Bernie Luther

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Tattoo-Special: Punkrock made me do it

Wer sich mit Tattoos beschäftigt, stößt ziemlich bald auf Bernie Luther, wahrscheinlich ist er einer der bekanntesten Tätowierer weltweit. Der Wiener tätowiert seit etwa 30 Jahren, wenn er nicht gerade mal wieder durch die Welt reist. Daneben legt er Platten auf, malt, baut Möbel und vieles mehr. Da er selbst tief in der Punk-Szene verwurzelt ist, haben wir ihn für unser Tattoo-Special befragt.

Was läuft zur Zeit in deinem Player oder Radio?

JUNE REACTOR, alter Trance, CLUTCH, MOLOTOV.

Was war zuerst für dich da: die Musik oder die Tattoos?

Die Musik!

Und was hat dich mehr geprägt?

Im Endeffekt waren’s die Tattoos. Klar, das ist mein Beruf geworden. Es hat mein Leben zu einem großen Teil bestimmt.

Gehören für dich Musik und Tätowieren zusammen?

Eigentlich nicht. Nur insofern, als dass es sich bei beiden um Kunstrichtungen handelt.

Wie hat alles angefangen bei dir, was war dein erster Punk-Song?

„Paranoid“ von den DICKIES. Da hab ich das erste Mal den Unterschied gehört. Geil! Wieso ist das geiler, schneller und viel härter als das Original? Da wurde ich das erste mal bewusst auf Punk aufmerksam. Und dann der „Love song“ von THE DAMMED, eigentlich gehört auch der zu den ersten.

Wie bist du mit Punk in Berührung gekommen? Was war das für dich?

Das erste Mal war ich mit 16 auf Schüleraustausch in England. Da habe ich in der U-Bahn einen Vater mit seinem Sohn gesehen. Der Paps war etwa 50, der Sohn wohl um die 20. Beide hatten riesige rote Iros, beide Schottenkaro-Bondagehosen. Am selben Tag noch habe ich begonnen, mich „aufzupunken“.

Und wie war die Punk-Szene in Wien damals?

Die Szene war in Wien 1980 sehr klein. Skins und Punks spielten noch in derselben Liga, hörten die gleiche Musik und waren noch nicht politisch. Doch bald darauf fingen die Skins an, sich abzuspalten, und es entstand gemeinsam mit vielen Leuten aus der Mod-Szene eine rechtsorientierte Hooligan-Skinhead-Bewegung, mit der wir über viele Jahre große Probleme hatten und uns so manch legendäre Schlacht lieferten. Etwa bei TOY DOLLS im damaligen Fritz oder vor dem TOTEN HOSEN-Konzert im Metropol ... Ab 1980 entstand das Kulturzentrum Gassergasse, sprich die „GAGA“. Das war Wiens erstes besetztes Haus. Der ideale „Spielplatz“ für Punks, Hippies und Gleichgesinnte. Es war ein altes Schulgelände mit eigener Konzerthalle, unzähligen Räumen, wie Klassensälen, Proberäumen, Kammern, Wohnmöglichkeiten. Geil war, es hatte eine riesige Mauer und nur einen Eingang. Das war sozusagen eine Festung. Eines der denkwürdigsten Ereignisse der GAGA war ein groß angelegtes Punk-Festival der damaligen Punk-Szene Süddeutschlands und Österreichs. Das hieß damals „Chaotische Ostern“. Es spielten unter anderem Bands wie ZSD, NIKOTEENS, INFERNO, CONDOM, ROTE FRONT, TOXOPLASMA, DEAD NITLES, bei denen ich dann später für ein Jahr Sänger wurde, PÖBEL und BÖSLINGE. 1983 endete leider die Zeit der GAGA mit einer denkwürdigen Schlacht gegen die Wiener Exekutive, und gipfelte in der Verhaftung der gesamten Wiener Szene. Für zumindest 48 Stunden wurde es sehr still in Wien ... Im Schnellverfahren wurde das „Denkmal“ der Wiener Punk-Szene in den 48 punkfreien Stunden einfach niedergerissen. Doch bald darauf wurde der Doppelhauskomplex Aegidigasse/Spalovskygasse, „Spalo“ genannt, besetzt. Ein anderes großes Ereignis waren die DEAD KENNEDYS in der Arena. Damals waren Konzerte selten. Ein bis zweimal im Jahr gab es das. Das war immer etwas Spezielles. Damals mussten wir oft geschlossen – wir waren so circa 60 Mann – bis in die Nähe von Dachau, nach Ambermoching fahren, wenn wir etwas anderes als „Austro“-Punk hören wollten. Die DEAD NITLES waren einmal auch die Vorband von UK SUBS, und die Szene hat „ihre“ Band natürlich begleitet. Da keiner von uns einen Schlafplatz hatte, ließen die wirklich 60 Punks in der Konzerthalle pennen. Da es nur einmal im Jahr Konzerte in Wien gab, fuhren wir bis ins weit entfernte Bayern. Da gab es dann etwa GBH, BAD BRAINS, die RAMONES und viele andere mehr. In der Arena spielten SLIME einmal zwei Gigs hintereinander. Ich war gerade auf Landschulwoche, und habe mich dort so daneben benommen, dass ich heimgeschickt wurde. Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich erfahren hatte, dass die Wiener Punks am Vortag die Halle gestürmt hatten, weil ihnen 120 Schilling Eintritt zu teuer war! Der Grund dafür war, dass DEAD KENNEDYS ja auch nur 120 Schilling gekostet hatten. Es könne nicht sein, wenn die eine Band aus Amerika, und die andere aus Deutschland komme, dass das genauso viel kosten soll.

