A PLACE TO BURY STRANGERS

Foto

Heilung durch Lärm

Mit den Jahren ist mein Musikgeschmack nicht „weicher“ geworden, sondern im Gegenteil, ich suche immer mehr nach Extremen, habe wenig Lust auf Kompromisse. Mit NAPALM DEATH, WOLVES IN THE THRONE ROOM und A PLACE TO BURY STRANGERS sind es seit geraumer Zeit gleich drei Bands, deren Konzerte es immer wieder schaffen, in Sachen Härte, Lautstärke und Intensität alles andere zu toppen. Von den beiden Erstgenannten unterscheidet sich die New Yorker Band um den Gitarreneffektgerätebastler Oliver Ackermann stilistisch zwar erheblich, doch was die auf den Spuren von THE JESUS AND MARY CHAIN lärmende Formation auffährt, ist beachtlich: extrem laut und feedbackverhallt die Musik, dazu immer wieder Stroboskoplicht und das mit reichlich, aber völlig unpeinlich und antibombastisch eingesetztem Kunstnebel garniert. Wer nach diesen 60 Minuten nicht völlig verstrahlt aus dem Club taumelt, ist unempfänglich für wirklich intensive Musik. Vor dem Konzert im Kölner Gebäude 9 sprach ich mit Oliver und Dion über das neue Album „Worship“, das kürzlich auf Dead Oceans erschienen ist. APTBS sind Oliver Ackermann (guitar/vocals), Dion Lunadon (bass guitar) und Jason „Jay Space“ Weilmeister (drums). Um zu wissen, warum APTBS so klingen, wie sie klingen, lohnt übrigens ein Besuch der Website von Ackermanns Firma Death By Audio und das Genießen der dort abgelegten Beispielsounds ...

Oliver, Anfang 2012 kam eure EP „Onwards To The Wall“ und die hat mich umgehauen, fünf Songs, fünf Hits. Nun ist das Album raus, und das enttäuscht keinesfalls, wirkt aber doch etwas anders. Warum dieser Unterschied?

Oliver:
Wir haben zig Songs geschrieben und aufgenommen, und wir mussten uns irgendwann entscheiden, welche auf die EP und welche auf das Album kommen. Wir haben wirklich endlos gebraucht, bis all die Lieder im Kasten waren, viel länger als beabsichtigt – ich hoffe, in Zukunft geht das wieder etwas flotter. Das lag daran, dass es Probleme gab mit unserem vorherigen Drummer und wir letzten Endes alles noch mal neu aufgenommen haben. So dauerte alles ein Jahr länger als geplant. Aber gefällt dir das Album wirklich nicht?

Es gefällt mir! Aber die EP ist viel diverser, da sind alle fünf Songs unterschiedliche Hits, während das Album mehr aus einem Guss erscheint.

Oliver:
Hm ... schwer zu sagen für mich, ob auf dem Album irgendwelche „Stand-out“-Songs sind ... Ich mag das Album jedenfalls, und auch wenn da vielleicht keine herausstechenden Songs dabei sind, erwische ich mich doch immer dabei, zu überlegen, welcher Song mir besser gefällt, welcher weniger. Keine Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Ich glaube, alle Songs sind wirklich gut, deshalb stechen nicht einzelne besonders hervor. Allerdings haben wir die beiden Platten separat aufgenommen, wenn auch direkt hintereinander.

Habt ihr euch faktisch wirklich ein Jahr nur mit dem Aufnehmen des Albums beschäftigt?

Oliver:
Wir haben ein paar Konzerte gespielt, aber die Arbeit an EP und Album nahm tatsächlich sogar eineinhalb Jahre in Anspruch. Wir haben in unserem eigenen Studio aufgenommen, und das Album ist auch erst kurz vor dieser Frühjahrstour fertig geworden, zu der wir vor anderthalb Monaten aufgebrochen sind. Und außerdem haben wir ja auch noch anderes zu tun, wie Freunde treffen, Bücher lesen, Ausgehen – in New York gibt es immer was, mit dem man sich ablenken kann. Das Leben ist großartig, es gibt so viele schöne Dinge, die man erleben kann. Und meine Gitarreneffektgerätefirma Death By Noise habe ich ja auch noch, die läuft gut und hält mich auf Trab.

