SCHLACHTPUNK

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Malerei und Punk in den Achtziger Jahren

Die Kunsthalle Darmstadt zeigt noch bis zum 29. April in der Ausstellung „Schlachtpunk: Malerei der Achtziger Jahre“, wie sich Punk und Malerei in dieser Zeit wechselseitig beeinflusst haben. Der Titel weckt nicht zufällig Assoziationen an den Begriff „Schlachtbank“: es geht um Wut, Enttäuschung und so etwas wie vielfältig gelagerte Formen der individuellen Verweigerung und Rebellion.

Was Punk in Deutschland in den späten Siebziger und frühen Achtziger Jahren ausdrückte, war auch Thema in der Malerei. Die in der Ausstellung gezeigten Künstler haben Punks auf der Bühne gemalt, waren selbst in diversen Bands aktiv oder haben „Punk-Clubs“ geführt. In Großbritannien gab es bereits einige prominente Verbindungen zwischen Punk und Malerei. Paul Simonon von THE CLASH versuchte sich, bevor er als Bassist in der Band aktiv wurde, in der Malerei, kehrte nach der Auflösung von THE CLASH wieder dazu zurück und ist ihr bis heute treu geblieben.

Bei Annie Anxiety verhält es sich ähnlich. Ende der Siebziger Jahre trat sie erstmals als Sängerin der New Yorker Punk Band ANNIE & THE ASEXUALS in Erscheinung. In den folgenden Jahren wirkte sie unter anderem bei Aufnahmen von CRASS, den Elektronikpionieren COIL und der Post-Industrial-Band CURRENT 93 in vielfältiger Weise mit. Little Annie, wie sie auch genannt wird, ist aber auch Malerin und stellt regelmäßig in Galerien aus. Ihr betont naiver, in Ansätzen folkloristischer Malstil ist oft sehr figurativ. Vergleiche zur Malerin Frieda Kahlo werden oft gezogen.

Oder man denke hierzulande an den Maler Daniel Richter aus Hamburg, der Ende der Achtziger Jahre als eine Art Agent Provocateur von St. Pauli galt. Er zeichnete schwarz-weiß kopierte Veranstaltungshinweise für Punkbands, die im Onkel Otto oder der Fabrik in Hamburg spielten, war verantwortlich für das Coverartwork der GOLDENEN ZITRONEN und kaufte sich beim Hamburger Label Buback ein. Richters Sozialisation als Autonomer im Umfeld der Hafenstraße ist Teil seiner Künstlerlegende. Geld wollte er nie richtig verdienen, zumindest nach eigenem Bekunden. Heute ist das, dem Kunstbetrieb immanent, komplett anders. Bei Auktionen nehmen seine Bilder locker die 300.000-Euro-Hürde. Sammler reißen sich um die politisch angehauchten Tableaus: Drogenrazzien, Massenschlägereien, Flüchtlinge im Schlauchboot. Die Zeiten ändern sich.

Die deutsche Malerei der Jahre um 1980 war bei vielen jungen Künstlern stark von der vor allem aus London und New York übergreifenden Punk-Bewegung geprägt. Viele Maler fühlten sich mit der Musikszene unmittelbar verbunden, organisierten Konzerte oder spielten in meist kurzlebigen Bands. Provokation und Lust an der Destruktion waren starke Impulse. Im Mittelpunkt der Ausstellung in Darmstadt steht ein Bilderzyklus mit 16 Bildern des 1997 verstorbenen Malers Martin Kippenberger.

Neben Martin Kippenberger wurde auch der Maler Albert Oehlen – in der Ausstellung ebenfalls vertreten – in den Achtziger Jahren als freier Radikaler einer neuen Malergeneration zugerechnet. Helmut Middendorfs Bild „Singer III“ von 1981 erinnert stark und bewusst an das Cover des Albums „London Calling“ von THE CLASH mit Pennie Smiths Foto von Paul Simonon, wie er bei einem Konzert in New York seinen Bass auf der Bühne zertrümmerte. Nur handelt es sich hier um einen anonymen Sänger in vollkommen identischer Körperhaltung. Auch die ausgestellten Arbeiten von Elvira Bach, Walter Dahn (teilweise auch für das Spex aktiv) oder Volker Tannert haben eine expressive Dynamik mit wilden Farben in großen Bildformaten.