Was war dein erstes Tattoo?

Ein Stuttgarter Punk namens Harry hat mich mit seiner selbstgebastelten Tattoo-Maschine tätowiert. Die bestand aus einem Motor aus einem Kasettenrekorder, einer Kugelschreiberhülse, einem Löffel und einer einzelnen Nähnadel. Ein selbstdesignter Teufelskopf war das Motiv. Der ziert noch immer meinen linken Oberarm. Allerdings ist er vor Jahrzehnten von Filip Leu überarbeitet worden.

Wie hast du angefangen zu tätowieren?

Ich habe mir die Maschine von Harry nachgebaut. Ich habe sie an mir selbst ausprobiert: ein Stern und ein Schädel mit gekreuzten Knochen am Unterarm war das. Danach fing ich sofort an, meine Kumpels zu verzieren.

Kannst du dich noch an dein erstes Tattoo erinnern, das du gestochen hast?

Ja, ein schwarzer Stern auf meinem Unterarm.

Wie zufrieden bist du heute mit deinen ersten Tattoos?

Eigentlich bin ich mit meinen Arbeiten zufrieden, da ich weiß, dass ich immer mein Bestes gegeben habe. Natürlich hatte ich damals weder das Material, noch die Möglichkeiten, die Farben und die Erfahrung, die ich heute habe. Dafür hatte ich aber jede Menge Enthusiasmus, Energie und Herzblut.

Wie ist es dann weitergegangen? Irgendwann bist du nach Hamburg gegangen – und hast dann auch die Musiker von SLIME und Co. tätowiert, oder?

Nein, SLIME habe ich in Portugal kennen gelernt. Ich habe dort zwei Jahre am Strand gelebt. Damals waren viele Hamburger Punks in Portugal. 1986 musste ich auf einem Rückflug von Gomera in Hamburg umsteigen, und hatte eine Hamburger Telefonnummer in der Tasche, die ich angerufen habe. Und als ich erfuhr, dass am selben Tag SLIME, die eigentlich gar nicht mal mehr existierten, spielen würden, habe ich meine Pläne schlagartig geändert. Ich blieb einfach sechs Monate in der Hamburger Hafengegend.

Wie ging es dann von Hamburg nach Berlin?

Auch bei dieser Reise war ich mit einem Freund unterwegs. Der kannte Berlin schon und wollte es mir zeigen, und Bekannte hatten wir da auch ...

Was waren in deiner Punk-Zeit die häufigsten Motive, die du gestochen hast?

Schädel mit Iro und schwarze Sterne.

Wie bist du dann in die USA gekommen?

Ich wurde auf meiner ersten London Convention in die USA eingeladen, und zwar auf die Convention in Maine.

