KALTFRONT

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Die Band, die aus der Kälte kam

Es gibt sie wie Sand am Meer – Bands, die sich reformieren, um sich und den Fans einen Gefallen zu tun. Dann werden die alten Hits noch mal ausgepackt und es werden wilde Partys gefeiert. Doch bald kommt der Punkt, an dem die Meisterwerke aus vergangenen Tagen langweilig werden und keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken. Was kommt dann? Genau da standen KALTFRONT aus Dresden vor einiger Zeit. Die Reunion 2005 wurde ordentlich abgefeiert, doch nach und nach mussten neue Songs her, sonst hätte das Ganze keinen Sinn gemacht. Umso glücklicher waren wir, als sich die Nachricht verbreitete, KALTFRONT haben mit „Zwischen allen Fronten“ ein neues Album fertig. Im Zuge der CD-Release-Party stellten wir ein paar Fragen an Jörg, den KALTFRONT-Bassisten.

Jörg , warum war es so lange ruhig um die Band? Habt ihr bei anderen Projekten mitgemacht?

Als wir Kaltfront 1990 auflösten, sollte das endgültig sein. Eigentlich war die Band schon vorher am Ende. Zwei Leute waren im Herbst 1989 in den Westen gezogen. Bei den anderen war die Motivation weg. Wir hatten uns nur für das Konzert im April 1990 mit den TOTEN HOSEN in der Scheune noch mal zusammen gerauft. Danach ging jeder musikalisch und persönlich seinen eigenen Weg. Manche hatte ich völlig aus den Augen verloren, mit manchen hatte ich kurzzeitige gemeinsame musikalische Projekte. Wir haben uns auch an anderen Stilen ausprobiert. Ich habe zum Beispiel Kontrabass in mehreren Rock’n’Roll- beziehungsweise Rockabilly-Bands gespielt.

Was können die Fans oder die, die es werden wollen, von den neuen KALTFRONT-Songs erwarten? Ist der Sound überhaupt mit dem der alten Aufnahmen auf den Wiederveröffentlichungen zu vergleichen?

Ich hoffe sehr, dass sich der Sound auf der neuen Platte von den alten Aufnahmen unterscheidet, auch wenn ich weiß, dass es Puristen gibt, die gerade diesen schrottigen Achtziger-Jahre-DDR-Proberaum-Sound mögen. Wir sind handwerklich besser geworden, haben zum ersten Mal mit Kaltfront in einem Studio aufgenommen und dort versucht, im Rahmen unserer musikalischen und finanziellen Möglichkeiten das Beste herauszuholen. Ich glaube, dass wir trotzdem immer noch unverkennbar nach Kaltfront klingen.

Ihr habt schon in Ox #80 im Oktober 2008 von neuen Songs gesprochen. Wieso hat es letztendlich doch so lange gedauert mit einem neuen Album?

Kaltfront ist für keinen von uns ein Vollzeitjob. Manchmal ist es äußerst kompliziert, für Proben, Konzerte, Studioarbeiten terminlich auf einen Nenner zu kommen. Wir hatten Anfang 2008 die erste Studiosession, wo wir fünf Lieder aufgenommen haben. Die nächste Session haben wir erst ein Jahr später auf die Reihe gekriegt. 2010 haben wir immerhin zwei Studiosessions geschafft. Das Mischen zog sich dann bis Oktober 2011 hin. Zwischendurch haben wir aber auch immer wieder mal ein paar Monate gar nicht daran gearbeitet. „Zwischen allen Fronten“ ist eher eine Kollektion unserer Aufnahmen aus den letzten drei Jahren als ein Konzeptalbum.

Wieso haben es ein paar alte Songs, in neu eingespielten Versionen, auf die Platte geschafft?

Es gab verschiedene Ansichten. Manche wollten, dass wir alle alten Songs, die es bisher nur als miese Proberaum-Aufnahmen gab, endlich mal richtig im Studio einspielen. Natürlich war auch die Ambition da, neue Songs aufzunehmen. Aber aufgrund unserer langwierigen Arbeitsweise war klar, dass wir in absehbarer Zeit nur eine Platte schaffen. Also mussten wir aus der Not die Tugend machen und beide Aspekte auf dieser Platte vereinen. Ich finde jetzt gerade diese Mischung optimal.

