BOTTROPS

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Das PunkRockPowerPop-Gesicht des Sommers

Die BOTTROPS sind Kreuzberg-36-Punkrock-Urgestein, ihre Wurzeln reichen zurück bis zu Johnny Bottrops (alias Jacho) Achtziger-Skatepunk-Band HOSTAGES OF AYATOLLAH und später der legendären TERRORGRUPPE (1993-2005). Aus den Resten der TERRORGRUPPE entstanden 2006 die BOTTROPS, die ihr erstes, titelloses Album 2007 veröffentlichten. 2009 folgte „Entertainment Overkill“, und nun ist „Hinterhofhits“ erschienen. In der Küche von Johnny Bottrop wurde schwarzer Tee gereicht, als ich mich mit ihm und Bassist Slash Vicious zum Gespräch traf.

Euer erstes Album war voller Hits, euer zweites echt gut, aber mitunter sehr „kopflastig“. Nun habt ihr mit den „Hinterhofhits“ eine gute Mixtur hinbekommen. Ist euer Leben nun wieder leichter, weil endlich alles im Kasten ist, und wie seid ihr selbst mit dem Endergebnis zufrieden?


Slash: Selbstverständlich sind wir sehr zufrieden. Das Problem an der Sache ist, dass wir anfangs mit der Prämisse loslegten, schnell ins Studio rein, live aufnehmen und dann schnell wieder raus – was für Musiker an sich kein Problem ist, aber für uns eben schon. Das haute nicht so ganz hin. Es hat dann doch wieder drei bis vier Monate gedauert, bis alles fertig war. Natürlich sind wir im Endeffekt dann damit zufrieden, denn wir haben an dem Album wirklich mit Liebe herumgeschraubt.

Johnny: Wir haben wirklich in dreieinhalb Tagen 66% des Materials live aufgenommen und die restlichen 33% haben wir dann mit Overdubs fertigestellt, und das hat sich dann wieder drei bis fünf Monate hingezogen, mit Abmischen und dem Mastering.

Slash: Wenn man wie ich einen normalen Job hat, kommt man einmal in der Woche zwei Stunden ins Studio und kannst vielleicht ein halbes Lied einsingen, und dann fängst du das nächste Mal wieder ganz von vorne an, weil du nicht im Fluss bist, und das hat gestört.

Ohne jetzt zu sehr in technische Details abdriften zu wollen: habt ihr beim Aufnahmeverfahren viel geändert? Und wer hat das Album produziert?

Johnny: Diesmal haben wir das mit Alexander Ott gemacht, der alles live aufgenommen hat, die Gitarren, Schlagzeug und Basspuren, alle Mann zusammen in einem Raum stehend mit den Verstärkern drin. Mit einer Mikrofonisierung, die im ganzen Raum verteilt war. Das hat auch alles ganz gut funktioniert, umso zähflüssiger waren dann die Overdubs.

Jetzt kommt eine leicht kritische Frage. Offenbar wollt ihr euren Hörern für ihr Geld wirklich etwas bieten. Mir fiel dennoch auf, dass eure Platte gegen Ende etwas anstrengend wird und wirkt. Sagt ihr euch: „Na gut, dann hat er eben Pech gehabt, besser ihm missfallen vier Lieder von 15, als dass ihm zum Beispiel nur vier gefallen“?

Johnny: Also ich finde gerade die Stücke am Ende gut, vor allem dieses „Das Produkt“, das ist eine totale Hymne, ein Knallersong, aber wenn einer das anders sieht ...


Slash: Das war auf jeden Fall keine Absicht, wir haben die letzten Stücke nicht extra auf der Platte, um dich zu ärgern.

Ehe wir explizit auf einige überragende Songs eingehen; wie schwer fällt es euch, kluge, witzige und griffige Texte zur Musik zu schreiben, die dennoch deutlich eure Meinung wiedergeben. Ist der gute Reim hier das größte Hilfsmittel?

Johnny:
Das ist schon schwer. Das Gute ist, dass wir im Proberaum anfangen mit den Stücken, in dem Moment haben wir ja nie nur einen einzigen Text, der jetzt genau auf diesen Song passen muss. In unserer Schublade schlummern zur Zeit 107 angefangene Texte. Man hat natürlich ein Riff oder einen Song im Ohr und denkt dann nach, welcher von den fünf, sechs oder sieben Texten, die man gerade vorliegen hat, zu den Phrasierungen passen könnte.

Slash: Meine Aufgabe ist es dann tatsächlich, die Hälfte der Texte zu streichen und umzuarrangieren, damit es auch zur Musik passt ...

