PENNYWISE

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Haben noch nicht genug

Vier Jahre liegt mittlerweile „Reason To Believe“ zurück, das letzte Album von PENNYWISE. In dieser für die Band aus Hermosa Beach, Kalifornien ungewöhnlich langen Zeit ist einiges passiert. 2009 stand man trotz gebuchter Tour plötzlich ohne Sänger da. Mit Zoli Téglás von IGNITE war schnell jemand gefunden, der für die anstehenden Shows einspringen konnte. Aus dem Ersatz für eine Tour ist mittlerweile eine feste Lösung geworden, dieser Tage erscheint mit ihm am Gesang das neue Album „All Or Nothing“. Kann ein Neuanfang nach mehr als 20 Jahren Bandgeschichte gelingen, wenn man einen so herausragenden Sänger wie Jim Lindberg durch eine ganz andere, nicht minder markante Stimme ersetzt? Gitarrist Fletcher Dragge ist nicht nur davon überzeugt, sondern glaubt sogar, dass der Wechsel der Band gutgetan und neue Energie freigesetzt hat.

„Ein gutes PENNYWISE-Album aufzunehmen, war nie eine einfache Sache. Es erfordert vor allem viel Kraft und starke Nerven, denn ohne Streit und Beleidigungen geht es bei uns nicht. Das ist leider für keinen der Beteiligten angenehm, aber wir konnten schon immer am besten arbeiten, wenn wir uns stundenlang wegen eines einzigen Taktes anschreien. Das war in den letzten Jahren mit Jim nicht mehr möglich. So blöd das vielleicht jetzt klingt, aber mit Zoli ist es genauso wie vor 20 Jahren.“ War es diese bandinterne Art der Kommunikation, wegen der Jim Lindberg die Band verlassen hat? Er selbst gab 2009 bekannt, dass er sich nach 20 Jahren auf Tour fortan mehr seiner Familie widmen wolle. Eine Erklärung, die für einen dreifachen Vater Mitte 40 durchaus verständlich klingt. Dennoch hat Fletcher seine eigene Meinung dazu. Auf den plötzlichen Austritt des ehemaligen Sängers angesprochen, den er noch aus der Highschool kennt, zeigt er einmal mehr, dass er ein Mann klarer Worte ist. Dass Jim aus Familiengründen die Band verlassen habe, glaubt der Gitarrist nicht. Jahrelang habe die Band Rücksicht auf Jims Befinden genommen. Touren durften nicht mehr als drei Wochen dauern, rund um größere Feiertage habe der Sänger darauf bestanden, daheim zu sein. Auch im Studio herrschte immer öfter Stille statt der früheren Auseinandersetzungen, Kritik war nicht mehr erwünscht.

Hört man all das, wird schnell klar, dass der Abschied des ehemaligen Sängers Spuren hinterlassen hat. Fletcher bestätigt, dass sich die Band von Jim hintergangen fühlt. Man war irgendwann so weit, ein Kindermädchen für Jims Familie aus der Bandkasse zu bezahlen, während dieser offensichtlich immer weniger Freude und Interesse an der Band hatte. Kurz nach seinem Ausstieg gründete Jim Lindberg dann mit BLACK PACIFIC eine neue Band, bald folgten das erste Album und eine ausgedehnte Tour. Fletcher habe Jim gefragt, ob er nach PENNYWISE etwas anderes machen wolle, um dessen Ausstieg zu verstehen. Jim wiederholte, er sei einfach ausgebrannt und wolle eine Auszeit nehmen und erst mal nur daheim bleiben. „Und dann kommt er mit seiner neuen Band an, die wie eine verwässerte Version von PENNYWISE klingt, und geht über Weihnachten auf eine ausgedehnte Tour. Dazu konnten wir ihn früher nicht überreden, Weihnachten war ein Tabu.“ Darin sieht Fletcher nicht nur eine Geringschätzung der ehemaligen Bandkollegen, sondern vor allem der Fans. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, eines Tages mit Jim wieder ein Bier zu trinken, kommt sofort ein Ja. Allerdings, heißt es im nächsten Satz, könnte es noch einige Jahre dauern. Momentan rede niemand in der Band mit dem ehemaligen Sänger.