Die Kritik der „Punk-Kunst“ setzt nicht so sehr auf Argumentation oder ein blumiges Lamentieren wie in den damals üblichen Ostermärschen. Stattdessen lässt beispielsweise Blalla W. Hallmann in seinem Bild „Ihr dort oben, wir hier unten“ von 1983 die Arme eines karikierten Christus am Kreuz zur Trennlinie werden: unten ertrinken viele kleine Totenmasken in Exkrementen, die von oben von Schweinen, welche die Ikonen des Kapitalismus quasi anbeten und sich ihnen beugen, herabgelassen werden. Begleitet werden die Großformate von an der Wand angebrachten Auszügen aus Liedtexten, die oft sehr passend sind und von Bands wie DAF, TALKING HEADS, MITTAGSPAUSE, THE CLASH, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN oder Gudrun Gut von MANIA D stammen.

Am Beispiel des Malers und Musikers Albert Oehlen lässt sich der Bezug zum Punk und Avantgarde-Underground der damalige Zeit gut darstellen. Albert Oehlen war neben Jörg Schlick, Martin Kippenberger und Wolfgang Bauer Mitglied der „Lord Jim Loge“. Er spielte Saxofon in verschiedenen Bands und schrieb für die Musikzeitschrift Sounds (die später zur Spex wurde). Jedes der Mitglieder dieser Loge wurde angehalten, das „Sonne Busen Hammer“-Symbol und den Schriftzug „Keiner hilft Keinem“ (was sich dann indirekt im Song „Alle gegen alle“ von DAF wiederfand) in seinen Werken zu verwenden. Erklärtes Ziel war es, dieses Signet „bekannter zu machen als das von Coca-Cola“. 1982 malte er Spiegelbilder und arbeitete mit Martin Kippenberger an der Skulptur „Orgonkiste bei Nacht“. Im selben Jahr trat er mit Andreas Dorau als EVERGREENS OF PSYCHOTERROR auf, um „alles was nervt, geballt zusammenzubringen“.

Sein ebenfalls malender Bruder Markus Oehlen kann auf eine noch lebhaftere Verbindung von Musik und Malerei zurückschauen. Markus Oehlen gehörte zum engen Umfeld des Ratinger Hofs in Düsseldorf und war quasi in deren damaliger Hausband CHARLEY’S GIRLS aktiv, zusammen mit dem späteren FEHLFARBEN-Sänger Peter Hein sowie den Nachfolgebands MITTAGSPAUSE („Herrenreiter“), zu deren Erstbesetzung auch Gabi Delgado-López von DAF zählte, und eben den FEHLFARBEN. Markus Oehlen wirkte darüber hinaus, hauptsächlich als Schlagzeuger bei den nicht weniger Kult-behafteten Musikprojekten FLYING KLASSENFEIND (gemeinsam mit der halben Spex-Redaktionsbelegschaft in Gestalt von Michael Ruff, den Brüdern Detlef und Diedrich Diederichsen sowie Jörg Gülden), den VIELLEICHTORS, NACHDENKLICHE WEHRPFLICHTIGEN, RED KRAYOLA (hier unter anderem mit David Thomas von PERE UBU) und VAN OEHLEN mit. Die Musik – auch im weiten Dunstkreis von LoFi, New Wave und Avantgarde angesiedelt – reflektierte unmittelbar seine Sichtweise auf die Malerei.

Markus Oehlen zählte zu den Hauptvertretern der Neuen Wilden. Die Arbeiten waren Kommentare auf die genormten Wertmaßstäbe bürgerlicher Vorstellungen. Man revoltierte in den oft dunkeltonigen Bildern gegen die wohlstandsbedingte Apathie der Achtziger Jahre. In der Tradition von Dada und Fluxus arbeitete man an der Demontage des traditionellen Kunstbegriffs, so wie der musikalische Underground massiv am traditionellen Musikverständnis rüttelte und konventionelle Hörgewohnheiten in Frage stellte.

