LOST BOYZ ARMY

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Proletenpoesie

LOST BOYZ ARMY sind eine der besseren Oi!/Streetpunk-Bands der letzten Jahre, die gegründet wurde, nachdem Sänger Peter Niemann seine alte Band VERLORENE JUNGS verließ, um noch mal ganz von vorne anzufangen. Ihr zweites Album „Unvergleichlich“ hat mich von den Socken gehauen – und es passiert selten, dass ich von einer Platte heutzutage so dermaßen begeistert bin, da wollte ich mehr drüber wissen und hakte direkt bei Peter alias Zoni nach.

Zuerst einmal möchte ich euch zu der neuen Scheibe gratulieren. Gerade im deutschsprachigen Bereich versuchen es die meisten Bands entweder mit der totalen Klischeebedienung oder sie begnügen sich damit, so zu klingen wie die Kopie einer Kopie.

Vielen Dank, das hört man natürlich sehr gerne. Es ist uns besonders wichtig, dass die Band ihr eigenes Gesicht und einen eigenen Charakter hat. Gut zu wissen, dass es funktioniert.

Wie entstand „Unvergleichlich“, waren es Monate im Proberaum oder kam erst im Studio alles zusammen?

Das Album ist ganz klassisch und Song für Song im Proberaum entstanden. Irgendeiner hat die Melodie mitgebracht und dann haben wir im Team bis zum fertigen Titel daran geschraubt. Da hat sich jeder reingehängt und mitgemischt. Es hat wirklich Spaß gemacht und wir hatten eine richtig gute Zeit mit den Songs, haben jeden Fortschritt gefeiert und so. Der Titel „Wenn wir gehen“ ist sogar aus der reinen Gesangslinie heraus entstanden. Eine ganz neue Erfahrung, sehr geil. Dann wurde alles grob vorproduziert und ab ins Studio. Beim Aufnehmen haben wir uns Zeit gelassen, live eine Pause eingelegt und noch im Studio sehr viel verändert und optimiert.

Mit der Platte habt ihr auch das Label gewechselt, von Sunny Bastards zu dem relativ neuen Label KlangApartment. Wart ihr unzufrieden oder neugierig auf etwas „Neues“?

Ganz klar neugierig auf was Neues. Hinter KlangApartment steht neben Patrick Hoffmann und Dodo Kappelhoff auch Sven Neumann, der Inhaber der KlangFabrique, mit dem ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeite. In Svens Tonstudio sind schon die letzten VERLORENE JUNGS-Alben aufgenommen worden und beinahe alles, was es von LOST BOYZ ARMY gibt. Sven und mich verbindet wirklich auch eine langjährige Freundschaft und vor allem eine sehr intensive Beziehung in allem, was das Musikmachen angeht. Sven ist nicht nur die Fachkompetenz in Person, sondern hat in vielem die nahezu gleiche Wellenlänge, und – was ich noch viel wichtiger finde – durch seinen professionellen Abstand einen erheblich weiteren Blick über den musikalischen Tellerrand. Das hat das Arbeiten in seinem Studio immer sehr angenehm und vor allem fruchtbar gemacht. Er ist einer der wenigen, von denen ich mir „reinreden“ lasse, weil er es wirklich drauf hat und seine Argumente immer Hand und Fuß haben. Viele seiner Ideen leben nun in VERLORENE JUNGS- und LOST BOYZ ARMY-Songs. Der Wechsel kam ganz spontan und auch erst während der Aufnahmen zum Album zustande. Es war eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit mit Sven und seiner KlangFabrique auf diese besondere Art und Weise zu vertiefen und noch einen weiteren Schritt aufeinander zuzugehen.

Aber ihr wart nicht unzufrieden bei Sunny Bastards.