Du hast schon bald angefangen, auch andere Musiker außerhalb der Punk-Szene zu tätowieren. Wie ist es dazu gekommen?

Es gab damals kaum Studios in Europa, und es gab kaum junge Tätowierer, schon gar nicht aus der Punk-Szene. Ich war spezialisiert auf Punk-Tattoos, da ist dann eines zum anderen gekommen.

Wie hat es dich dann nach Indonesien verschlagen, wo du lange Zeit dein zweites Tattoo-Studio hattest?

Das Studio habe ich seit 2004 nicht mehr. Ich bin mit Freunden runter, vorher war ich schon in Indien und in Thailand. Und als Freak war es zu dieser Zeit die logische Folge, anschließend nach Bali zu reisen!

Du warst dann auch mit Paul Booth und anderen Tätowierern sowie verschiedenen Metal-Bands auf Tour.

Die eine Tour war die „Tattoo The Earth“-Tour. Die war zusammen mit Paul Booth, Filip Leu, Sean Vasquez und Jack Rudy. Die Bands waren SLAYER, HATEBREED und SEPULTURA, das war eine Tour durch quer durch Amerika. Es gab zwölf Konzerte auf der Tour, wir waren die ganze Zeit mit dem Tourbus unterwegs. Leider durften wir aus hygienischen Gründen nur auf vier von den Konzerten überhaupt tätowieren. Das Coolste für uns Tätowierer war, glaube ich, dass wir dort die „Art Fusion“ erfunden haben, also den Versuch, Kunst und Tätowieren zusammenzubringen – und gemeinsam an einem Werk zu arbeiten. Paul kannte ich schon lange, ich habe ihm in den Neunzigern sein ganzes Bein tätowiert. Beeindruckend war aber die Arbeit mit Filip, und die Freundschaft zu Sean.

Wie ist „Art Fusion“ genau entstanden und was war dein Beitrag dazu?

Bei der „Tattoo The Earth“-Tour durften wir wie gesagt teilweise nicht tätowieren, und damit wir nicht blöde rumsitzen, haben wir begonnen zu zeichnen. Auf einmal hat Filip einfach unsere Zettel getauscht. Mein Beitrag dazu war, dass ich halt dabei war. Auch wenn ich nicht so glücklich darüber war, da gerade am Anfang die Künstler oft gegeneinander statt miteinander gezeichnet haben. Und das ist schade! Heraus kamen dann etwa fünf Cover-ups übereinander ...

Du warst auch einmal „Tournee-Tätowierer“ bei Bands.

Ja stimmt. Das war bei JINGO DE LUNCH und DIE TOTEN HOSEN.

Wann bist du zu den TOTEN HOSEN gekommen?

Auch Anfang der Neunziger Jahre über Kiki, den Manager der Hosen, gleich als nächstes tauchte Campino schon in Wien auf.

Irgendwann war Punkrock mal fast vorbei ... Bist du lange in der Punk-Szene geblieben?

Na ja, aktiv etwa zehn Jahre. Bis Anfang der Neunziger. Dann war ich aber auch kaum mehr in Wien, sondern fast nur noch in Asien. Dort war ich dann in der Trance-Szene unterwegs.

Hast du noch Kontakt zur Wiener Punk-Szene heute? Fürs Movimento hast du mal T-Shirts designt. Gibt es noch mehr Kontakt?

Ja klar, ich mache drei bis vier Mal im Jahr eine Party in der Pankerhyttn, einem besetzten Haus in Wien. Da bin ich DJ. Ab und an drucke ich T-Shirts und mache die Plakatdesigns. Für RAWSIDE hab ich ein Cover gemacht, wie auch für SOLERIZE.

Wie hat sich Tätowieren zu dieser Zeit entwickelt?

Tätowieren war wirklich nur in den Randgruppen vertreten. Ich war halt der Szene-Tätowierer der Punks, und tingelte durch die besetzten Häuser Europas. Von der Hafenstraße, dem Rauchhaus, ins Ungdoms Hussed in Kopenhagen, nach England. Aber wie gesagt: es war damals eine Sache, die gerade erst begann.

Wann hast du gemerkt, dass du in der Szene selbst ein Star geworden bist?

