dunkele Tattoos bekommt man aber nicht so locker weg. Dann gibt es noch die Möglichkeit ein Tattoo mit einem anderen Tattoo zu überdecken, das nennt sich "Cover up". Da wird dann ein dunkleres Tattoo über das misslungene Tattoo gestochen.

So weit wird´s bei mir wohl nicht kommen - ich danke für die Aufklärung!