HIVES

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Der Tyrannosaurus Hives stirbt niemals aus

Es gibt wohl kaum selbstbewusstere Interviewpartner als THE HIVES. Bescheidenheit suchte man bei den Schweden ja schon immer vergeblich, die wurde wahrscheinlich 1993 auf dem Weg zur ersten Show über Bord geworfen und lieber durch ein paar wohlgenährte Egos ersetzt. Aber wenn man dann mal genau hinschaut, sieht man, dass THE HIVES eine wirklich hart arbeitende Band sind, die sehr hohe Maßstäbe an sich selbst setzen und mit Leib und Seele dem Rock’n’Roll verfallen sind. Und das Selbstbewusstsein ist ja auch angebracht, haben die fünf Herren doch mit „Lex Hives“ gerade ihr bestes Album seit einigen Jahren herausgebracht. Die damit verbundene Rückkehr zur DIY-Ethik und zum energiegeladenen Garagerock dürfte ihnen in Punkrock- und Rock’n’Roll-Kreisen zum Comeback verhelfen, obwohl sie ja eigentlich nie weg waren. Drummer Chris, Gitarrist Nikolas und Bassist Matt sind dementsprechend zufrieden, als sie über das neue Album, die Arbeitsweise der Band und darüber, wie Rock’n’Roll sein sollte, sprechen.

Fünf Jahre liegen zwischen dem neuen Album „Lex Hives“ und dem Vorgänger „The Black And White Album“. Was habt ihr so getrieben während dieser Zeit?

Chris:Weißt du, wir sind recht bekannt dafür, gute Live-Shows zu spielen. Deshalb wollen Leute auf der ganzen Welt, dass wir in ihrem Land spielen. Ich denke, dass die ziemlich faul sind, sie reisen nicht in andere Länder, um uns zu sehen – also müssen wir in jedem Land der Welt spielen. Das haben wir bis jetzt noch nicht ganz geschafft, aber wir versuchen es. Wir versuchen, immer mehr Länder nach einem neuen Album zu besuchen, und deshalb touren wir immer ziemlich lange. Wir waren nach „The Black And White Album“ fast drei Jahre unterwegs.

Und anschließend habt ihr gleich angefangen, neue Songs aufzunehmen?

Nikolas: Genau. Zumindest haben wir an neuen Sachen gearbeitet. Ich glaube, ich kam so um die Weihnachtszeit von der letzten Tour nach Hause. Eigentlich sollte ich danach ein bisschen frei haben, aber gleich am nächsten Morgen war ich in meinem Studio und habe ein paar Sachen aufgenommen. Es gibt tatsächlich nur einen einzigen Grund, warum man so was tut: weil es Spaß macht.

Chris: Das erste Stück, das wir für „Lex Hives“ gemacht haben, entstand vor über zwei Jahren in Berlin in den Hansa-Studios. Da arbeitet ein Freund von uns, Mika Lindberg, der hat schon an frühere Alben Hand angelegt.

Ich habe den Eindruck, dass ihr dieses Mal alles komplett selbst in der Hand hattet: also Produktion, Aufnahmen und Veröffentlichung. War das ein anderer Prozess als bei den früheren Alben?

Chris: Wir haben schon die letzten zwei Alben selbst veröffentlicht, haben sie dann an ein großes Label lizensiert, in dem Fall Interscope. Aber dieses Mal sind die Lizenzen an verschiedene Labels auf der ganzen Welt gegangen. Es hatte sowohl Vor- als auch Nachteile, das Interscope für alles verantwortlich war. In manchen Ländern sind wir richtig durchgestartet, aber zum Beispiel in den USA fielen die Reaktionen zurückhaltender aus. Deswegen arbeiten wir jetzt weltweit mit verschiedenen Leuten, die die Band mögen, und nicht nur mit einem einzigen großen Unternehmen. Das ist völlig neu für uns, wir haben vorher nicht so gearbeitet.

Nikolas: Wir möchten damit vermeiden, dass ein einziges Label diktiert, wie viel Arbeit weltweit in ein Album gesteckt wird. Denn wenn dem Hauptbüro unser Album nicht gefallen sollte, wird das auch im Rest der Welt so aussehen, auch wenn es anderen vielleicht sogar gut gefallen hätte.

Und ihr würdet sicherlich auch sagen, dass das neue Album das beste ist, das ihr je gemacht habt, stimmt’s?

