TILL LEMOINE / MALADROIT

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Tausendsassa in Sachen Punkrock

Till Lemoines Band GUERILLA POUBELLE ist seit Jahren eine feste Größe im französischen Punkrock, seine Zweitband MALADROIT auf dem Weg an die Spitze des europäischen Pop-Punks. Hinzu kommen noch sein D.I.Y.-Label Guerilla-Asso und sein D.I.Y.-Mailorder Le Jardin Des Fous – und das ist längst noch nicht alles. Viele gute Gründe also, Till Lemoine aus Paris zu Wort kommen zu lassen. Über Punkrock in Frankreich, Punkrock in Europa und das Produzieren und Vertreiben von Tonträgern.

Till, einigen Punkrock-Freunden, die die französische Szene kennen, bist du durch zahlreiche Aktivitäten bekannt. Wie fing alles an?


Es begann alles vor mehr als 15 Jahren, als ein damals gerade mal 13 Jahre alter Jungspund und großer NIRVANA-Fan seine ersten Punkrock-Konzerte in Paris besuchte und Bekanntschaft mit dem D.I.Y.-Gedanken und einer aktiven Szene machte. Mit 14 war meine erste Band am Start, gefolgt von den ersten selbst produzierten Tapes. Nicht zu vergessen mein Fanzine Zukini. Das wurde von mir herausgegeben und hat es, wenn ich mich richtig erinnere, auf acht bis zehn Ausgaben gebracht. Jede Ausgabe hatte um die 20 Seiten mit Interviews und Comics, die von Freunden gezeichnet wurden. Meine Mutter hat das Fanzine an ihrem Arbeitsplatz kopiert, so dass ich die Ausgaben kostenlos abgeben konnte. Natürlich fingen wir dann auch mit einigen Freunden damit an, selbst Konzerte zu veranstalten und kleine CD-Compilations zu brennen.

Über die Grenzen Frankreichs hinaus wurdest du insbesondere mit deiner Band GUERILLA POUBELLE bekannt.

Das kann man so sagen. Wir sind 2003 gestartet, unser erstes Album erschien 2005 und hat sich bis heute ungefähr 20.000 Mal verkauft. Und bis heute bringen wir es auf über 500 Konzerte. Der Höhepunkt lag dabei in den Jahren 2005 und 2006, in beiden Jahren haben wir jeweils mehr als 100 Konzerte gespielt. Wir sind bis heute aktiv, allein im letzten Monat hatten wir vier Gigs. Und wir sind gerade dabei, neue Songs zu schreiben. Unser Ziel ist es, im nächsten Jahr ein neues Album herauszubringen. Allerdings haben wir aktuell das Problem, dass unser Schlagzeuger vor zwei Wochen ausgestiegen ist. Er wohnt in Lyon, der Rest der Band in Paris. Das ist auf Dauer nicht einfach. Er möchte jetzt neue Sachen machen, mit neuen Leuten, außerdem will er vom Schlagzeug an die Gitarre wechseln.

Und wie würdest du jemand, der GUERILLA POUBELLE nicht kennt, die Band beschreiben? Was ist typisch für euch?

Eigentlich müsstest du diese Frage anderen Leuten stellen. Schwer zu sagen, wie wir so wahrgenommen werden. Bekannt sind wir aus meiner Sicht dafür, dass wir unsere Songs auf Französisch singen. Und natürlich sind wir auch für unsere politischen Botschaften bekannt. Insgesamt haben wir mit der Band auch eine „New School“ des französischen Punkrock mitgestaltet. Das liegt vor allem daran, dass wir einerseits mit französischen Bands wie BÉRURIER NOIR aufgewachsen sind, andererseits aber auch von amerikanischen Bands wie NOFX beeinflusst wurden. Dies haben wir dann vermischt. Vor uns dominierte in Frankreich eher traditioneller Punkrock und Oi!-Punk. Wir haben schneller und härter gespielt und dies mit französischen und politischen Texten kombiniert.

Aktuell sorgst du aber noch mit einer anderen Band für Aufsehen.