Aufgefallen ist es mir, als die ganzen Magazine über mich geschrieben haben, und ich die begehrtesten Preise, wie Mr. Tattoo, Tätowierer des Jahrzehnts, zweimal hintereinander „Tätowierer des Jahres“ etc. verliehen bekommen habe.

Wie viele Leute kommen zu dir und wollen einfach einen typischen „Luther“?

Etwa zwei die Woche. Aber da ich alle Stilrichtungen beherrsche, verlassen sich die Leute auch oft auf meine Erfahrung, um ihre Vorstellungen umzusetzen.

Schon recht früh hast du in Wien dein eigenes Studio „Tattoo Demon“ aufgemacht. Wie war das zu deinen Tattoo-Anfängen in Wien?

Da es damals in Wien noch fast keine Tätowierer gab, war es nicht schwer. Kunden hatte ich ohne Ende. Nur das Vertrauen musste ich mir erst mal erarbeiten.

Einer deiner beiden Söhne tätowiert, war bei dir in Ausbildung.

Ja, mein älterer Sohn tätowiert auch, hier bei mir in Wien, und er hat auch bei mir seine Ausbildung gemacht. Mein jüngerer Sohn lebt in Bali und wird Pilot.

Seit den Neunziger Jahren haben wir den großen Tattoo-Boom. Wie ist der für dich?

Es war immer wellenartig, mal mehr, mal weniger. Leider ist in den letzten Jahren etwas meiner Meinung nach Schlechtes passiert: Das Tätowieren ist normal geworden. Es hat den Status von etwas Besonderem, Rituellem verloren. Damit hat es auch an Zauber verloren.

Wie haben sich im Lauf der Zeit die Motive verändert und die Technik?

Motive werden saisonal immer unterschiedlich: Von Tribal zu Biomechanik, von Fine Line zu Oldschool. Die Maschinen waren früher einfach Spulenmaschinen, jetzt haben wir die Rotary-Maschine, was die Sache natürlich schon viel viel leichter macht.

Haben sich das Publikum und die Motive verändert?

Motive ändern sich sehr oft. Das Publikum hat sich sehr verändert. Anfangs waren es nur Randgruppen, heutzutage kommt jede Hausfrau.

Mittlerweile ist Tattoo Mainstream. Die Tattoo-Dokusoaps boomen. Auch in Österreich gab es mit „Schöne Schmerzen“ einen Ableger davon. Wie ist es dazu gekommen, dass du mitgemacht hast?

Da die erste Staffel teilweise eine Katastrophe war, wollte ich den Leuten mal sagen und zeigen, was wirklich möglich, was unmöglich und was wahr ist. Es werden permanent Unwahrheiten verbreitet und ich wollte den Leuten mal sagen, was Sache ist. Auch wenn die wenigsten es hören und mir glauben wollen.

Es hat sich viel beim Tätowieren verändert. Es gibt neue Richtlinien, neue Farben, neue Maschinen etc. Hat sich dein Stil dadurch auch verändert?

Die Farben sind im Prinzip die gleichen, nur waren sie nicht so leicht erhältlich für jeden. Die Sachen, die heute tätowiert werden, werden auch mit diesen Farben nicht halten! Das böse Erwachen kommt garantiert. Die Farben haben wir schon seit ewigen Zeiten. Das Problem ist, dass die Leute den Tätowierern glauben, die ihnen erzählen, eine weiße Linie mit weißer Schattierung und hellgelbem Hintergrund würde halten. Wahrscheinlich glauben es die Tätowierer selbst.

Welches Motiv willst du nie wieder stechen?

Den ganzen Rücken voll mit Bibelzitaten in kleiner Schreibschrift!

Gibt es ein Lieblingstattoo, das du gestochen hast?

Ja, der Culci auf einem Pferd gegen die Dämonen. Oder Vishnus zehn Reinkarnationen auf Peter.

Was ist das für ein Gefühl für dich, wenn du Menschen mit Tattoos von dir begegnest?

Ich bin stolz drauf.

Was bedeuten Tätowierungen für dich?

Es sind für mich Erinnerungen an verschiedene Passagen meiner persönlichen Historie.

Gibt es bestimmte Musik, die du nur beim Tätowieren hörst?

Hardcore und HipHop. Das muss ich manchmal ...