Im Gegenteil. Wir haben unserem guten alten Label sehr viel zu verdanken – und ich persönlich ja sowieso. Ich habe mit Christian eine ganze Reihe Platten produziert, da steht eine über Jahre gewachsene Freundschaft hinter dem ganzen Labelgedöns. Er hat mir nicht nur in den guten Zeiten zur Seite gestanden, sondern auch, als es mit VERLORENE JUNGS zu Ende ging, Mut gemacht, überhaupt noch mal mit einer neuen Band an den Start zu gehen. Ich weiß nicht, ob es die LOST BOYZ ARMY ohne Christians Hilfe überhaupt noch geben würde. Wohl eher nicht, oder zumindest nicht so. Deshalb fiel die Trennung auch nicht so wirklich leicht und wir haben viel darüber gesprochen. Wir sind froh, dass Christian unseren Entschluss verstanden hat und wir im Guten auseinander gehen konnten, ohne es uns gegenseitig schwer zu machen.

Inwiefern ist die Band mit involviert beim Label? Wenn ich richtig informiert bin, ist es das erste Release überhaupt von KlangApartment?

Wir waren neben AUGEN AUF und SINISTER ROUGE erst die dritte Band des Labels. Es gab praktisch keinerlei feste Strukturen, alles war noch im Aufbau. Wir konnten so viele Dinge beeinflussen. Sicher ist das alles viel schwerer, als die Arbeit mit einer gestandenen professionellen Plattenfirma, die gewachsene Kontakte und Beziehungen und all das hat. Aber so macht es viel mehr Spaß, ist wesentlich intensiver. Du freust dich Seite an Seite mit dem Label über jeden klitzekleinen Erfolg und leidest gemeinsam bei jedem Schlag ins Wasser. Das Label identifiziert sich komplett mit der Band und du genießt die ungeteilte Aufmerksamkeit. Außerdem – und das ist natürlich auch kein unwesentlicher Aspekt, hast du hier ein Label, hinter dem ein professionelles Studio steht. Noch dazu das Beste, das es gibt. Unwiderstehlich also. Ich denke, es ist gut, dass wir gewechselt haben, auch wenn dieser neue Weg mitunter noch ziemlich holprig ist und längst nicht alles so klappt, wie es bei Sunny Bastards vermutlich reibungslos funktioniert hätte. Das Album hat es so natürlich viel schwerer. Es gibt keine Promo-Agentur, keine Routine im Umgang mit einer Veröffentlichung, den Medien, der Werbung, etc. Aber ich denke „Unvergleichlich“ ist stark genug, um das auszuhalten. Wir müssen uns alles selbst erarbeiten, logisch. Aber wir werden gemeinsam wachsen. Mit jedem Fehler dazulernen, ein weiteres Stück vorankommen und immer ein wichtiger Teil des Ganzen sein. Das ist es wert.

Textlich beweist ihr Gespür für Gefühl und Tiefe. Wer ist dafür verantwortlich? Es klingt alles aus einem Guss und wirklich durchdacht beziehungsweise konzeptioniert.

Die Texte sind mein Steckenpferd. Ich habe bei allem, was ich höre, ziemlich hohe Ansprüche, was Texte, Inhalte und Reime angeht. Und das gilt selbstverständlich auch für alles, was ich schreibe, denn die höchsten Ansprüche hat man doch immer an sich selbst. Ich schreibe schon viele Jahre Texte, nicht nur für die eigenen Bands, und kann da auf einiges an Erfahrung zurückgreifen. Einer meiner Texte hat es sogar in NRW in ein Schulbuch für die sechste Klasse geschafft. Da lernen die Kids mal was Vernünftiges ... und ich bin sehr stolz drauf.

Was für Geschichten stecken dahinter – alles erlebt oder fiktiv?

Die Geschichten müssen authentisch sein, der Hörer muss spüren, dass du nicht nur mit dem Kopf bei der Sache bist. Sonst funktioniert es nicht. Ich kann da zum Glück auf einen ziemlichen Fundus zurückgreifen. Es ist nicht alles selbst erlebt. Durchlebt ist aber jeder einzelne Song.