Ja. Mit drei alten Freunden sind wir seit Anfang 2010 als MALADROIT unterwegs. Wir kennen uns alle schon sehr lange. Unser Drummer war bis 2005 auch der Schlagzeuger von GUERILLA POUBELLE. Und da wir in den letzten beiden Jahren mit GUERILLA POUBELLE nicht ganz so aktiv waren, hatten wir die Zeit, uns um MALADROIT zu kümmern. Der Bandname bedeutet „ungeschickt, unbeholfen“. Das scheint uns passend für diese Band.

Und was ist an MALADROIT besonders, was sind die Unterschiede zu GUERILLA POUBELLE?

Wir haben zwar einen französischen Namen, singen aber auf Englisch und Französisch, wobei das Englische dominiert. Dann sind wir weniger politisch, sondern verarbeiten in den Songs eher persönliche Geschichten. Wir möchten, dass das Ganze nicht zu ernst genommen wird. Wir müssen technisch nicht perfekt sein, sondern wollen mit der Band auch Spaß haben und diesen Spaß auch vermitteln. Es darf auch schon mal spontan sein, wir wollen keine professionelle Band sein. Musikalisch ist es Oldschool-Pop-Punk. Punkrock, der aber auch schon mal etwas schneller rüberkommt. Und ich glaube, dass wir sehr abwechslungsreich sind. Im Gegensatz zu Bands wie TEENAGE BOTTLEROCKET, die ihren Stil kaum variieren, sind wir doch recht variabel in unserem Sound. Insgesamt steht hier aber eindeutig im Vordergrund, mit ein paar alten Freunden zusammen Spaß zu haben.

Was gibt es bisher von MALADROIT an Veröffentlichungen?

Das Album „Jerk Alert!“ sowie drei 7“-Veröffentlichungen, darunter eine Split-EP mit den SAINTE CATHERINES. Das Album wurde auf mehreren Labels veröffentlicht, darunter auch auf dem niederländischen Monster Zero Records. Ich kenne Kevin von Monster Zero schon sehr lange, ein unheimlich netter Bursche. Ich habe ihm natürlich mitgeteilt, dass wir eine neue Band haben. Und als die Aufnahmen fertig waren, habe ich ihm diese zugeschickt. Und zum Glück hat er zugegriffen, Monster Zero ist ein starkes Label für europäischen Pop-Punk und verfügt über gute Kontakte in viele europäische Länder. Das ist sehr hilfreich.

Du bist mit den beiden Bands also voll ausgelastet, oder?

Nicht ganz, ich bin auch noch mit einer dritten Band am Start. Die Band heißt dann auch noch entsprechend MON AUTRE GROUPE, also übersetzt „Meine andere Band“. Das ist eine Hardcore-Band, deutlich schneller und härter als die beiden anderen Bands. Und auch von der Stimmung her aggressiver und pessimistischer. So im Stil von „Sechs Songs in sechs Minuten mit derbem weiblichen Schreigesang“. Letztes Jahr gab es eine Split-7“, dieses Jahr eine eigene 7“, dazu gibt es auch schon zwei CDs. Die sind aber ziemlich kurz, jeweils nicht länger als zehn Minuten.

Kommen wir mal von den Bands zu deinem Label. Du hast mit Guerilla-Asso dein eigenes Label.

Das Label gibt es seit ungefähr neun Jahren, und ich bringe es bis jetzt auf 110 Veröffentlichungen. Das Label mache ich ganz alleine. Nur bei ein paar kleinen Tätigkeiten, wie beispielsweise beim Einlegen von Download-Cards in Singles, hilft mir manchmal meine Freundin. Natürlich gibt es dann immer noch ein paar Freunde, die dann auch beim Booking oder beim Verteilen von Flyern auf Konzerten helfen. Die meisten Veröffentlichungen werden zu 500 oder zu 1.000 Stück produziert. Wir verfahren in den meisten Fällen nach dem Motto „wenn weg, dann weg“. Dann werden die Songs dieser Tonträger aber meist zum kostenlosen Download ins Netz gestellt. Bei Sachen, die stark nachgefragt werden, machen wir auch schon mal Nachpressungen. Alte Sachen oder Tonträger von Bands, die sich inzwischen aufgelöst haben, werden aber im Regelfall nicht neu aufgelegt.

