MONTREAL

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Neues aus der Hobbythek

Mit „Malen nach Zahlen“ kommt das vierte Kapitel der Geschichte von und um MONTREAL in die Läden, und doch hat man das Gefühl, dass es gestern war, als man das erste Mal „Solang die Fahne weht“ gehört hat. Das mag daran liegen, dass MONTREAL irgendwie immer präsent sind, sei es auf Tour oder mit einem neuen, vor Blödsinn strotzendem Video. Es ist schwer zu sagen, ob sich in den Jahren etwas Entscheidendes bei der Band verändert hat, denn das Wesentliche und das, wofür so mancher sie gern hat, scheint geblieben zu sein: die charmante Ausstrahlung von drei Typen, die es noch nie gekümmert hat, ob das was sie machen, sie zu Ikonen einer Szene macht, in die sie noch nie so richtig reingepasst haben.

Ihr bringt „Malen nach Zahlen“ erstmalig auf eurem eigenen Label Amigo Records raus. Wie kam es dazu?

Hirsch: Wir haben uns im Sommer von Hamburg Records getrennt und standen demnach ohne Label da. Wir haben auch mit anderen Labels gesprochen, aber da war niemand dabei, in den wir uns sofort verliebt haben. Von Anfang an war der Plan aber sowieso, das selbst zu machen. Wenn was dabei gewesen wäre, wo es super gepasst hätte, dann wäre das der Plan B gewesen. Jetzt macht es sehr viel Spaß, alles komplett selbst zu machen. Das ist ein spannender Prozess, auch wenn man schon drei Alben draußen hat. Die Arbeit bleibt im Rahmen, es ist aber schon auch anstrengend, weil man sich ja mit Sachen befassen muss, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Man muss schon aufpassen, dass die Band selbst nicht ins Hintertreffen gerät. Aber wir spielen ja nur freitags und samstags Konzerte und von daher bleibt uns die ganz normale Arbeitswoche für diese Dinge.

Auf der neuen Platte werden einige alltägliche Themen behandelt, wie Putzen oder Stress mit dem Vermieter. Was ist am Alltag so faszinierend, dass man darüber ein Lied schreibt?

Hirsch: Der Alltag ist eigentlich das Spannendste. Wenn man Themen besingt wie Weltraumreisen, dann gibt es wohl nicht so viele Menschen, die das nachvollziehen können und sich sagen: „Hey, genau so geht es mir auch auf Weltraumreisen.“ Meiner Auffassung nach ist es interessanter, über Themen zu singen, die alle angehen. Wir versuchen, Situationen aus dem Alltag zu beschreiben, die sonst noch niemand behandelt hat. Über Liebesbeziehungen wurde schon in allen Facetten geschrieben und für uns ist das Liebeslied eher zweite Wahl. Es gibt genug Liebeslieder.

Wenn man etwas über MONTREAL liest, dann wird häufig davon gesprochen, wie viel Spaß die Band macht. Hat das für euch auch oberste Priorität?

Hirsch: Wenn man sagt, dass der Spaß an erster Stelle steht, klingt das so nach DIE ATZEN. Schwierig ... Warum sollte ich Musik machen, die ich nicht mag und auf die ich keine Lust hab? Das wäre Quatsch. Wenn man zehn Konzerte spielt und bei keinem Bock darauf hatte, dann braucht man das nicht zu tun, und wir machen das ja nicht wegen des Geldes. Insofern ist der Spaß schon die Hauptsache. Und natürlich sollen die Leute, die uns hören, auch Spaß dabei haben. Es gibt ja viele Bands, die so eine Endzeitstimmung verbreiten, und es ist ja schön, wenn jemand das mag, aber meins ist es nicht.

Ihr ward schon auf Headliner-Tour in Russland. Wie kam es dazu?