Fletcher betont aber auch, man habe keinen Gedanken daran verschwendet, die Band nach Jims Abgang zu begraben oder unter neuem Namen weiterzumachen. Zwar sei ein wichtiger Songwriter und Teil der Band weg, allerdings ist für den Gitarristen die Band wichtiger als jedes einzelne Mitglied, ihn eingeschlossen. Solange die verbliebenen Mitglieder weitermachen wollten, war bereits vor Jims Ausstieg, den er intern mehrfach angedroht hatte, allen klar, dass es mit PENNYWISE weitergeht. Als regelrechter Glücksgriff erwies sich dabei die Wahl von Zoli Téglás von IGNITE als Ersatz für eine anstehende Tour nach Jims Abgang. Während einer Show vor 10.000 Leuten in Los Angeles sei der Band klar geworden, dass Zoli, der nach wie vor auch bei IGNITE singt, mehr als nur eine vorübergehende Lösung ist. Nicht nur dass er in der Lage war, in kurzer Zeit alle alten Songs zu singen – Fletcher zufolge bei weitem nicht so einfach, wie man meinen könnte –, vor allem seine Präsenz auf der Bühne sei für die Band ausschlaggebend gewesen, mit ihm den Neustart zu wagen.

Dass die Stimmung innerhalb der Band nach Jahren des Frustes nun wieder sehr gut ist, wird schnell deutlich. Auch wenn es paradox klingen mag: Wenn Fletcher über die Aufnahmen zur neuen Platte spricht, freut er sich, dass es dabei wieder rabiat zugegangen ist und die Band zu ihrem früher untereinander gepflegten Ton zurückkehren konnte. Es kommt nicht oft vor, dass ein Gitarrist darüber froh ist, wenn ihm der neue Sänger sagt, seine Ideen seien Mist. Umgekehrt habe man es Zoli genauso deutlich sagen können, wenn jemand mit seinen Texten oder seinem Gesang nicht zufrieden war. Insgeheim habe man sich in der Band gefragt, wie Zolis Gesang bei den neuen Stücken ausfallen würde, und war bereit, ihn notfalls etwas zu bremsen. Aber er habe von sich aus einen eigenen Stil für PENNYWISE gefunden und klinge weder wie bei IGNITE noch versuche er, wie Jim zu singen.

Der Titel des neuen Albums und der gleichnamige Opener „All Or Nothing“ umschreiben die aktuelle Situation der Band. Mit Zoli hatte man schnell einen Sänger gefunden, der neue Energie in die Band brachte und im Gegensatz zu seinem Vorgänger möglichst oft und viel touren will. Doch war noch nicht klar, ob die Fans die neuen Songs auch akzeptieren würden. Es sei eine Sache, mit einem neuen Sänger alte, bekannte Stücke zu spielen; etwas Neues aufzunehmen dagegen war für die Band eine ganz andere Herausforderung. Entweder würden die neuen Songs ankommen oder aber die Band hätte sich drei Jahre nach Jims Ausstieg doch noch die Frage stellen müssen, ob die Entscheidung weiterzumachen richtig war.

Wenige Tage nach der Veröffentlichung ist die Band überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Vom ersten Tag an waren die Reaktionen auf das neue Album überwiegend positiv. Fletcher, der sich bis heute selbst in erster Linie als Fan von PENNYWISE und erst dann als Gitarrist der Band beschreibt, kann seinen Stolz kaum verheimlichen, wenn er von der SMS erzählt, die ihm Brett Gurewitz, der Gitarrist von BAD RELIGION und Gründer von Epitaph, geschickt hat. Dieser gratulierte zum neuen Album und meinte, „All Or Nothing“ motiviere ihn dazu, ein ebenso energiegeladenes neues BAD RELIGION-Album zu schreiben.