Das Debütalbum von MALADROIT wurde gemeinschaftlich von mehreren Labels produziert, neben Guerilla-Asso waren unter anderem auch Monster Zero Records und das kanadische Label Big Wheel Records beteiligt. Sind diese Gemeinschaftsproduktionen eine wichtige Option für die Zukunft, um das Überleben kleiner Labels zu sichern?

Selbstverständlich, allein durch die unterschiedliche regionale Bekanntheit und die bestehenden Kontakte der Beteiligten. Monster Zero ist in Frankreich nicht sehr bekannt, dafür aber in den Niederlanden und Belgien. Mein Label wiederum ist in den Benelux-Staaten nicht wirklich bekannt. Da kann dann in den einzelnen Ländern das Label das Album verkaufen, das dort die besten Kontakte unterhält. Die unterschiedliche Bekanntheit gilt dabei übrigens nicht nur für die Präsenz in unterschiedlichen Ländern sondern auch für die Bekanntheit für unterschiedliche Musikstile. Wenn du ein reines Pop-Punk-Album rausbringst, bist du bei Monster Zero prima aufgehoben, Monster Zero erreicht schon sehr viele Pop-Punk-Fans. Für den Verkauf von einem Hardcore-Album brauchst du aber die Unterstützung von Labels, die in der Szene für ihre Hardcore-Veröffentlichungen bekannt sind.

Wie findest du die Bands für dein Label?

Prinzipiell bringe ich nur Sachen raus von Bands, die ich gut finde, und von Leuten, die ich mag. Wir fühlen uns schon alle wie eine große Familie. Ich würde nie Sachen von arroganten Arschlöchern rausbringen. Auch die Booker in Frankreich können sich darauf verlassen, dass die Leute von den Bands, die auf unserem Label veröffentlichen, cool und sympathisch sind. Ich möchte ganz gezielt Freunden dabei helfen und sie dabei unterstützen, ihre Songs aufzunehmen und erfolgreich zu vertreiben. Bevor ich etwas von einer Band rausbringe, muss ich die aber auf jeden Fall mal live gesehen haben. Und da sollten sie mich schon überzeugt haben. Der D.I.Y.-Gedanke ist mir hier ganz wichtig. Ich möchte hier insbesondere kleine Bands, die es verdient haben, unterstützen. Bands, die richtig Kohle verdienen wollen, haben auf meinem Label nichts verloren. Ich fühle mich schließlich auch nicht als Unternehmer. Im Übrigen gibt es mit allen unseren Bands keine Verträge.

Wie kommt man in Deutschland an die Veröffentlichungen von Guerilla-Asso?

Mit dem Label arbeite ich in Deutschland leider mit keinem Mailorder zusammen, im Gegensatz zum Beispiel zu den USA, wo es unsere Tonträger über Interpunk gibt. Aber über unsere Webseite kann man die Sachen auch bestellen, zum Label gibt es auch noch einen eigenen Mailorder mit dem Namen „Le Jardin des Fous“. Die Katze im Sack muss man übrigens nicht kaufen. Fast alle unsere Sachen kann man sich auf bandcamp.com vorher anhören oder bereits dort auch runterladen.

„Le Jardin Des Fous“, der „Garten der Verrückten“? Wie kommt man auf solch einen Namen?

Ich hatte dieses Bild vor Augen vom Garten einer psychiatrischen Klinik. All die Verrückten sitzen friedlich im Garten und sind super drauf. Genauso soll der Mailorder für all die Musikverrückten ein Ort des Wohlfühlens sein. Schon bei meinen ersten Konzertbesuchen sind mir die Leute aufgefallen, die bei den Konzerten Platten unterschiedlicher Bands verkauft haben. Ich habe dann auch schon relativ früh angefangen, Tonträger mit diversen Bands zu tauschen und diese dann auf Konzerten zu verkaufen. Das waren sicherlich die Anfänge für die späteren Mailorder-Aktivitäten.

Du spielst in mehreren Bands, hast das Label und den Mailorder. Das frisst doch bestimmt viel Zeit. Bestreitest du damit deinen Lebensunterhalt, kann man davon leben?