Chris: So ist es. Denn es wird niemals so weit kommen, dass wir ein Album machen, das wir nicht besser finden als das vorherige. Es gibt aber unterschiedliche Gründe, aus denen auch unterschiedliche Alben resultierten. Man hat eine Vorstellung davon, wo man mit dem Album hinmöchte, und dann kommen dabei eben verschiedene Platten heraus. Aber wir mögen sie alle. Dass wir „Veni Vidi Vicious“ mögen, bedeutet aber nicht, dass wir nicht „Lex Hives“ auf andere Art noch mehr mögen.

Gibt es denn eine konkrete Weiterentwicklung von einem HIVES-Album zum nächsten?

Nikolas: Ja, die sind für uns sehr verschieden. Die ersten drei haben eine ähnliche Entstehungsgeschichte, haben sich aber letztlich auch von einander unterschieden. „The Black And White Album“ war eine ganz andere Geschichte, da haben wir mit diesen ganzen Produzenten und berühmten Leuten gearbeitet. Wir mögen das Album, aber als es fertig war, wollten wir wieder einen Schritt zurück machen, und das neue Album sollte wieder so HIVES-mäßig wie möglich werden. Wir saßen zusammen und haben überlegt, wie wir das hinbekommen. Wenn wir etwas so HIVES-mäßig wie möglich machen wollen, sollte es besser niemanden geben, der sich da einmischt. Also haben wir versucht, alles selbst zu produzieren, selbst einzuspielen und für alles eigene Ideen zu entwickeln. Wir sind damit sehr zufrieden. Ist es demnach das beste Album, das wir je gemacht haben? Natürlich ist es das!

Nach „The Black And White Album“ schien es, als sei die Hauptsache für die Leute eure Zusammenarbeit mit Timbaland und den anderen Typen. Nervt es nicht auf Dauer, wenn nur interessant ist, mit wem ihr einen Song aufgenommen habt?

Matt: Das kommt darauf an. Man bekommt die ganze Zeit diese Fragen gestellt. Es hat uns mehr belastet, bevor wir es gemacht haben, aber hinterher war es eine gute Sache. Es war eine großartige Erfahrung, denn wir haben viel gelernt, es hat uns durchweg positiv beeinflusst.

Nikolas: Die Frage überrascht einen auch nicht, denn wir waren erfolgreich im Rock und die waren erfolgreich im HipHop, oder wie auch immer die das nennen. Es ist ein bisschen, als würde man ein Album mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten machen, jeder würde dann fragen: „Wie war das, mit dem Präsidenten ein Album aufzunehmen?“ Es ist eigentlich immer dasselbe, sobald jemand „Außergewöhnliches“ dazukommt, fangen Leute an, solche Fragen zu stellen – vermutlich sogar mehr, als wenn wir ein Album mit einem Staatsoberhaupt gemacht hätten.

Matt: Seid ihr etwa politisch geworden ...?

Nikolas: Ja, so was in der Art.

Aber irgendwie seid ihr ja schon politisch: Das neue Album heißt ja „Lex Hives“ – das Gesetz der HIVES ...

Nikolas: Wir stellen immer einen Haufen Gesetze auf, bei allem, was was wir tun. Das „Lex Hives“ beinhaltet, was genau so großartig an den HIVES ist. Man kann also fragen: Warum sollten THE HIVES ein Album machen, das genau nach THE HIVES klingt? Weil es unglaublich gut sein wird. Ich würde sagen, so wie unsere Lieblingsbands ja auch immer viel Persönlichkeit besaßen, hatten wir immer das Gefühl, dass wir auch eine bestimmte Persönlichkeit haben, und die ist eben HIVES-typisch. Das war immer so, denn wenn wir irgendetwas gemacht haben, konnte man genau sagen: „Nee, das ist nicht sehr HIVES-mäßig.“ Oder wir machen ein Video und wissen einfach: „Oh, das ist sehr HIVES-mäßig.“ Wir hatten immer unsere eigene Identität und die sollte sich auf diesem Album voll entfalten.

Das erinnert mich an Bands wie KISS, die auch zu einer großen „Marke“ wurden. Jeder kennt das KISS-Logo. Möchtet ihr das auch erreichen, dass THE HIVES eine bekannte Marke werden?