Johnny: Man entscheidet sich dann ihn der Regel eher von der Stimmung eines Songs her für den Text, als jetzt vom Beat und vom Flow der Verse und Reime und Silben. Das heißt, wenn man sich aufgrund des Textinhaltes entschieden hat, dass ein Text jetzt gut zur Musik passt, muss man auch meist die ganzen Silben wieder umschreiben, oder neue Wörter erfinden.

Im Opener „Die Maschine“ heißt es: „Es funktioniert nicht und es hat nie funktioniert.“ Wie passt das dazu, dass ihr doch technisch alle begabt seid, oder meint ihr das mehr gesamtgesellschaftlich?

Johnny:
In diesem Fall ist der Text aus Anlass des Reaktorunfalls in Fukushima genommen worden, es gab ihn schon länger, aber nun passte dieser eben zeitlich. Natürlich ist die Atomenergie schon vor fünfzig Jahren bis heute nie irgendwie beherrschbar gewesen, weil niemand weiß, wohin mit dem Müll. Bis heute gibt es also für das alles überhaupt keine Lösung. Es gibt auch niemanden, der weiß, wie man das in den nächsten hundert Jahren alles bezahlen soll, wer das verschrotten soll und so weiter. Das alles ist aber wie gesagt schon bekannt, nur hat sich niemand daran gestört, und Fukushima war dann der konkrete Anlass für diesen Song. Das gilt natürlich für alle Arten komplizierter Technologien, siehe irgendwelche Hochgeschwindigkeitszüge, die dann plötzlich anfällig sind, weil ihre Klimaanlage nicht funktioniert oder weil eine Taube in die Spur kommt, und plötzlich gibt es einen Riesenunfall. Die heutige Gesellschaft ist eben sehr stark von Energie und Technik abhängig und da werden die Risiken natürlich immer größer.

Den Song „Go 2 hell“ finde ich richtig klasse. Hier heißt es unter anderem: „Ein Turm aus Scheiße, in jeder Stadt der gleiche (...) Für die Reichen immer neue VIP-Bereiche“. Haben wir zu viel Gleichmacherei oder zu viele versnobte Wichser in diesem unserem Lande?

Johnny:
Zu diesem Lande kann ich nichts sagen, aber zu Berlin. Hier ist es in der Tat so, dass die Innenstadt immer mehr von irgendwelchen reichen Erben und Hipstern und Leuten, die es sich leisten können, in Beschlag genommen wird. Nicht nur die Wohnungen im Innenstadtbereich, sondern auch die Clubs, die Läden, die Cafés. Es geht soweit, dass irgendwelche reichen Eltern schon versuchen, Kinderläden zu übernehmen, sogar Bürgerinitiativen bilden, um Leuten, die ewig da wohnen und im Park ihr Bier getrunken haben, weil sie sich die Bar nicht leisten können, verscheuchen und die Bänke abmontieren lassen. Es ist durchaus so, dass Berlin günstig ist im Vergleich mit dem internationalen Markt, Dubai, Paris oder Stockholm beispielsweise. Und hier sind eben all die Söhne und Töchter von reichen Eltern gelandet.

Slash: Da werden Wohnungen gekauft, die sich die alteingesessenen Anwohner eben nicht mehr leisten können, nur um sie dann an Bekannte aus Schweden zu vermieten ...

Da passt ja meine nächste Frage direkt. Es gibt einen schönen Offbeat im Song „Kannibale“, wo es heißt: „A Hunger hatta“. Habt ihr die zugereisten Schwaben – mit diesem „Schimpfwort“ werden in Berlin zugezogene Süddeutsche oft belegt – zum Fressen gerne?

Johnny:
Ich selber bin ja auch ein Zugezogener, komme aus dem Ruhrpott, aber ich kenne viele Schwaben, die hier mittlerweile schon länger leben und die sich nicht so verhalten wie irgendwelche „Reichschweine“, die hier so langsam alles okkupieren. Das mit den Touristen ist eigentlich fast noch ein schlimmeres Problem, aber ich denke, das wird sich irgendwann sowieso von selbst erledigen. Wenn dann irgendwann jeder Straßenzug in Kreuzberg oder Friedrichshain nur noch aus Hostel, Touri-Café, Touri-Restaurant und Touri-Technoclub besteht und es nichts Authentischem mehr gibt, dann wird nämlich der Zug der hippen Touristen woanders hingehen, nach Warschau oder nach Kiew. Prag ist ja schon längst okkupiert. Da werden zuerst die hippen Szeneleute das auskundschaften und mit Billig-Fluganbietern anfliegen und dann sind die Hostels in fünf Jahren alle dort. Ja, Kreuzberg wird zu Disneyland ...

„Täglich grüßt das Murmeltier“ ist eine gute Attacke gegen die um sich greifende TV-Verblödung. Dieter Hildebrandt sagte mal: „Bist du erst einmal verkabelt, hast du Scheißdreck, der sich stapelt“. Aber da hängen dann wohl wieder „Arbeitsplätze“ dran.