Im letzten Interview hast du dich euphorisch über den gerade unterschriebenen Deal mit Mute Records geäußert, doch das ist jetzt vorbei, ihr seid jetzt bei Dead Oceans.

Oliver:
Es war cool, auf Mute zu sein, auf dem gleichen Label wie DEPECHE MODE und so weiter. Aber im täglichen Geschäft kam es mir oft so vor, als sei das ein Label, das so denkt, wie man in dem Business vor Jahren gedacht hat und was damals Sinn machte – und nicht, was im heutigen Musikgeschäft angebracht ist. Vielleicht ist es auch anders für eine Londoner Band, auf Mute zu sein, ich weiß es nicht. Wir merkten nur, dass unsere Art zu arbeiten nicht so gut zu deren Arbeitsweise passte und nicht unseren Erfordernissen entsprach. Die ganzen finanziellen Querelen bei der Trennung von Mute vom Mutterkonzern EMI halfen natürlich auch nicht. Und so machten wir uns auf die Suche nach einem neuen Label, fanden Dead Oceans, smarte Leute, die wissen, wie man sich heute im Musikgeschäft bewegen muss und die den Teil der Arbeit leisten, um den wir uns nicht selbst kümmern wollen. Dead Oceans ist ein richtiges Indielabel aus Bloomington, Indiana, eng verbunden mit Secretly Canadian und Jagjaguwar, und die führen den Laden, so wie wir selbst ein Label führen würden.

Dion: Es ist ein sehr familiäres Verhältnis, man hat da nicht das Gefühl, nur in einer Geschäftsbeziehung zu stehen.

Oliver: Mute war auch okay, die erfüllten auch unsere Wünsche, aber im direkten Vergleich fühlte sich das viel mehr wie ein Band-Label-Verhältnis an als jetzt, wo einfach ein paar Leute an der gleichen Sache arbeiten. Wir sind eine schmutzige, schmuddelige, abgefuckte Band, da ist es schön, mit Menschen zu arbeiten, die damit klarkommen.

Als Konzertbesucher muss man damit klarkommen, dass ihr eine extrem laute Band seid. Ist das Programm oder passiert das einfach?

Oliver:
Es ist uns nicht wichtig, laut zu sein um der Lautstärke willen. Es macht uns aber einfach Spaß, laut zu spielen, wir genießen das. Das ist aber von Ort zu Ort, von Club zu Club verschieden. Wir haben uns da als Band im Laufe der Zeit etwas verändert, wobei sich das grundsätzliche Anliegen, verrückten, abgefuckten Rock’n’Roll zu spielen und intensive, mitreißende Konzerte zu geben, nicht verändert hat. Meist klappt das, manchmal auch nicht.

Dion: Ich will einfach nur Spaß haben, mich gut fühlen, das ist mein Hauptantrieb. Und ich will, dass die Leute weggeblasen, mitgerissen werden von unserer Musik. Ich will die Leute richtig treffen, da muss sich diese „Whoaaaa!!!“-Effekt einstellen, das muss etwas sein, was sie noch nie vorher gesehen und gehört haben.

Oliver: Wir spielen, um die Menschen zu überwältigen, auf allen Sinnesebenen. Unsere Konzerte müssen eine besondere Erfahrung sein, wir sind nicht die Band, die im Hintergrund spielt, während du gemütlich zu Abend isst.

Was muss man tun, um als Band so ein Level an Intensität zu erreichen? Ihr verausgabt euch auf der Bühne extrem, ihr wirkt wie in Trance.

Oliver:
Man muss einfach in der richtigen Stimmung sein.

Dion: Es ist hart, das auf Tour jeden Abend zu bringen.