Nikolas: Da denke ich auch an THE RAMONES, DEAD KENNEDYS, AC/DC, MISFITS, THE ADICTS. Alle Bands, die wir mögen, vor allem die Garagerock-Bands aus den Achtzigern wie THE FUZZTONES und DEAD MOON, hatten eine unverwechselbare Persönlichkeit. Nicht unbedingt so wie Frank Sinatra, bei dem jeder weiß, wie er aussah, und seine Lieder kennt – darauf kann man stolz sein. Was nun KISS angeht, die haben damit echt etwas übertrieben. Viele Leute vergessen bestimmt, dass die eigentlich Musik machen und nicht nur irgendwelche Cartoon-Figuren sind. Das mag ich an meinen Lieblingsbands, dass sie in dieser Beziehung so weit gehen. Das ist genial, grenzt aber manchmal schon an Dummheit, was ich auch mag. So wie Little Richard mit Pompadour-Frisur auf die Bühne kommt und einfach krassen Rock’n’Roll abliefert. Das ist es, was ich sehen will: ich will, dass meine Rock’n’Roll-Idole Leute sind, die ich mir live ansehen will. Das ist auch der Grund, warum ich mir keine Shows von Pop-Bands anschaue, die sich beim Spielen nur auf die Füße starren, ich finde das einfach nicht interessant und es gibt mir nichts.

Ist das auch eine wichtige Sache für THE HIVES? Das Publikum zu unterhalten und sich eben nicht nur auf die Füße zu starren?

Chris: Wir sehen uns als Entertainer und haben immer versucht, die Band zu sein, die wir selbst gerne sehen würden, um Spaß zu haben. Wenn wir uns scheiße fühlen wollten, dann würden wir nicht zu unseren Shows gehen. Wir sind da, um die Leute zu unterhalten und ihnen ein Erlebnis zu schenken, dass sie nie vergessen werden.

Nikolas: Rock’n’Roll ist außer Kontrolle geraten, als die Bands anfingen, sich selbst zu ernst zu nehmen. Rock’n’Roll muss übertrieben sein, es muss Spaß machen. Es wurde von 20 Besoffenen in einem Raum erfunden, die Spaß hatten. Und die haben sich nicht auf die Füße gestarrt. Außer sie dachten vielleicht, das wäre die lustigste Sache der Welt, haha. Was für witzige Füße! Da muss Action sein.

Lasst uns über den Albumtitel sprechen: Ihr hattet „Veni Vidi Vicious“ und jetzt „Lex Hives“ – man könnte denken, dass ihr ein Faible für historische römische Anspielungen habt. Seid ihr wirklich interessiert an römischer Geschichte?

Nikolas: Ja, ich denke schon. Es klingt auch gut. Der Titel „How We Made A Record About The Law About The Hives“ hätte sich nicht besonders eindrucksvoll angehört. „Lex Hives“ hingegen schon, genau wie „Tyrannosaurus Hives“.

Matt: Alle Wege führen nach Rom und die ganze Mythologie ist sehr interessant, auch die Architektur. Aber das ist nicht unser Hauptgedanke.

Nikolas: Wir sind nicht davon besessen, es sind nur zwei von fünf Alben, die diese Referenzen haben. Wir mögen es, es ist witzig. Wir haben ja auch französische Songtitel, vielleicht haben wir generell ein linguistisches Interesse.

Aber das Römische Reich brach zusammen, die Dinosaurier sind ausgestorben – ich will eigentlich nicht, dass THE HIVES aussterben ...

Matt: Das ist nun mal der Lauf der Natur.

Nikolas: Aber der „Tyrannosaurus Hives“ ist nie ausgestorben, der bleibt für immer.

Denkt ihr, dass ihr bereits Dinosaurier der Rockmusik seid?

Nikolas: Nein. Wenn man darüber nachdenkt, warum die Dinosaurier und das Römische Reich nicht mehr existieren, so liegt es daran, weil sie nur auf sich selbst fokussiert waren. Aber die HIVES machen Rockmusik, und das ist etwas, das ewig währt. Darum hören die Leute auch immer noch die ganz frühe Rock’n’Roll-Musik. Und die besteht aus Noten und bestimmten Posen, was immer populär bleiben wird. Was unsere Selbstwahrnehmung als Dinosaurier angeht: Wir haben darüber nie nachgedacht, und letztes Jahr haben wir dann bemerkt, dass nächstes Jahr unser 20-jähriges Jubiläum sein wird. So hat sich das aber nie für uns angefühlt, uns kommt es eher so vor, als hätten wir gestern erst angefangen. Ich betrachte vielleicht die ROLLING STONES oder AC/DC als Dinosaurier des Rock’n’Roll, aber wann immer ich mir eine Show von ihnen ansehe, finde ich sie immer noch großartig. Falls sie also Dinosaurier sind, dann sind sie verdammt großartige Dinosaurier.

Überrascht es euch tatsächlich, dass ihr schon so lange dabei seid?