Mit dem neuen Album sind PENNYWISE zu ihrem Stammlabel Epitaph zurückgekehrt. Beim Vorgänger „Reason To Believe“ versuchte die Band, neue Wege zu gehen, und veröffentlichte das Album auf MySpace Records. Grund dafür war damals ein Deal, der es der Band erlaubte, das Album 14 Tage kostenlos zum Download anzubieten. Dennoch mussten sich PENNYWISE etliche Fragen gefallen lassen, wie sie guten Gewissens bei einem Unternehmen des konservativen Medienmoguls Rupert Murdoch unterschreiben konnten. PENNYWISE galten schließlich immer als politische und engagierte Band, die Probleme in den USA, aber auch die aggressive Außenpolitik unter George W. Bush angeprangert hat. Umso erstaunlicher ist Fletchers offenes Bekenntnis zu Ron Paul, dem nach deutscher Lesart liberalsten Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei 2012. Der liberal-konservative Paul steht für eine radikale Verkleinerung des Staates, der sich zum Beispiel aus der Gesundheits- und Sozialversicherung sowie der Bildungs- und Wirtschaftspolitik zurückziehen soll, Steuern will er deutlich senken oder ganz abschaffen. Dahinter steckt die Überzeugung, jeder könne so am besten für sich sorgen. Wenn das jemandem nicht gelingt, sei es nicht Aufgabe des Staates, sich um ihn zu kümmern. Wie passt das zu einer Band, die in ihren Songs zwar Übergriffe staatlicher Autorität anprangert, gleichzeitig aber immer wieder das Leid sozial Schwacher beklagt hat?

Ron Paul sei einer der wenigen Politiker, der seit Jahren die in den USA verbreitete Überzeugung kritisiert, die Terroranschläge des 11. September 2001 seien ein Zeichen des Hasses auf die sogenannte amerikanische Freiheit gewesen, beginnt Fletcher. Die Ursachen der Terroranschläge und die Kriege in Afghanistan und Irak seien vielmehr auf Fehler und Interessen der US-Regierung zurückzuführen. Immer wieder fällt der Satz, Paul sei über alle Parteien hinweg der Einzige, der die Wahrheit sage. Überhaupt spricht der PENNYWISE-Gitarrist oft von Wahrheit, wenn er seine Unterstützung für den nicht unumstrittenen Paul begründet. Dazu gehöre auch, dass dieser im Gegensatz zu den meisten Politikern beider großer Parteien nicht von einer Lobby-Gruppe finanziert werde. Der dritte Punkt, auf den Fletcher hinweist, ist die liberale Haltung zu Drogen und sexueller Orientierung. Wer das prüde Amerika kennt, kann die Attraktivität dieses Arguments nachvollziehen. Allerdings will das, was Paul in letzter Zeit zur Legalisierung von Drogen und noch mehr zur Gleichbehandlung aller sexuellen Orientierungen vertreten hat, nicht recht zu früheren Aussagen passen. Erneut sind dieses Jahr Vorwürfe gegen ihn wegen rassistischer und homophober Äußerungen hochgekommen, die vor mehr als 20 Jahren in seinen Newslettern zu finden waren. In einem dieser Schreiben vertrat Ron Paul gar die Meinung, er vermisse die Zeiten, als Homosexuelle sich versteckt halten mussten, während es kein Zufall sein könne, dass sich HIV gerade dann ausbreitete, als sie sich vermehrt in die Öffentlichkeit trauten. Ist jemand mit solchen Ansichten, der zudem von sich sagt, er würde als Präsident nur von Gott Anweisungen annehmen, wirklich ein Kandidat, den der PENNYWISE-Gitarrist unterstützen kann?

Ja, sagt Fletcher, fügt aber sofort hinzu, kein Politiker sei frei von Fehlern. Auch Paul habe etliche Mängel, sei aber für ihn trotz allem der aufrichtigste Kandidat für das Amt des US-Präsidenten. Dass meinem Gesprächspartner nicht bei allen Äußerungen des Politikers Paul wohl ist, klingt schnell durch. An dessen Plänen, den sowieso nicht allzu stark ausgeprägten Wohlfahrtsstaat in den USA deutlich zu beschneiden, liegt es sicher nicht, dass Fletcher den Mann für einen guten möglichen Präsidenten hält. Aus seiner Sicht wäre die einzige andere Alternative zu den beiden großen Parteien, die sich in nichts mehr unterschieden, erst gar nicht wählen zu gehen. Dann allerdings bestünde die Gefahr, dass sich ein Kandidat der christlichen Fundamentalisten durchsetze, die neben niedrigen Steuern und einem schwachen Staat durchaus auf eine aggressive Außenpolitik setzen. Und von Kriegen, in denen Unschuldige für die Interessen der Geldgeber von demokratischen wie republikanischen Präsidenten ihr Leben lassen, habe er genug, macht Fletcher deutlich. Trotzdem bleibt unterm Strich ein mulmiges Gefühl bei den politischen Einstellungen von Fletcher Dragge zurück – ähnlich wie seinerzeit beim Deal mit MySpace Records. Dafür gibt es dieses Mal aber auch allerhand Neues bei PENNYWISE.