Hirsch: Wir waren mal als Support da und haben Freundschaften geschlossen. Über die wurden wir noch mal eingeladen. Das waren sehr interessante Konzerte und die haben viel Spaß gemacht. Die Städte in Deutschland hat man nach acht Jahren alle schon gesehen, auch wenn es trotzdem immer etwas anderes ist. Im Ausland zu spielen, ist für uns trotzdem noch viel spannender. Das ist wie auf Klassenfahrt. Man tauscht sich dabei auch aus. Gestern hatten wir eine Band aus Frankreich als Vorgruppe und demnächst supporten wir die auf ihrer Tour in Frankreich. Daran verdienen wir natürlich überhaupt kein Geld, aber es macht Spaß.

Eure neue Platte heißt „Malen nach Zahlen“. Ist das ein Hinweis auf einkehrende Routine bei MONTREAL?

Hirsch: Die Idee zum Titel kam auf, weil wir unbedingt ein Cover haben wollten, auf dem ein noch nicht ausgemaltes Bild ist. Das ist so schön unplakativ und auch noch nicht da gewesen. Die letzte Platte wollten wir auch schon so machen, das fand das Label aber nicht so toll. Damals haben wir den Joker gezogen und das Album „Montreal“ genannt und als wir dieses Mal nach einem Titel suchten, haben wir das nachgeholt. „Malen nach Zahlen“ passt natürlich auch auf das Genre Punkrock und die Rockmusik im Allgemeinen, das Rad wird da nicht mehr neu erfunden. Muss es ja auch nicht. Ich finde es gut, wenn man aus bekannten Tönen immer noch was Schönes zaubern kann. Irgendwie ist alles „Malen nach Zahlen“, weil du die grobe Vorgabe hast, weil du weißt, welche Akkorde zusammen gut klingen zum Beispiel.

Bei euch als Band spürt man aber noch keine Routine.

Hirsch: Man kann Routine ja auch positiv auslegen, als Professionalität. Die kann ich aber in unserem Haufen nicht erkennen und das ist auch schön. Natürlich bringen wir alle zwei Jahre eine Platte raus und gehen damit auf Tour, aber es ist nicht so, dass wir denken: Nee, jetzt nicht schon wieder Festivalsommer ... Wir freuen uns darauf und wenn man schließlich oft genug im Matsch gestanden hat, freut man sich auch wieder auf Club-Konzerte, und nach einem kalten Winter freut man sich wieder auf die Festivals. Jedoch 2007 hatten wir zum Beispiel unheimlich viele Konzerte und das hat schon ein wenig auf die Grundstimmung gedrückt. Da mussten wir anfangen, so ein bisschen gründlicher zu sondieren, was Sinn und Spaß macht und was nicht. Es bringt sonst weder uns noch dem Veranstalter noch dem Publikum etwas. Wir spielen aber immer noch 40 oder 50 Konzerte im Jahr. Es gibt auch Bands, die daran, zu viel zu spielen, kaputt gegangen sind.

Eure Videos sind immer recht lustig anzuschauen. Wie viel bestimmt ihr da mit?

Hirsch: Ab jetzt bestimmen wir das komplett. Das Video zu „Neues aus der Hobbythek“ ist genauso, wie wir das haben wollten. Wir haben uns ein befreundetes Kamerateam rangeholt und in zweieinhalb Tagen alles gedreht. Wenn du so was professionell aufziehst, kannst du das nicht bezahlen. Wir brauchten jemanden, der Lust darauf hat und das günstiger macht. Das Video ist jedenfalls 100% MONTREAL. Vorher war das nicht unbedingt so. Wir haben zwar mitgesprochen, aber im Zweifelsfall entscheidet derjenige, der es auch bezahlt, das war in diesen Fällen die Plattenfirma und jetzt sind wir das.

Wenn man die neue Platte hört, gibt es musikalisch schon Unterschiede, vor allem wenn man sie mit „Alles auf schwarz“ vergleicht.