Warum habt ihr euch für diese zwei Coverversionen entschieden?

Weil es Spaß macht, diese Songs zu spielen, und weil sie uns ganz gut von der Hand gehen. Die Idee zu „Weißt du wieso“ hatte ich, nachdem ich The Kids circa 2006 in der Chemiefabrik erlebt hatte und von „Do you wanna know“ gibt es meines Wissens nicht allzu viele Coverversionen. „Over the edge“ von den Wipers wird zwar öfter gecovert, aber nicht mit deutschem Text. Und das Stück passt auch stilistisch perfekt zu Kaltfront.

Am 15. Dezember 2011 habt ihr eure CD-Release-Party zur neuen Platte in Dresden gefeiert. Wie war der Abend so, wie sind die neuen Songs angekommen?

Es wurde letztendlich ein sehr schöner Abend. Ich habe mich gefreut, Leute zu treffen, die ich lange nicht gesehen hatte. Vorher waren wir unsicher, weil das Konzert an einem Donnerstag stattfand, was für Fans von außerhalb ungünstig war. Der Eintrittspreis betrug 11 Euro, was ich für drei Bands völlig angemessen finde, aber hat alle „Anti-Kommerz“-Punks abgeschreckt, die erwarten, dass sie acht Bands für 2,50 Euro Eintritt geboten kriegen. Aber ungeachtet dessen war die Resonanz durchweg positiv. Die „neuen“ Songs sind ja nicht wirklich so neu, die hatten sich live alle schon bewährt. Natürlich werden von vielen am Ende alte „Hits“ gewünscht. Da kramen wir immer mal welche raus, die wir lange nicht gespielt haben. An diesem Abend waren das „Winter“ und „Niemandsland“. Dazu hatten wir als neuen Song noch „Der Unbekannte“ von DER MODERNE MAN, einer alten NDW-Band aus Hannover. Eine gelungene Überraschung.

Wird es auch eine richtige Tour zum neuen Album geben?

Nicht wirklich, da hat jeder Einzelne von uns gar keine Zeit für. Wir können nur ab und zu mal am Freitag und/oder Sonnabend spielen. Wegen der Arbeit an der Fertigstellung der CD und der Vorbereitung des Record-Release-Konzerts, haben wir leider auch unsere Booking-Aktivitäten sehr vernachlässigt. Da müssen wir jetzt in die Gänge kommen.

Merkt ihr als „Ostpunk-Band“, die ihre Wurzeln in der DDR hat, einen Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern oder ist das Interesse an der Band überall gleich?

Wir hatten schon vor der Wende Kontakt zu Leuten im Westen, und auch jetzt bekommen wir Mails und Plattenbestellungen aus den alten Bundesländern. Die erste Bestellung der CD „Zwischen allen Fronten“ kam übrigens aus Köln! Aber mit dem Exotenbonus von früher ist es lange vorbei, die alten Höhnie Records-Sampler mit Ostpunk-Bands interessieren kaum einen mehr. Im Osten ist die Resonanz natürlich größer, hier gibt es Leute, die Phasen ihrer Jugend mit der Musik von Bands wie KALTFRONT verbinden.

Vor der Wende gab es in Dresden eine sehr bewegte Szene. Aktuell kenne ich nur KALTFRONT, steht ihr in dieser Stadt in Sachen Punk als Einzelkämpfer auf der Bühne?