Nikolas: Es überrascht uns mehr, als dass es etwas Besonderes für uns wäre. Es fühlt sich aber ein bisschen komisch an, dass es schon 20 Jahre sind. Wir haben es verpasst, unser Zehnjähriges zu feiern, denn wir haben irgendwann festgestellt: „Oh, das war ja schon letztes Jahr.“ Wir dachten darüber nach, unser elfjähriges Jubiläum zu feiern, aber das haben wir dann auch nicht gemacht. Vielleicht feiern wir das nächste Jubiläum, oder wir sind wieder viel zu sehr damit beschäftigt, eine unglaubliche Rock’n’Roll Band zu sein, und vergessen es wieder.

Chris: Wir haben darüber nachgedacht, die Tatsache zu feiern, dass wir mit diesem Album fertig sind. Haben wir aber dann auch nicht gemacht. Wir wollen einfach live spielen, das ist die größte Party überhaupt. Ich denke, wir setzen uns einfach mal zusammen und feiern, dass das Album fertig ist, denn wir sind sehr zufrieden damit. Und während wir das tun, können wir darüber nachdenken, ob wir etwas machen sollten, wenn wir 20 werden.

Nikolas: Bis jetzt ist es wie eine endlose Achterbahnfahrt: man weiß nicht, ob man mittendrin, am Anfang oder am Ende der Fahrt ist. Im Moment genießen wir es einfach.

Ihr wirkt wie eine sehr selbstbewusste Band. Seid ihr dennoch sehr kritisch, wenn ihr ein Album macht?

Nikolas: Ja, sehr kritisch. Deswegen sind wir auch so selbstbewusst und zufrieden, wenn ein Album fertig ist: weil es großartig ist! Aber es ist eine Tortur, ein Album zu machen, mit schlaflosen Nächten, in denen man denkt: Der Part ist nicht so gut wie dieser Part, und dieses oder jenes müssen wir ändern. Man ist die ganze Zeit am Verbessern. Man nimmt etwas auf und ändert permanent Sachen, die einem nicht gefallen. Es ist, wie eine Wand zu verputzen und zu streichen – man spachtelt überall Löcher zu.

Wie entstehen eure Alben denn im einzelnen, kommt jemand bereits mit einem kompletten Song an oder entwickelt ihr die Songs erst zusammen im Studio?

Nikolas: Das ist ganz verschieden, jeder Song entsteht auf andere Weise. Wir wollen das auch so. Manchmal jammt die Band zusammen, manchmal sind es Ideen, die aus anderen Bereichen kommen, manchmal fängt alles mit einem Witz, einer Melodie oder Basslinie an. Wir wollen, dass jeder Song seine eigene Persönlichkeit hat, nur daher kommt die ganze Dynamik. Wenn man die Songs immer auf die gleiche Art schreibt, hört sich das an wie bei einem Singer/Songwriter, der mit der Melodie auf der Gitarre beginnt und dann die Texte draufpackt. Dann gliedert er den Song in Strophe, Refrain, Strophe, Zwischenspiel, Refrain, Refrain, und das war es dann. Das wollen wir ändern, denn wir möchten, dass jeder Song verschieden ist, und das braucht Zeit. Es bedeutet, dass man die Songs nicht wie am Fließband schreibt, jeder Song muss wie eine neue Erfindung sein.

Was ist euer Lieblingssong auf „Lex Hives“?

Chris: Das ist ganz unterschiedlich. Aber ich bin ziemlich angetan von „Wait a minute“, ich denke, der ist verdammt genial. Ich liebe alle zwölf Songs. Es ist nicht so, dass man, wenn man einen Song liebt, die anderen dafür nicht mag. Es sind alles deine Babys.

Matt: Ich glaube, mein Favorit ist „Midnight shifter“, denn der ist komplett in D gespielt.

Nikolas: Wie Chris schon gesagt hat, ist das unterschiedlich. Jeder Song war mein Favorit in dem Moment, als wir ihn aufgenommen haben. Ich mag „Go right ahead“ und „Patrolling days“, aber „Midnight shifter“auch.

Letzte Frage: Wenn ihr die Welt für einen Tag regieren könntet, was würdet ihr ändern?

Chris:Ich würde alles Schlechte vernichten, inklusive Kriege und Krankheiten. Ich würde jeden glücklich, gesund und zum HIVES-Fan machen.

Klingt ja irgendwie nach einem schönen Hippie-Traum.

Nikolas: Ja, lasst uns alle Hippies werden.