Hirsch: Ja, dazwischen ist auch etwas Zeit vergangen. „Alles auf schwarz“ klingt deutlich rauher, vor allem auch wegen der technischen Unfertigkeiten. Wir können uns aber nicht hinsetzen und einfach mal ein Radio-Lied schreiben. Selbst wenn wir wollten. Ich finde auch, dass die Lieder, die man ans Radio gibt, nicht so weit entfernt von dem sein dürfen, wie die restliche Platte klingt. Generell rumpelt es etwas weniger als früher, obwohl uns gar kein Majorlabel im Nacken sitzt. Das ist einfach der Sound, den wir zusammen mit dem Produzenten gut fanden. Wir nehmen jetzt nicht die Platte einer anderen Band mit ins Studio und sorgen dafür, dass unsere Platte auch so klingt.

Was war euer bisher schönstes Konzert oder euer Lieblingsort?

Hirsch: Es gibt Städte, die wir besonders gern mögen, Hannover, Köln, Magdeburg ... Es sind im Wesentlichen tatsächlich die Städte, in denen wir mit der BLOODHOUND GANG gespielt haben. Zu der Zeit waren die recht groß und haben in großen Hallen gespielt. Ein sehr schönes Konzert für uns war auch die Rheinkultur 2009. Es ist wirklich eine Tragödie, dass es das Festival nicht mehr gibt. Generell macht es in den genannten Städten immer viel Spaß. Es ist schön, bekannte Gesichter nach einem Jahr oder so wiederzusehen und zu gucken, wem jetzt ein Schnurrbart wächst oder wer eine Freundin gefunden hat. Man guckt, welche Leute dageblieben oder auch nicht mehr da sind. Da stellt man auch mal fest, dass jemand unentschuldigt fehlt. Festivals hängen von mehr Umständen ab, zum Beispiel vom Wetter, und bei Clubkonzerten weißt du eher, was passiert.

In dem Song „Das falsche Pferd“ klingt ein etwas ernsterer Tonfall an.

Hirsch: Es geht um einen Typen, der nicht mit seinen Kumpels auf die Party geht, weil er ein Date hat. Diese Entscheidung kennt man einfach. Man sollte immer dazu stehen, wie man sich entschieden hat, und auch dabei sein und nicht die ganze Zeit darüber nachdenken, dass die anderen bestimmt gerade total viel Spaß haben. Da kommt das Hamburger-Schule-Leiden raus, so dieses „Ach scheiße, ich hab eine Sportjacke an, steh in der Ecke und ess Erdnüsse.“

Ihr habt im letzten Ox-Interview gesagt, dass ihr gar nicht so oft um Interviews gebeten werdet, weil ihr bei vielen Magazinen irgendwie nicht reinpasst. Hat sich seit dem Gespräch vor einem Jahr daran etwas geändert?

Hirsch: Nee, wir sind immer noch nicht cooler. Aber wir geben schon mehr Interviews und medial findet mehr statt. Gerade in Fanzines oder bei Onlineportalen ist das deutlich mehr geworden. Wir haben aber auch eine Promo-Agentur, die bei diesen Dingen hinterher ist. Es ist nicht so wie bei GREEN DAY, wo sich die Zeitungen darum reißen, etwas mit denen machen zu dürfen. Generell findet das Thema MONTREAL inzwischen aber mehr statt als früher. Heute zum Beispiel dreht Kabel Eins eine Folge „Achtung Kontrolle“ über unseren Tourleiter. Solche Späßchen kommen bei dieser Platte jetzt dazu und darüber freuen wir uns. Bei den Musikmagazinen ist das immer noch schwierig, die Hörer betreffend sind wir wohl beim Ox besser aufgehoben als bei manch anderen. Es wäre bei uns auf jeden Fall nicht authentisch, in einem Magazin als die coole Rockband zu posen. Wir sind Bengel aus der Vorstadt, die Musik machen und das Glück hatten, dass ein paar Leute zuhören wollen. Dabei belassen wir es auch ganz gerne.