1981 bildete Markus Oehlen die „Kirche der Ununterschiedlichkeit“, zusammen mit Werner Büttner und seinem Bruder Albert Oehlen. 1984 war er auf der Ausstellung „Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst“ in Düsseldorf vertreten. Im gleichen Jahr veröffentlichte ein wirklich bemerkenswertes Konglomerat aus hauptsächlich in Düsseldorf aktiven Künstlern und Musikern ein Album unter dem Projektnamen DIE RACHE DER ERINNERUNG auf Alfred Hilsbergs Label ZickZack. Malerei, Dada, Avantgarde und „geschredderte“ NDW in einer fruchtbaren Kombination. Projektbeteiligte waren auch die Brüder Markus und Albert Ohlen, die 2007 verstorbene Düsseldorfer Malerikone Jörg Immendorf, der beispielsweise bereits in den späten Siebziger Jahren in seiner 16 Bilder umfassenden Werkgruppe „Café Deutschland“ in düsteren, bühnenbildartigen Settings zeittypische Gestalten vom Punk über Politiker wie Helmut Schmidt und Erich Honecker, den Dichter Bertold Brecht bis hin zum uniformierten Polizisten platzierte, sowie Künstlerkollegen wie Wolfgang Büttner, Martin Kippenberger und nicht zuletzt der ostdeutsche Grafiker und Maler A.R. Penck. Das Coverartwork des Albums spiegelte das Verständnis der Musiker. Verfremdete und gewöhnungsbedürftige Coversongs von Al Wilson, Michael Jackson (interpretiert als „Billy beat it“), Eric Clapton, Arthur Lee, Marvin Gaye („Sexual healing“) und THE ROLLING STONES („Sympathy for the devil“).

Doch was für den Punk galt, fand seine Entsprechung auch in der Malerei: die Wirklichkeit schlachtete die Ideale ihrer Protagonisten und fraß die Kinder der Revolution. Vielleicht lässt sich das Bild „Paravent“ von Walter Dahn (einst Meisterschüler von Joseph Beuys) und Jirí Georg Dokoupil, welches den Einladungsflyer zur Ausstellung in Darmstadt schmückt, als Persiflage auf diesen Verlust deuten. Hinter der wackligen Wand des Paravents, abgetrennt von der Welt, haben zwei skelettierte Gestalten sich selbst des Kopfs beraubt und sind kurz davor, ihr letztes Stück Leben zu verspeisen. Der Direktor der Kunsthalle Darmstadt, Peter Joch, fasst die Intention der Ausstellung fast ein wenig verklärt zusammen: „Mir geht es hier auch um die jugendliche Attitüde des Punk, um den ironischen Widerstand gegen gesellschaftliche Ideale.“ Und so lässt die Einladung verkünden: „Die Schau belegt die ,Schlacht‘ um überlieferte formale und ikonografische Muster.“

Zumindest hat es in diesem Kontext bei den gezeigten Malern dieser Zeit mehr von Aufbruch, subkultureller Verweigerungshaltung und eben Punk, als es beispielsweise der extrem schnell hochpreisig gewordene Hamburger Maler Jonathan Meese in sich hat, der lediglich stets bekanntes reproduziert, eben ausschlachtet, und bestenfalls auf diese Weise „Schlachtpunk“ ist. Paul Simonon verkauft da etwas bescheidener, aber die Malerei ist tatsächlich sein Lebensinhalt geworden. „Er lebt und atmet Kunst, er denkt und spricht permanent über die Malerei“, sagte sein Galerist Thomas Williams. Die Preise für seine Bilder sind vergleichsweise moderat geblieben. Die Sängerin Lily Allen soll für 23.500 Pfund eines seiner Werke erworben haben. Es sollte noch erwähnt werden, dass die Darmstädter Ausstellung nicht besonders umfangreich ist und nicht nur Euphorie stiftet, aber sie ist ein sehr guter Ausgangspunkt, um selbst weiter die Verbindung von Malerei und Punk zu erforschen.