Oliver: Wir spielen jeden Abend ein anderes Set, und wir spielen mit extremer Lautstärke, was zur Folge hat, dass du vorher nie genau weißt, was für ein Geräusch du machst, sondern immer erst in dem Moment, in dem du den Akkord spielst. Wir improvisieren in unserem Set viel, und wir arbeiten mit starken Lichteffekten, so dass wir selbst meist nicht genau sehen, was gerade vor sich geht. Das hat zur Folge, dass man so richtig eins wird mit der Musik, du verlierst dich in der Musik.

Ihr habt also eine stark psychedelische Komponente.

Oliver:
Definitiv! Und es ist uns ganz wichtig, dass wir Spaß haben an dem, was wir da machen, dass es uns mitreißt – erst dann können wir das Publikum mitreißen. Wir brauchen keine Drogen, um uns abzuschießen, das erledigt stattdessen der Wahnsinn dessen, was wir da veranstalten. Wir haben Erfahrungen mit verrückten Drogen, aber die machen dich alle nicht so kaputt wie ein Konzert mit dieser Band zu spielen. Ich kann mir ohne Ende Acid reinhauen, dann ticke ich irgendwann aus und rufe die Bullen, aber das ist nichts gegen die Gefühle, die unsere Musik bei uns auslöst.

Ihr habt eure Musik gerade als schmutzigen Rock’n’Roll beschrieben – was beinhaltet das für euch?

Dion:
Dass unsere Musik schmutzig, nicht perfekt ist, dass wir uns keine großen Gedanken über Details machen. Stattdessen lassen wir Veränderungen zu, schätzen das Unerwartete.

Oliver: Nur dann kann irgendwas Großartiges mit dem Sound passieren. Es geht uns bei unseren Konzerten um eine Erfahrung, das ist kein Fashion-Statement, kein Hype, es geht nicht darum, sich zu besaufen oder mit Drogen vollzupumpen. Wir wollen stattdessen etwas machen, das echt ist. Ich habe oft bei Bands das Gefühl, dass sie einem was vormachen, vieles wirkt aufgesetzt. Es mag ja cool aussehen, wenn jemand sich tagelang damit beschäftigt hat, seine Lederjacke mit Nieten zu verzieren, aber das hat nichts mit meinem Verständnis von Punk zu tun. Es geht uns nicht darum, cool auszusehen. Ich habe an sich nichts gegen Mode und alles, was damit zusammenhängt, nur ist das nicht unser Ding. Es geht uns um die Musik, wir als Personen müssen da nicht im Vordergrund stehen.

THE JESUS AND MARY CHAIN werden immer wieder als Vergleich genannt, und speziell in den frühen Jahren waren die in ihrem Auftreten wohl ähnlich extrem wie ihr heute. Oliver, wie kamst du erstmals mit der Band in Kontakt?

Oliver:
Ich habe ihr „Psychocandy“-Album auf einem Kirchen-Flohmarkt gekauft, zwischen lauter religiösen Platten. Ich habe die Platte oft gehört, und ich weiß noch, wie ich damals mal Kopfschmerzen hatte, die Platte auflegte – und die Schmerzen verschwunden waren. Offensichtlich hat die Musik also eine seltsame therapeutische Wirkung. Ich finde es auch cool, dass man bei der Platte eigentlich nicht weiß, welche Instrumente die da spielen: Sind das Gitarren oder Kreissägen? Das ist ein interessantes Mysterium und dieser Aspekt ist mir wichtig an Musik: Was ist das für ein Geräusch, wo kommt das her, wie wird das gemacht? Das ist wie bei einem guten Buch, wo sich vieles in deiner Fantasie abspielt, wo du Bilder in deinem Kopf hast – und oft enttäuschst bist, wenn du dann den Film zum Buch siehst. So muss auch Musik funktionieren, und das funktioniert bei Bands wie THE JESUS AND MARY CHAIN oder MY BLOODY VALENTINE.

Dion: Ich schätze THE JESUS AND MARY CHAIN auch sehr, und ich finde, in gewisser Weise haben die durchaus auch etwas mit den SEX PISTOLS gemeinsam – sie waren eine Rock’n’Roll-Band. Aber sie haben aus dem Rock’n’Roll ihr ganz eigenes Ding gemacht.