BLUE ANGEL LOUNGE

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Psycho Beat rules!

Das Berliner Label 8MM Musik hat ein gutes Händchen beim Signing von Bands, die nahe am Sound von THE VELVET UNDERGROUND oder THE JESUS AND MARY CHAIN liegen. Waren es vor einiger Zeit SINGAPORE SLING aus Island, ist es nun die nach einem Club in New York benannte Band aus Hagen, in dem eine gewisse Christa Päffgen aka Nico ihre Karriere begann. Bei so eindeutigen Vorbildern ist offensichtlich, dass hier (zumindest bisher) Psychedelic an jeder Ecke lauert. Verschleppt-repetitive Gitarrenschleifen und mitunter ein mit Hall versehener Gesang, der oft stark an VELVET UNDERGROUND erinnert, prägten den Sound. Schien auf dem letzten Album „Narcotica“ das Motto noch „Psycho Beat rules“ zu lauten, wird mit der EP „Ewig“ eine Wende in Richtung dunkler Post-Punk eingeleitet. THE BLUE ANGEL LOUNGE haben sich von Psychedelic und Shoegaze wegentwickelt, brillieren mit einer Mischung aus modernem Krautrock, düsterem Wave- und Post-Punk sowie Texten auf Englisch und Deutsch. Keyboarder Theo Berwe beantwortete meine Fragen.

Mein Eindruck bei der neuen „Ewig“-EP ist, dass ihr euch neben Shoegaze und Psychedelic nun auch der dunklen Seite von Wave und Post-Punk zugewendet habt. Wie seht ihr eure musikalische Entwicklung?


Wir stimmen zu, dass wir Psychedelic und Shoegaze als Einflüsse weitgehend hinter uns gelassen haben. Grundsätzlich halten wir nicht viel von zu engen Genrebegriffen, gerade weil wir selbst oft, unserer Meinung nach ungerechtfertigt, als Neo-Psych-Band „abgestempelt“ worden sind. Dennoch kann man sagen, dass sich unsere Musik grob in Richtung Post-Punk bewegt. Allerdings nicht im Sinne von klassischem Achtziger-Jahre-New-Wave, sondern eher in einer nihilistischen Lesart. In gewisser Weise schließt sich in dieser Hinsicht ein Kreis: wir sind zurück bei den Folk-Elementen, die unsere frühen Aufnahmen geprägt haben, allerdings in einer radikaleren und eigenständigeren Form. Unsere Musik wird reduzierter hinsichtlich der Komposition und gleichzeitig vielseitiger, was die Wahl der Instrumente anbelangt. Inzwischen nehmen wir uns deutlich mehr Zeit für das Songwriting. Ein Song wie beispielsweise „Melloch halb & halb“ hatte eine Reifezeit von einigen Monaten, bevor die Studioversion vorlag, und auch diese ist inzwischen nicht mehr aktuell, weil ihr zum Teil die Energie fehlt, welche den Song live ausmacht. Gleichzeitig geht dadurch ein Stück Spontanität verloren. Früher haben wir einen Song häufig in einer einzigen Nacht aufgenommen. Das ist heute wohl nicht mehr möglich. Es ist immer eine Gratwanderung: durch zuviel Gefrickel und Gebastel kann man eine Idee auch ersticken.

Ihr hattet großen Erfolg in den USA beim Austin Psych Fest und seid mit THE BRIAN JONESTOWN MASSACRE auf Tour gewesen. In Deutschland fehlt noch ein wenig die Wahrnehmung. Woran liegt das?