Nein, das ist alles Hobby. Ich weiß nicht, ob man damit Geld verdienen könnte. Ich habe neben all diesen Tätigkeiten noch einen regulären Job.

Viele, die in der Szene aktiv sind, beklagen, dass es in den letzten Jahren schwieriger geworden ist, Tonträger zu verkaufen. Illegale Downloads werden massiv angeprangert. Wie siehst du die Entwicklung über die ganzen letzten Jahre?

Soll ich ehrlich sein? Es ist mir egal. Ich habe natürlich den Vorteil, dass ich mit Label und Mailorder nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Wenn etwas verdient wird, wird es gleich wieder ins Label und die Bands gesteckt. Dass große Bands und die Majorlabels Probleme mit geringeren Umsätzen und Gewinnen haben, interessiert mich nicht wirklich. Das ist ihr Problem. Meine Aktivitäten mache ich rein als Hobby und aus Leidenschaft. Das Internet und die Möglichkeit für kostenlose Downloads werden von mir nicht verteufelt. Wenn junge Leute das Geld nicht für teure Alben ausgeben wollen, haben sie dann immerhin die Möglichkeit, über Downloads gute und wichtige Musik zu hören. Und dann zu den Konzerten dieser Bands zu gehen und ihre T-Shirts zu kaufen. Für mein Label und unsere Bands habe ich auf jeden Fall keine Angst vor der Zukunft.

Wie wird sich aus deiner Sicht die Musikszene weiter entwickeln?

Das ist natürlich schwer zu beantworten. Über die ganzen letzten Jahre war es auch ein schleichender Prozess. Das Ganze ist ja nicht vom einen auf den anderen Tag gekommen. Es war insgesamt eine längere Entwicklung, die in dieser Art auch noch nicht abgeschlossen ist und weitergehen wird. Riesige Änderungen erwarte ich persönlich nicht. Wichtig wird es für Bands auch weiter sein, coole Alben abzuliefern. Diese werden sich, unabhängig von den Rahmenbedingungen, dann auch weiter erfolgreich verkaufen lassen. Und das Internet wird natürlich auch weiterhin enorm wichtig sein, sich über neue Bands und neue Songs zu informieren.

Was steht in nächster Zeit bei deinen Bands und bei deinem Label an Aktivitäten an?

Bei Guerilla-Asso freue ich mich in den nächsten Wochen auf drei neue wirklich interessante Veröffentlichungen. Wir bringen eine 7“ von der kanadischen Band PANIC ATTACK raus. Die klingen so wie GREEN DAY zu Zeiten ihres „Kerplunk!“-Albums. Dann werden wir Sachen von der Pariser Band UNION JACK rausbringen, sowie das Debütalbum der Lyoner Band SPORT. Die machen Indiepunk, also Musik, die man nicht so häufig von französischen Bands hört.

Und was ist von MALADROIT zu erwarten?

Es stehen einige Konzerte an, darunter auch Termine, auf die wir uns schon sehr freuen. Allen voran natürlich das legendäre, von No Idea Records organisierte Festival „The Fest“ in Gainesville, Florida oder am Ende des Jahres das immer wieder schöne Familientreffen beim Monster Zero Mash in Innsbruck. Dann möchten wir in diesem Jahr auch noch neue Songs schreiben. Je nachdem, wie das läuft, gibt’s dann im nächsten Jahr eine neue 7“ oder gleich ein komplett neues Album.

Gibt es noch etwas, das du dir für die Zukunft für die Punk-Szene wünschst?

Für Paris habe ich schon noch einen speziellen Wunsch. Paris ist alles andere als eine Stadt des Rock’n’Roll, geschweige denn des Punkrock. Schau dir allein eine Band wie HOT WATER MUSIC an. Die ziehen in Deutschland problemlos 1.000 Leute. In Paris spielen die, wenn es gut läuft, gerade mal vor 200 Leuten. Die Booker hier in Paris machen einen guten, engagierten Job, dieser Umstand allein hätte es schon verdient, dass Punkrock in Frankreich und insbesondere in Paris wieder einen höheren Stellenwert bekommt und dass Konzerte und Shows wieder mehr Zulauf haben.