Da täuschst du dich. Dresden hat immer noch eine große Punk-Szene, aber vielleicht bekommt man das überregional nicht so mit. Aber zum Beispiel in der Chemiefabrik finden regelmäßig Punk-Konzerte statt, oft auch mit Dresdner Bands. Einen Eindruck verschaffen kann man sich mit dem Sampler „Dresden Punk sagt vielen Dank – 10 Jahre Chemiefabrik“, wo unter anderem Eleanor Lance, THE Venusshells, Paparazzi und GoldEner Anker drauf sind. Und die beiden Bands, Follow Through und Slow Death, die mit uns auf der Record-Release-Party gespielt haben, nicht zu vergessen. KALTFRONT darf man nicht als Speerspitze des Dresdner Punks sehen, dazu sind wir viel zu wenig präsent und der Festlegung auf den Begriff „Punk“ können wir auch nicht mehr wirklich viel abgewinnen.

Der Osten ist ja gerade wieder als „Nazihochburg“ in aller Munde. Wie empfindet ihr das als Punkband aus dem Osten? Wie sieht es mit dem Naziproblem in Dresden aus?

Dresden hat ein großes Naziproblem, vor allem um den 13. Februar herum, wenn der ganze braune Dreck zur jährlichen Demo hier angekarrt wird. Überhaupt tauchen im Straßenbild wieder häufiger Jugendliche in eindeutiger Kleiderordnung auf. Noch problematischer ist es in den umliegenden Landkreisen. Dort hat sich das zu einer regelrechten Seuche entwickelt.

Ihr habt ja schon zu DDR-Zeiten deutlich eure Meinung gesagt und auch nach so vielen Jahren habt ihr immer noch Themen, über die es zu singen lohnt. Was hat sich eurer Meinung nach seit Ende der Achtziger geändert?

Wenn wir zu DDR-Zeiten wirklich deutlich unsere Meinung gesagt hätten, wären wir im Knast gelandet. Es war immer eine Gratwanderung, aus der sich ein bestimmter Stil entwickelt hat, seine Message rüberzubringen, ohne dass einem an die Karre gefahren werden konnte. Aber platte Parolen waren sowieso nie unser Ding. Geändert hat sich, dass man nun ungestraft platte Parolen dreschen kann, was leider nicht nur positiv ist ...

Es gab schon einige Songs, bei denen ihr euch textlich aus unserer Sicht weit aus dem Fenster gelehnt habt. unter anderem „Karriere“, „Es ist noch nicht zu spät“ oder auch „This is a happy generation“. Habt ihr dadurch nie Probleme mit der Staatsmacht bekommen?

Das war ja schon in den späten Achtzigern. Da hatte sich die Situation etwas entschärft. Unter dem Begriff „Die anderen Bands“ konnten Gruppen wie Die Art, Hard Pop, Die Anderen, Wartburgs für WalteR und auch wir Konzerte geben und wurden sogar im Radio gespielt. Ernste Probleme, wie ich sie zum Beispiel noch mit PARANOIA hatte, gab es für KALTFRONT nicht mehr. Allerdings taten sich die staatlichen Kulturbehörden mit uns als schnörkelloser Punkband – im Gegensatz zu eher künstlerisch-avantgardistischen Bands – immer noch schwer. Wie wir nachher erfuhren, wurde eine Aufnahmesession, die Lutz Schramm von DT64 mit uns fürs Jugendradio machen wollte, von offizieller Stelle verhindert.

KALTFRONT sind einst aus PARANOIA und SUIZID entstanden. Wie steht es um diese Bands, gibt es da noch Aktivitäten?

Mit Paranoia haben wir zwischen 2007 und 2010 ein paar Konzerte gespielt. Wenn sich ein passender Anlass ergeben sollte, könnte es sein, dass wir noch mal auftreten. Allerdings ist der Aufwand jedes Mal ziemlich groß. Nach den langen Pausen ist es immer fast so wie ein Neuanfang. Die für 2017 geplante Reunion von Suizid könnte der Knaller werden ...

Wie soll es mit KALTFRONT weitergehen? Wo siehst du die Band in zwei oder fünf Jahren?

Mit der Veröffentlichung der neuen Platte haben wir uns ja verpflichtet, noch eine Weile am Ball zu bleiben. Aber wenn die letzte Platte verkauft ist und wir reich sind, rühren wir keine Hand mehr und verprassen unsere Kohle auf den Bahamas.