Du bist ein Urgestein in der Szene und warst schon zu Zeiten aktiv, als noch die Mauer stand. Aus Magdeburg ging es dann irgendwann ins Ruhrgebiet, du hast beim Scumfuck-Tradition-Zine und -Versand mitgemacht und bist irgendwann bei VERLORENE JUNGS gelandet. Du hast eine bewegte Zeit hinter dir und dann mit LOST BOYZ ARMY noch mal bei Null angefangen. Inwieweit steckt das in „Unvergleichlich“ beziehungsweise hat es auch die Band geprägt?

Ach, das sollte man alles nicht überbewerten. Natürlich steckt es in den Knochen, das ist nicht wegzureden. Es prägt die Band und klingt in jedem Song ein bisschen durch. Ich blicke auf locker über 25 Jahre Szenezugehörigkeit zurück. Das gibt Authentizität, ein Stück weit Geschichte und sicherlich auch Tiefe. Da fließen selbstverständlich jede Menge Erlebnisse, Erfahrungen und natürlich vor allem auch Erkenntnisse ein. Die Leute spüren, dass ich weiß, wovon ich rede. Das steckt in „Unvergleichlich“ genauso drin wie in „VMK negativ“, unserem ersten Album, und das war natürlich auch bei VERLORENE JUNGS ganz genau so. So bin ich, das kann man nicht raushalten. Insofern ist „Unvergleichlich“ nichts anderes als eine Fortsetzung, für mich persönlich also meine neunte Platte. Aber das ist sie nur für mich. Meine Kollegen erfahren das aus einer ganz anderen Perspektive. Da kann die ganze Vorgeschichte durchaus auch im Weg sein. Keiner ist gerne die zweite Garnitur und nur die Fortsetzung einer Geschichte, die andere geschrieben haben. Das ist ganz wichtig und dem muss man Rechnung tragen. Insofern empfinde ich mich selbstverständlich als nicht unwichtigen, aber dennoch nur als Teil einer Band, die ihre eigene Geschichte schreiben will und wird. Dazu trägt jeder Einzelne bei und wir verdanken einander viel.

Alles wird kategorisiert in der Welt. Es gibt Dutzende von Genres und als Überbegriff hält Punkrock her. Wo findet ihr euch da? Euren Bandfotos nach zu urteilen seid ihr alle woanders „zu Hause“. Was hält vom eigenen Musikgeschmack des Einzelnen Einzug in die Songs der Band?

Wir versuchen zwischen allen, oder besser aus allen Stilen unseren eigenen Sound zu kreieren. Natürlich werden wir das Rad nicht neu erfinden, das ist klar und dafür hängen wir alle sowieso viel zu sehr an Traditionellem. Wir wollen aber versuchen, etwas Eigenes zu schaffen. Etwas, von dem man nicht sagt, das klingt wie XY, sondern: das ist LOST BOYZ ARMY. Selbstverständlich hat jeder seine eigenen Vorlieben, die, zum Teil auch völlig unbewusst, einfließen. Von dieser Vielfalt lebt unsere Musik. Wir sind da beinahe schmerzfrei und gerade zur Zeit bei den ganz neuen Songs – die den Proberaum bisher noch nicht verlassen haben – super experimentierfreudig. Es muss uns allen gefallen, das ist die einzige Bedingung. Der gemeinsame Nenner heißt Punkrock. Spezifischer kann man es nicht definieren, ohne irgendwas zu vernachlässigen oder wegzulassen, denke ich. Die Leute draußen sagen, es ist Oi!, wir nennen es Streetpunk.

Mögt ihr eine Prognose abgeben, wie es weitergeht bei euch? Gibt es schon Reaktionen auf die Scheibe?

Die Reaktionen waren bisher ausnahmslos gut, was uns und das Label natürlich stolz macht. Wir haben keine Prognosen oder so, es gibt keine Zielsetzungen, wir sind nicht unterwegs, um Rekorde zu knacken. Wir wollen weiter Musik machen, den Spaß an der Sache behalten und uns den Luxus gönnen, nur zu machen, worauf wir Bock haben. In diesem Jahr wollen wir möglichst viel unterwegs sein und viele neue Songs schreiben. Es gibt keine konkreten Pläne, aber sobald wir genug Material haben, wird’s auch ein neues Album geben. Wir arbeiten dran.