Johnny:
In dem Text geht es ja mehr darum, dass Nachrichtensender heutzutage auch mehr Werbekunden und mehr Einschaltquoten brauchen, und dass es dann eben darum geht, aus Lappalien große Sensationen zu machen, dass immer mehr mit Angst gespielt wird. Der Killer, der Mörder die gewalttätige Jugendgang, die Terroristen ... Dabei war das mit der Jugendgewalt zu meiner Zeit viel, viel schlimmer. Auf meinem Schulhof ging es völlig ab, da gab es jeden Tag auf die Fresse. Heutzutage ist das eine Sensation, wenn es nur einmal in der Woche einen Vorfall gibt. Da wird dann sofort ein Riesenbericht daraus gemacht über die schlimmen Jugendgangs. Die machen das aus zwei Gründen: Zum einen, weil die Medien eben Quote und Werbekunden brauchen. Zum anderen wird es aber auch mit System gemacht, weil man dadurch, dass die Leute sich das anschauen, sie gut an diese Ordnung und an das System binden kann, so dass sich die Leute danach sehnen, mehr Polizei zu haben, mehr Kameras, mehr Überwachung, und aus diesem Grunde sind die Berichte auch politisch gewollt. Ob es da nun um Terroristen geht oder um Jugendliche, es wird hochgekocht, damit sich die Bürger dann quasi unter den Rocksaum von Ordnung und Staatlichkeit flüchten können. Besonders in den USA war das so, beim Kampf gegen den Terrorismus, wo die Hysterie richtig hochgekocht wurde. Alarmstufe Gelb, dann sogar Rot, wieder Gelb. Chemiewarnung und Terrorwarnung und Flugzeuge müssen am Boden bleiben – da wurde zwölf Monate lang die absolute Panik geschürt.

Aber da muss ich mal einhaken: Vor Kurzem ist in Berlins Innenstadt ein junger Mann mit Migrationshintergrund von arabischstämmigen Jugendlichen getötet worden; Wochen zuvor wurde ein Rabbiner zusammengeschlagen, und das nicht von Neonazis, sondern arabischstämmigen Jugendlichen. Macht das für euch einen Unterschied aus?

Johnny:
Die Araber, die diese Tat begangen haben, sind wahrscheinlich auch Deutsche wie du und ich und leben bereits in der dritten Generation hier. Ich meine, ich schaute neulich mal, wer von meinen deutschen Kumpels überhaupt „Deutscher“ ist und da hatte jeder in seiner Familie jemanden – als Vater, Großvater ... –, der „nicht-deutsche“ Wurzeln mitbrachte. Die kamen aus Tschechien, aus Polen, Italien, Russland, Pakistan oder aus Holland, ich kenne eigentlich niemanden, der nicht irgendeine Art Immigrationshintergrund hat.

Etwas, das bei den BOTTROPS nie fehlen darf, ist das Thema Liebe. „Ramona“ erinnert mich musikalisch an MADNESS und BEE GEES, da geht es um Verflossene, in dem Lied „Zusammen sein“ um die Angst vor dem Alleinsein. Habt ihr das Punkrockstar-Klischee von Partys und Groupies jetzt zu den Akten gelegt?

Johnny: In „Zusammen sein“ heißt es ja: „Ich will wieder mit dir zusammen sein ... oder mit irgend jemand anders“, hahaha.

Slash: Das sollte schon mit auf das letzte Album, aber hat es dann nicht geschafft. Und jetzt haben wir es etwas verfeinert, mit anderer Phrasierung und neuem Schlagzeug.

Johnny: Genau, weil uns die Schlagzeug-Aufnahmen damals kaputt gegangen sind. Und bei „Ramona“ ist es genauso textlich, man denkt, es geht um die eine, dabei geht es um drei Dutzend.

Welche Ziele verfolgt ihr mit der Band, und hat sich eure Einstellung zur Szene durch die Tourjahre verändert?

Slash: Ich nehme das alles einfach nicht mehr so ernst. Für mich ist es ein Hobby, bei dem ich Spaß habe, und wenn ich auf Tour bin, will ich dann halt mal die Sau rauslassen.

Johnny: Ziel ist es, alle Jahre mal ein neue Platte zu veröffentlichen und so wenig wie möglich im Winter zu touren. Im Winter sieht man nur Autobahnen, dann steigt man aus dem Bus und es ist dunkel, dann sieht man nur Backstage-Räume, alles ist kalt. Slash hat dazu eine ganz andere Meinung, der will am liebsten nur im Winter touren ...

Warum?

Slash:
Ich bin ein Nachtmensch, wenn die Sonne untergeht, blühe ich auf. Im Sommer gibt es überall Insekten ...