Wir erwischen uns selbst häufig dabei, wie wir über die deutsche Musiklandschaft schimpfen. Häufig zu Recht, weil sie in unseren Augen tatsächlich in einem armseligen Zustand ist. Aber andererseits sollte man sich eingestehen, dass wir nach wie vor Nischenmusik machen und kommerzieller Erfolg kaum zu erwarten ist. Umso überraschender ist es dann, wenn wir im Ausland – in den USA, aber auch in Frankreich – sehr viel mehr Resonanz bekommen. Vielleicht liegt das auch am deutschen Schubladendenken. Bei einem Konzert einer Band wie THE BRIAN JONESTOWN MASSACRE sieht man in Deutschland zum großen Teil Szene-Menschen, welche die Band und die jeweilige musikalische Nische gut kennen. In den USA sind die Menschen in dieser Hinsicht viel offener: dort gehen die Leute ohne große Erwartungen zu einer Show, um Spaß zu haben. Entsprechend sieht man dort alle Altersklassen und Menschen mit unterschiedlichsten musikalischen Geschmäckern. Wir haben schon viel darüber diskutiert, welcher Ansatz nun der bessere ist. Festhalten kann man wahrscheinlich, dass festgefahrene Denkstrukturen nie vorteilhaft sind. Daher auch unsere Abneigung gegen Genrebegriffe. Beispielsweise haben wir uns sehr gefreut, als der Song „Ewig“ auf einem Gothic-Sampler erschienen ist. In Deutschland würde kaum jemand unsere Musik als Gothic bezeichnen. Dennoch liegt für uns die Verbindung auf der Hand: „Ewig“ ist einem Oldschool-Verständnis nach absolut Gothic.

„Ewig“ ist wirklich ein außergewöhnlicher Song geworden, beim dem erstmals auch auf Deutsch gesungen wird.

Grundsätzlich haben wir häufig Schwierigkeiten mit deutschen Texten, weil sie schnell zu platt und bedeutungsschwer klingen. Im Englischen lässt sich vieles sehr simpel und direkt, aber dennoch poetisch ausdrücken. Vielleicht liegt es auch schlichtweg daran, dass uns als Nicht-Muttersprachlern viele Phrasen noch nicht so abgedroschen erscheinen. Der Text von „Ewig“ ist in der Hinsicht ein Gegenbeispiel. Wir wollen uns aber grundsätzlich nicht auf englische oder deutsche Texte festlegen. Irgendwie hat man es meist im Gespür, welche Sprache zu einem Song passt.

Gibt es bei euch Einflüsse von deutschen Bands? Ich musste bei einigen eurer älteren Songs sehr an die 39 CLOCKS denken.

Die 39 CLOCKS zählen definitiv zu den wenigen deutschen Bands, mit denen wir musikalisch etwas anfangen können. Als direkten Einfluss würden wir sie aber nicht bezeichnen, auch wenn es viele Parallelen gibt: die LoFi-Attitüde, ein gewisser Dilettantismus, englischer Gesang mit deutschen Akzent. Wahrscheinlich ist es eher der gemeinsame Einfluss von VELVET UNDERGROUND, der uns verbindet. Die offensichtliche Referenz ist Nico. Allerdings sehen wir Nico nicht unbedingt als deutsche Künstlerin. Sie verkörpert vielmehr eine abgründige Getriebenheit und Heimatlosigkeit. Zu einem gewissen Grad macht gerade das den Reiz der Kunstfigur Nico aus.

Wie sieht die Zukunft von THE BLUE ANGEL LOUNGE aus? Bleibt Hagen eure Heimat?

Zurzeit arbeiten wir an neuem Material. Ursprünglich war für Ende 2012 ein neues Album geplant, aber man sollte eher 2013 damit rechnen. Die Umzugsfrage streift ein bei uns gegenwärtig heikles Thema. Mel, unser Gitarrist, wird demnächst nach Berlin ziehen, während der Kern der Band wohl vorerst in Hagen bleibt. Zweifellos ist Hagen eine Stadt, die an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten ist. Wenn um kurz nach acht die Nachtbusse fahren und man auf offener Straße von aggressiven Rentnern geschlagen wird, kommt man sich zeitweise vor wie in einem sozialen Experiment. Berlin bietet natürlich eine viel bessere Infrastruktur – Clubs, Konzerte, Studios –, aber gleichzeitig auch mehr Gefahren, sich zu verzetteln und ablenken zu lassen. Es fällt uns gelegentlich schon in Hagen nicht leicht, genug Zeit und Muße für das Songwriting zu finden. Das ist auch der Grund, weshalb wir uns entschieden haben, vorerst auf Konzerte zu verzichten. Letztendlich ist es aber egal, wo wir tätig sind, solange wir produktiv bleiben.